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Oliver Greiner

TOUCH
DOWN!

Wie Unternehmen
unschlagbar werden

Das Strategiebuch

 

All jenen gewidmet, für die
Unschlagbarkeit kein Zustand,
sondern eine Haltung ist,
immer wieder anders und
besser werden zu wollen.

INHALTSVERZEICHNIS

PROLOG

1 EINFÜHRUNG

1.1. Blick zurück nach vorn

1.2. Meisterhafte Eigenschaften

2 HERAUSFORDERUNG

2.1 Unverwundbar?

2.2. Scheitern aus doppeltem Grund

2.3. Der Verlust der konzeptionellen Stärke

2.3.1. Disruption? Es geht um mehr!

2.3.2. Trends verschlafen: Der Google-Test

2.4. Der Verlust der Umsetzungsstärke

2.5. Wenn alles zusammenkommt

3 Annäherung

3.1. Produkt gut, alles gut?

3.2. Startpunkt Umsetzungskraft

3.2.1. From Strategy to Action

3.2.2. Auf der Welle der Strategieumsetzung

3.2.3. Eine erfolgreiche Entdeckungstour

3.2.4. Die Zweifel

3.2.5. Anders? Besser?

3.2.6. Stimmt das überhaupt?

3.3. Ein neues Verständnis von Geschäftsmodellen

3.3.1. Kennen Sie das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens?

3.3.2. Weg mit der Einseitigkeit!

4 KONZEPT

4.1. Die DNA der Differenzierung

4.2. Warum man das »Anders« vom »Besser« unterscheiden muss

4.2.1. Anders werden. Auf einen Blick

4.2.2. Besser werden. Auf einen Blick

4.2.3. Anders und besser werden. Eine Eselsbrücke

4.3. Das Marktmeister-Portfolio

4.3.1. Die Loser – Sterben auf Raten

4.3.2. Die Gladiatoren – der Erfolg der Besseren

4.3.3. Die Glücksritter – überzeugend anders

4.3.4. Die Marktmeister – anders und besser

4.4. Werden Unternehmen »besser«, wenn sie »anders« werden?

4.5. Und nun? – Positionierung auf dem Spielfeld

5 STRATEGIE

5.1. Ein verblüffendes Farbenspiel

5.2. Baupläne für die Zukunft

5.3. Der strategische Kurzschluss

5.4. Vergessene Geschäftsmodelle

5.5. Der integrierte Strategieprozess

5.6. Die Idee der »Selbstähnlichkeit« des Strategieprozesses

5.7. Ein Dokument namens Strategie

5.8. Agile Strategiearbeit

6 LEITBILDER

6.1. Träume für Aufgeweckte

6.2. Das Leitbild als Powerbooster

6.3. Das Fundament: Ein Zukunftsbild der Welt

6.4. Komponente 1: Die Mission als Auftrag

6.4.1. Wie sage ich es meinem Kinde?

6.4.2. Wie Sie Ihre Mission schärfen

6.5. Komponente 2: Die Vision als Anspruch

6.5.1. Keine Vision wie die andere

6.5.2. Kampfgeister wecken: Eine starke Vision finden

6.6. Komponente 3: Leitsätze als Orientierungspunkte

6.6.1. Entscheidungshilfen für Fortgeschrittene

6.6.2. Leitsätze, die sitzen

6.7. Komponente 4: Werte als Kompass des Verhaltens

6.7.1. Weniger ist mal wieder mehr

6.7.2. Auf der Suche nach einem relevanten Wertekanon

6.8. Dem Leitbild Leben einhauchen

7 GESCHÄFTSMODELLE

7.1. Die »Magnum-Frage«

7.2. Anders werden: Design oder ReDesign des Geschäftsmodells?

7.3. Motivation ist Teil des Geschäftsmodells – oder doch nicht?

7.4. 7K und die Logik des Geschäftsmodells

7.4.1. Die Bausteine der Andersartigkeit

7.4.2. Die Stärken des »7K-Prinzips«

7.4.3. K1: Konzeptionelle Stärke im strategischen Kern

7.4.4. K2: Konzeptionelle Stärke in der Kundenwahrnehmung

7.4.5. K3: Konzeptionelle Stärke an der Kundenschnittstelle

7.4.6. K4: Konzeptionelle Stärke in der Wertkette

7.4.7. K5: Konzeptionelle Stärke bei den Kooperationspartnern

7.4.8. K6: Konzeptionelle Stärke bei Konzepten für die Zukunft

7.4.9. K7: Konzeptionelle Stärke beim Humankapital

7.5. Schritt für Schritt zu mehr konzeptioneller Stärke

7.5.1. Beschreiben, Entwickeln, Validieren!

7.5.2. Kreativität und die musterbasierte Strategieentwicklung

7.5.3. Passt das auch zusammen?

8 KRAFT

8.1. Wie schaffen die das nur?

8.1.1. Umsetzungsstärke ist Strategiestärke!

8.1.2. Niemand ist perfekt – aber viele zu langsam

8.2. Die sieben Bausteine der Umsetzungskraft

8.2.1. Fokus: Das strategische Zielsystem

8.2.2. Klarheit: Die Gestaltung der Organisation

8.2.3. Effizienz: Die Sicherstellung der Ausrichtung

8.2.4. Taktung: Die Justierung der Planung

8.2.5. Antrieb: Die Vorbildfunktion der Führung

8.2.6. Energie: Die Stärkung der Bereitschaft

8.2.7. Lernen: Die Fähigkeit zur Interaktion

8.3. Und wer kümmert sich um alles?

9 ERFOLG

9.1. Red Bull

9.1.1. Die konzeptionelle Stärke von Red Bull

9.1.2. Die Umsetzungsstärke von Red Bull

9.1.3. Herausforderungen des Marktmeisters

9.2. Lego

9.2.1. Die konzeptionelle Stärke von Lego

9.2.2. Die Umsetzungsstärke von Lego

9.2.3. Herausforderungen des Marktmeisters

9.3. FlixBus

9.3.1. Die konzeptionelle Stärke von FlixBus

9.3.2. Die Umsetzungsstärke von FlixBus

9.3.3. Herausforderungen des Marktmeisters

9.4. Enercon

9.4.1. Die konzeptionelle Stärke von Enercon

9.4.2. Die Umsetzungsstärke von Enercon

9.4.3. Herausforderungen des Marktmeisters

9.5. Fortsetzung folgt

10 EPILOG

10.1. Zauberei

10.2. Auf dem richtigen Spielfeld

DANK

Literaturhinweise

Über den Autor

Impressum

PROLOG

IN DER
GEWINNERZONE!

