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Thomas West

Vermittlung in den Tod

Kriminalroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vermittlung in den Tod

Krimi von Thomas West

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 121 Taschenbuchseiten.

 

Viele junge Mädchen träumen davon, einmal berühmt zu werden. Für Janet scheint dieser Traum wahr zu werden. Eine Modelagentur interessiert sich für sie. Überglücklich schließt sie den Vertrag ab. Doch nach einiger Zeit kommt die wahre Absicht dieser Agentur zutage. Janet will aussteigen, nur noch weg. Vollgepumpt mit Drogen stürzt sie von einem Hochhaus.

Selbstmord? Ihr Vater glaubt es nicht.

Als man auch ihre Freundin tot auffindet, beginnt das FBI zu ermitteln und findet Erschreckendes heraus ...

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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1

Der gleiche Traum seit Wochen: Sie verlässt die Garderobe, sie steht vor dem Vorhang, sie streicht mit beiden Händen über das metallic-graue Abendkleid von Gucci, sie spürt die rauen Schuppen des Stoffes, sie spürte ihre Taille, ihre Hüftknochen, Vince zieht den Vorhang zur Seite, sie tritt auf den Laufsteg.

Und dann die bewundernden Ausrufe der Zuschauer, die sanften Klänge des Saxophons und das Blitzlichtgewitter. Sie erschrickt, schirmt die Augen mit den Händen ab und sieht an sich hinunter. Sie ist nackt!

Stühlerücken im Zuschauerraum, dann Schritte und Stimmen, laute Stimmen. Menschen stürmen den Laufsteg - Männer, nackte Männer!

Eine kräftige Hand schließt sich um ihren Oberarm. Sie schreit.

Janet schrie. Es war kein Traum. Deutlich spürte sie den festen Griff an ihrem nackten Arm. Sie fuhr im Bett hoch und schrie und schrie und schrie. Eine Gestalt im Halbdunkeln vor ihrem Bett. Die Gestalt beugte sich zu ihr hinunter, eine Hand legte sich auf ihren Mund.

„Ruhig, Schätzchen, keine Panik.“ Eine Frauenstimme. „Nur ruhig, wer wird denn so schreien?“ Bettys Stimme - leise, sanft, vertraut. Im Hintergrund Musik. „Bang!Zoom“ von Bobby McFerrin. Janet hatte die Repeat-Taste gedrückt, bevor sie sich ins Bett verkrochen hatte.

„Nicht zu Leo“, flüsterte sie. „Nie mehr zu Leo ...“ Ihr T-Shirt klebte an ihrem schmalen Körper. Sie zitterte. „Ich will nicht mehr ...“

Betty strich ihr über die blonden Rastalocken.

„Ist okay, Schätzchen - du brauchst nicht mehr. Komm!“

Sie half ihr aus dem Bett. Auf dem Nachttisch eine angebrochene Flasche Sekt, ein kleiner Spiegel, ein Strohhalm. Reste weißen Pulvers bedeckten den Spiegel.

„Ich brauch nicht mehr ...?“

Janet schwankte. Heiße Butter schien ihre Kniegelenke auszufüllen. Übelkeit stieg in ihr hoch. Der leere Magen wollte Ruhe. Zu viel Sekt die letzten Tage. Zu viele Pillen, zu viel Koks.

„Ich brauch nicht mehr ...?“

„Nein.“ Betty kniff ihr in die Wange. Das tat sie immer, wenn sie jemanden aufmuntern wollte. Wie eine Mutter konnte sie sein. Nicht nur zu Janet. Zu allen Mädchen.

„Du bist ja fix und alle.“ Betty griff in die Manteltasche und zog ein Tablettenröhrchen heraus. „Nimm das! Das wird dir gut tun.“ Sie drückte Janet zwei Tabletten in die Hand. Apathisch steckte das Mädchen sie in den Mund. Betty griff nach der Sektflasche auf dem Nachttisch. Der Sekt sprudelte ins Glas.

„Spül sie runter, Schätzchen!“

Janet setzte das Glas an die Lippen, trank und schluckte die Tabletten.

„Hat er ...?“ Aus großen, grünen Augen sah sie die Ältere an.

