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Über dieses Buch:

London, Anno Domini 1120: Der junge Goldschmied Gwyn Carlisle muss seine Heimat verlassen und begibt sich auf eine gefährliche Reise nach Italien. Wird er dort seine Kunst perfektionieren können? Doch sein Talent erweckt nicht nur Staunen und Bewunderung: Ein fanatischer Inquisitor wähnt ihn mit dem Teufel im Bund und setzt alles daran, Gwyn zu vernichten. Um seinen Häschern zu entkommen und eine längst verloren geglaubte Liebe wiederzufinden, beginnt für den Goldschmied eine Odyssee, die ihn bis ans Ende der damals bekannten Welt führen wird …

Über den Autor:

Roland Mueller, geboren 1959 in Würzburg, lebt heute in der Nähe von München. Der studierte Sozialwissenschaftler arbeitete in der Erwachsenenbildung, als Rhetorik- und Bewerbungstrainer und unterrichtet heute an der Hochschule der Bayerischen Polizei. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Kinder- und Jugendbücher.

Bei dotbooks veröffentlicht sind bereits Roland Muellers historische Romane:
»Im Land der Orchideenblüten«
»Das Erbe des Salzhändlers«
»Der Fluch des Goldes«

Außerdem hat Roland Mueller bei dotbooks die historische Serie »Der Clan des Greifen« veröffentlicht, die folgende Bände umfasst:
»Die Begegnung. Staffel I – Erster Roman«
»Der Pakt. Staffel I – Zweiter Roman«
»Das Vermächtnis. Staffel I – Dritter Roman«
»Das Erbe. Staffel I – Vierter Roman«
»Die Rache. Staffel I – Fünfter Roman«
»Das Spiel. Staffel I – Sechster Roman«
»Die Hexe. Staffel II – Erster Roman«
»Der Betrüger. Staffel II – Zweiter Roman«
»Der Greif. Staffel II – Dritter Roman«
»Die Verfolgten. Staffel II – Vierter Roman«
»Die Braut. Staffel II – Fünfter Roman«
»Die Liebenden. Staffel II – Sechster Roman«
Die komplette Serie ist außerdem in den drei Sammelbänden »Die Burgherrin«, »Die Kinder der Burgherrin« und »Das Vermächtnis der Burgherrin« enthalten.

Daneben hat Roland Mueller die beiden historischen Kinderbücher »Die abenteuerliche Reise des Marco Polo« und »Der Kundschafter des Königs« bei dotbooks veröffentlicht.

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eBook-Sammelband-Neuausgabe Oktober 2019

Dieser Band enthält die beiden Romane »Der Goldschmied« und »Das Schwert des Goldschmieds« von Roland Mueller.

Copyright © der Originalausgabe von »Der Goldschmied« 1998 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Originalausgabe von »Das Schwert des Goldschmieds« 2000 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgaben 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Kompaniets Toras, Carlos Amarillo

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-95520-372-6

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Roland Mueller

Der Meister des Goldes

Die große Saga

dotbooks.

Der Goldschmied

Die Lehrzeit im Hause des Fallen

Die Kreuzritter nähern sich den Mauern von Antiochia. Im Glanz,
den ihre goldenen, grünen, roten und andersfarbigen Schilde
verbreiten, entfalten sie ihre Fahnen aus Gold und Purpur. Sie
reiten auf Kampfrossen und tragen glitzernde Schilde und Helme.
Aus der Chronik des Albert von Aachen

Faber aurifex! – Die Zunft der Goldschmiede!
Ein gottgefälliges Handwerk.
Hochgeehrt die Mitglieder dieses Standes,
wohlhabend und allenthalben sogar reich.

Ich werde älter, und ich lerne dazu.
Solon von Athen

Gott will es!
Schlachtruf der Kreuzritter

Sultan Malikschah, Herrscher aller Seldschuken, Kalif von Syrien und Persien, hat verübt blutig Handstreich gegen das Haus der Fatimiden. Feuer und Schwert hielten reiche Ernte in den Reihen der Alten. Niemanden verschonend in seiner Gier nach Rache und Blut, ließ er töten alle, welche vom Blut und Bande der Fatimiden. Selbst Kinder ließ hinschlachten er wie Vieh.

