Aus dem Amerikanischen von

Andreas Diesel & Frank Festa

Illustriert von Timo Wuertz

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Copyright © dieser Ausgabe 2019 by Festa Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild: Timo Wuerz

eISBN 978-3-86552-794-3

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Inhalt

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RE-ANIMATOR

DIE RATTEN IM GEMÄUER

DER RUF DES CTHULHU

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RE-ANIMATOR

I. Aus dem Dunkel

Von Herbert West, der auf dem College und im sonstigen Leben mein Freund war, kann ich nur mit äußerstem Grauen sprechen. Dieses Grauen ist nicht allein auf die entsetzliche Art und Weise seines kürzlichen Verschwindens zurückzuführen, sondern verdankt sich auch dem generellen Charakter seines Lebenswerkes; vor mehr als 17 Jahren wurde es zum ersten Male spürbar, als wir beide im dritten Jahr unseres Studiums an der Medizinischen Fakultät der Miskatonic-Universität in Arkham standen. Während er bei mir war, faszinierte mich, seinen engsten Gefährten, das Wunderbare und Teuflische seiner Experimente über alle Maßen. Nun, da er verschwunden ist und der Bann gebrochen, macht sich die Furcht verstärkt bemerkbar. Erinnerungen und Spekulationen sind stets schrecklicher als die Realität.

Der erste grausige Vorfall während unserer Bekanntschaft war der größte Schock, den ich je erlitt, und ich berichte nur widerwillig davon. Wie ich bereits sagte, trug er sich zu, als wir an der Medizinischen Fakultät studierten, wo West bereits berüchtigt war wegen seiner abenteuerlichen Theorien über das Wesen des Todes und die Möglichkeit, ihn künstlich zu überwinden. Seine Ansichten, die von der Fakultät und den Kommilitonen weithin ins Lächerliche gezogen wurden, drehten sich um die grundlegend mechanistische Natur des Lebens; sie betrafen Mittel, die organische Maschinerie des Menschen nach dem Versagen der natürlichen Lebensprozesse mittels einer wohlberechneten chemischen Einwirkung weiterzubetreiben. Bei seinen Experimenten mit verschiedenen belebenden Lösungen hatte er eine immense Anzahl von Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen, Hunden und Affen getötet und behandelt, bis er sich zum größten Ärgernis der Universität entwickelt hatte. Mehrere Male war es ihm tatsächlich gelungen, Lebenszeichen bei anscheinend toten Tieren hervorzurufen, in vielen Fällen sogar sehr heftige; doch bald schon sah er ein, dass die Vervollkommnung seiner Methodik, sollte sie denn möglich sein, notwendigerweise eine lebenslange Forschungsarbeit voraussetzte. Ebenso wurde ihm klar, dass er aufgrund der Tatsache, dass dieselbe Lösung bei verschiedenen biologischen Arten nie die gleiche Wirkung zeigte, für ihre gezielte Weiterentwicklung menschliche Versuchsobjekte benötigte. An dieser Stelle geriet er zum ersten Mal mit der Hochschulleitung in Konflikt und wurde von keinem geringeren Würdenträger als dem Dekan der Medizinischen Fakultät persönlich – dem gelehrten und gütigen Dr. Allan Halsey, an dessen Werke zugunsten der Kranken sich jeder ältere Einwohner Arkhams erinnert – von weiteren Experimenten ausgeschlossen.

