Herausgegeben von Frank Festa

Impressum

Eine Festa Originalausgabe

Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Bob Eggleton

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-325-9

www.Festa-Verlag.de

 

Inhalt

Impressum

Das Necronomicon: Tatsachen über eine Erfindung

H. P. Lovecraft

Der Hund

Frank Belknap Long

Die Weltraumfresser

Simon

Die Beschwörung des Wächters

Jeffrey Thomas

Meine Frau, der Shoggoth

C. A. Smith

Die Rückkehr des Hexers

Frank Festa

Mortellis Bajazzo

Simon

Der dritte Name ist MARUTUKKU

H. P. Lovecraft

Stadt ohne Namen

Henry Kuttner

Der Schrecken von Salem

Robert Bloch

Der Gott ohne Gesicht

Simon

Der vierte Name ist BARASHAKUSHU

Henry Hasse

Der Hüter des Buches

Ramsey Campbell

Das Grauen von der Brücke

Manly Wade Wellman

Das Pergament des Entsetzens

Simon

Die Gräuel

Robert A. W. Lowndes

Settlers Mauer

H. P. Lovecraft

Das Fest

Edward Lee

Die verteufelte Valenz der Elementarteilchen

H. P. Lovecraft

Geschichte des Necronomicon

Originaltitel und Copyrightangaben

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Und dennoch hast du mich einst

mit einem Buch vergiftet.

Oskar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray

Das Necronomicon: Tatsachen über eine Erfindung

Der US-amerikanische Autor H. P. Lovecraft lebte von 1890 bis 1937, und in diesem kurzen, von finanziellen Nöten geprägten Leben schrieb er einige unheimliche Erzählungen, in denen er ein ganz eigenes »Kosmisches Grauen« heraufbeschwor. Weil diese Geschichten nur in Amateurzeitungen und Groschenheften erschienen, blieb die Leserschaft begrenzt. Erst nach seinem Tod fanden seine Werke mehr und mehr Bewunderer und wurden in viele Sprachen übersetzt. Inzwischen gilt Lovecraft als der wichtigste fantastische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und sein Einfluss auf die moderne Kunst ist gewaltig.

Das Necronomicon ist neben dem Cthulhu-Mythos seine berühmteste Erfindung. Lovecraft erwähnte dieses schwarzmagische Ritualbuch in diversen Geschichten, zum ersten Mal 1922 in ›The Hound‹. Er machte aber stets nur Andeutungen zum gefährlichen Inhalt. Der Verfasser des Buches soll Abdul Alhazred gewesen sein, ein Araber, der im Wahnsinn endete.

Es dauerte nicht lange, bis das Necronomicon seinen ganz eigenen Mythos entwickelte. Einige andere Autoren erwähnten das Buch in ihren Horrorgeschichten, oft in einer Aufzählung realer Titel über Dämonologie und Hexenwerk, so als würde es tatsächlich existieren.

Lovecrafts Illusion war so gut, dass die Leser nicht akzeptieren wollten, dass es sich um eine Erfindung handelt. Sie machten sich auf die Suche nach dem »verbotenen Werk«. Natürlich kamen irgendwann clevere Geschäftemacher auf die Idee, Fälschungen des Necronomicon auf den Markt zu bringen. Aber es wäre nicht verwunderlich, wenn eines Tages ein echtes Exemplar ausgegraben wird!

Es wird immer Gläubige geben, für die das Necronomicon real ist, und jene, die es für einen literarischen Scherz halten. Doch dass dieses verfluchte Buch eine finstere Macht auf unsere Welt ausübt, ist unbestreitbar.

Es ist nicht tot, was ewig liegt,

und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.

Abdul Alhazred

H. P. Lovecraft

Der Hund

In meinen gequälten Ohren hallt unaufhörlich ein albtraumhaftes Schwirren und Flattern wider, und das altersschwache, ferne Bellen eines riesenhaften Hundes. Es ist kein Traum – und ich befürchte, es ist noch nicht einmal Wahnsinn –, denn es hat sich bereits zu vieles ereignet, als dass ich diese gnädigen Zweifel noch in Betracht ziehen könnte.