Die Frauen blieben am Leben für den Harem des Herrschers. Jedoch nur wenn sie jung und schön von Antlitz und Gestalt, sonst folgten sie dem Los der Alten.

Die jungen Weiber dort hält er wie Schafe. Bereit für ihn, seiner nimmermüden Fleischeslust zu dienen.

Ihm, der selbst Knaben nicht verschmäht.

Der allmächtige Herr des Himmels schütze uns Christenmenschen.

Es ist an der Zeit, den gottlosen Heiden zu strafen. Und Gott hat unser Flehen erhört. Der Sultan ist tot, aber seine Erben streiten um das Reich.

Die Türken halten das Heilige Land, und nun wollen sie auch Byzanz.

Geschrieben in der Chronik aus dem fünften Jahr der Regentschaft Heinrichs von England.

So berichtet ein unbekannter Notarius vom Beginn des Osmanisch-Maurischen Reiches. Heinrich der Löwe, Herzog zu Bayern, war der erste Christenführer, der zu einem Kreuzzug gegen die heidnischen Kalifen aufrief.

»Gott will es!«

Sein Ruf, Jerusalem von den Heiden zu befreien, wurde in der Christenwelt gehört. Der Welfe begann, Streiter aus ganz Europa um sein Banner zu scharen: Ritter von Adel, Abenteurer, Männer, deren einziger Besitz ihr edler Name war. Mönche, Huf- und Waffenschmiede, Pfeilmacher, Wachs- und Seifensieder, Spießschleifer, Wagen- und Pferdeknechte, Bader, Schild- und Lanzenträger. Sie alle kamen und mit ihnen das gleichermaßen mächtige Heer der Fahrensleute und Taschenspieler, Geschichtenerzähler, Gaukler und Possenreißer.

»Gott will es!«

Dieses erste Heer vornehmlich englischer und normannischer Christen sammelte sich in Le Puy. Sie wollten die Spitze derer sein, welche als Freiwillige in das Heilige Land aufbrachen. In den ersten milden Frühlingstagen des Jahres 1096 begann der lange Marsch. Keiner wollte zaudern, als es hieß, den Schlag gegen die so mächtig gewordenen Türken zu führen: Weder der Fürst von Otranto und seine normannischen Kriegsknechte noch der Herzog von Niederlothringen, Gottfried von Boullion, in dessen Gefolge Deutsche, Franzosen und Flamen als Mönche, Priester und auch Bischöfe seinem Banner folgten, und Robert von Flandern, dessen Tross nicht von mehr Huren begleitet wurde als andere Heeresteile, dafür aber von den schönsten. Hierin waren sich viele Zeugen jener Tage einig.

Ademar von Monteil, Bischof von Le Puy, und Raimund von Toulouse galten beide als fanatische Streiter der heiligen Sache, fromm und gleichzeitig unerbittlich in ihrem Hass gegenüber den Heiden aus dem Morgenland. Die beiden Kirchenmänner befehligten ein besonders starkes Heer gascognischer Kriegsknechte.

Ein Teil der Streiter begann die Reise in Le Puy, jener fruchtbaren Gegend um Velay. Ein weiteres Heer aus Kämpfern unter dem Befehl des eitlen Hugo von Vermandois, einer der Brüder des französischen Königs, zog unweit von Rouen Richtung Süden. Dem eitlen Rohling gelang es, eine Reihe von Feudalherren aus der Île-de-France, der Normandie, der Champagne und aus der Gegend von Anjou um sein Banner zu scharen. Selbst aus England, Dänemark und Schweden waren Ritter gekommen. Weit hinter der Gegend von Orleans stieß noch eine große Gruppe von Normannen dazu. Sie unterstanden dem Befehl von Bohemund von Tarent. Im Spätsommer vereinigten sich die Truppen, deren Reiter und Fußvolk so viel Staub aufwirbelten, dass die Späher der jeweils anderen Streitmacht sie bereits einen halben Tag vorher beobachten konnten. Einem endlos langen Lindwurm gleich, marschierte die gewaltige Streitmacht als immer länger werdende Karawane durch die dichten Wälder Frankreichs weiter in das gebirgige Arelater Land. Es vergingen Monate, bis die Spitze endlich die fruchtbare Lombardei erreichte. Zwei weitere Monate sollte es noch dauern, bis sie Rom erreichten. Dieses Heer schiffte sich über Wochen hinweg in Ostia ein, soweit der verlandete antike Hafen dies noch zuließ. Immer der lateinischen Küste folgend, umschifften Dutzende von Schiffen die südlichste Spitze Kataniens und überquerten das Adriatische Meer Richtung dalmatinische Küste. Dort gingen die heiligen Krieger an Land. Von Läusen geplagt, seekrank, voller Ekzeme, an Ruhr und Fieber krankend und in ständigen Gedanken nach der Heimat und der heimlichen Angst vor dem, was noch an Abenteuern vor ihnen liegen sollte, trieb sie doch nur ein Gedanke: »Befreit die Heilige Stadt von den Heiden!«