„Er hat über das nachgedacht, was du gesagt hast“, unterbrach Betty. Sie griff zur Flasche und füllte das Glas auf. „Und er ist zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, wenn du aussteigst. Das Geschäft ist nichts für dich.“

Janet schloss die Augen, ihr Atem beschleunigte sich. Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.

„Ich kann gehen?“, schluchzte sie. „Ich kann wirklich gehen?“

Betty ließ zwei weitere Tabletten aus dem Röhrchen auf ihre Hand fallen.

„Nimm die noch! Ich möchte nicht neben einem Nervenwrack im Flugzeug sitzen.“

„Gott ...“, schluchze Janet, „dass er mich gehen lässt ...“ Sie steckte die Tabletten in den Mund und spülte sie mit Sekt hinunter. „Ich glaub‘s nicht ...“

Aus großen Augen blickte sie die Ältere an.

„Und Sue? Darf sie auch gehen?“

„Ja.“

„Wo ist Sue?“

„Sie wartet auf dich. Pack jetzt deine Sachen!“ Betty holte Janets Reisetasche aus dem Schrank. Während das Mädchen sich anzog, stopfte sie ihre Sachen hinein: Wäsche, Hosen, Blusen, Magazine, Zigaretten, Tampons, Kulturbeutel, Schminkzeug, und so weiter.

Janet ging zur Anlage und drücke auf die Stopptaste. Bobby McFerrin verstummte.

„Die CD - nicht dass ich sie vergesse.“ Sie legte die Scheibe in die Hülle. Ihre Lieblingsmusik. Betty nahm sie ihr aus der Hand und steckte sie in die Reisetasche. Hastig zog sie den Reißverschluss zu.

„Guck noch mal im Bad, ob du wirklich alles eingepackt hast!“ Sie schien es eilig zu haben.

„Ich ... ich muss Daddy anrufen.“ Janet ging zum Telefon. „Er muss mich vom Flughafen abholen. Er weiß ja nicht mal, wo ich bin.“ Sie griff nach dem Hörer.

Bettys Hand legte sich auf ihre.

„Ich hab ihn angerufen, Schätzchen.“ Janet sah sie fragend an.

„Er freut sich.“

Betty nickte.

„Er hat sich gefreut wie ein kleiner Junge und wird am Flughafen sein.“

Sie verließen das Hotelzimmer. Janet lehnte sich gegen die Wand der Zimmerflucht, während sie auf den Aufzug warteten. Sie blickte auf die Uhr. Das Zifferblatt verschwamm vor ihren Augen. Halbdrei Uhr nachts. Sie hatte nicht mal zwei Stunden geschlafen. Der Boden unter ihren Pumps schaukelte hin und her wie ein Schiff bei schwerem Seegang. Die Lifttüren schoben sich auseinander. Betty zog Janet in den Aufzug. Auch dort lehnte das Mädchen sich gegen die Wand. Es versuchte die Augen aufzureißen und kämpfte gegen den Drang an, sich auf den Boden zu setzen.

Ein Ruck ging durch die Liftkabine. Wie durch einen Schleier sah Janet die Armaturenleiste der Etagenknöpfe. Der Aufzug fuhr nach oben. Janet sah zwei Armaturenleisten. Einer der oberen Knöpfe leuchtete. Zwei Knöpfe leuchteten. Sie riss die Augen auf, kniff sie zu und riss sie wieder auf. Für Augenblicke leuchtete nur noch ein Knopf, und Janet erkannte die Ziffer daneben. Die Zweiundzwanzig.

„Warum ... warum fahren wir nicht in die Tiefgarage?“ Janets Zunge war schwer.

„Ich muss noch was aus meinem Zimmer holen“, sagte Betty. Etwas Fremdes, Kaltes schwang plötzlich in ihrer Stimme.

„Du ... du wohnst im zweiundzwanzigsten Stock?“ Wie schwer ihre Zunge sich anfühlte. „So weit ... so weit oben ...?“ Kaum konnte sie die Worte noch artikulieren. „Ich will zu Sue ...“ Sie rutschte an der Rückwand des Lifts zur Seite.