St. John ist ein zerfleischter Leichnam. Nur ich weiß, weshalb, und dieses Wissens wegen werde ich mir sehr bald eine Kugel in den Kopf schießen, da ich Angst davor habe, in derselben Weise zerfetzt zu werden. Durch dunkle, unendliche Korridore grausiger Fantasien hetzt der schwarze, gestaltlose Peiniger, der mich in den Selbstmord treibt.

Möge der Himmel uns die Narretei und Morbidität verzeihen, die uns beiden ein so ungeheuerliches Schicksal eingehandelt hat! Der Banalitäten einer prosaischen Welt müde, wo selbst die Wonnen der romantischen Träumerei und des Abenteuers schnell von einem schalen Geschmack begleitet werden, waren St. John und ich begeistert jeder ästhetischen und intellektuellen Bewegung gefolgt, die uns einen Ausweg aus unserer niederschmetternden Langeweile verhieß. Wir kannten bereits all die Rätsel der Symbolisten und die Ekstasen der Präraffaeliten, doch war jede neue Stimmung allzu rasch ausgekostet und ihre ablenkende Neuartigkeit und ihr Reiz erschöpft.

Einzig die finstere Philosophie der Dekadenzautoren vermochte uns noch zu helfen, und dies auch nur, wenn wir den Grad und die teuflische Würze unserer Beschäftigung nach und nach erhöhten. Baudelaire und Huysmans verloren schon bald ihre erregenden Reize, bis uns zu guter Letzt nur noch die direkteren Anregungen absonderlicher eigener Erfahrungen und Abenteuer blieben. Dieses fürchterliche emotionale Bedürfnis führte uns schließlich auf jenen verabscheuungswürdigen Pfad, den ich selbst in meiner derzeitigen Angst nur voller Scham und Zögern gestehe – ich rede von der scheußlichsten menschlichen Verworfenheit, von der widerwärtigen Praxis der Grabräuberei.

Ich kann weder die Einzelheiten unserer erschütternden Expeditionen enthüllen noch auch nur ansatzweise die schlimmsten der Trophäen aufzählen, die das unbeschreibliche Museum zierten, das wir in dem großen Steinhaus eingerichtet hatten, das wir beide allein und ohne Dienerschaft bewohnten. Unser Museum war ein gotteslästerlicher, unvorstellbarer Ort, an dem wir mit dem satanischen Geschmack nervenkranker Virtuosen einen Kosmos des Grauens und Verfalls arrangiert hatten, um unsere abgestumpften Sinne zu erregen. Es handelte sich um ein geheimes Zimmer, tief, tief unter der Erde, wo riesige, geflügelte Dämonen aus Basalt und Onyx aus ihren weit offenen, grinsenden Mäulern sonderbar grünes und orangefarbenes Licht ausspien und wo verborgene Luftröhren die Reihen der roten Körper aus dem Leichenhaus, die wir Hand in Hand in dichte schwarze Vorhänge gewoben hatten, in einen kaleidoskopischen Totentanz versetzten. Durch diese Röhren ließen wir zudem die Gerüche ausströmen, nach denen es unsere Gemütslagen gelüstete; mal der Duft bleicher Grablilien, ein andermal der narkotische Weihrauch erdachter Sarkophage von toten Königen des Orients, und manchmal – wie es mich bei der Erinnerung schaudert! – der fürchterliche, seelenzerfressende Gestank eines geöffneten Grabes.

An den Wänden dieses abstoßenden Raumes standen antike Mumiensärge, die sich mit herrlichen, wie lebendig aussehenden Leichen abwechselten, die von kunstfertigen Präparatoren ausgestopft und balsamiert worden waren, sowie Grabsteine von den ältesten Friedhöfen der Welt. Vereinzelte Nischen enthielten Schädel aller Formen und konservierte Köpfe in verschiedenen Stufen der Verwesung. Man fand dort die fauligen, kahlen Häupter von Edelmännern und die frischen, strahlend goldhaarigen Köpfchen jüngst begrabener Kinder.

