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Gottfried Keller

Nachgelassene Erzählungen

Der Schneidergeselle, welcher den Herrn spielt

Unsern geneigten Lesern ist ohne Zweifel noch in frischer Erinnerung, daß der Sommer 1846 so heiß war, wie bei Menschengedenken keiner. Das empfand absonderlich ein Schneiderlein, welches in der kühlen Morgenfrühe aus den Toren der Bundesstadt gewandert war und nun am heißen Mittag im Staub der Heerstraße seines Leides kein End wußte. Wie gern hätte das Bürschlein sich unter einen Baum gelagert, um dem glühenden Sonnenstrahl zu entgehen, der ihm durch den magern Leib schien, als wär er eine Laterne. Allein das ging nicht; denn erstens mußte der Bruder Berliner heut unfehlbar irgendeinen Ort erreichen – ob Schaffhausen oder Basel, das weiß der Kalendermann nicht, tut auch nichts zur Sache – item einen Ort, wo ihm vom Bruder Schweinfurter, der daselbst arbeitete, durch ein wohlgesetztes Schreiben Kondition versprochen war; fürs zweite war das Geld bei ihm das wenigste – hatt er doch seinen letzten Batzen beim gestrigen »Kommersch« ausgeblecht, so daß ihm jetzt die »verflüchteste« Eile not tat, wie er sich auszudrücken beliebte. Inzwischen war, abgesehen von der unmenschlichen Hitze, unter der an selbem Tage Mensch und Vieh seufzte, das Vorwärtskommen für ihn mit absonderlichen Schwierigkeiten verbunden, sintemal er die Sohlen seiner Stiefel allbereits mit Gottes Erdboden vertauscht hatte, so daß die großen Zehen ebenso wehmütig sehnsüchtig unter dem Oberleder hervorguckten wie seine Augen unter dem »Schüchleder« seiner blutroten Studentenkappe. Indessen macht‘ er gute Miene zum schlechten Spiel, drehte im Gehen den Schweiß aus den sieben Haaren, welche seinen martialischen Bocksbart formierten, schwang lustig seinen Ziegenhainer – zumal wenn er jemanden daherkommen sah – ließ den Tornister mit dem Bügeleisen flott auf der linken Seite des Rückens herunterbaumeln und sang, dem Staub zum Trotz, der ihm die durstige Gurgel verbarrikadierte:

»Und in der Stadt Venedichen –
Da bin ich och jewesichen:
Ist eene große Fluß,
Worüber man schiffen muß,
Heeßt die andriantische See!

Och in dem Lande Saxichen,
Wo die schönen Mädels waxichen!
Hätt ich das jedacht,
Hätt ich mich eene mitjebracht
Und für den Meesterjesellen och eene!«

Plötzlich hört er‘s rollen und klatschen hinter sich; und wie er umschaut, erblickt er erst eine dicke Staubwolke, dann, im Näherkommen, vier stolze Pferde, die eine Staatskarosse ziehen, und einen Kutscher, der die Riesenpeitsche schwingt und dann wieder, wie eine Angelrute, sie gerad ausstreckt, als wolle er im Trüben fischen. Ach, fingest du mich, denkt das Schneiderlein, wie gerne wollt ich in deinen Fischkasten! Damit nimmt er einen desperaten Sprung auf die Seite; denn die Rosse sind ihm fast auf der Ferse. Zugleich aber zieht er seine Blutmütze, um sich in der Geschwindigkeit einen Zehrpfennig zu erfechten. Allein wie rührend seine Stellung sein mag: sie trägt ihm nichts ab; denn der Wagen ist leer, wie mancher Regentenkopf, und trotzig stülpt er den roten Lappen wieder auf seinen Schneiderkopf. Aber siehe, der Kutscher hält die Pferde an und sieht sich nach dem humpelnden Berliner um: »He, guter Freund, kommt mal her. Seid Ihr ein Schneider?«

»Ich bin ein Kleidermacher, Servitör!«

»Seht, da ist mir ein vermaledeites Unglück passiert. Im Aufsteigen hat mir ein Nagel die Hosen aufgeschlitzt, daß ich sie mit dem Mantel decken muß, wenn mich die Leute nicht für den Adam ohne Feigenblatt halten sollen. Seid Ihr kapabel, mir den Riß erträglich zuzunähen? Dort im Walde läßt sich füglich haltmachen, und es kommt mir so wenig darauf an, eine Viertelstunde zu warten, als Euch zum Lohn mit Euerm schlechten Fußwerk ein paar Stunden mitzuschleppen.«

Wie bereitwillig das Schneiderlein sich einstellte! Im Walde fand sich hart an der Straße ein kommlicher Busch, in welchem der Schneider ungesehen flicken, der Kutscher unbeachtet auf seine Pferde vigilieren konnte. Innerhalb des festgesetzten Termins war der Schaden zur Zufriedenheit des letztern (nämlich des Kutschers) geheilt, und der Bruder Berliner stieg selig in den Bauch des Staatswagens, welcher am Tage vorher zwei Tagherren eingeschlossen und gen Zürich spediert hatte.