Ich war Wests Bestrebungen gegenüber immer außerordentlich tolerant gewesen, und oftmals diskutierten wir über seine Theorien, deren Verzweigungen und Folgerungen nahezu unendlich erschienen. Da er Haeckels Ansicht teilte, alles Leben sei ein chemischer und physikalischer Prozess und die sogenannte ›Seele‹ ein Mythos, glaubte mein Freund, dass die künstliche Wiederbelebung der Toten allein vom Zustand des Gewebes abhinge; und dass, sofern der eigentliche Zerfall noch nicht eingesetzt habe, ein mit allen Organen ausgestatteter Leichnam mit entsprechenden Maßnahmen wieder in jenen eigenartigen Zustand versetzt werden könne, den man das Leben nennt. Dass psychische oder geistige Funktionen durch den geringfügigen Verfall der empfindlichen Gehirnzellen beeinträchtigt würden, den selbst ein kurzfristiger Todeszustand durchaus verursachen könnte, war West völlig bewusst. Zunächst hatte er gehofft, ein Reagens finden zu können, das die Lebenskraft vor dem Eintritt des tatsächlichen Todes wiederherstellen würde, und nur das fortgesetzte Scheitern seiner Tierversuche hatte ihm gezeigt, dass natürliche und künstlich erzeugte Lebensregungen inkompatibel waren. Dann versuchte er es mit sehr frischen Tieren und injizierte seine Lösung unmittelbar nach der Tötung in den Blutkreislauf. Dieser Umstand war es, der die Professoren so überaus skeptisch machte, denn sie vertraten die Ansicht, in keinem Fall sei wirklich der Tod eingetreten. Sie hörten nicht auf, die Angelegenheit penibel und kritisch zu verfolgen.

Nicht lange nachdem ihm die Fakultät seine Arbeit untersagt hatte, vertraute West mir seinen Entschluss an, auf irgendeine Weise an frische Leichen zu gelangen und im Geheimen die Experimente fortzusetzen, die er nicht mehr öffentlich durchführen durfte. Ihn über die Mittel und Wege reden zu hören, mithilfe derer er dies bewerkstelligen wollte, war recht gruselig, denn auf der Universität hatten wir anatomische Versuchsobjekte niemals selbst beschaffen müssen. Konnte das Leichenschauhaus den Anforderungen nicht genügen, kümmerten sich um die Angelegenheit zwei Neger aus der Nachbarschaft, denen man nur selten eingehendere Fragen stellte. West war damals ein kleiner, schlanker, bebrillter Jüngling mit feinen Gesichtszügen, blondem Haar, blassblauen Augen und sanfter Stimme, und es war unheimlich, ihn von den im Vergleich zum Armenfriedhof eingeschränkten Vorzügen des Christ-Church-Friedhofs sprechen zu hören, weil so gut wie jeder Leichnam auf dem Kirchhof der Christ Church einbalsamiert wurde, was Wests Forschungen natürlich abträglich war.

Ich fungierte zu jener Zeit als sein tatkräftiger und geradezu höriger Assistent und unterstützte ihn bei allen Entscheidungen, nicht nur was die Beschaffung der Leichen betraf, sondern auch in Bezug auf einen angemessenen Ort für unsere widerliche Arbeit. Ich war es, dem das verlassene Bauernhaus der Chapmans jenseits von Meadow Hill einfiel, wo wir dann im Erdgeschoss einen Operationssaal und ein Laboratorium einrichteten und beide Räume mit dunklen Vorhängen ausstatteten, um unsere mitternächtlichen Tätigkeiten verborgen zu halten. Das Haus lag abseits aller Straßen und außer Sichtweite anderer Häuser, dennoch waren Vorsichtsmaßnahmen notwendig, da Gerüchte über seltsame Lichter, von zufälligen nächtlichen Wanderern in Umlauf gebracht, das Ende unserer Unternehmungen bedeuten würden. Wir kamen darin überein, das Ganze als Chemielabor zu bezeichnen, sollten wir entdeckt werden. Nach und nach rüsteten wir unseren finsteren wissenschaftlichen Schlupfwinkel mit Materialien aus, die wir entweder in Boston erstanden oder still und heimlich in der Universität ausborgten – Materialien, die, außer für geschulte Augen, sorgfältig unkenntlich gemacht wurden –, und besorgten uns Spaten und Hacken für die vielen Gräber, die wir im Keller würden ausheben müssen. Auf der Hochschule benutzten wir für die Beseitigung von Kadavern einen Verbrennungsofen, doch war ein solcher Apparat zu kostspielig für unser illegales Labor. Die Leichen waren stets sehr lästig – selbst die der kleinen Meerschweinchen, die West bei den heimlichen und unbedeutenden Experimenten auf seinem Zimmer im Studentenwohnheim benutzte.