Auch Standbilder und Gemälde fanden sich dort, allesamt mit teuflischen Motiven, einige davon von St. John und meiner Wenigkeit ausgeführt. Eine verschlossene Mappe, gebunden in gegerbte Menschenhaut, enthielt besondere unbekannte und unbeschreibliche Zeichnungen, die Gerüchten zufolge von Goya stammten, die er aber nicht zu signieren gewagt hatte. Es gab anstößige Musikinstrumente, Saiteninstrumente sowie Blasinstrumente aus Blech und Holz, auf denen St. John und ich zuweilen Dissonanzen von exquisiter Morbidität und kakodämonischer Grässlichkeit erzeugten. In mehreren verschnörkelten Ebenholzschränkchen ruhte die unglaublichste und unvorstellbarste Grabräuberbeute, die durch menschlichen Übermut und Perversität je zusammengetragen wurde. Vor allem von dieser Beute wage ich nicht zu erzählen – Gott sei Dank hatte ich den Mut, sie zu vernichten, lange bevor mir der Gedanke kam, mich selbst zu vernichten!

Die Raubzüge, auf denen wir unsere unsäglichen Schätze gesammelt hatten, waren vom künstlerischen Gesichtspunkt stets unvergessliche Abenteuer gewesen. Wir waren ja keine vulgären Grabschänder, sondern arbeiteten nur unter bestimmten Bedingungen, die an Stimmung, Landschaft, Umgebung, Wetter, Jahreszeit und Mondlicht gebunden waren. Dieser Zeitvertreib bedeutete uns die feinsinnigste Form ästhetischen Ausdrucks und wir widmeten uns den Einzelheiten sehr gewissenhaft und sachlich. Eine unpassende Stunde, ein störender Lichteffekt oder eine unbeholfene Behandlung des feuchten Erdreichs machten nahezu unausweichlich den rauschhaften Kitzel zunichte, der die Exhumierung eines unheimlichen, grinsenden Geheimnisses aus der Erde begleitete. Wir waren fieberhaft und unersättlich bei unserer Suche nach neuartigen Kulissen und anrüchigen Umständen – dabei war St. John stets der Führer, und er war es auch, der uns schließlich zu der höhnischen, verfluchten Stelle führte, die uns unser grauenhaftes und unausweichliches Verhängnis brachte.

Welch boshaftes Geschick lockte uns bloß auf jenen schrecklichen holländischen Friedhof? Ich glaube, es waren die finsteren Gerüchte und Legenden, die Erzählungen über einen, der hier vor fünf Jahrhunderten bestattet worden war, der zu Lebzeiten selbst ein Grabschänder gewesen war und der aus der Ruhestätte eines bedeutenden Mannes etwas Machtvolles geraubt hatte. Ich erinnere mich in diesen letzten Augenblicken an die Umgebung – der fahle Herbstmond über den Gräbern, der lange und furchtbare Schatten warf, die grotesken Bäume, die sich griesgrämig zum verwilderten Gras und den geborstenen Grabplatten herabneigten, die gewaltigen Scharen abnorm riesiger Fledermäuse, die zum Mond hinaufflatterten, die uralte, von Schlingpflanzen umwucherte Kirche, die mit einem kolossalen, gespenstischen Finger in den Himmel wies, die phosphoreszierenden Insekten, die in einer entlegenen Ecke unter den Eiben wie Totenlichter tanzten, die Gerüche von Moder, Vegetation und weniger klaren Ursachen, die sich schwach mit dem nächtlichen Winde mischten, der über ferne Sümpfe und Meere gestrichen war.

Doch am schlimmsten von allem war das altersschwache, tiefe Bellen eines gewaltigen Hundes, den wir nicht sehen konnten. Als wir dieses knappe Bellen hörten, erschauderten wir, denn uns fielen die Erzählungen der Landbevölkerung ein: Der, nach dem wir suchten, war vor Jahrhunderten hier an dieser Stelle aufgefunden worden, zerrissen und zerfleischt von den Krallen und Zähnen einer unbeschreiblichen Bestie.