Kaum saß das Schneiderlein auf den weichen Kissen, so kam der Geist der Eitelkeit über ihn. Daß dieser Geist noch, als Nachlassenschaft der beiden Staatsmänner, in den Polstern gesteckt habe, ist nicht glaublich, sintemal er den Herren in Zürich beim Auspacken nicht fehlte. Genug, der Geist der Eitelkeit kam über den Berliner: er machte eine hübsche Rosette ans fadenscheinige Halstuch, unterdrückte mit starker Hand die schweißtriefenden, rostgelben Vatermörder und striegelte mit einem dritthalbzähnigen Kamm das Haupthaar in eine schiefliegende Scheitel; auch den Backenbart würde er gestriegelt haben, hätt er einen gehabt. Dann lehnt‘ er sich zurück, rundete die Unterlippe zu einer stolzen Wurst, blies die Naslöcher auf wie ein Walfisch und machte Augen, so hochmütig und unzufrieden, als wär er ein geborner Junker oder ein übersättigtes Kirchenlicht.

Unter diesen Umständen konnt es nicht fehlen, daß er von seinesgleichen häufig und dringend angebettelt wurde. Er antwortete dann mit demselben vornehmen Grunzen, womit er selber so häufig abgespiesen worden war. In einem Dorfe jedoch, in welchem die Kutsche hielt, drängten sich drei Leidensbrüder mit so unüberwindlicher Hartnäckigkeit an die Portiere – ja, ein Tuttlinger, Schuhmacher seines Handwerks, schwang sich sogar auf den Wagentritt und hielt ihm die pechgeschwärzte bettelnde Hand so nah vor die Nase, daß er plötzlich in einen Strom von reglementarischen Gesellenschimpfwörtern ausbrach, was zwar die drei Vögel erst frappierte, dann aber anzog, wie das Aas die Geier.

»Seht da den silbernen Ellstecken! das filzige Bügeleisen! den herrelenden Geißbock!« schrie der Tuttlinger, sich auf dem Wagentritt umwendend. »Der Kerl hat sich aus gestohlenem Tuch ein himmelschreiendes Vermögen zusammengeflickt und meint nun, weil sein Werktisch eine Kutsche und sein Geißenquartett ein doppeltes Roßgespann geworden, er sei des großen Hunds Götti!«

»Laß ihn gehen!« rief der Braunschweiger, ein Ledergerber. »Ich möchte trotz seines Geldes nicht in seiner Haut stecken. Zwar wollt ich sie gerben, aber trocken, mit diesem Haselstock möcht ich sie gerben – nicht, um ein Fell daraus zu machen, sondern Fetzen, blutige Fetzen, wie‘s einer schäbigen Bockshaut gebührt!«

»Kommt, Brüder, laßt uns weiterziehen!« brüllte der Hannoveraner, ein Pastetenbeck, »sonst nimmt er uns auf die Hörner und meckert eine Litanei, daß wir uns die Nasen zuhalten müssen statt der Ohren!«

»Ihr Tausendschwerenöter!« schnauzte das Schneiderlein aus der Kutsche, »so haltet doch euere Mäuler! Was wollt ihr von mir? Seht einmal her!«

Damit steckte der arme Berliner hastig sein mageres Bündel mit Bügeleisen und Ellenstecken und gleich darauf seine beiden Füße mit den sohlenlosen Stiefeln und haselnußgroßen Schwielen durch den Kutschenschlag.

Der Beweis wirkte. Das Kleeblatt stand da mit offenen Mäulern und glotzenden Augen. Endlich trat der Tuttlinger hinzu und rief: »Zieh nur dein Gestell wieder rein; wir wissen nun schon, daß du ein armer Teufel und nicht von Gebiken, sondern von Nehmiken bist. Da hast du einen Groschen, Bruder, und nimm meine Grobheit für ‚ne Ehr auf!«

»Da!« brummte gutmütig der Gerber, »faß diesen Bernbatzen! Hätt ich ein paar Stück Sohle bei mir, du bekämst‘s. Straf mir Jott! Die Schosseh, auf der du wanderst, liefert schlechtes Rindsleder.« »Ich hab nur noch sechs Kreuzer im Sack«, versicherte wehmütig der Hannoveraner, »und muß noch acht Stunden Weges machen bis zur Herberge. Du begreifst, Bruder, daß ich nichts entbehren kann. Doch halt, da sind ein Paar Socken; die magst du dir anziehen, damit du die einzige Barschaft, die du hast, deine baren Füße, in etwas schonen kannst. Glück zu, Bruder! Was für ein Landsmann bist du?«