Führungskräfte wollen mit Ihren Unternehmen anspruchsvolle Ziele erreichen. Dafür müssen sie kontinuierlich an ihren Wettbewerbern vorbei, um im Markt bei Kunden zu punkten. Genau um diese Erfolgsmomente geht es: Treffer! Slam Dunk! Hole in one! Touchdown!

Neulich erhielt ich einen Anruf von einem meiner Kunden, den wir bei der Entwicklung seiner Strategie unterstützen durften. Er hatte die erfreuliche Nachricht, dass sein Unternehmen die Vision, die magische Grenze von zwei Milliarden Euro Umsatz zu knacken, umgesetzt hatte. Darauf war die Strategie des Unternehmens ausgerichtet gewesen! Touchdown!, schoss es mir durch den Kopf – Ziel erreicht!

Neben der Freude über die gute Nachricht blieb mir das Bild des Touchdowns hängen. Warum hatte ich diesen Begriff so unmittelbar vor Augen, als mein Kunde über seinen Erfolg berichtete? Während ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass es für das Strategiebuch, welches Ihnen vorliegt, keinen besseren Titel geben könnte.

Denn Touchdown ist nicht nur im American Football die Freude über einen Siegtreffer, die Befreiung aus dem Gewühl kämpfender Wettbewerber, das triumphale Ergebnis erfolgreicher Spielzüge. Touchdown ist auch ein Synonym für Durchsetzungsvermögen, Spielstärke und Cleverness.

Und dann? Nach dem Punktgewinn wird der Ball wieder zurückgetragen und neu angestoßen – auf der Suche nach dem nächsten Touchdown, um das Spiel für sich zu entscheiden, um für die Meisterschaft zu kämpfen. Somit ist Touchdown für mich nicht nur das Bild des einmaligen Ereignisses, mit dem alles endet. Es ist der Höhepunkt einer erfolgreichen Strategie, die gleich wieder angepasst und weiterentwickelt werden muss.

Auch in der Fliegersprache ist der Touchdown ein Zeichen für Erfolg. Er umschreibt das gelungene Ankommen, nach Turbulenzen wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben – eben Ziel erreicht! Und da ein Flieger am Boden wenig bringt und einrostet, sollte man auch ihn möglichst schnell wieder auf das Rollfeld bringen und durchstarten.

So ist es auch in Unternehmen. Das Touchdown-Gefühl, welches sich einstellt, wenn man der Erfüllung der gesetzten Vision nahe kommt, ist großartig. Noch großartiger ist es, wenn man es schafft, seinen Verantwortungsbereich kontinuierlich auf anspruchsvolle, visionäre Ziele auszurichten, und die Kraft entwickelt, diese zu erreichen.

Über die Fähigkeit, nicht nur einmal, sondern oft in die Touchdown-Zone zu kommen, handelt dieses Buch. Es soll Ihnen helfen, die Strategie zu finden, die dazu nötig ist, besser und anders zu werden als Ihr Wettbewerber. Es handelt von der Stärke, die man braucht, um unschlagbar zu werden!

Die Bausteine, die aus meiner Sicht dafür besonders wichtig sind, habe ich für Sie besonders hervorgehoben. Sie finden diese neben folgendem Symbol, welches das Ankommen auf einem neuen Niveau symbolisiert, von dem aus der Anstoß auf die nächste Ebene erfolgt.

Auf in den Trainingsraum!

Viel Erfolg, Ihr Dr. Oliver Greiner

1
EINFÜHRUNG

KURZER ABSTECHER NACH DUBLIN. BITTE EINSTEIGEN!

Die Kraft, die unternehmerische Erfolgsgeschichten auch in schwierigen Umfeldern möglich macht, hat mich schon immer fasziniert. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Erzielung herausragender Ergebnisse keiner Glückslose in der großen Lotterie des Marktes bedarf, sondern einer Disziplin, die man sich aneignen kann. Einer Disziplin, die als wesentliche Säule die Fähigkeit mitbringt, gleichzeitig anders und besser zu sein als die Wettbewerber.

1.1. Blick zurück nach vorn

Was andere können, das kann ich auch, dachte sich Tony Ryan Anfang der 1980er-Jahre. Der ehemalige Mitarbeiter der staatlichen irischen Fluggesellschaft Aer Lingus hatte beobachtet, dass sein Ex-Arbeitgeber und dessen britisches Pendant British Airways sehr gut gebuchte Strecken zu stattlichen Tarifen bedienten. Besonders die »Rennstrecke« Dublin–London hatte regen Zulauf, der über Jahrzehnte konstant geblieben war. Tony Ryan sah in dieser Marktsituation beste Voraussetzungen. Um ebenfalls von diesem Kuchen zu profitieren, gründete er 1985 zusammen mit Partnern eine irische Regional-Fluggesellschaft und taufte sie nach seinem Namen: Ryanair.

Ryanair startete mit täglichen Flügen zwischen der irischen Stadt Waterford und London-Gatwick. Doch es gelang in den folgenden Jahren nicht, die Vorherrschaft von Aer Lingus und British Airways zu brechen. So stand der Carrier 1992 kurz vor der Pleite. Knapp eine Generation später folgte die Zeitenwende: 2016 war die Lufthansa nach beförderten Passagieren nicht mehr die größte europäische Fluglinie, den Titel schnappte sich – Ryanair. Mehr noch: Die Airline wurde nicht nur der größte Carrier Europas, sie war auch noch der profitabelste. Wie konnte eine fast bankrotte Airline aus dem kleinen Irland das schaffen?