Wir verfolgten die örtlichen Todesanzeigen wie die Ghoule, denn wir benötigten Forschungsobjekte von besonderer Qualität. Wir wollten Leichen, die rasch nach dem Tod und ohne Konservierungsmaßnahmen bestattet worden waren; vorzugsweise frei von Missbildungen und vor allem mit sämtlichen Organen ausgestattet. Auf Unfallopfer richteten wir unsere größte Hoffnung. Viele Wochen lang hörten wir von nichts Geeignetem, obgleich wir – vorgeblich im Interesse der Universität – in Leichenschauhäusern und Hospitälern so oft vorsprachen, wie es möglich war, ohne Verdacht zu erregen. Wir fanden heraus, dass die Universität in jedem Fall den Vorzug erhielt, sodass es wohl nötig war, den Sommer über in Arkham zu bleiben, da dann nur die wenig besuchten Sommervorlesungen gehalten wurden. Am Ende jedoch stand uns das Glück bei, denn eines Tages hörten wir von einem fast idealen Fall auf dem Armenfriedhof: ein muskulöser junger Arbeiter, der erst am Morgen zuvor im Summer’s Pond ertrunken und auf Kosten der Stadt unverzüglich ohne jede Konservierung bestattet worden war. Am selben Nachmittag fanden wir das neue Grab und beschlossen, bald nach Mitternacht mit der Exhumierung zu beginnen.

Es war eine widerwärtige Arbeit, die wir in den finsteren frühen Morgenstunden verrichteten, obwohl uns damals noch das besondere Grauen vor Friedhöfen abging, das uns spätere Erfahrungen einbringen sollten. Wir führten Spaten und Öllampen mit uns, denn obwohl es damals schon elektrische Taschenlampen gab, waren diese nicht so zufriedenstellend wie die Wolframapparate von heute. Das Ausgraben der Leiche gestaltete sich langwierig und schmutzig – es hätte auf grausige Weise poetisch sein können, wären wir Künstler und nicht Wissenschaftler gewesen –, und wir waren froh, als unsere Spaten auf Holz trafen. Als der Sarg gänzlich freigelegt war, beugte West sich vor und hob den Deckel ab, um den Inhalt hervorzuziehen und aufzurichten. Ich langte hinunter und zerrte das Ding aus dem Grab heraus, und dann mühten wir beide uns sehr, der Stätte ihr früheres Aussehen wiederzugeben. Die Angelegenheit machte uns sehr nervös, insbesondere die steife Gestalt und das ausdruckslose Gesicht unserer ersten Beute, doch es gelang uns, alle Spuren unseres Besuches zu verwischen. Nachdem wir die letzte Schaufel voll Erde glatt geklopft hatten, steckten wir das Versuchsobjekt in einen Leinensack und machten uns auf den Weg zum alten Chapman-Haus jenseits von Meadow Hill.

