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Ingrid Bruckler
Pflege alter Menschen

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Ingrid Bruckler

Pflege alter Menschen
Ein Lehrbuch für Pflege- und Sozialbetreuungsberufe

Mit einem Schwerpunktkapitel zu
Altersverwirrtheit und Demenz

2., erweiterte Auflage

facultas

sometxt Ingrid Bruckler
DGKS, Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, Total Quality Management, Problem-based Learning, Lehrbeauftragte des ENPP, Logopädagogin nach Viktor E. Frankl

Kontakt: Sieveringerstr. 105/2/7, 1190 Wien ingrid.bruckler@gmx.at

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger
Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Copyright © 2013 Facultas Verlags- und Buchhandels AG
facultas Universitätsverlag, 1050 Wien, Österreich
Umschlagfoto: istockphoto.com
Lektorat: Philipp Rissel und Sabine Schlüter, Wien
Satz: Florian Spielauer, Wien Fotos Innenteil: Ingrid Bruckler
Printed in the E. U.
ISBN 978-3-7089-1234-9 print
ISBN 978-3-99030-691-8 epub

Inhalt

Vorwort
Einleitung
Lernziele
1 Allgemeine Grundlagen
1.1 Der alte Mensch in der Gesellschaft
1.1.1 Persönliche Einstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Alter und Altern
1.1.2 Bild und Rolle, Stellenwert und Bedeutung des alten Menschen in unserer Gesellschaft in Medien, Arbeitswelt und Familie
1.1.3 Sozialhistorischer Hintergrund und Normalitätsverständnis: kulturelle, finanzielle und alltägliche Situation
1.1.4 Wohn- und Lebensformen im Alter
1.2 Die Lebensgeschichte des alten Menschen
1.2.1 Persönliche Lebensgeschichte und ihre Bedeutung
1.2.2 Sozialhistorische und individuelle Einflüsse
1.2.3 Erhebung der Lebensgeschichte und ihre Relevanz in der Pflegepraxis
1.3 Grundversorgung alter Menschen
1.3.1 Die Problematik der Multimorbidität
1.3.2 Primäre Grundversorgung
1.3.3 Sekundäre Grundversorgung
1.3.4 Tertiäre Grundversorgung
1.3.5 Schnittstellenproblematik und ihre Chancen
1.3.6 Vor- und Nachteile unterschiedlicher Einrichtungen zur Versorgung alter Menschen
1.3.7 Angehörige als Partner in der Pflege
1.4 Einstellungen, Haltungen und Verhalten gegenüber alten Menschen
1.4.1 Selbstständigkeit
1.4.2 Empathie
1.4.3 Angst, Aggression, Gewalt
1.4.4 Scham- und Ekelgefühle
2 Theoretische Ansätze und Betreuungskonzepte
2.1 Theorien und Modelle des Alterns
2.2 Übergangspflege nach Erwin Böhm
2.3 Psychobiografisches Modell nach Erwin Böhm: Milieugestaltung
2.3.1 Milieugestaltung
2.4 Validation nach Naomi Feil: Realitätsorientierung
3 Bedürfnisse alter Menschen in den Bereichen der AEDL
3.1 AEDL Kommunizieren
3.1.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.1.2 Auswirkungen veränderter Kommunikation im Alter
3.1.3 Pflegeinterventionen
3.2 AEDL Sich Bewegen
3.2.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.2.2 Auswirkungen veränderter Bewegung im Alter
3.2.3 Pflegeinterventionen
3.3 AEDL Vitale Funktionen des Lebens aufrechterhalten
3.3.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.3.2 Auswirkungen veränderter Vitalfunktionen im Alter
3.3.3 Pflegeinterventionen
3.4 AEDL Sich Pflegen
3.4.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.4.2 Auswirkungen veränderter Pflegefähigkeit im Alter
3.4.3 Pflegeinterventionen
3.5 AEDL Essen und Trinken
3.5.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.5.2 Auswirkungen veränderter Ess- und Trinkmöglichkeiten im Alter
3.5.3 Pflegeinterventionen
3.6 AEDL Ausscheiden
3.6.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.6.2 Auswirkungen veränderter Ausscheidung im Alter
3.6.3 Pflegeinterventionen
3.7 AEDL Sich Kleiden
3.7.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.7.2 Auswirkungen veränderter Bekleidungsfähigkeit im Alter
3.7.3 Pflegeinterventionen
3.8 AEDL Ruhen und Schlafen
3.8.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.8.2 Auswirkungen veränderter Ruhe- und Schlafgegebenheiten im Alter
3.8.3 Pflegeinterventionen
3.9 AEDL Sich Beschäftigen
3.9.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.9.2 Auswirkungen veränderter Beschäftigungsmöglichkeiten im Alter
3.9.3 Pflegeinterventionen
3.10 AEDL Sich als Frau/Mann fühlen und verhalten
3.10.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.10.2 Auswirkungen veränderter Sexualität im Alter
3.10.3 Pflegeinterventionen
3.11 AEDL Für eine sichere Umgebung sorgen
3.11.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.11.2 Auswirkungen einer unsicheren Umgebung
3.11.3 Pflegeinterventionen
3.12 AEDL Soziale Bereiche des Lebens sichern
3.12.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.12.2 Auswirkungen ungesicherter Sozialbereiche
3.12.3 Pflegeinterventionen
3.13 AEDL Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen
3.13.1 Altersveränderungen und Einflussfaktoren
3.13.2 Auswirkungen des veränderten Umgangs mit existenziellen Erfahrungen
3.13.3 Pflegeinterventionen
4 Altersverwirrtheit und Demenz
4.1 Alters Veränderungen und Einflussfaktoren
4.2 Auswirkungen veränderten Verhaltens in der Demenz
Glossar
Fragenkatalog der Wiederholungsfragen
Literatur