Und da war keiner, der an der großen Sache aller Christen zweifelte. Die Heerführer warben weitere Kämpfer an, kaum dass sie einen Fuß an der Küste des Dalmatischen Königreiches gelandet waren.

Die endlose Reise hatte auf allen Schiffen Tribut gefordert, und das nicht zu knapp: Krankheiten, Seuchen, Unfälle, der ständige Hunger und nicht zuletzt Desertion lichteten die Reihen. Zusammengeschlossen in kleinen Gruppen, durchquerte das Christenheer Griechenland, das Iconische Reich, um der Küste bis Konstantinopel zu folgen. Dort huldigten die Kreuzritter nach dem Lehnsbrauch dem byzantinischen Kaiser. Damit versprachen sie, die eroberten Gebiete unter seine Hoheit zu stellen. Die Byzantiner stellten dafür Mannschaften für den Feldzug und Verpflegung. Aber sie taten es mit unverhohlenem Widerwillen. Sie verachteten die plumpen Aufschneider aus dem Norden, in ihren Augen alles Barbaren, die nichts von jener raffinierten Lebensweise verstanden, die sie in Konstantinopel wie anderswo im Byzantinischen Reich seit der Zeit der Römer pflegten. Für die christlichen Kreuzfahrer hingegen galten die Byzantiner als Abtrünnige. Weigerten sich diese doch, den Papst in Rom anzuerkennen. Aber sie marschierten nun als ein Heer gen Antiochia.

Die Stadt war zu groß, selbst für das mächtige Heer der Kreuzfahrer. So belagerten sie die Stadt acht Monate lang. Sie verloren Hunderte von Kämpfern in den nasskalten Wintermonaten durch Krankheiten und durch Hunger. Immer wieder stellten sie sich den Türken in vielen kleinen Schlachten, bis es ihnen gelang, die Stadt, ein Jahr später, im Juni, zu stürmen.

Sieben Monate rastete nun das Heer erst einmal in Antiochia. Dann führte Robert von Flandern das Gros der Ritter in Sichtweite der Heiligen Stadt.

Als sie den Namen hörten, konnten sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie warfen sich auf die Knie und dankten Gott dafür, dass er sie das Ziel ihrer Fahrt hatte erreichen lassen.

Die Heilige Stadt, wo unser Heiland die Welt erlösen wollte.

Die Ritter rückten noch so weit vor, bis die Mauern und Türme der Stadt gut sichtbar wurden. Sie erhoben dankerfüllt ihre Hände zum Himmel und küssten demütig die Erde.

Aber die Türken verschanzten sich hinter gewaltigen Wällen und zwangen das Christenheer erneut zu einer schier endlos dauernden Belagerung. Dann aber trafen die Genueser mit ihrer Flotte in Jaffa ein. Sie brachten Lebensmittel und Material. Damit konnten die Kreuzritter Leitern und hölzerne Türme bauen. Aber es sollte noch viele Sturmangriffe dauern, bis Raimund von Toulouse die heilige Messe in der zerstörten und barbarisch geschändeten Stadt lesen konnte.