Auf einem improvisierten Seziertisch im alten Bauernhaus, im Licht einer starken Acetylenlampe, sah unser Versuchsobjekt nicht sehr gespenstisch aus. Es handelte sich um einen kräftigen und anscheinend einfältigen Jüngling vom gesunden plebejischen Typus – von großer Statur, mit grauen Augen und braunem Haar –, ein vernunftbegabtes Tier ohne psychologische Feinheiten, dessen Lebensvorgänge vermutlich alle von der einfachsten und gesündesten Sorte gewesen waren. Jetzt, mit geschlossenen Augen, sah er mehr schlafend denn tot aus, obwohl die fachmännische Überprüfung durch meinen Freund keinen Zweifel an seinem Zustand ließ. Endlich verfügten wir über das, wonach West sich immer gesehnt hatte – einen wirklichen toten Menschen idealster Beschaffenheit, bereit für die chemische Lösung, die gemäß den sorgfältigsten Berechnungen und Einschätzungen zum Gebrauch am Menschen vorbereitet worden war. Unsere Anspannung wuchs. Wir wussten, dass es kaum eine Chance auf so etwas wie einen vollständigen Erfolg gab, und konnten schreckliche Befürchtungen bezüglich möglicher grotesker Ergebnisse einer teilweisen Wiederbelebung nicht unterdrücken. Besonders gespannt waren wir auf die geistigen Fähigkeiten und die Impulse des Wesens, da in der Zeit seit seinem Tod einige der empfindlichen Hirnzellen womöglich Schaden genommen hatten. Ich selbst hing noch einigen merkwürdigen Ansichten über die traditionelle ›Seele‹ des Menschen an und verspürte Ehrfurcht vor den Geheimnissen, die jemand berichten mochte, der von den Toten wiederkehrte. Ich fragte mich, was dieser stille Jüngling in den unzugänglichen Sphären wohl gesehen haben mochte und was er erzählen könnte, wenn er gänzlich ins Leben zurückkehrte. Doch hielt sich meine Neugierde hinsichtlich dessen in Grenzen, da ich den Materialismus meines Freundes überwiegend teilte. West war gelassener als ich; er injizierte eine große Menge der Flüssigkeit in eine Vene im Arm des Leichnams und verband sogleich den Einstich.

Das Warten war grauenhaft, doch West ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Dann und wann untersuchte er das Versuchsobjekt mit seinem Stethoskop und trug das negative Ergebnis mit philosophischer Gelassenheit vor. Nach etwa einer Dreiviertelstunde ohne das geringste Lebenszeichen verkündete er enttäuscht, die Lösung sei ungeeignet, beschloss aber, das Beste aus dieser Situation zu machen und eine Abwandlung des Rezeptes auszuprobieren, ehe er sich seiner gespenstischen Beute entledigen würde. Wir hatten an jenem Nachmittag ein Loch im Keller ausgehoben und würden es bis zur Morgendämmerung füllen müssen – denn obwohl wir das Haus mit einem Schloss verriegelt hatten, wollten wir selbst das geringste Risiko einer grausigen Entdeckung vermeiden. Zudem wäre der Leichnam in der nächsten Nacht nicht einmal mehr annähernd so frisch. Also nahmen wir die einzige Acetylenlampe mit ins Labor nebenan, ließen unseren stummen Gast auf der Tischplatte im Dunkeln zurück und widmeten all unsere Kraft der Zusammensetzung einer neuen Lösung, deren Wiegen und Abfüllen West mit fast fanatischer Sorgfalt überwachte.

Das schreckliche Ereignis trat schlagartig und gänzlich unerwartet ein. Ich goss gerade etwas von einem Reagenzglas in ein anderes, während West mit einer Petroleumlampe beschäftigt war, die in diesem Gebäude ohne Gasanschluss als Bunsenbrenner herhalten musste, als aus dem pechschwarzen Raum, den wir verlassen hatten, die entsetzlichste und dämonischste Folge von Schreien drang, die wir beide je vernommen hatten. Das Chaos teuflischer Klänge hätte nicht unsäglicher sein können, wenn der Abgrund der Hölle sich aufgetan hätte, um die Qualen der Verdammten zu offenbaren, denn in einer unvorstellbaren Kakofonie vereinten sich das höchste Grauen und die ungeheuerliche Verzweiflung der beseelten Natur. Menschlichen Ursprungs konnte das nicht sein – es ist dem Menschen nicht gegeben, solche Laute zu erzeugen –, und ohne einen Gedanken an unsere jüngste Beschäftigung oder eine mögliche Entdeckung sprangen West und ich wie gejagte Tiere durchs nächste Fenster, warfen Reagenzgläser, Lampe und Retorten um und rasten wie toll in den bestirnten Abgrund der ländlichen Nacht. Ich glaube, wir schrien selbst, als wir panisch der Stadt entgegenstolperten, doch als wir die Außenbezirke erreichten, rissen wir uns zusammen – sodass wir verspäteten Zechern glichen, die von einem Gelage nach Hause schwankten.