Für David und Viktoria

Vorwort

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“

Erich Kästner

Werte angehende PflegehelferInnen, SozialfachbetreuerInnen und Diplomierte SozialbetreuerInnen,

für Sie wurde dieses Buch geschrieben! Es soll Sie auf Ihrem Weg durch die Ausbildung begleiten, an deren Ende die kommissionelle Abschlussprüfung steht, zu welcher Sie selbstbewusst, mit sicherem Wissen und ohne Angst antreten sollen. Bewahren Sie sich auch nach Ihrem Abschluss Ihre Neugierde auf Neues und besuchen Sie regelmäßig Fort- und Weiterbildungen. Trainieren Sie Ihren Geist!

Sie haben sich für das Erlernen eines Berufes entschieden, der nicht nur dem Wissenserwerb dient, sondern auch die regelmäßige und kritische Reflexion Ihrer eigenen Einstellung im Umgang mit diesen Menschen, erfordert.

Um dem Anspruch der Fachkompetenz näher zu kommen, ist neben dem Know-how vor allem das Know-why von Bedeutung. Ihre Sozialkompetenz, Ihr Wesen, Ihr Charakter, Ihr Mut wird ebenso gebraucht wie Ihre Fähigkeit, alte Menschen zu mögen und zu respektieren. Der Umgang mit Menschen verlangt in erster Linie einen achtsamen Umgang mit sich selbst. Passen Sie also gut auf sich auf!

Entsprechend dem aktuellen Zeitgeist dreht sich in unserer Gesellschaft vieles um Zeit, Tempo und Geld. Der Alltag altenpflegerischer Tätigkeiten wird von der Politik noch wenig beachtet. Menschenverachtendes Kosten-Nutzen-Denken erinnert gelegentlich an Zeiten, die wir schon überwunden glaubten.

„Das Private ist politisch“, diese Aussage aus der Zeit der Frauenbewegung macht deutlich, dass jede Privatperson mit ihrem Denken und Handeln einen Beitrag zur politischen Lage einer Nation leistet. Veränderungen, die jeder Einzelne vornimmt oder auch unterlässt, zeigen, inwieweit die Bereitschaft, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, ausgeprägt ist. Trotzdem oder gerade deswegen, sei darauf hingewiesen, dass Ihre kritische Einstellung gegenüber allen beruflichen Belangen – auch gemäß der Lernziele Ihres Curriculums – erwünscht ist. Machen Sie also Gebrauch davon!

Die Pflege alter Menschen ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Das Buch soll Sie ermutigen, manch schwierigen Rahmenbedingungen Ihres Praktikums mit fundiertem Wissen und klug und umsichtsvoll zu begegnen. Nicht zuletzt soll es Ihnen einen gehbaren Weg zeigen, auf dem eine würdevolle Altenpflege mit gesundem Hausverstand möglich ist. Dazu benötigen Sie drei Dinge: Disziplin, Fleiß und Freude an der Arbeit!

Vorwort zur 2. Auflage

Liebe angehende PflegehelferInnen, SozialfachbetreuerInnen und Diplomierte SozialbetreuerInnen, werte Leserschaft,

nach dem die erste Auflage dieses Buches ein unerwartet großes Echo gefunden hat, liegt durch die Initiative des Verlags jetzt die 2. Auflage vor. Angesichts der Brisanz, Aktualität und Dringlichkeit der Probleme im Umgang mit dementen Menschen habe ich schon damals überlegt, einen Schwerpunkt Demenz in das Buch mit aufzunehmen.

Dies soll unterstützen, dass Sie – angeregt durch Fallbeispiele und Erfahrungen aus der Praxis – Ihre eigene Kompetenz im Umgang mit dementen Personen erweitern.

Die Auswirkungen der Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen im Verlauf einer demenziellen Erkrankung wirken sich fast auf alle Bereiche des Lebens aus. Für dieses Buch wurden die Auswirkungen und Pflegeinterventionen nur für jene Bereiche thematisiert, die erfahrungsgemäß in der Praxis am häufigsten spürbar und erlebbar sind.