„Gleich.“ Betty hielt sie fest. „Gleich wirst du Sue sehen.“

Der Aufzug hielt, die Türen schoben sich auseinander. Betty zog das Mädchen ins Treppenhaus und dann zwei Treppen hinauf. Eine Tür stand offen. Alles verschwamm vor Janets Augen. Stufe für Stufe schleppte sie sich nach oben. Die Treppe schien aus Eisen zu sein, und ihre Sohlen Magnete.

„Warum ... warum müssen wir ... eine Treppe benutzen ...?“ Sie spürte einen kühlen Luftzug. Unter ihren Pumps knirschte Kies. Sie fröstelte, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. War das der Nachthimmel über ihr oder war das die Decke eines riesigen Saales?

Das Knirschen unter ihren Schuhsohlen schien von weit, weit her zu kommen. Genau wie das Geräusch ihrer Atemzüge, wie das Rauschen des Verkehrs auf dem Highway, wie ihre eigene Stimme.

„Was ... was tun wir hier ... auf dem Dach ...?“

„Ich hab einen Hubschrauber bestellt. Er bringt uns zum Flughafen.“ Auch Betty schien aus einem anderen Raum durch eine verschlossene Tür zu sprechen. Oder aus einem Film?

„Und Sue ...?“ Ihre Stimme hörte sich an wie das Wimmern eines kranken Tieres.

„Sitzt schon im Hubschrauber“, flüsterte Betty.

Janets Knie gaben nach. Betty fasste sie um die Taille.

„Wir sind gleich da.“

Tausend verschwimmende Lichter tanzten vor Janets Augen. Lichter in Hausfassaden von Wolkenkratzern, Signallichter auf Antennen und Hochhausdächern, Scheinwerfer der Autos auf dem Highway auf der anderen Seite des Flusses und in der Straßenschlucht tief unter ihnen.

„Ich ... ich seh keinen ... keinen Helikopter“ Übelkeit stieg Janet in die Kehle. „Ich muss ... ich muss brechen.“

Sie fühlte, wie sich Bettys Arme von ihrem Körper lösten. Unter ihr, die Straßenschlucht war dunkel und schmal, und Lichter schoben ich über ihren Grund.

„Wo ... ist der ... der Helikopter?“ Sie wollte nicht begreifen. Die ganzen Monate über hatte sie nicht begreifen wollen. Und auch jetzt nicht.

Sie spürte den Stoß in ihrem Rücken kaum. Nur das Geländer, das gegen ihre Rippen stieß, spürte sie.

„Betty ... ich falle ...!“

Dann noch einmal Bettys Hände auf ihrem Körper. Ihre Arme schlangen sich um die Knie des Mädchens. Das Geländer scheuerte Janet über Bauch, Hüften und Schenkel.

Sie schrie nicht. Stumm fiel sie den träge dahin kriechenden Lichtern entgegen ...



2

„Vince ...“ Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Wimmern. „Vince ... hilf mir ...“ Sie spürte ihren Körper kaum noch. Wie ein lebloser Klumpen Fleisch hing er an dem qualvollen Etwas, das einmal ihr Bewusstsein gewesen war. Wieder warf sich jemand auf sie, wieder Schmerzen, wieder Entsetzen.

„Vince … Vince ...“ Es hörte es nicht auf, es hörte nicht auf.

Das Gewicht löste sich von ihrem Körper. Sie öffnete die Augen. Grelles Licht prallte in ihr Gesicht. Geblendet kniff sie die Lider zusammen und wandte den Kopf. Unablässig das leise Surren der Kamera. Sie versuchte vom Bett zu rutschen. Grobe Hände packten sie und warfen sie zurück auf die Matratze. Und dann roch sie den Whiskyatem des nächsten Mannes. Die Qual nahm kein Ende. Sie spürte nur ihre Körper - ihre widerlichen, schweren, stinkenden Körper. Die Gesichter konnte sie nicht sehen. Sie trugen Masken.

„Vince ... hilf mir! Vince ...“

Sie wusste nicht, der Wievielte es war, der sich über sie hermachte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit man sie in dieses Zimmer gebracht hatte. Ihre Gedanken waren längst zu einem formlosen, inhaltslosen Brei zerstampft. Zuerst die Drogen, die sie ihr gegeben hatten, die verdammten Drogen ... und dann der Schmerz und das Entsetzen.