Ich weiß noch, wie wir die Spaten in die Graberde des Grabschänders tauchten und welchen Reiz uns all dies vermittelte: der Anblick von uns selbst, das Grab, der fahle, beobachtende Mond, die erschreckenden Schatten, die bizarren Bäume, die gewaltigen Fledermäuse, die uralte Kirche, die tanzenden Totenlichter, die üblen Gerüche, der sanft klagende Nachtwind und das merkwürdige, kaum zu hörende, ortlose Bellen, von dem wir nicht einmal sicher waren, ob es tatsächlich zu vernehmen war.

Dann stießen wir auf etwas, das härter war als das feuchte Erdreich, und erblickten einen modrigen Sarg, der von mineralischen Ablagerungen des lange unangetasteten Grundes verkrustet war. Er war unglaublich hart und dick, doch so alt, dass wir ihn schließlich aufstemmten und unsere Augen an dem laben konnten, was er enthielt. Viel, erstaunlich viel war von dem Objekt erhalten geblieben, obschon doch 500 Jahre verstrichen waren. Das Gerippe war zwar stellenweise von den Kiefern des Wesens zermalmt, das den Mann getötet hatte, hielt aber mit überraschender Festigkeit zusammen, und wir ergötzten uns an dem makellosen, weißen Schädel mit den langen, kräftigen Zähnen und den augenlosen Höhlen, in denen einst ein Leichenhausfieber gleich dem unsrigen geglüht hatte.

Im Sarg lag ein Amulett mit sonderbaren, exotischen Mustern. Der Ruhende hatte es offensichtlich um den Hals getragen. Es stellte die eigenartig vereinfachte Figur eines kauernden, geflügelten Hundes oder einer Sphinx mit halb hündischem Gesicht dar. Es war in altorientalischer Manier auf exzellente Weise aus einem kleinen grünen Jadestein geschnitten. Der Gesichtsausdruck war überaus abstoßend, deutete im selben Moment Tod, Blutdurst und Boshaftigkeit an. Der untere Teil trug eine Inschrift in Schriftzeichen, die weder St. John noch ich zu deuten vermochten, und auf der Rückseite war, als wäre es das Siegel seines Schöpfers, ein grotesker, außergewöhnlicher Totenschädel eingraviert.

Sobald wir dieses Amulett erblickt hatten, wussten wir, dass es uns gehören musste, dass die uns zustehende Beute aus dem jahrhundertealten Grab allein dieser Schatz würde sein müssen. Wir wollten es besitzen, obwohl es uns sehr fremdartig vorkam – jedoch, als wir es genauer betrachteten, erkannten wir nach und nach, dass es uns nicht ganz unbekannt war. Zwar stand es in der Tat fernab von aller Kunst und Literatur, die geistig normale und ausgeglichene Leser kennen, doch wir erkannten darin das Symbol wieder, das in dem verbotenen Buch Necronomicon des verrückten Arabers Abdul Alhazred umschrieben wird: das grässliche Seelenzeichen der verbotenen, leichenfressenden Sekte im unzugänglichen Leng in Zentralasien. Nur allzu gut kannten wir die düsteren Zeilen, die der alte arabische Dämonologe niedergeschrieben hatte. Zeilen, von denen er schrieb, sie seien abgeleitet von obskuren übernatürlichen Offenbarungen der Seelen jener, die sich an den Toten vergingen und an ihnen fraßen.

Wir ergriffen das grüne Jadeobjekt, warfen einen letzten Blick auf das ausgebleichte, blinde Antlitz seines Besitzers und richteten das Grab wieder so her, wie wir es vorgefunden hatten. Als wir eilig die abscheuliche Stätte hinter uns ließen, das gestohlene Amulett in St. Johns Tasche, glaubten wir zu sehen, wie die Fledermäuse in geschlossener Formation zu der Erde hinabflogen, die wir eben erst zugeschaufelt hatten, als suchten sie dort nach irgendeiner verfluchten und unheiligen Nahrung. Doch der Herbstmond schien nur schwach und fahl, deshalb waren wir uns dessen nicht sicher.