Die Probleme betroffener Angehöriger haben in diesem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert. Es war und ist mir ein Herzensanliegen, zumindest ansatzweise dazu beizutragen, dass die Arbeit pflegender Angehöriger stärker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückt und die entsprechende Würdigung erfährt, auch dann, wenn sie nicht selbst pflegen oder betreuen. Das Ertragen leidvoller Zustände und das Mitleiden mit nahestehenden Menschen, die an Demenz erkrankt sind, ist und bleibt – wie schon V. E. Frankl sagte – eine große menschliche Leistung.

Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich für die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse der Gehirnforschung interessieren, dann empfehle ich Ihnen, auf die umfangreiche Literatur von Joachim Bauer, Manfred Spitzer und Gerald Hüther zurückzugreifen, die in verständlicher Sprache erklären, welche Dinge bedeutsam sind, wenn Sie sich mit der „Krankheit des Vergessens“ näher beschäftigen wollen.

Sollten Sie vorhaben, sich gründlicher mit der Sinnfrage am Lebensende auseinanderzusetzen, empfehle ich Ihnen, sich dem Werk V.E. Frankls und seiner Schülerin E. Lukas zuzuwenden. Sie bieten in ihren Schriften Impulse zur eigenen Antwortsuche.

Darüber hinaus wünsche ich Ihnen auch mit dieser Auflage viel Freude und hoffe, dass Sie sich auch über Ihre Ausbildung hinaus mit dem Thema des Alterns in Würde nicht nur gedanklich beschäftigen, sondern auch in Ihrer beruflichen Praxis Ihren Beitrag zur Gestaltung dieses Vorhabens leisten.

Ingrid Bruckler Wien, im November 2014

Einleitung

In seiner Struktur und seinem Gesamtaufbau liegt dem Manual weitgehend der Lehrplan der Pflegehelferausbildung zugrunde. Auch wenn durchgehend von Pflegehelfern die Rede ist, so sind auch Auszubildende der Sozialfachschulen angesprochen, die das Manual als Ergänzung zum Schwerpunkt Altenarbeit, in den Ausbildungen zur Sozialfachbetreuung und zur Diplom-Sozialbetreuung verwenden können.

Ein Teil des Textes ist nach den AEDL von Monika Krohwinkel strukturiert und ihre chronologische Bearbeitung, nach Maßgabe des Curriculums, soll Lehrenden nicht den Freiraum beschneiden, eine eigene Reihenfolge für den Unterricht festzulegen. Aus diesem Grund und aus Gründen der Ganzheitlichkeit in der Betrachtung kommt es in den einzelnen AEDL zu Überschneidungen und Wiederholungen.

Wenn an verschiedenen Stellen männliche und/oder weibliche Anreden und Bezeichnungen zu lesen sind, so sind immer beide Geschlechter damit gemeint.

Die Bezeichnung „alter Mensch“, „Hochbetagter“, „Klient“, „Patient“, „Alte“ … orientiert sich an den Orten, an denen sich der alte Mensch gerade befindet. Bislang ist der Begriff Patient beispielsweise gängig, solange ein alter Mensch sich in einem Spital aufhält. Der Begriff Patient wird auch deswegen nicht durchgehend verwendet, weil Alter ja primär keine Krankheit darstellt, auch wenn der Faktor Multimorbidität im Raum steht.

Im Sinne der Ganzheitlichkeit wurde versucht, körperliche, geistige und seelische Einflüsse zu berücksichtigen. Ebenso wurde versucht, Pflegesituationen im intra- und extramuralen Bereich gleichermaßen zu beleuchten. Wenn von Fähigkeiten gesprochen wird, sind Persönlichkeit und Sozialkompetenz gemeint, wenn von Fertigkeiten die Rede ist, sind praktische, handwerkliche Begabungen gemeint.

Das Theorie-Praxis-Verständnis, das hier zum Ausdruck kommt, wollte nicht nur die Notwendigkeit von Visionen aufzeigen, sondern auch den großen Einfluss praktisch erlebter und erfahrener Vorkommnisse sichtbar machen.

Ebenso wurde versucht – in salutogenetischem Sinne – der Verstehbarkeit, der Machbarkeit und der Sinnhaftigkeit von Lernprozessen und Inhalten Rechnung zu tragen.

Verlangsamte Anpassungszeit und Reaktionszeit stehen einem gigantischen Zeitdruck im Pflegealltag gegenüber. Zeit, die vorgegeben ist, lässt sich jedoch weder verlängern noch verbreitern, sie lässt sich aber gestalten. Außerdem sollte die Möglichkeit aufrechterhalten werden – im Rahmen der Vorgaben – unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen.

Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass es in der Praxis sehr wohl Einflussmöglichkeiten auf die Qualität der Zeit, die wir mit alten Menschen verbringen, gibt. Diese bewusst zu machen war auch eines der Anliegen des vorliegenden Buches.