»Gott will es!«

Zehntausende sollten ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen. Über Pest und Ruhr, endlose Regenfälle, Hagelstürme, den schrecklichen Hunger und das alltägliche Sterben berichtet der Notarius eher beiläufig.

Jerusalem ward befreit durch christliche Streiter.

Dies geschah im Jahre 1099 und wird in der Chronik nicht ohne Stolz bemerkt.

»Gott will es!«

Anbei: seinen Namensvetter, den englischen König, hatte der Welfe nicht für die gerechte Sache gewinnen können. Heinrich, König von Britannien, lobte wohl den Gang der Streiter mit guten Worten. Er versprach zu beten. Stimmen jedoch behaupteten, sein Zögern hätte einen anderen Grund: Seine Frau, die schöne Eleonore von Aquitanien, könne keinen Moment ohne seine wachsame Aufmerksamkeit bleiben. Viel zu viele Männer rühmten und besangen ihre Schönheit. Und während sie dies taten, verzehrten sich ihre Gedanken in sündigen Träumen nach dem untadeligen Leib der jungen Königin. Spöttische Zungen behaupteten gar, die große Zahl englischer Ritter im Heer des Welfen seien alles Verschmähte. Abgewiesene Werber, die in den Heiligen Krieg zogen, um im Kampf zu fallen und damit ihre verzehrende Liebe zu vergessen.

Bei diesen bewegenden Ereignissen in diesem Jahr ist es nicht erwiesen, ob ein Notarius auch von den heißen Tagen im sonst so gemäßigten Britannien berichtete.

Seit vielen Wochen litt das gesamte Abendland unter der sengenden Sonne. Die Luft flimmerte über den sanften Hängen von Kilgary, genauso wie sie ohne einen Lufthauch über den verbrannten Gerstefeldern der Provence und den welken Obsthainen im Welschland stand.

Der römische Seehafen Ostia war seit Wochen ausgetrocknet. Nicht einmal in den Blütejahren des alten Roms war so etwas vorgekommen. Auch in Bristol und London konnten nur noch ganz flache Kähne anlegen. Der Handel mit anderen Provinzen war zum Erliegen gekommen. Die einst so blühenden Landschaften verdorrten. Es herrschte Hunger. Die Obrigkeit belegte den Diebstahl von Korn mit schweren Strafen. In der Lombardischen Ebene ließen die Fürsten ihr Getreide bewachen. Überall war Mehl jetzt wertvoller als Gold.

Der Brotpreis in allen englischen Grafschaften stieg ständig an. So verlangte man in London für einen Scheffel Mehl jetzt 18 Pence. Einst kostete dieselbe Menge acht Pence.

Selbst die weise Frau, die uralte Bess, konnte sich nicht an solch heiße Tage erinnern. All die sorgenvollen Frager unweit des Hauptmarktes zu London wussten von ihrer Gabe des Sehens. Aber Bess war sich ihrer eigenen Weissagungen nicht mehr so sicher. Lieber schwieg sie. Und das machte alles nur noch unsicherer.

***

Die Sonne stand noch nicht besonders hoch. Trotzdem versprach dieser Tag wieder heiß und schwül zu werden. Die Frau litt besonders unter der Hitze. Ihre Haut war sehr hell und das Haar blond, mit einem Stich ins Rote.

Eyleen Carlisle schwitzte. Der Schweiß lief ihr über die Stirn ins Gesicht und brannte in ihren Augen. Er lief in kleinen Rinnsalen an ihren Beinen herab, sammelte sich überall an in ihrer Cotte. Aber selbst jetzt wagte sie es nicht, ihre leinene Haube abzulegen. Denn es war Sitte, dass züchtige Frauen eine solche trugen. Ohne diese Kopfbedeckung aus dem Hause zu gehen, schickte sich einfach nicht. Dann konnte sie ja gleich kokett mit den Hüften wackeln, so wie es die liederlichen Frauen so gerne taten.

Vielleicht sollte ich auch gleich noch die Brüste schnüren, so dass sie hervortreten wie pralle Kürbisse, die zum Verkauf liegen?, dachte sie manchmal für sich.