Wir trennten uns nicht, sondern gelangten schließlich zu Wests Zimmer, wo wir bis zum Morgengrauen bei Gaslicht flüsterten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns mithilfe rationaler Theorien und Pläne zur Untersuchung des Phänomens ein wenig beruhigt, sodass wir den Tag über schlafen konnten – ohne unsere Kurse zu besuchen. Doch an diesem Abend machten zwei Zeitungsartikel, die nicht miteinander in Verbindung standen, es uns wiederum unmöglich zu schlafen. Das alte verlassene Chapman-Haus war unerklärlicherweise zu einem unförmigen Aschehaufen niedergebrannt; das konnten wir uns mit der umgestoßenen Lampe erklären. Zudem war der Versuch unternommen worden, ein frisches Grab auf dem Armenfriedhof zu schänden, als hätte jemand mit bloßen Händen den Boden aufscharren wollen. Das konnten wir nicht begreifen, denn wir hatten die Erde sorgfältig glatt gestrichen.

Und noch 17 Jahre später blickte West häufig über seine Schulter und beklagte sich über eingebildete Schritte hinter ihm. Nun ist er verschwunden.

II. Der Seuchendämon

Ich werde jenen entsetzlichen Sommer vor 16 Jahren niemals vergessen, als wie ein tödlicher Ifrit aus den Hallen des Iblis der Typhus lüstern in Arkham umging. Wegen jener teuflischen Geißel erinnern sich die meisten dieses Jahres, denn wahrhaftiges Grauen brütete mit Fledermausschwingen über den Stapeln von Särgen in den Gräbern des Christ-Church-Friedhofs; doch für mich birgt diese Zeit ein noch größeres Entsetzen – ein Entsetzen, von dem nur ich weiß, nun, da Herbert West verschwunden ist.

Nach Erlangung des ersten akademischen Grades arbeiteten West und ich während des Sommersemesters im medizinischen Fachbereich der Miskatonic-Universität, und mein Freund erfreute sich weithin eines schlechten Rufes wegen seiner Experimente, die auf die Wiederbelebung der Toten hinzielten. Nach der wissenschaftlichen Abschlachtung zahlloser Kleintiere war diese wahnwitzige Arbeit durch eine Weisung unseres skeptischen Dekans Dr. Allan Halsey scheinbar beendet worden; doch West hatte weiterhin gewisse geheime Versuche in seinem schäbigen Studentenwohnheim durchgeführt, und bei einer schrecklichen und unvergesslichen Gelegenheit hatte er einen menschlichen Leichnam aus einem Grab auf dem Armenfriedhof in ein verlassenes Bauernhaus jenseits von Meadow Hill gebracht.

Ich war bei jener abscheulichen Begebenheit bei ihm gewesen und hatte zugesehen, wie er in die starren Venen jenes Elixier injizierte, von dem er glaubte, es würde bis zu einem gewissen Grad die chemischen und physikalischen Prozesse des Lebens wiederherstellen. Es hatte entsetzlich geendet – in einem Delirium der Angst, das wir allmählich unseren überstrapazierten Nerven zuzuschreiben begannen –, und West hatte seither nicht mehr das quälende Gefühl abschütteln können, verfolgt und gejagt zu werden. Der Leichnam war nicht mehr frisch genug gewesen; es ist offensichtlich, dass man zur Wiederherstellung normaler geistiger Fähigkeiten eine wirklich sehr frische Leiche benötigt. Der Brand des alten Hauses hatte uns davon abgehalten, das Ding zu begraben. Es wäre besser gewesen, hätten wir es wieder unter der Erde gewusst.