Die Pflege alter Menschen bleibt laufend ein Prozess der Bemühung um aktuelles, individuelles und erworbenes Wissen. Die permanente Bereitschaft für dieses Infragestellen ist unabdingbar. Gleichgültig, ob wir im intra- oder extramuralen Bereich agieren, ist gewiss, dass wir im weitesten Sinne den alten Menschen unseren Arbeitsplatz verdanken. Daher kommt dem Betagten der Status als Kunde zu, mit allen Ansprüchen für eine qualitativ hochwertige Betreuung, wie sie sonst auch in der Privatwirtschaft üblich ist.

In der Unterrichtspraxis – während einer Ausbildung – hat es sich bewährt, aufbauend auf erworbenem Wissen aus den Themenbereichen Kommunikation, Gerontologie, Psychologie, Krankheiten, Prophylaxen und Kompetenzen, im Rahmen des Berufsbildes das Fach Pflege alter Menschen zu unterrichten. Diese Erfahrung schließt aber neue und andere Zugänge keineswegs aus.

Die Fallbeispiele lassen Zugänge zu problemorientiertem, handlungsorientiertem, erfahrungsbezogenem Lernen und anderen Lehrmethoden offen.

Als selbstverständlich wurde vorausgesetzt, dass alle alten Menschen, bei denen der Verdacht einer Erkrankung besteht, zuallererst in ärztliche Hände gehören, bevor die Pflege mit ihren Mitteln zu helfen versucht.

Die im Verlauf des Manuals formulierten Fragen zur Wiederholung finden sich im Anhang wieder und können auch als Prüfungsfragen verwendet werden. Die im Text verwendeten Fremdwörter werden, sowohl fachlich als auch sprachlich, in einfachster Form im Glossar erklärt. Die verwendete Literatur ist auch als empfohlene Lektüre zu verstehen.

Kein Buch kann umfassend alle Aspekte des menschlichen Wesens so abhandeln, dass nicht doch noch einzelne Themen unberücksichtigt blieben. Ergänzungen und Anregungen können erdacht und in der Praxis ausprobiert werden.

Mein herzliches Dankeschön gilt folgenden Personen: Prof. Erwin Böhm, Stefanie Bruckler, Prof. Dr. Horst Fassel, Christine Fichtinger, Isabella Mayer, Mag. Susanne Müller-Posch.

Mein spezieller Dank gilt meinen Töchtern Stefanie und Isabella und meinen Enkeln David und Viktoria, die zugunsten dieser Arbeit auf gemeinsame Zeit verzichten mussten.

I. B.

Lernziele laut Curriculum für Pflegehelfer (GuKG 1997)

Laut dem Curriculum nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz von 1997 sollten auszubildende Pflegehelfer bestimmte Lernziele erreichen. Ein Pflegehelfer

„Das Älterwerden will gestaltet werden.
Es orientiert sich am Wissen um das Geheimnis des Menschen und an der Kenntnis seiner inneren Entwicklung.“

Anselm Grün

1 Allgemeine Grundlagen

1.1 Der alte Mensch in der Gesellschaft

1.1.1 Persönliche Einstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Alter und Altern

„Jede Blüte will zur Frucht,

Jeder Morgen Abend werden,

Ewiges ist nicht auf Erden

Als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will

Einmal Herbst und Welke spüren. Halte, Blatt, geduldig still,

Wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht, Laß es still geschehen.

Laß vom Winde, der dich bricht, Dich nach Hause wehen.“

Hermann Hesse

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Fallbeispiel: Meinungsverschiedenheiten
Die 18-jährige Vera und die 20-jährige Klara sitzen im Gastgarten eines Cafés und beobachten eine alte, krank aussehende Frau auf der anderen Straßenseite. Sie ist offensichtlich gehbehindert und hält sich krampfhaft an ihrem Rollator fest. Auch unter größter Anstrengung gelingt es ihr nicht, mit ihrer Gehhilfe die einzige Stufe zu einem Lebensmittelgeschäft zu überwinden. Sie hält den Kopf gesenkt und schüttelt ihn immer wieder. Lange steht sie so vor dem Eingang. Viele Menschen hasten an ihr vorbei, manche werfen ihr einen flüchtigen Blick zu, andere schauen abgehetzt oder erwartungsvoll ins Innere des Geschäftes. Vera schlägt vor, hinüberzugehen und der alten Frau zu helfen. Da dreht sie sich trippelnd und langsam um und geht, nach mehrmaligen erfolglosen Versuchen, die Stufe zu überwinden, um die Ecke des Hauses und damit aus dem Blickfeld der beiden jungen Frauen.