Auch am folgenden Tag, als wir die Niederlande auf einem Schiff verließen und unserer Heimat entgegenfuhren, glaubten wir das leise, ferne Bellen eines übergroßen Hundes in der Ferne zu hören. Aber der Herbstwind klagte traurig und matt, deshalb waren wir uns dessen nicht sicher.

Keine Woche war seit unserer Rückkehr nach England verstrichen, als sonderbare Geschehnisse sich ereigneten. Wir lebten wie Einsiedler, ohne Freunde, allein und ohne Dienstpersonal in ein paar Räumen eines alten Landhauses in einem öden und verlassenen Moor und nur selten klopfte ein Besucher an unser Tor. Nun jedoch wurden wir in den Nächten von regelmäßigen tastenden Geräuschen gestört, nicht nur an den Türen, sondern auch an den Fenstern, in den oberen wie in den unteren Etagen. Einmal glaubten wir, ein großer, dunkler Körper verdunkle das Fenster der Bibliothek, als der Mond darauf schien, und ein andermal glaubten wir, in der Nähe ein schwirrendes, flatterndes Geräusch zu hören. Bei keinem dieser Geschehnisse brachte eine Nachforschung etwas zutage, und wir schrieben die Vorfälle nun allmählich unserer Einbildungskraft zu, die in unseren Ohren das greisenhafte, entfernte Bellen widerhallen ließ, das wir auf dem holländischen Friedhof zu hören vermeint hatten.

Das Jadeamulett ruhte jetzt in einer Nische unseres Museums und manchmal zündeten wir davor eine Kerze mit seltsamem Duft an. Wir lasen oft in Alhazreds Necronomicon über seine Eigenschaften und den Zusammenhang zwischen den Geisterseelen und dem Gegenstand, der es symbolisierte, und das Gelesene verstörte uns tief.

Dann kam das Grauen.

In der Nacht des 24. September hörte ich, wie jemand an der Tür meines Zimmers klopfte. Da ich davon ausging, es sei St. John, bat ich ihn herein, doch zur Antwort erklang bloß ein schrilles Gelächter. Niemand befand sich im Korridor. Als ich St. John aus dem Schlaf riss, versicherte er, von all dem nichts zu wissen, und zeigte sich ebenso besorgt wie ich. In dieser Nacht wurde uns das gebrechliche, ferne Bellen über dem Moor zu einer schrecklichen Gewissheit.

Vier Tage später, wir hielten uns gerade im verborgenen Museum auf, hörten wir ein leises, vorsichtiges Kratzen an der einzigen Tür, die zu der geheimen Treppe in der Bibliothek führte. Unser Bestürzen hatte nun doppelten Anlass, denn neben unserer Angst vor dem Unbekannten hatten wir stets Furcht davor gehabt, unsere grausige Sammlung könnte entdeckt werden. Wir löschten alle Lichter, näherten uns der Tür und stießen sie schlagartig auf. Daraufhin verspürten wir einen unerklärlichen Luftzug und hörten eine wie im Rückzug begriffene, sonderbare Mischung aus Rascheln, Kichern und deutlich hörbarem Plappern. Ob wir nun wahnsinnig waren, träumten oder bei klarem Verstand – wir versuchten das gar nicht erst einzuordnen. Nur eines war uns klar, und diese Erkenntnis löste in uns die schwärzesten Befürchtungen aus: Das scheinbar körperlose Geplapper war ohne jeden Zweifel in niederländischer Sprache geschwatzt worden.

Danach lebten wir in wachsender Angst und Faszination. Meistens klammerten wir uns an die Theorie, dass wir beide aufgrund unseres Lebens voll unnatürlichen Nervenkitzels den Verstand verloren, doch zuweilen behagte es uns, uns als die Opfer eines kriechenden und abscheulichen Verhängnisses zu dramatisieren. Bizarre Ereignisse traten nun zu häufig auf, um sie zu zählen. Unser einsames Haus war allem Anschein nach von Leben erfüllt, von der Anwesenheit eines bösartigen Wesens, dessen Art wir nicht zu bestimmen vermochten, und jede Nacht brandete jenes dämonische Gebell über das windgepeitschte Moor, immer lauter und lauter.