Nichts war mehr übrig von ihr, nichts, nur noch ein leises, hoffnungsloses Winseln um Hilfe.

Irgendwann verstummte das Summen der Kamera, und die Scheinwerfer erloschen. Sie wandte den Kopf und riss die Augen auf. Im Halbdunkel die kleine Gestalt eines Mannes. Er rauchte.

„Vince ...“, flüsterte sie. „Sie sollen ... sie sollen aufhören, Vince ...“

Er stand und rauchte und schwieg.

„Vince ... hörst du ... sie sollen aufhören ...!“

„Ich werd mit ihnen reden, Sue.“ Sein Schatten entfernte sich. Seine Schritte klangen wie Hammerschläge.

Das Surren der Kamera setzte wieder ein, das Scheinwerferlicht flammte auf. Sie schaffte es irgendwie den Kopf zu heben und sich aufzurichten.

„Vince ...!“, krächzte sie.

Ein Mann stand vor ihr. Nicht Vince. Ein Mann mit einer Maske. Das Scheinwerferlicht reflektierte sich in der Klinge in seiner Hand ...



3

„Medina an Einsatzleitung“ - Orrys Stimme im Kopfhörer meines Walkie-Talkies.

„Einsatzleitung hört.“

Clive, neben mir, beobachtete den Monitor. Das gestochen scharfe Bild zeigte den Eingangsbereich einer Schule. Auf der breiten Vortreppe des Backsteingebäudes stand Orry - nackt bis auf eine Badehose. An einem offenen Fenster, ein Stockwerk über ihm, sah man zwei Gesichter - das eines Jungen und dahinter das eines Mannes. Der Pistolenlauf an der Schläfe des Jungen war deutlich zu erkennen.

„Er ist einverstanden.“ Wieder Orrys Stimme. „Ich geh jetzt rein.“

„Okay. Pass auf dich auf!“

Clive, Milo und ich blickten gebannt auf den Monitor. Eine in einem Ambulanzfahrzeug installierte Videokamera übertrug die Bilder in unseren Van. Wir sahen wie Orry sich zweimal mit erhobenen Händen umdrehte, um dem Geiselnehmer zu zeigen, dass keine Waffe auf seinem Rücken befestigt ist. Wir sahen ihn die Glastür aufziehen, wir sahen ihn im Schulgebäude verschwinden. Milo und ich zogen uns die Sturmhauben über und griffen nach unseren Maschinenpistolen.

Der Mann, der sich da in einer Schule der East Side verbarrikadiert hatte, war ein bundesweit gesuchter Raubmörder. Unser Fall. Ein Gemüsehändler in Chinatown hatte ihn erkannt und uns angerufen. Er stolperte ins Fahndungsnetz, entkam und nahm eine halbe Schulklasse als Geisel.

Seit mehr als vierundzwanzig Stunden zogen sich die Verhandlungen hin. Zermürbende Angelegenheit für alle Beteiligten. Entlang der weiträumigen Absperrung um den Block hatten sich hunderte von Menschen gesammelt: Schüler, Lehrer, Eltern, Anwohner. Die meisten von ihnen harrten schon die ganze Nacht aus.

Wie wir.

Unser Van stand knapp sechzig Schritt von der Schule entfernt auf dem Bürgersteig. Außerhalb des Blickwinkels des Geiselnehmers. Er verlangte Geld und ein Fluchtfahrzeug.

Es war bereits früher Nachmittag. Wir hatten es geschafft, einen Geiseltausch auszuhandeln: Orry gegen vierzehn halbwüchsige Jungen und Mädchen.

„Ich hab die Waffe.“ Wieder Orrys Stimme, leiser diesmal. Er trug einen Knopf im vom Haar bedeckten Ohr, und zwischen den Backenzähnen hatten ihm unserer Experten ein Spezialmikro befestigt.

„Beeil dich, Partner!“, sagte Clive. „Sonst schöpft er Verdacht.“

„Seid ihr bereit?“, wollte Orry wissen. Milo und ich nickten.