Klara spricht sofort ihre Freundin an: „So etwas möchte ich nicht erleben. Schau dir die Quälerei dieser alten Frau an. Die kann kaum noch und keiner hilft ihr. Ja, ich möchte nicht so alt werden! Was bringt das Leben noch, wenn man mal so alt ist? Lieber intensiv und kurz leben und früh sterben. Das ist immer noch besser als sich einmal so abmühen zu müssen und so allein zu sein.“

Vera sagt darauf eher zögerlich: „Was heißt schon ‚alt sein‘? Vielleicht gäbe es ja Hilfen für diese Frau … Meine Großmutter mit ihren 73 Jahren macht noch viele Reisen, sie genießt ihr Leben und ihre große Familie. Sie sagt oft zu mir: ‚Man muss selbst etwas dafür tun, dass man im Alter nicht alleine ist und selbstständig bleiben kann.‘ Vielleicht gibt’s doch auch ganz schöne Zeiten im Alter – und Hilfen gibt’s ja auch, oder? Man könnte viel mehr für die Alten tun … Schau dir doch die zwei Frauen da drüben am Tisch an: Sie sind bestimmt beide schon über 80. Ich bin mir sicher, sie genießen ihr Zusammensein. Sie reden und lachen die ganze Zeit. Es ist so viel möglich im Alter …“

Fragen:

1.1.2 Bild und Rolle, Stellenwert und Bedeutung des alten Menschen in unserer Gesellschaft in Medien, Arbeitswelt und Familie

„Das Altwerden ist ja nicht bloß ein Abbauen und Hinwelken, es hat, wie jede Lebensstufe, seine eigenen Werte, seinen eigenen Zauber, seine eigene Weisheit, seine eigene Trauer, und in Zeiten einer einigermaßen blühenden Kultur hat man mit Recht dem Alter eine gewisse Ehrfurcht erwiesen, welche heute von der Jugend in Anspruch genommen wird. Wir wollen das der Jugend nicht weiter übelnehmen. Aber wir wollen uns doch nicht aufschwatzen lassen, das Alter sei nichts wert.“

Hermann Hesse

Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaftsform, ausgerichtet auf Wettbewerb, Produktivität und Gewinn, in einer sogenannten freien Marktwirtschaft.

Die Bilder von alten Menschen, die wir in der Werbung finden, sind vielfältig. Wir sehen und hören Aufnahmen zur Anpreisung von Zahnprothesenhaftcreme, Hörgeräten oder auch Produkten der Pharmaindustrie, die eine gesteigerte Vitalität, Schmerzfreiheit und ein gesteigertes Wohlbefinden suggerieren. Da das Älterwerden notgedrungen mit Faltenbildung einhergeht, hat die Kosmetikindustrie dieses Thema ebenfalls für sich entdeckt.

Regelmäßig ist in Fernsehen und Presse von alten Menschen zu lesen und zu hören, wenn diese Opfer ihrer Pflege- und Betreuungspersonen oder Opfer von Raubüberfällen werden. Derartige Vorfälle gibt es nicht nur in Häusern und Wohnungen von Betagten, sondern auch in Pflegeheimen. Solche Berichte tragen mit dazu bei, welches Bild die Gesellschaft sich von alten Menschen macht.

In letzter Zeit hört man immer häufiger, wie teuer die Alten zu werden drohen, wenn sie so früh pensioniert werden. Werden sie krank und pflegebedürftig, wird es auch nicht billiger. Doch weder die Medizin noch die Pharmaindustrie noch die Pflege lebt gut davon, dass alte Menschen gesund und selbstbestimmt alt werden. So gesehen sind ja kranke alte Menschen auch ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.

Die Tatsache, dass sich bereits 20-Jährige kosmetischen Operationen unterziehen, lässt vermuten, dass Altwerden offenbar bei vielen Menschen mit Angst besetzt ist. Der Zeitgeist unserer modernen Gesellschaft hat es mit sich gebracht, dass alles schneller, besser und schöner sein muss. Wenn 40-Jährige bereits um ihre Jobs bangen müssen und 50-Jährige als nicht mehr lernfähig betrachtet werden, kann man sich ausrechnen, welchen Stellenwert 80-Jährige in unserer Gesellschaft noch haben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es wohl nichts Schlimmeres gibt, als älter zu werden. Und doch wollen alle alt werden. Es will nur keiner alt sein, wie schon Johann Nepomuk Nestroy sagte.

Die ständig steigende Lebenserwartung ist auch ein Verdienst einer High-Tech-Medizin, die alles tut, um uns am Leben zu halten und dies oft auch erreicht. Die Qualität dieses so „verlängerten“ Lebens ist viel seltener ein Thema.

Für alte Menschen scheint es im Beruf kaum Aufgaben zu geben, denn sie sind entweder zu teuer oder zu langsam, so die landläufige Meinung. Doch es gibt auch die anderen, die gesunden, vitalen, aktiven Alten. Menschen wie Ute Bock, Elfriede Ott, Jean Ziegler oder Harald Serafin leben uns vor, dass man auch im Alter noch engagiert, kreativ und revolutionär sein kann.