Bei Ryanair lieferte Michael O’Leary die Initialzündung, um das Unternehmen gleichzeitig anders und besser zu machen als seine Wettbewerber. Als 40-Jähriger hatte er in höchster Not 1993 Ryanair übernommen, nachdem er schon seit einiger Zeit leitende und beratende Funktionen innehatte. Was tat er? Er griff zu einer Sofortmaßnahme. Er übertrug das Billigflug-Konzept »Niedrigste Preise und keine Extras« der US-amerikanischen Fluggesellschaft Southwest Airlines auf sein Unternehmen und machte damit aus Ryanair etwas völlig anderes als die etablierten Fluglinien in Europa. Über Nacht hatte das Unternehmen eine Alleinstellung bekommen und den Kundennutzen schlagartig erhöht. Damit begann der phänomenale Aufstieg von Ryanair.

Aus der damaligen Perspektive war dieser Erfolg alles andere als selbstverständlich. In den frühen Phasen des europäischen Low-Cost-Modells bestanden große Zweifel, ob sich ein solches Konzept in der Praxis als nachhaltig erweisen würde. Würden die Passagiere akzeptieren, auch bei Wind und Wetter bis zum Flugzeug zu laufen, da der bequeme Zugang über eine Flugbrücke Ryanair zu teuer war? Auf Sitzplatzreservierung verzichten, so dass das Boarding zu einer Art Sommerschlussverkauf wurde, Drängeln inklusive? Die enge Bestuhlung in Kauf nehmen, bei der die Rückenlehnen der Sitze sich nicht mehr verstellen lassen? Für Sandwich und Getränke zahlen und von Provinzflughäfen abfliegen? Der Ansatz war so vollkommen anders als die gesetzte Marktlogik, dass Führungskräfte etablierter Fluglinien nicht damit rechneten, dass Ryanair ihnen gefährlich werden könnte.

Als sich aber zeigte, dass eine nicht unbedeutende Anzahl an Passagieren dieses so andersartige Konzept zugunsten günstigerer Preise durchaus akzeptierte, stürmten sowohl neue wie etablierte Anbieter das entstandene Marktsegment. Um die Jahrtausendwende, keine sieben Jahren nach dem Geschäftsmodellwechsel von Ryanair, versuchten sich bereits über 50 Anbieter als Billigflieger in Europa – darunter EasyJet, Buzz, Go, Virgin Express und AirBerlin. 2002 gesellte sich auch Germanwings als Tochter der Lufthansa dazu.

Und Ryanair? Ließ sich von seinen Nachahmern nicht abschrecken. Mit immer neuen, teilweise kontroversen konzeptionellen Ideen blieb das Unternehmen auch im Billigflieger-Segment stets anders als seine Wettbewerber. So entschied Ryanair als erste Fluglinie in Europa, das Freigepäck zu streichen. Gebühren für Kreditkarten zu erheben. Die ganze Flotte mit geschwungenen Verlängerungen der Tragflächen, den sogenannten Winglets, auszustatten, um schneller die Reiseflughöhe zu erreichen. Durch klamaukige Werbung sein Rebellentum gegen die konservativere Konkurrenz zu unterstreichen. Sich als Billigflieger dennoch dem Kundensegment der Geschäftsreisenden anzunähern. Und irgendwann doch wieder Sitzplatzreservierungen einzuführen und die größeren Flughäfen anzufliegen.

Doch lässt sich der Erfolg von Ryanair nur aus seiner konzeptionellen Stärke heraus erklären, anders als seine Wettbewerber zu sein? Ich denke nicht. Stattdessen bin ich der Überzeugung, dass noch ein zweites Element für diesen Erfolg unabdingbar ist: Die Fluggesellschaft ist in der Umsetzung des Modells einfach beeindruckend besser als ihre Wettbewerber!

Was heißt das genau? Auch an einen Billigflieger stellen Kunden Ansprüche, die das Unternehmen in seinen täglichen Routinen erfüllen muss: Sicherheit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sauberkeit, um nur einige Punkte zu nennen. Ryanair kann bei diesen Kriterien seinen Wettbewerber mehr als nur Paroli bieten. Aber auch bezüglich anderer Merkmale, die Kunden unsichtbar bleiben, zeigt sich die ganze Umsetzungskraft des Unternehmens: Das Management seiner Flotte, die Verhandlungsstärke gegenüber Dritten oder die Beherrschung der Personalkosten sind nur Beispiele.

Dabei ist natürlich auch Ryanair nicht unfehlbar. 2017 mussten beispielsweise Flüge gestrichen werden, da dem Unternehmen durch Kündigungen unzufriedener Piloten zeitweise Personal fehlte. Ryanair war gezwungen, seine Personalpolitik neu auszurichten, um seinen Wachstumskurs beibehalten zu können. Doch in Summe beweist Ryanair über die Jahre hinweg eine beeindruckende Fähigkeit, seine Umsetzungskompetenz immer wieder neu auszurichten.

Dem hatten nur wenige der aufkommenden Wettbewerber etwas entgegenzuhalten. Viele gingen insolvent oder fusionierten, Ryanair dagegen eilte von Rekord zu Rekord. Man muss all dies nicht mögen oder gar übernehmen. Eines lebt Ryanair aber konsequent vor: den unbändigen Willen, gleichzeitig anders und besser zu werden, um weiter profitabel zu wachsen. 2017 beförderte Rynair 130 Millionen Passagiere. 2024 sollen es 200 Millionen sein.

1.2. Meisterhafte Eigenschaften

Ob als Billigflieger, Hightech-Unternehmen oder Premium-Dienstleister, ob noch ganz im Offline-Geschäft verankert, schon voll online oder irgendwo dazwischen: Trotz aggressiver Nachahmer langfristig zu den erfolgreichsten Anbietern im eigenen Segment zu gehören – das ist die Kompetenz von Unternehmen, die ich »Marktmeister« nenne. Denn sie besitzen das meisterhafte Können, kontinuierlich anders und besser zu werden und zu bleiben als ihre Wettbewerber.

Wie Sie mit Ihrem Unternehmen auf den Pfad der Marktmeister gelangen können – für diese Reise soll Ihnen dieses Buch ein Wegweiser sein. Denn ich bin überzeugt, dass konzeptionelle Stärke und Umsetzungskraft – also die Fähigkeit, anders und besser zu sein – immer wieder neu justiert werden können, um starke Positionen im Wettbewerb zu erobern und zu verteidigen. Ich will, dass ihr Unternehmen unschlagbar wird!