Alles Torheiten, welche sie nicht mitmachen würde. Nur um einem Kerl zu gefallen! Eyleen war Witwe. Bert, ihr Mann, starb vor drei Jahren am Fieber. Fünf Kinder hatte sie ihm geboren. Zwei Knaben, Gwyn und Sid, waren noch am Leben. Die anderen drei hatten die ersten Monate nach ihrer Geburt nicht überlebt.

Eyleen war keine Unfreie mehr, so wie ihre Mutter. Bert, ihr verstorbener Mann, war arm gewesen, aber ein freier Mann, der niemandem etwas schuldig war.

Für sie und ihren Sohn Gwyn sollte heute ein wichtiger Tag sein. Vielleicht sogar der Beginn eines anderen Lebens? Zumindest wünschte Eyleen sich dies immer wieder in all ihren Gedanken. Aber wer wusste dies schon im Voraus zu sagen? Deshalb war sie jetzt am frühen Morgen unterwegs, bevor London wieder eine hitzeflirrende und stinkende Stadt wurde.

Gwyn, ihr Erstgeborener, begleitete sie. In ihn hatte sie von Anfang an all ihre Hoffnungen gesetzt. Mehr als in Sidney, genannt Sid, den Jüngeren ihrer beiden Söhne. Sid, dieser sanfte blonde Junge, dessen plötzliche Wutausbrüche unberechenbar erfolgten.

Sie hoffte sehr, London noch vor der schlimmsten Mittagshitze durchqueren zu können. Jetzt, am 26. Tag des Monats September im Jahre 1115 des Herrn, schien die Stadt nur aus Menschen zu bestehen. In den Straßen und Gassen wimmelte es von allerlei fahrendem Volk, Händlern, Krämern, Kriegsknechten und Edelleuten, Bettlern, Gauklern und Flüchtlingen, Freien und Unfreien. Dazu trieben die andauernden Fehden der Earls im südlichen Britannien allerlei gestrandetes Volk in die Stadt. Jeder versuchte, am Leben zu bleiben. Zum Sattwerden gereichte es nur wenigen Menschen.

Als sie den Viehmarkt queren wollten, wurde es noch enger. Die Menschen drängten und schoben ihre riechenden, schwitzenden Leiber zwischen kargen Ständen und magerem Vieh vorbei. Immer begleitet von bösen Verwünschungen und wilden Flüchen, handelten hier die Menschen mit den wenigen Rindern und Ziegen, Schafen und Schweinen, die bei der langen Hitze noch nicht verendet waren. Der Magistrat der Stadt hatte Lästern und Fluchen bei Strafe verboten. Wer ertappt wurde, dem brachte der Henker bei, dass man keine Flüche wider Gott und die Obrigkeit schrie: Dem Schreier wurde öffentlich die Zunge herausgeschnitten! Doch schien hier niemand diese Tortur zu fürchten. Die Menge sich bewegender Menschenleiber gab einem Fluchenden Schutz.

Gwyn hatte von Pater Well nicht nur Lesen und Schreiben gelernt. Der Mönch von den Frommen Brüdern hatte seinem stets wissbegierigen Schüler von der Kraft des höflichen Wortes erzählt.

So haftete seinem Auftreten eine ganz besondere Würde an, wie man sie sonst bei einem so jungen Burschen aus einfachen Kreisen nicht vermutet hätte. Mehr noch: So, als wüssten die Menschen, wer da des Weges kam, wichen sie zur Seite. Rempelte doch einmal jemand unsanft, beeilte er sich, eine Entschuldigung zu murmeln. Eyleen war ein wenig stolz, wenn sie dies beobachtete. Aber das war sie immer in Gegenwart ihres Ältesten.

»Mutter! Glaubt Ihr … er wird mich aufnehmen«?, fragte er sie, und er zögerte einen Moment bei seiner Frage.

Eyleen schnaubte durch die Nase, ganz so, als ob ihr Staub hineingeraten wäre. Sie wollte jetzt nicht darüber sprechen. Aber nachdenken musste sie über die Frage ihres Sohnes wohl. War ihr Ansinnen nicht zu vermessen? Sie waren nichts. Keiner aus der Familie der Carlisles wie auch aus ihrer Sippe war je mehr als ein Tagelöhner gewesen.