Erst langsam, bedingt durch geburtenschwache Jahrgänge und explodierende Pensionskosten, setzt sich die Auffassung durch, alte Menschen länger im Erwerbsleben halten zu wollen. In Österreich stehen wir hier noch am Anfang.

Die Großelternrolle ist da, wo sie sich noch anbietet, ebenfalls gefährdet, einerseits durch den Zerfall der Großfamilie, der schon seit Längerem zu beobachten ist, andererseits durch die großen räumlichen Entfernungen, die bereits Kleinfamilien überwinden müssen, wenn sie beispielsweise in einer Stadt arbeiten, während sie in einer anderen leben.

Aufgabe:
Überlegen Sie, welche Rolle heute alten Menschen zukommt.
Weisheit und Lebenserfahrung: Werte oder Lasten? Wer fragt bzw. wer fragt heute noch danach?

Übung:
Sammeln Sie über zwei Wochen Zeitungsartikel zu den Themen und Problemen alter Menschen. Hören Sie sich Sendungen im Rundfunk und Fernsehen an.

Wiederholungsfrage:
Welches Bild alter Menschen wird in den Medien sichtbar? Deckt sich das mit Ihren persönlichen Erfahrungen?

1.1.3 Sozialhistorischer Hintergrund und Normalitätsverständnis: kulturelle, finanzielle und alltägliche Situation

„Lernen Sie Geschichte, …!“

Bruno Kreisky

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht bei Menschen ab dem 60. Lebensjahr von Alter. Wenn man davon ausgeht, dass Menschen heute bereits ein sehr hohes Alter erreichen können – 90, 100 Lebensjahre sind keine Seltenheit mehr – kann man sich vorstellen, wie vielfältig und differenziert unser Wissen als Pflegeperson sein sollte, um diesen Menschen gerecht zu werden. Bei Erwin Böhm haben wir erfahren, dass der Normalitätsbegriff in den ersten 25 Lebensjahren – der sogenannten Prägungszeit – gebildet wird. Heute haben wir es mit alten Menschen zu tun, die etwa im Zeitraum zwischen 1920 und 1950 geboren sind. Doch was für Zeiten waren das? Was war damals normal in Österreich, in der Stadt, auf dem Land und im Alltag? Wie haben die Menschen gelebt?

„Reich ist man nicht durch das, was man besitzt,
sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß.“

Epikur

Das scheint auf die Generation der heute 80 bis 90-Jährigen zuzutreffen, denn diese haben einiges erlebt. Hier wesentliche Punkte aus der österreichischen Geschichte, die das Leben vieler Menschen stark beeinflusst haben.

„1941 begann sich der Lebensstandard massiv zu verschlechtern. Eine deutliche Verschlechterung der Stimmung … Bis 1943 war die Ausweitung des Krieges dafür mitverantwortlich und ‚die Sichtbarwerdung des Zusammenbruchs‘.“

Ernst Bruckmüller

Die Generation unserer heute alten Menschen hat auch Jahre der Besatzungszeit erlebt und wurde davon maßgeblich geprägt.

Lesen Sie folgenden Erfahrungsbericht:

Hungrig schlafen gehen

„Ich hab den Ersten Weltkrieg noch erlebt. Wir haben ein kleines Gasthaus gehabt und eine kleine Landwirtschaft, da ist es schon vorgekommen, dass kein Mehl mehr im Haus war.

Die Mirzl, meine ältere Schwester, ist dann hinausgeschickt worden zum Kaufhaus, Mehl holen. Sie musste in die nächste Ortschaft, nach Fleiß gehen, das waren eineinhalb Stunden zu Fuß hinaus und genauso lange wieder zurück. Ich kann mich noch erinnern, wie wir voll Hunger auf sie in der Stube gewartet haben. Und dann ist sie hereingekommen und hat nichts mitgebracht! Kein Mehl! Es war keines mehr da, der Kaufmann hat keines mehr gehabt. Na ja, dort draußen haben ja auch recht viele Leute gewohnt, die haben das ganze Mehl selber gebraucht. So haben wir nichts zu essen gehabt und sind hungrig schlafen gegangen …“

I. Friedl (Friedl 2004)

In Österreich – vor allem in Wien und anderen Großstädten – leben Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern. Viele von ihnen noch in der Großfamilie, wo sie ihre traditionellen kulturellen Werte pflegen und bewahren. Im Zuge der Globalisierung kommt es aber in absehbarer Zeit auch in diesen Familien verstärkt zu Versorgungsproblemen alter Menschen. All diese Menschen aus den verschiedenen Kulturen hatten in ihrer Kindheit und Jugend eine eigene, möglicherweise uns fremde, Sozialisierung erfahren.

Wiederholungsfrage:
Geben Sie je ein Beispiel für das kulturelle, finanzielle und alltägliche Normalitätsverständnis alter Menschen!