Lust, auf diese Reise zu gehen? Dann los.

2
HERAUSFORDERUNG

ANOTHER ONE BITES THE DUST

Jedes Unternehmen möchte sich erfolgreich entwickeln. Doch warum schaffen es so wenige, mehr als drei Generationen eigenständig zu überleben? Wir begeben uns auf Spurensuche – und werden auf zwei große Herausforderungen treffen.

2.1 Unverwundbar?

Und, wie laufen Ihre Geschäfte? Bestimmt haben Sie diese Frage schon oft gestellt bekommen oder selber Gesprächspartnern gestellt. Selten gibt es darauf eine ehrliche Antwort. Und wenn Sie sich die Frage selber stellen? Die Antwort vieler Unternehmer und Führungskräfte geht in etwa so:

Na ja, es läuft nicht alles rund, aber im Großen und Ganzen sind wir ganz zufrieden. Wir sind schon einige Jahre am Markt und haben uns eine gute Position und Größe erkämpft. Die Veränderungen unseres Geschäftes haben wir auf dem Radar. Digitalisierung? Damit haben wir bereits seit dem ersten Computer zu tun! Konkurrenz durch Start-ups? Die meisten verdienen sowieso kein Geld. Low-Cost-Wettbewerber? Immer wieder ärgerlich, hatten wir aber schon immer. Wir haben die Augen natürlich offen, im Wesentlichen sind wir für die Zukunft aber gut aufgestellt.

Klingt ziemlich unverwundbar. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Unternehmen werden nicht alt. Laut einer aktuellen Studie des Lehrstuhls für Statistik und Ökonometrie der Universität Rostock liegt die Lebenserwartung deutscher Unternehmen bei durchschnittlich acht bis zehn Jahren. Dabei ist natürlich die existenzielle Gefährdung in den ersten Jahren des Bestehens am größten, dann, wenn es darum geht, vom Markt erst einmal akzeptiert zu werden. Doch auch wenn man die früh Gescheiterten rausrechnet, bleiben Studien zufolge Unternehmen gerade einmal 30 bis 40 Jahre lang selbstständig. Lediglich circa fünf Prozent der Unternehmen leben länger als 50 Jahre. Siemens, Bayer, BMW oder Henkel gehören beispielsweise dazu. Da viele von uns mit diesen Unternehmen sozusagen aufgewachsen sind, vermitteln sie uns den Eindruck, als wären Unternehmen quasi unvergänglich. In Wirklichkeit sind sie die Ausnahmen.

Die Zahlen vermitteln einen Eindruck davon, wie schwer es Unternehmen fällt, sich kontinuierlich verändernden Bedingungen anzupassen und unabhängig zu bleiben. Der Blick auf die Zeit, die ein etabliertes Unternehmen im Durchschnitt eigenständig bleibt, erinnert mich immer wieder an das »Buddenbrook-Phänomen«, das Thomas Mann so wunderbar in Erzählform gebracht hat: Die erste Generation baut etwas auf, die zweite führt es zur Blüte, die dritte richtet es zugrunde.

Und tatsächlich lässt sich dieses Phänomen auf unsere heutige Wirtschaft übertragen: Die erste Führungsgeneration entdeckt einen Marktbedarf, die zweite nutzt ihn – und die dritte verpasst den Wandel. Das Besondere, welches das ursprüngliche Kennzeichen des Unternehmens ausgemacht hat, wurde nicht ausreichend den veränderten Bedingungen angepasst. Große Konzerne können solche Defizite durch ihr breiteres Portfolio zumindest zeitweise auffangen, für die anderen wird die mangelnde Anpassung schnell existenzbedrohend. Und schon gehört ein Unternehmen, welches bisher so stolz seinen Weg ging, zu den Verlierern des Marktes.

Vielen Führungskräften ist diese hohe Sterblichkeitsrate nicht präsent, auch wenn die Sensibilität für die Verwundbarkeit des eigenen Unternehmens in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Wenn ich heute über die Überlebenschancen von Unternehmen spreche, so wird immer häufiger die Sorge artikuliert, durch einen »disruptiven« Wettbewerber vom Markt gefegt zu werden. Zum Beispiel von einer aggressiven Plattform, die sich zwischen das Unternehmen und seine Kunden klemmt. Oder von einem neuen Technologieanbieter, der die bisherigen Angebote obsolet macht. Oder von einem cleveren Jungunternehmer, der mit einer schlauen Geschäftsmodell-Idee in die Domäne etablierter Anbieter eindringt. Keine Frage: Wir erleben gerade eine wilde unternehmerische Ära, in der neue Technologien und Ideen neue Chancen und Risiken geschaffen haben. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Mit solchen Umbrüchen mussten Unternehmen schon immer umgehen, auch wenn die Zeit, die zur Anpassung zur Verfügung steht, deutlich kürzer geworden ist.

Der erbitterte Kampf um die Sonnenplätze des Marktes ist kein neues Phänomen. Marktveränderungen und technologische Disruption sind keine exklusive Besonderheit unserer Zeit, auch früher mussten Unternehmen kontinuierlich um ihr Überleben kämpfen.

Schauen wir zur Erinnerung auf längst verschwundene Unternehmen, die noch vor einer Generation prägend waren. Begleiten Sie mich auf einer kleinen Zeitreise in ein fiktives Wohnzimmer Mitte der 1980er-Jahre:

Vater kommt nach einem anstrengenden Arbeitstag im AEG-Werk zurück, zieht sich seine Salamander-Hausschuhe an und lässt sich in das frisch von Hertie gelieferte Sofa fallen.

Er schaltet den neuen Nordmende-Fernseher an und ärgert sich wie immer über das schlechte Programm. Da hilft auch der neue SABA-Videorekorder nichts, denn er hat keine neuen VHS-Videos organisiert. Dann schon lieber von der nagelneuen Grundig-Stereoanlage Musik hören. Queen, Bohemian Rhapsody.

Da klingelt das Telefunken-Telefon. »Was, schon Zeit für unsere Schafkopf-Runde?«, denkt er sich mit Blick auf seine zur Konfirmation geschenkte Kienzle-Armbanduhr. »Komme schon!«, ruft er in den Hörer.