»Ein Berliner, daß Gott erbarm!«

»Preußen hoch! Vivat Berlin!« stimmte der baumlange Braunschweiger an, und brüllend fielen die andern ein: »Preußen hoch! Vivat Berlin!«

Das Schneiderlein aber schwenkte dankbar seine blutrote Mütze und sang, während der Kutscher mit ihm davonfuhr, aus voller Kehle und vollem Herzen in bekannter Weise:

»Adies, Brüder! lebet wohl;
Wir uns wiederum seihen soll!«

Die misslungene Vergiftung

In einem benachbarten Kanton lebt ein Apotheker, ein Mann, der früh und spät unter seinen Töpfen mit Latwergen, Pillen und Salben anzutreffen ist, dessen emsige Hand mit einer bewundernswürdigen Fertigkeit die Rezepturen komponiert, Extrakte destilliert, Posten einregistriert und überhaupt alles besorgt, was im Bereich seines Geschäfts nur vorkömmt; er besucht keine Vergnügungsplätze, gibt keine Gesellschaften und nimmt auch keine Einladungen an; er geht jahraus jahrein in kein Wirtshaus und schmäht über jene, die abends nach vollbrachter Arbeit ihren Schoppen trinken. Seine teure Ehehälfte besorgt das Hauswesen; sie hat keine Magd, tut alles selbst, scheuern und putzen, kochen und braten, flicken und stricken, alles liegt ihr ob; auch sie besucht keine Teegesellschaften, keine Theater und Tanzpartien, sondern nur allwöchentlich mit ihrem Eheherren den Gottesdienst. Diese guten Eigenschaften verlieren aber plötzlich sehr an Gehalt, wenn wir diese Leutchen schärfer aufs Korn fassen – der Hauptzug ihres Charakters ist Geiz und Mißgunst; es ist zwar nicht jener gemeine Geiz, der sich selbst keinen guten Bissen gönnt und lieber am Hungertuch nagt, als einen Kreuzer aus der schweren Geldkiste nimmt, um schwarzes Brot zu kaufen; nein, dieser schmutzige Geiz ist es nicht, denn er und seine Ehehälfte sind Leckermäuler, und die schönsten und besten Bissen zieren tagtäglich ihren Tisch, die besten Weine kitzeln ihren Gaumen, und den allerfeinsten Knaster dampft der Herr aus seinem Pfeifchen; handelt es sich aber darum, ihren Mitmenschen beizustehen, so ist des Apothekers Herz und Haus verschlossen, und der Arme und Bedrängte kann getrost an seiner Türe vorbeigehen, denn nicht ein Pfenning wird ihm gereicht.

Wenn wir vorhin sagten, daß er alles selbst tue, so ist dieses ein moralischer Zwang bei ihm, ebenso bei seiner Frau, denn kein Gehilfe, keine Magd kann es in seinem Dienst aushalten; er so wie sie mißgönnen diesen jeden noch so karg zugemessenen Bissen; die elendesten Suppen, das schlechteste Brot ist mehr wie gut genug. Sein ganzes Dienstpersonal hatte sich demnach bis auf einen Kopf reduziert. Dieser Kopf gehörte dem Lehrling an, einem gefräßigen spindeldürren Burschen, der schon zweimal das Hasenpanier ergriffen hatte, aber jedesmal wieder eingeholt wurde, weil ihn ein Lehrkontrakt auf vier Jahre fesselte. Dieser Bursche wurde daher im Laboratorium, im Magazin und in der Küche je nach Bedürfnis postiert, um die rohen Arbeiten zu verrichten.

Hans, so ist sein Name, war aber die Gefräßigkeit selbst, und wo es irgendwo was Eßbares gab, entweder um den Hunger zu stillen oder aber um den Gaumen zu kitzeln, da waren seine fünf Finger zum Griffe bereit. Unzählige Male hatte schon der braunlackierte Rohrstock des Apothekers seinen Rücken blau und grün durchgewalcht, und täglich zogen der Frau Prinzipalin magere Krallen tiefe blutige Furchen in sein Gesicht; doch alle diese Mittel waren nicht kräftig genug, ihm den Kappzaum der Mäßigkeit anzulegen; seine Muskeln waren in steter Bewegung auch selbst dann, wenn sie nichts zu verarbeiten hatten. Öfters lag er vorm Schlüsselloch und sah seine geizige Herrschaft ein köstliches Gericht verzehren; unwillkürlich waren dann aber auch seine Kiefer in auf- und abgehender Bewegung; gekaut mußte unser Hans nun einmal haben, und wäre es auch nur zum Schein.