1.1.4 Wohn- und Lebensformen im Alter

Aus unterschiedlichsten Quellen wissen wir, dass die Zahl alleinstehender Frauen im Alter ungleich höher ist als die der Männer. Da, wo Frauen in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft wohnen, sind sie es, die in der Regel die Pflege und Betreuung ihres Partners übernehmen. Umgekehrt kommt es noch eher selten vor, dass Männer sich der Pflege ihrer Frauen annehmen.

Die meisten alten Menschen werden in Österreich zu Hause gepflegt. Nur ein geringer Teil aller Betroffenen lebt in Pflegeheimen. Die eigene Wohnung oder das Haus wird auch im Alter nur ungern aufgegeben. Die gewohnte und vertraute Umgebung scheint Sicherheit zu geben.

Gelegentlich werden Menschen für einen oder mehrere Tage pro Woche in Tageszentren betreut. Tageszentren sind Orte, an denen wochentags von morgens bis nachmittags Aktivitäten wie gemeinsames Kochen und Essen oder Freizeitaktivitäten wie Ausflüge oder Spiele in der Gruppe angeboten werden. Hier besteht z. B. auch die Möglichkeit, ein Bad zu nehmen, wenn die sanitären Einrichtungen in der eigenen Wohnung dies nicht zulassen.

Eine andere Form des Lebens im Alter ist das Betreute Wohnen. Meist ziehen Menschen selbstbestimmt in eine Wohnung oder ein Apartment innerhalb eines Pflegeheimes zu einem Zeitpunkt ein, wo sie sich noch weitgehend selbstständig versorgen können. Das hat den Vorteil, dass sie später, sollten sie pflegebedürftig werden, ihre soziale Umgebung nicht mehr umzugsbedingt verändern müssen. Die Anwesenheit von Pflegepersonal über 24 Stunden stellt sicher, dass plötzlich eintretende Bedürftigkeit auch wahrgenommen wird. Außerdem können Kontakte zu Mitbewohnern ein wirksames Mittel gegen Einsamkeit und Isolation sein.

Seniorenwohngemeinschaften sind eine weitere Möglichkeit, mit anderen zusammenzuleben. Sie kennzeichnen sich dadurch, dass zwar jeder sein eigenes Zimmer hat, doch die Gemeinschaftsräume wie Küche, Wohnzimmer und Badezimmer können von allen mitbenützt werden. Es gibt Seniorenwohngemeinschaften, in denen ausschließlich ältere Menschen wohnen, aber auch Wohngemeinschaften, in denen verschiedene Generationen unter einem Dach leben.

Wiederholungsfrage:
Welche Vor- oder auch Nachteile bieten die Lebens- und Wohnformen im Alter?

1.2 Die Lebensgeschichte des alten Menschen

1.2.1 Persönliche Lebensgeschichte und ihre Bedeutung

„Stirbt ein alter Mensch, so verbrennt eine ganze Bibliothek“

Afrikanisches Sprichwort

Im Umgang mit alten Menschen ist die Lebensgeschichte immer von größter Bedeutung. Alle Erfahrungen, die angenehmen wie die unangenehmen, haben ihre Spuren in Persönlichkeit und Charakter hinterlassen. Sie haben dazu geführt, dass der altgewordene Mensch so geworden ist, wie er nun mal ist, mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten.

Lebensgeschichten sind also immer Freud- und Leidgeschichten, und beides hat in der Erinnerung einen gefühlsmäßigen Stellenwert.

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Alte Menschen sprechen in der Regel gerne darüber, wie es früher einmal war, daher brauchen sie interessierte Zuhörer. Die Lebenszeit, die sie noch vor sich haben, ist wesentlich kürzer als die, die schon vergangen ist. Erzählte Geschichten entsprechen nicht immer den Tatsachen. Manches wird in der Erinnerung verklärt, verändert und gelegentlich auch schöner dargestellt als es vielleicht gewesen ist.

Doch nicht alle Menschen sprechen gerne über Vergangenes, vor allem dann nicht, wenn es von vielen schmerzhaften Erlebnissen geprägt war. In solchen Fällen liegt es an uns, ihnen verständnisvoll zu begegnen, indem wir ihre Ablehnung respektieren.

Viktor Frankl mahnt schon:

„Der Mensch sieht meistens nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit, aber er übersieht die vollen Scheunen der Vergangenheit – er übersieht, was er alles ins Vergangene hineingerettet hat, wo es nicht unwiederbringlich verloren ist, sondern unverlierbar geborgen bleibt.“ (Frankl 1985)

Niemand kann ihnen nehmen, was nur sie so erleben konnten, wie sie es erlebt haben. Im hohen Alter hat man schon Bilanz gezogen oder tut es vielleicht noch. Dinge, die man zu bestimmten Lebenszeiten gesagt oder nicht gesagt, getan oder nicht getan hat, können tiefes Bedauern hervorrufen. Gelegentlich können sie Trauer und Tränen auslösen. Dann sind wir wieder gefragt, sie so zu nehmen wie sie sind, den so geäußerten Schmerz auszuhalten und sie mit ihren Gefühlen anzunehmen.