Sie haben es gemerkt: Die klangvollen Namen in dieser Geschichte, die nicht nur die Ausstattung des Wohnzimmers meiner Eltern zierten, sondern das Alltagsleben einer ganzen Generation begleiteten, sind Schnee von gestern. Die erwähnten Unternehmen gingen allesamt insolvent. Zwar leben ihre Marken teilweise weiter, doch mit der Organisation, die sie ursprünglich repräsentierten, haben sie nicht mehr viel zu tun.

Was ist mit diesen prägenden Marken passiert? Und: Wie viele von den heute florierenden Unternehmen wird es in 20 oder 30 Jahren noch geben? Vor allem aber: Wie steht es um die Zukunftsperspektiven Ihres Unternehmens?

2.2. Scheitern aus doppeltem Grund

Warum werden Unternehmen nicht alt? Nun gut, viele Unternehmen scheitern, bevor sie überhaupt richtig loslegen können. Ihr Produkt ist nicht marktreif, die Finanzierung nicht gesichert, die Leistungserstellung zu teuer. Andere hören auf, eigenständig zu existieren, weil die Eigentümer keine Nachfolger finden oder Kasse machen wollen und daher das Unternehmen für Übernahmen und Fusionen freigeben.

Doch woran scheitern Unternehmen, die sich bereits etabliert haben und eigentlich unabhängig bleiben wollen? Wie kann es sein, dass solche Unternehmen nach Jahren des Erfolges plötzlich in wirtschaftliche Schieflage geraten, während andere sich über Jahrzehnte im Auf und Ab der Märkte an der Spitze bewähren?

Natürlich können Sie Gründe in internen Verfehlungen wie Betrug oder Größenwahn finden. Hierzu gehören zum Beispiel die Pleiten von Enron, FlowTex, der Neuen Heimat. Auch unvorhersehbare Veränderungen der Rahmenbedingungen wie zum Beispiel politische Krisen, Naturkatastrophen oder plötzliche konjunkturelle Einbrüche können stolze Unternehmen brechen und das Aus bedeuten. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass nur ein geringer Anteil der Insolvenzen auf externe Faktoren zurückzuführen ist, auf die man sich als Unternehmen nicht hätte einstellen können. Was ist dann der große Killer etablierter Unternehmen? Gemeinerweise ist es ein Doppelmörder. Er führt auf der einen Seite zum Verlust der konzeptionellen Stärke des Unternehmens und auf der anderen Seite zum Verlust seiner Umsetzungsstärke.

Mit dem Verlust der konzeptionellen Stärke bezeichne ich den Wegfall der Andersartigkeit in wichtigen Komponenten des Geschäftsmodells. Der Verlust der Umsetzungsstärke bedeutet, dass die Fähigkeit erodiert, ausgewählte, vom Kunden erwartete Leistungsmerkmale besser bereitzustellen als der Wettbewerb.

Was heißt das genau? Mit dem Verlust der konzeptionellen Stärke geht die Andersartigkeit in wichtigen Komponenten des Geschäftsmodells verloren, etwa die abnehmende Attraktivität des Produktportfolios, das Aussterben des klassischen Zielkundensegments, die Verwässerung der Marke, die Erodierung der Schnittstelle zum Kunden oder die veraltete Produktionslogik. Das Unternehmen verliert zunehmend an Attraktivität für seine Kunden, die sich sukzessive interessanteren Konkurrenten zuwenden.

Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, gibt es noch jenen zweiten fundamentalen Grund für das Scheitern etablierter Unternehmen: den Verlust der Umsetzungsstärke. Betroffene Unternehmen werden mit Blick auf vom Kunden erwartete Leistungsmerkmale nicht mehr als besser empfunden als alternative Anbieter – sie sind also nicht pünktlicher, zuverlässiger, schneller, freundlicher, partnerschaftlicher, serviceorientierter usw. als ihre Wettbewerber. Vielleicht deswegen, weil sich der Schlendrian im Unternehmen breitgemacht hat, die Motivation der Mitarbeiter verloren gegangen ist oder vergangene Erfolge die Organisation blind gemacht haben für nötige Prozessoptimierungen. Vielleicht ist man sogar noch genauso gut wie früher – nur reicht das als Vorteil einfach nicht mehr aus, weil der Wettbewerb sich schneller weiterentwickelt hat.

Sowohl der Verlust der konzeptionellen Stärke als auch der Verlust der Umsetzungsstärke kann Unternehmen vor fundamentale Herausforderungen stellen, wenn es ihnen nicht gelingt, die eine durch die jeweils andere Eigenschaft auszugleichen. Besonders unangenehm wird es, wenn beide Schwächen gleichzeitig auftreten. Schauen wir uns beide Problemzonen einmal genauer an.

2.3. Der Verlust der konzeptionellen Stärke

Die konzeptionelle Stärke umfasst im Grunde die Wesensmerkmale, durch die sich die Geschäftslogik eines Unternehmens von den Wettbewerbern unterscheidet. Dazu können einzigartige Produkte und Leistungen gehören, eine hervorgehobene Stellung bei ausgewählten Zielkunden, eine starke Marke, eine besondere Form der Leistungserstellung usw. Je austauschbarer ein Unternehmen in diesen Merkmalen wird, umso mehr droht es in eine »Me too«-Position abzurutschen – also von den Kunden nicht mehr als originell, innovativ oder in anderer Weise unterscheidbar wahrgenommen zu werden, sofern es nicht schon vollkommen irrelevant für sie geworden ist.

Der Videoverleiher Blockbuster war ein solches Unternehmen, welches am Verlust seiner konzeptionellen Stärke gescheitert ist. Zu lange hielt man am klassischen Geschäftsmodell fest, statt, wie Netflix, rechtzeitig auf Streamingdienste zu wechseln. Die bekannte Spielwarenkette Toys “R” Us musste in den USA Insolvenz anmelden, da sie konzeptionell keinen Weg fand, dem Onlinehandel von Amazon ausreichend Paroli zu bieten. Heidelberger Druck erkannte zu spät, dass digitaler Druck dem analogen vorgezogen wird, und stand eine Haaresbreite vor der Pleite. Nokias Erfolgskonzept des Handyherstellers für die Massen zerplatzte, als das iPhone mit dem einfachen mobilen Zugang ins Internet viel mehr ermöglichte als das reine Telefonieren.