Aus dem Lautsprecher Jennifer Johnsons Stimme. Mit Jay und Leslie lauerte sie im Schulhof. „Bereit!“

„Ja, Orry“, sagte Clive. „Alle sind bereit.“



4

Juanitas schlanke Hände flogen über die Tastatur der Kasse, schoben Tüten und Päckchen mit Pommes, Hamburgern und Chicken Wings über die Theke, nahmen Münzen aus der Geldschale, legten Wechselgeld hinein. Danke, Bitte, Lächeln - der nächste Kunde.

Wie immer um die Mittagszeit drängten sich Dutzende von Menschen vor dem Tresen: Studenten, Büroangestellte, Touristen, Schüler. Sie alle wollten ihren Hunger bei McDonald's stillen. Und fast alle hatten es eilig.

Juanita lächelte tapfer. Geduldig bediente sie die Leute und gab ihnen, was sie verlangten. Wieder traf sich ihr Blick mit dem der blonden Frau an dem Ecktisch neben dem Tresen. Schon zum dritten Mal. Warum beobachtete diese Frau sie? Keine Ahnung.

Juanita verschloss zwei Colabecher, stellte sie auf den Tresen und kassierte. Der Nächste. Cheeseburger, Pommes Frites, Chicken Wings - einpacken, kassieren, lächeln, der Nächste. So ging das den ganzen Tag. Schon seit zwei Monaten.

Solange war es her, das Juanita auf dem John F. Kennedy International Airport gelandet war. Sie hatte eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Im Wintersemester wollte sie anfangen zu studieren. An der Columbia University. Zu Hause, in Guatemala, hatten sie nicht das Geld, eine Tochter auf die Universität zu schicken. Also musste sich Juanita welches verdienen. Sie hätte auch geputzt oder in einer Bar bedient. Der Job bei McDonald's war ihr in den Schoß gefallen. Juanita hatte ein Ziel. Und verfolgte es hartnäckig. Dann fällt einem manchmal auch etwas in den Schoß.

Wieder begegnete sie dem Blick der Frau. Sie lächelte, Juanita lächelte zurück. Sie war groß und schlank, die Frau, und sie trug ihr weißblondes Haar sehr kurz. Und weiter - Hamburger, Cola, Wechselgeld herausgeben.

Es wurde nicht viel gelächelt in Manhattan. Lange nicht so viel wie in Guatemala. Die Manhatties wirkten eher kühl. Juanita nahm an, dass sie sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Nur einige Männer lächelten. Das war Juanita gewohnt. Sie war schön, ja - langbeinig, schwarzlockig, braunhäutig und schön. Und sie wusste, dass sie schön war.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Frau aufstand und ihr Tablett in einen der Container schob. Dann kam sie zum Tresen, stellte sich an dessen Ende und winkte Juanita.

„Moment bitte“, sagte Juanita zu dem hungrigen Kunden, den sie gerade bediente. Sie lief ans Ende des Tresens. „Was kann ich für Sie tun, Ma'am?“ Ein wenig stolz lauschte sie ihrer tiefen Stimme. Ihr Englisch war schon fast perfekt.

„Sie machen Ihre Sache sehr gut.“ Die Frau beugte sich leicht über den Tresen und sprach mit gesenkter Stimme. „Und sie sind unglaublich schön.“

Juanita stand wie vom Donner gerührt. Von einer Frau hatte sie das noch nie gehört.

„O ... vielen Dank, Ma'am!“ Sie lächelte tapfer. Doch die Verlegenheit trieb ihr das Blut in den Kopf.

Die Frau drückte ihr einen Fünf-Dollar-Schein in die Hand.

„Für Sie“, und reichte Juanita ihre Karte. „Rufen Sie mich an! Ich glaub, ich hab einen besseren Job für Sie als den hier.“ Sie winkte mit den Fingern. „Bye. Ich warte auf ihren Anruf.“ Sie tänzelte an den Tischen vorbei auf die Tür zu.

Juanita erhaschte einen ärgerlichen Blick ihres Kunden.

„Sorry, Sir“, sagte sie, lächelte und huschte zurück zu ihrem Platz. Bevor sie die Karte in ihrer Schürzentasche versenkte, warf sie einen flüchtigen Blick darauf. „Elizabeth Belleford“ hieß die Frau und über ihrem Namen fett und und in Pink ein Firmennamen: „LADYGIRL – MODELAGENTUR“.