Fallbeispiel: Frau M.s Tränen fließen
Wie das in der Praxis aussehen könnte, können Sie anhand des folgenden Beispiels erproben:
Frau M. ist 82 Jahre alt. Sie war 60 Jahre lang mit ihrer großen Liebe verheiratet. Ihr Mann ist seit sieben Jahren tot, doch die Erinnerung an ihn lebt beständig weiter. Beinahe jedes Mal, wenn sie sein Bild ansieht oder über ihn spricht, fließen die Tränen.
Welche der beiden Antworten, wäre eine angemessene Reaktion auf das Verhalten von Frau M.? Formulieren Sie auch eine Antwort c).
a) „Ach, Frau M., jetzt weinen Sie doch nicht so. Das ist doch alles schon so lange her! Kommen Sie, wir trinken jetzt einen Kaffee zusammen!“
b) „Nicht wahr, Sie vermissen Ihren Gatten sehr! Sie müssen ihn sehr geliebt haben! Was war er denn für ein Mensch?“

Wiederholungsfrage:
Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die persönliche Lebensgeschichte für einen alten Menschen?

1.2.2 Sozialhistorische und individuelle Einflüsse

1.2.2.1 Sozialhistorische Einflüsse

Wenn man von anlagebedingten Voraussetzungen absieht, wird jeder Mensch in eine Familie und in eine Zeit hineingeboren. Dies bedeutet, dass er sowohl von der familiären Atmosphäre, in der er aufgewachsen ist, wie auch vom Zeitgeist geprägt wird.

Sozialhistorische Einflüsse ergeben sich beispielsweise aus der Gesellschaftsschicht, in der die Eltern oder die Erziehenden leben. Diese wiederum hat Einfluss auf ihre Alltagsgewohnheiten wie auch auf ihre finanzielle Situation.

Ein Bauernkind findet andere Verhältnisse vor als ein Kind aus einer bürgerlichen Familie oder ein Arbeiterkind. Das gelebte Rollenbild von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen wirkt ebenso prägend wie gesellschaftliche Werte, Normen und Regeln.

Und mit der finanziellen Situation der Eltern ist oft auch schon der Beruf, den ein Kind einmal erlernen soll, vorgegeben. Von einem Bauernsohn wurde vielleicht erwartet, dass er sich in der Landwirtschaft engagiert, um später einmal den elterlichen Hof zu übernehmen. Ein bürgerliches Mädchen hatte vielleicht mit dem elterlichen Druck zu kämpfen, standesgemäß heiraten zu müssen. Vergleicht man diese Beispiele miteinander, wird schnell klar, dass es verschiedene Rollenerwartungen vonseiten der Eltern gab, die man so oder so zu erfüllen hatte. Und wenn man sie nicht erfüllte, hatte das meist Folgen. In Armut oder Wohlstand sein Dasein zu fristen, war selbst in Zeiten kriegsbedingter politischer und finanzieller Not nicht ein und dasselbe.

All diese Faktoren aber hatten prägenden Einfluss auf das, was damals als „normal“ galt und zum Teil auch heute noch gilt.

1.2.2.2 Individuelle Einflüsse

Zu den sozialhistorischen gesellen sich noch die individuellen Einflüsse z. B. ehelich oder unehelich geboren, Einzelkind oder Geschwisterkind, wer hatte die Hauptarbeit der Erziehung inne, wer war über lange Zeit eine wichtige Bezugsperson? Welche Schulbildung wurde ermöglicht, welcher Beruf angestrebt, welcher erlernt oder ausgeübt? Welche Rolle spielte die Gemeinschaft, welche die Gesellschaft, welche Freizeitbeschäftigungen gab es, wenn überhaupt? In den Wirrungen der Kriegsjahre sind manche Träume verloren gegangen.

Wiederholungsfrage:
Beschreiben Sie die Bedeutung sozialgeschichtlicher und individueller Einflüsse im Leben eines Bauernkindes und in dem eines Kindes aus bürgerlichen Kreisen.

1.2.3 Erhebung der Lebensgeschichte und ihre Relevanz in der Pflegepraxis

Die Kenntnis der Lebensgeschichte ist im Umgang mit alten Menschen die Grundlage jeder professionellen Arbeit. Mancherorts wird im Pflegealltag immer noch Zeitmangel als Argument für die Begründung angeführt, warum diese Art von Arbeit nicht geleistet wird. Trotz Zeitdrucks ist es möglich, sich zwischendurch ein paar Notizen zu Erzählungen und Aussagen eines alten Menschen zu machen. Alles was ihm wichtig erscheint und was er immer wieder erzählt, ist emotional wichtig und ist es wert, gesammelt zu werden.

Beachten Sie: Es ist eine Frage der Prioritätensetzung und der Pflegeauffassung einer Einrichtung, wie und wann individuelle Lebensgeschichten im Team thematisiert werden.