Prominentestes Beispiel für den Verlust konzeptioneller Stärke ist aber natürlich Eastman Kodak. Noch in den 1970er-Jahren war Kodak nach Börsenwert einer der fünf größten Konzerne der Welt – heute kaum noch vorstellbar. Zu dieser Zeit entwickelt ein Kodak-Ingenieur die erste Digitalkamera. Das Ding sah sehr klobig aus, die Qualität der Bilder war miserabel und ein direkter Angriff auf das existierende Geschäftsmodell. Also Digitalfotografie lieber nicht vorantreiben – denken sich auch andere Größen der Branche wie Agfa oder Fujifilm. Mit ihrem Festhalten an der alten Welt werden Kodak & Co. irrelevant und schlittern in die Insolvenz.

2.3.1. Disruption? Es geht um mehr!

Ja, könnten Sie nun einwenden, bei diesen Beispielen geht es speziell um das Phänomen der Disruption von Unternehmen durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung. Tatsächlich hat dieses Erklärungsmuster im Zusammenhang mit dem Scheitern ehemals stolzer Unternehmen eine große Popularität gewonnen. Das ganze Silicon Valley folgt dem mit diesem Schlachtruf verbundenen Versuch, etablierte Unternehmen in ihren Grundfesten anzugreifen und sie konzeptionell in die Bedeutungslosigkeit zu schicken.

Nicht wenige Disruptoren haben in den letzten Jahren komplette Branchen auf den Kopf gestellt – so Airbnb, Uber oder Amazon. Ihr unternehmerisches Gesamtkonzept erwies sich dem der etablierten Unternehmen als überlegen oder zumindest als ernsthafte Bedrohung. Airbnbs Idee, einen Community-Marktplatz für Buchung und Vermietung von Unterkünften zu gründen, eröffnete vielen Kunden eine Alternative zu teuren oder langweiligen Angeboten etablierter Hotelanbieter. Uber schaffte es, eine attraktive Alternative zu klassischen Taxiunternehmen zu etablieren. Und Amazon verbindet einfachen Zugang, große Auswahl, günstige Preise und herausragenden Kundenservice zu einem Ganzen, das so in Handelsunternehmen vorher nicht bekannt war. Kein Zweifel: Wenn wir über das Scheitern von Unternehmen sprechen, gehört Disruption zu einem der wichtigsten Auslöser. Es wäre aber ein Fehler, den Untergang einst fest etablierter Unternehmen ausschließlich nach dem Disruptionsmuster erklären zu wollen.

Aus meiner Sicht steht das Scheitern durch Disruption für eine besonders dramatische, technologisch getriebene Variante einer gewichtigeren Ursache, welche sich in einer Vielzahl von Formen und Geschwindigkeiten äußern kann: Es geht um den Verlust konzeptioneller Stärke!

So ist beispielsweise Schlecker nicht an der Digitalisierung oder plötzlich auftretenden »disruptiven« Wettbewerbern gescheitert, sondern an seiner Unfähigkeit, sein ursprünglich so großartiges Geschäftsmodell den neuen Kundenerwartungen anzupassen. Was war passiert?

1967 eröffnet Anton Schlecker sein erstes SB-Warenhaus. Als 1974 mit der Änderung des »Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen« die Preisbindung für Markenartikel für unzulässig erklärt wird, erkennt er die Chance und eröffnet seinen ersten Drogeriemarkt. Er setzt konsequent auf günstige Preise und nüchterne Filialausstattung. Zwanzig Jahre später gilt Schlecker als Marktführer mit einem flächendeckenden Filialnetz. Nach weiteren 20 Jahren war es dann vorbei: Das Unternehmen wurde mit großem Getöse zerschlagen. Drogerieketten wie dm, Rossmann oder Müller hatten mit attraktiveren Ladenkonzepten, zeitgemäßeren Sortimenten, guten Innenstadtlagen usw. eine attraktivere Alternative geboten. Schlecker passte sein Konzept dennoch lange nicht an; als er es tat, war es zu spät.

2.3.2. Trends verschlafen: Der Google-Test

Wenn Sie nach Beispielen suchen, welche Unternehmen ihre konzeptionelle Stärke verloren haben (oder gerade dabei sind), kann ich Ihnen einen Test anbieten, den ich regelmäßig durchführe und gerne hier mit Ihnen teile.

Der Google-Test geht so: Geben Sie in Google die Begriffsfolge »Trend verschlafen« ein und schauen Sie sich die Ergebnisse an. Sie werden erstaunt sein, wer da so alles auftaucht – hoffentlich nicht Ihr eigenes Unternehmen!?

Als ich beim Schreiben dieses Buches den »Google-Test« auf das vergangene Jahr einstellte, ergab sich folgende Hitliste an Unternehmen, die aufgrund verpasster Trends konzeptionell in Schieflage geraten waren oder zu geraten drohten:

  1. Trend verschlafen – Insolvenz der Stromkonzerne nicht auszuschließen (sie hatten das Aufkommen der erneuerbaren Energien unterschätzt)
  2. Apple könnte den nächsten Trend verschlafen (angeblich fokussiert sich das Unternehmen zu sehr auf Hardware statt auf künstliche Intelligenz und Assistenzsysteme)
  3. Big-Data-Trend verschlafen – jetzt wird externes Kapital gebraucht (die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung GfK hat auf den Umbruch des Geschäftsmodells durch die Digitalisierung nicht konsequent reagiert)
  4. Schweizer Uhrenindustrie unter Druck: Smartwatch-Trend verschlafen (die Uhrenhersteller wollen die neue Konkurrenz durch Smartwatches nach wie vor nicht wahrhaben)

    … und – kein Scherz – auf Platz 5:

  5. Trend verschlafen? Der Karibik gehen die Kokosnüsse aus (der anhaltende Trend der Kokosnuss als trendiges Lifestyle-Lebensmittel wurde von den karibischen Kokosnussanbauern verschlafen)

Dank der Einstellungsmöglichkeiten von Google können Sie Ihre Suche beliebig verfeinern: Wer hat im letzten Jahr Trends verschlafen? Wer hat in Ihrer Branche Trends verschlafen? Natürlich können Sie den Test auch in anderen Sprachen durchführen. Auf Englisch zum Beispiel finden Sie unter »missed the boat« auch all die verschlafenen Trends.