Am 29. Oktober entdeckten wir in der weichen Erde unter dem Fenster der Bibliothek eine Reihe von Fußspuren, die unmöglich zu beschreiben sind. Sie waren ebenso verwirrend wie die Massen der großen Fledermäuse, die das alte Landhaus in bislang ungekannter und stetig wachsender Zahl heimsuchten.

Am 18. November erreichte das Grauen einen Höhepunkt, als St. John, der nach Anbruch der Dunkelheit vom trostlosen Bahnhof aus nach Hause ging, von einer entsetzlichen, fleischfressenden Kreatur gepackt und in Stücke gerissen wurde. Seine Schreie drangen bis ins Haus, und ich kam gerade noch rechtzeitig zu dem grausigen Schauplatz, um ein Flügelschwirren zu hören und ein unbestimmbares Etwas zu sehen, das sich einer schwarzen Wolke gleich vor dem aufgehenden Mond abhob.

Mein Freund lag im Sterben. Ich sprach ihn an, doch er vermochte keine zusammenhängenden Sätze mehr zu äußern. Nur eines flüsterte er noch: »Das Amulett – dieses verdammte Ding –«

Dann lag dort nur noch eine leblose Masse zerfetzten Fleisches.

In der nächsten Mitternachtsstunde bestattete ich ihn in einem unserer verwilderten Gärten und murmelte über seinem Leichnam eines der teuflischen Rituale, die er im Leben so geliebt hatte. Kaum hatte ich den letzten dämonischen Satz gesprochen, da hörte ich von fern übers Moor das schwache Bellen eines riesigen Hundes. Der Mond schien, doch wagte ich nicht hinaufzuschauen. Und als ich im trüben Moor einen enormen, nebelartigen Schatten sah, der von einem Hügel zum andern huschte, schloss ich die Augen und warf mich bäuchlings auf den Boden. Als ich mich zitternd wieder erhob, ich weiß nicht, wie viele Stunden später, wankte ich ins Haus und flüsterte vor dem grünen Jadeamulett in seinem Schrein ein schockierendes Gebet.

Da ich mich nicht traute, alleine in dem alten Haus im Moor zu bleiben, reiste ich am nächsten Tag nach London – das Amulett nahm ich mit, nachdem ich den Rest der unheiligen Sammlung des Museums zum Teil verbrannt und vergraben hatte. Doch drei Nächte darauf hörte ich das Bellen wieder, und keine Woche war vergangen, da fühlte ich mich in der Dunkelheit in einem fort von seltsamen Augen beobachtet. Als ich eines Abends an der Victoria Embankment entlangschlenderte, weil ich dringend frische Luft benötigte, sah ich, wie ein schwarzer Umriss eine der Reflexionen der Laternen auf dem Wasser verdunkelte. Ein Wind, stärker als der übliche Nachtwind, griff nach mir, und ich wusste, dass ich das Los von St. John über kurz oder lang teilen würde.

Am nächsten Tag verpackte ich das grüne Jadeamulett sorgfältig und nahm ein Schiff in die Niederlande. Ich wusste nicht, welche Gnade mir zuteilwürde, wenn ich diesen Gegenstand seinem stummen, schlafenden Besitzer zurückgab, doch ich hatte das Gefühl, jeden auch nur ansatzweise logischen Schritt versuchen zu müssen. Was dieser Hund war und weshalb er mich verfolgte – das waren noch unklare Fragen, doch das Bellen hatte ich zum ersten Mal auf jenem uralten Friedhof vernommen, und alle darauffolgenden Ereignisse, einschließlich des letzten Flüsterns des sterbenden St. John, hatten den Fluch mit dem Diebstahl in Zusammenhang gebracht. Dementsprechend versank ich in den tiefsten Abgründen der Verzweiflung, als ich in einer Gaststätte in Rotterdam bemerkte, dass mein einziges Mittel zur Rettung von Dieben geraubt worden war.