Nach diesem Erlebnis hatte West seine Forschungen für einige Zeit ruhen lassen; doch als der Eifer des geborenen Wissenschaftlers nach und nach in ihn zurückkehrte, behelligte er wieder die Fakultät und bat um das Nutzungsrecht für den Sezierraum und frische menschliche Versuchsobjekte für die Arbeit, die er als so überaus bedeutsam erachtete. Seine Bemühungen waren jedoch vergeblich, denn die Entscheidung Dr. Halseys war unumstößlich, und die übrigen Professoren billigten allesamt das Urteil ihres Vorgesetzten. In der radikalen Wiederbelebungstheorie sahen sie nichts anderes als die unreifen Grillen eines jugendlichen Enthusiasten, dessen schlanke Gestalt, blondes Haar, bebrillte blaue Augen und sanfte Stimme den übermenschlichen – nahezu diabolischen – eiskalten Verstand, der dahintersteckte, erahnen ließen. Ich kann ihn jetzt noch vor mir sehen, wie er damals war – und ich erschaudere. Sein Gesicht wurde immer ernster, aber es alterte nicht. Und nun ist in Sefton das Unglück geschehen, und West ist verschwunden.

Gegen Ende unseres letzten Semesters kam es zwischen ihm und Dr. Halsey zu einem wortreichen Disput, der seiner Höflichkeit weniger Ehre machte als der des gütigen Dekans. West glaubte, man hielte ihn in sinnloser und unvernünftiger Weise von einer wichtigen und bedeutsamen Arbeit ab; einer Arbeit, die er in späteren Jahren natürlich nach eigenem Ermessen fortführen konnte, mit der er jedoch zu beginnen wünschte, solange ihm noch die vortrefflichen Möglichkeiten der Universität zur Verfügung standen. Dass seine traditionsgebundenen Vorgesetzten die einzigartigen Ergebnisse seiner Tierversuche ignorierten und beharrlich die Möglichkeit einer Wiederbelebung leugneten, war für einen jungen Mann von Wests logischer Veranlagung nahezu unbegreiflich und schwer zu ertragen. Nur größere geistige Reife hätte ihm dazu verholfen, die chronische Beschränktheit des ›Professor-Doktor‹-Typus zu verstehen – das Erzeugnis des jämmerlichen Puritanismus vieler Generationen: gütig, gewissenhaft und manchmal freundlich und liebenswert, doch stets engstirnig, unduldsam, von Gewohnheiten beherrscht und mit mangelndem Weitblick geschlagen. Das Alter hegt mehr Nachsicht für diese unvollkommenen, doch edel gesinnten Charaktere, deren einziges wirkliches Laster die Ängstlichkeit ist und die vom Spott der Allgemeinheit am schwersten für ihre geistigen Sünden bestraft werden – Sünden wie der Glaube an die Lehren des Ptolemäus und Calvins, die Gegnerschaft zu Darwin und Nietzsche und jede Art von religiöser Strenge sowie Verachtung des Luxus. West, der ungeachtet seiner erstaunlichen wissenschaftlichen Erfolge ein junger Mensch war, hatte nur wenig Geduld mit dem guten Dr. Halsey und dessen gelehrten Kollegen; er hegte einen wachsenden Groll, der sich mit dem Verlangen vereinte, diese begriffsstutzigen Würdenträger auf erschütternde und dramatische Weise von der Wahrheit seiner Theorien zu überzeugen. Wie die meisten jungen Leute ergab er sich ausschweifenden Tagträumen von Rache, Triumph und schließlicher großmütiger Vergebung.