Besonders aufschlussreich wird es, wenn man den Begriff »Interview« in der Abfrage hinzufügt und erstaunt die Schuldbekenntnisse reumütiger Vorstände liest (häufig auch neue Vorstände, die die Schuld auf die alten schieben können). Einige Beispiele:

Probieren Sie es selbst! Der Google-Test bietet stets neue, brandaktuelle Ergebnisse – und die beunruhigende Gewissheit, dass auch die größten Namen nicht davor gefeit sind, ihre konzeptionelle Stärke einzubüßen.

2.4. Der Verlust der Umsetzungsstärke

So dramatisch der Verlust an konzeptioneller Stärke für viele Unternehmen auch ist: Selbst wenn Sie sich strategisch vom Wettbewerb nicht unterscheiden, muss das nicht zwingend heißen, dass Ihr Unternehmen nicht erfolgreich sein kann. Im Gegenteil, auch ein »Me too«-Unternehmen kann sehr profitabel sein – wenn es in der täglichen Umsetzung generischer Leistungsmerkmale besser ist als seine Wettbewerber.

Gemeint sind Vergleichsmaßstäbe, die von Kunden über alle alternativen Angebote hinweg angesetzt werden, um die Leistung von Anbietern zu beurteilen. Dazu zählen Merkmale wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Geschwindigkeit, Kundenorientierung, Flexibilität und Preise.

Umsetzungsstärke spielt immer dann eine große Rolle, wenn viele Wettbewerber mit ähnlichen Konzepten um die Gunst der Kunden buhlen. Versetzen Sie sich mal in die Rolle des Inhabers eines Reisebüros. Nicht nur, dass ihm das Internet Kunden abwirbt – auch die vielen konkurrierenden Reisebüros ein paar Ecken weiter kämpfen mit ähnlichen Konzepten um die Kundschaft. Und das nicht besonders erfolgreich: Zwischen 2005 und 2017 ist jedes dritte Reisebüro verschwunden.

Klar, Reisebüro-Manager könnten nun ihr Heil in neuen Konzepten suchen – Fokussierung auf spezielle Reiseziele, grundlegende Überarbeitung des Filial-Layouts, Kooperationen mit anderen Veranstaltern. Gehen wir jedoch mal davon aus, sie hätten kaum Möglichkeiten, an ihrer konzeptionellen Stärke zu arbeiten. Auch dann bräuchten sie den Kopf nicht in den Sand zu stecken – sie können durch eine hohe Umsetzungskompetenz zum Liebling der Kunden werden. So bewarb beispielsweise der Deutsche Reiseverband DRV einen Kurs zum Thema: »Service 2.0 – Mit neuer Servicequalität besser als der Wettbewerb«. Das Versprechen lautete: »Es ist Zeit, dass Sie Ihre Kunden nicht nur erstklassig beraten, sondern dass so gut wie alle Kunden auch tatsächlich bei Ihnen buchen! … Nach dem Seminar verstehen Sie noch besser, wie Sie sich mit echtem Service vom stationären und Onlinewettbewerb absetzen.« Die dahinterstehende Philosophie: Wenn sich Reisebüros konzeptionell kaum noch unterscheiden – dann eben mit der umsetzungsorientierten Fähigkeit der Mitarbeiter exzellenten Service anbieten!

Nicht nur Serviceunternehmen wie Reisebüros, Apotheken, Friseure usw. müssen aufgrund der konzeptionellen Vergleichbarkeit ihrer Geschäftsmodelle darauf achten, ihre Umsetzungskompetenz hoch zu halten. Auch in produzierenden Unternehmen ist der Verlust der konzeptionellen Stärke ein häufiges Ereignis, welches Sie unter dem Stichwort »Commoditisierung« kennen. Selbst bei komplexeren Produkten und Dienstleistungen werden Nachahmer immer schneller wettbewerbsfähig. Und sie übernehmen nicht nur Produktideen: Auch Marketingansätze, Vertriebszugänge, Preisstrategien, Kompetenzprofile usw. werden zunehmend austauschbar. Hohe Umsetzungsstärke bedeutet in solchen Fällen zunächst die Fähigkeit, günstiger produzieren zu können. Aber eben nicht nur das. Hohe Umsetzungsstärke kann sich auch in einer besseren Serviceorientierung äußern, einem höheren Kundenwissen, schnellerer und zuverlässigerer Lieferung usw.

Doch was ist, wenn man bei ähnlichen Leistungsangeboten nicht durch eine exzellente Umsetzungskraft punkten kann? Dann ist der Niedergang vorprogrammiert. So scheiterte beispielsweise der ehemals größte Bauer Europas, die KTG Agrar AG, 2016 an mangelnder Umsetzungskompetenz.

Nach dem Börsengang 2007 gaben viele Anleger dem Unternehmen Geld. Sie glaubten an den alten Grundsatz: Gegessen wird immer! Und deswegen zeichneten sie eine Anleihe nach der anderen. Immerhin stellte sich das Unternehmen als größter Biogetreideproduzent in Deutschland dar. Damit befand es sich konzeptionell in derselben Wettkampfarena wie viele andere, kleinere Biobauern. Die Strategie beruhte auf Umsetzungsstärke – insbesondere durch Nutzung von Skaleneffekten. Doch durch Missmanagement innerhalb des Konzerns konnte diese Stärke nicht ausgespielt werden. Der KTG-Konzern, der rund 100 Tochtergesellschaften hatte und circa 45 000 Hektar Land beackerte, wurde, so die Insolvenzverwalter Denkhaus und Ockelmann, ein »undurchsichtiges Firmengeflecht«. KTG verfüge über »keine transparenten Finanz- und Controllingsysteme« und sei stark auf die Führung durch eine einzelne Person, nämlich den Gründer und Vorstandsvorsitzenden Siegfried Hofreiter, zugeschnitten. Dieser regierte – so die FAZ – in seinem Betrieb wie ein König. Wichtige Entscheidungen traf er weitgehend im Alleingang. Und auch nach außen hin gab er sich »geradezu selbstherrlich« und ließ sich mit einem Helikopter zu Geschäftsterminen im ganzen Land fliegen. Die Verwaltungskosten sind hoch, die Effizienz der Prozesse ist schwach. Als die Preise für Getreide an den Weltmärkten zwischen 2011 und 2016 um fast 20 Prozent fallen, ist das Schicksal der KTG besiegelt.