Das Gebell war an diesem Abend laut, und am nächsten Morgen las ich von einer unbeschreiblichen Tat im anrüchigsten Viertel der Stadt. Der Pöbel war in Aufruhr, hatte sich doch ein so blutiger Mord in einem Mietshause ereignet, der selbst die schlimmsten Verbrechen in dieser Gegend verblassen ließ. In einer schäbigen Diebeshöhle war eine ganze Familie von etwas Unbekanntem in Stücke gerissen worden, das keine Spuren hinterlassen hatte, und die Menschen in der Nachbarschaft hatten die ganze Nacht hindurch einen leisen, tiefen, unaufhörlichen Laut gehört, wie von einem riesigen Hund.

So stand ich zuletzt wieder auf dem Unheil bringenden Friedhof. Der bleiche Wintermond warf scheußliche Schatten und die entlaubten Bäume neigten sich mürrisch zum vertrockneten, eisbedeckten Gras und den geborstenen Grabplatten hinab und die von Ranken umschlungene Kirche wies mit höhnischem Finger zum unfreundlichen Himmel. Der Nachtwind heulte wie toll über den gefrorenen Sümpfen und den eisigen Meeren herüber. Das Bellen klang nun sehr schwach und es verstummte vollständig, als ich mich dem alten Grab näherte, das ich einst geschändet hatte. Eine außerordentlich große Horde von Fledermäusen wurde aufgescheucht, die neugierig um das Grab herumflatterten.

Ich weiß nicht, weshalb ich dorthin ging. Vielleicht wollte ich beten oder das stille, weiße Ding, das darin lag, wie irre um Entschuldigung anflehen. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich fiel über das halb gefrorene Erdreich mit einer Verzweiflung her, die teils aus mir selbst kam, teils aus einem mächtigen Willen außerhalb meiner selbst.

Die Ausgrabung war wesentlich einfacher als erwartet, obgleich ich einmal eine sonderbare Unterbrechung erlebte, als ein abgezehrter Aasgeier aus dem kalten Himmel herabstürzte und hysterisch in die Graberde hackte, bis ich ihn mit einem Schlag meines Spatens tötete. Endlich erreichte ich den modernden Sarg und entfernte den feuchten, salpetrigen Deckel. Dies ist die letzte vernünftige Handlung, die ich ausgeübt habe.

Denn in diesem uralten Sarg, umgeben von einer dichten, albtraumhaften Gefolgschaft gewaltiger, sehniger, schlafender Fledermäuse, lag das knöcherne Ding, das von meinem Freund und mir beraubt worden war. Doch es war nicht mehr sauber und reglos, so wie wir es damals gesehen hatten, sondern bedeckt mit geronnenem Blut und Fetzen von fremdem Fleisch und Haar. Aus glühenden Augenhöhlen und mit scharfen, blutverkrusteten Reißzähnen starrte es mich voll verdorbenem Hohn an, denn es wusste um mein unausweichliches Ende. Und als aus diesem grinsenden Kiefer ein tiefes, sardonisches Bellen wie von einem Hund drang und ich sah, dass es in seiner blutig schmutzigen Klaue das vermisste, verhängnisvolle Amulett aus grüner Jade hielt, da schrie ich nur noch und rannte wie ein Irrsinniger davon, und meine Schreie lösten sich bald in hysterischem Gelächter auf.

Wahnsinn reitet auf dem Sternenwind … Klauen und Zähne, die sich über Jahrhunderte an Leichen geschliffen haben … der triefende Tod inmitten eines Gelages von Fledermäusen aus den nachtschwarzen Ruinen der begrabenen Tempel des Belial … Nun, da das Bellen der toten, entfleischten Monstrosität lauter und lauter wird und das verstohlene Schwirren und Flattern der verfluchten Lederschwingen näher und näher kommt, will ich mithilfe meines Revolvers das Vergessen suchen, das meine einzige Zuflucht vor dem Unbekannten und Unfassbaren ist.