2.5. Wenn alles zusammenkommt

In vielen Fällen ist der Verlust der konzeptionellen Stärke und der Umsetzungsstärke eng verknüpft und verstärkt sich in der Wirkung dadurch: Zunehmende Austauschbarkeit bei strukturellen Wesensmerkmalen deckt Schwächen im Umsetzungskonzept gnadenlos auf. Abnehmende Umsetzungsstärke lässt konzeptionelle Schwächen des Geschäftsmodells deutlich spürbar werden. Besonders schlimm wird es, wenn beide Faktoren gleichzeitig erodieren. So, wie es einem großen Unternehmen der deutschen Wirtschaftsgeschichte einst erging: Grundig.

Grundig stand einmal für Fortschritt und Qualität »Made in Germany«. Heute fast vergessen: Das Unternehmen war mit seinen Radios und Fernsehern mal Europas größter Gerätehersteller, mit seinen Tonbandgeräten sogar weltweit führend. Ende der 80er-Jahre beschäftigt Grundig 38 000 Mitarbeiter und gilt als eine Ikone der deutschen Elektroindustrie. Doch ab dann geht es rasant bergab. 2003 ist das Unternehmen pleite. Was war passiert?

Mit Blick auf die Stärke der Umsetzung gelang es nicht, die Organisation so auszurichten, dass sie dem Preisdruck asiatischer Wettbewerber hätte Paroli bieten können. Zwischen 1990 und 2004 fiel der Durchschnittspreis für einen Fernseher um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr. Heute ist ein Effizienzgewinn in dieser Höhe für viele Unternehmen Standard. Doch Grundig hatte nicht die Umsetzungskompetenz, diesen Preisverfall innerhalb der Organisation aufzufangen. So gelang es beispielsweise nicht, die Produktion auf die neuen Marktanforderungen auszurichten. Zwar schloss Grundig die Werke in Spanien und Frankreich, aber die resultierende Konzentration auf die Produktion an weniger Standorten brachte nicht die erhofften Effizienzgewinne. Der Versuch einer Verlagerung der Produktion in »Low Cost Countries« fand gar nicht erst statt. Dem Unternehmen widerstrebte es, die Produktion in günstigere Gefilde auszulagern, da es davon ausging, dass die geforderte Grundig-Qualität dort nicht produziert werden könne. Im Ergebnis herrschten viel zu hohe Produktions- und Strukturkosten vor, die auf die Produkte umgelegt wurden.

Als besonders verheerend für die Umsetzungsstärke wird zudem der Führungsstil der Geschäftsführung, speziell des Gründers Max Grundig, beschrieben. Er wird als cholerisch, selbstherrlich und dominant bis zur Schmerzgrenze geschildert. Da sich der Rest der Führungsriege an diesem Vorbild orientierte, fehlte dem Unternehmen die richtige Kultur, sich an Märkte anzupassen. Das besserte sich auch nicht, als Max Grundig im April 1984 ausschied und der Philips-Konzern die Leitung der Grundig AG übernahm.

Schwächen im Rahmen der Umsetzung hätte Grundig abfedern können, wenn das Unternehmen seine ursprüngliche konzeptionelle Brillanz hätte fortsetzen können. Die aber war über die Jahre erodiert. Die Sortimentsvielfalt war viel zu gering und zu wenig innovativ, um Kunden in ausreichender Zahl anzuziehen. Andererseits waren die Produkte aber auch nicht exklusiv genug, um in einer margenträchtigen Nische einen Platz zu finden. Es gelang Grundig nicht, neue technische Standards durchzusetzen, wie die Japaner es mit ihrem VHS-System für Videorekorder schafften. Viele der Produkte waren zur Commodity geworden. Dennoch verharrte Grundig im angestammten Portfolio. Versuche, in verwandten Bereichen wie der Sicherheitstechnik, der numerischen Steuerung oder der Bürokommunikation eigene Wege zu finden, gab es nicht.

Über die Jahre war das einstige Paradeunternehmen Grundig weder besonders anders noch prozessual besser als seine Wettbewerber. Ende 1996 war Philips zu einem Rückzug auf die Position eines Minderheitsaktionärs genötigt, nachdem im Zeitraum von 1992 bis 1995 das »Abenteuer Grundig« die Holländer 1,5 Mrd. DM (circa 800 Mio. Euro) gekostet hatte. Eine Auffanggesellschaft versuchte zu retten, was zu retten war. Am 14. April 2003 beantragte Grundig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In Summe erodierte das Potenzial des Unternehmens aber schon lange vor der Insolvenz. Was für ein Niedergang eines großen Namens!

Unternehmen, die ihre konzeptionelle Stärke und die Umsetzungskompetenz ihrer Unternehmungen nicht kontinuierlich pflegen und ausbauen, werden über kurz oder lang die illustre Liste der untergegangenen Unternehmen ergänzen. So beunruhigend diese Erkenntnis auch ist – Sie können sie nutzen. Denn in ihr stecken die Lösungen, mit denen Sie die Ihnen anvertrauten Bereiche für die Zukunft rüsten können. Wie? Lassen Sie uns auf die Suche danach gehen. Dazu möchte ich Sie zunächst auf eine ganz persönliche Entdeckungsreise mitnehmen.

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Annäherung

Umwege einer Entdeckungsreise

Lange dachte ich, der Erfolg von Unternehmen würde insbesondere in einer herausragenden Umsetzungskompetenz liegen, da strategische Entscheidungen zu Produkten, Preisstrategien, Vertriebswegen usw. schnell von Wettbewerbern nachgeahmt werden können. Aber ich hatte etwas übersehen, was echte Erfolgsunternehmen auszeichnet. Ich werde Ihnen zeigen, wie ich es fand.