Und Gwyn sollte eine Lehre als Goldschmied beginnen!

Nachdem sie beide die schmale Themsebrücke hinter sich gelassen hatten, waren sie am Ziel.

Ein hohes Haus mit einem spitzen Dach. Vor langer Zeit musste es ein stattliches Gebäude gewesen sein. Jetzt begann es bereits zu verfallen. Das Dach war schief und schadhaft.

Hier lebte Peter Fallen. Einst war er ein bekannter und geehrter Gold- und Zirkelschmied gewesen, Großmeister im Rat der Stadtzünfte wie auch Mitglied in der Ehrwürdigen Bruderschaft der Hall-Marks zu Londinium. Aber das war lange her. Ein Unheil hatte aus dem wohlhabenden und geachteten Mann ein zerstörtes Menschenkind gemacht. Ein Unheil, von dem niemand in der Gegend mit lauter Stimme sprach.

So hatte es zumindest die alte Bess erzählt. Sie, die alles wusste, was in dieser Stadt geschah. Trotzdem hatte sie Eyleen gedrängt, ihren Sohn zu dem alten Meister in die Lehre zu schicken. Ein anderes Haus würde ihn nicht aufnehmen und ausbilden. War der Junge doch von niedrigem Stand.

Faber aurifex! Die Vereinigung der Goldschmiede!

Ein gottgefälliges Handwerk.

Hoch geehrt die Mitglieder dieses Standes, wohlhabend und allenthalben sogar reich.

Eyleen hatte nie mehr in ihrem Leben besessen als das, was sie am Leibe trug. Sie stammte aus dem Armenhaus, heiratete den einfachen Köhler Bert Carlisle. Immer aber hatte sie geglaubt, wenn ihre Armut auch schwer war, sei dieses Los doch gottgefällig, so wie es der Bischof von London in der großen Predigt gesagt hatte. Zumal dies besser war als das sklavenähnliche Leben, das sie mit ihrer alten Mutter einst geführt hatte. Ein armseliges Leben, das Los der Unfreien. Mit Bert war sie zufrieden gewesen. Er war ein stiller Mann, nicht hässlich, und er hatte noch all seine Zähne. Er war fleißig, nahm jede Arbeit an, um sie und die beiden Knaben zu nähren. Bis er am Fieber starb. Hätte der fromme Mann sich der beiden Jungen nicht angenommen, wären sie sicher wie ihre Geschwister verhungert.

Jetzt stand sie hier. Sie zupfte noch einmal ihr Kleid zurecht und versteckte ein paar Haare unter der Haube.

»Heilige Mutter unseres Herrn, wie sehr ich schwitz’«, stöhnte sie leise.

Gwyn sah sie an und lächelte. Sie lächelte zurück und streichelte dem Jungen übers Haar. Immer schon hatte sie eine ganz besonders innige Beziehung zum Ältesten ihrer Kinder gehabt. Sie klopfte.

Eine ganze Weile geschah nichts. Dann war ein Geräusch hinter der Türe zu hören. Es klang wie langsame, schlurfende Schritte. Das Geräusch verstummte plötzlich, und es blieb still. So, als ob jemand hinter der Türe wartete, lauschend, ob der Besucher es noch einmal probieren und anklopfen würde. Aber mit einem Mal öffnete sich die Türe langsam.

Modrige, ungewöhnlich kühle Luft wehte ihnen entgegen. Gwyn wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Gestützt auf eine Holzkrücke, stand dort ein alter Mann. Ein dichter Bart versteckte den größten Teil seines Gesichtes. Die Kleidung war ärmlich und verschlissen. Der Mann wirkte müde und seine Erscheinung nachlässig.

»Gott der Herr schütze Euch, Faber«, murmelte Eyleen höflich.

Der Mann blickte die Frau und den Jungen an, so, als gelte der Gruß nicht ihm. Eyleen wusste nicht, ob er sie verstanden hatte. Konnte dies der einst so gerühmte Goldschmied Peter Fallen sein, so wie ihn die alte Bess beschrieben hatte? Dieser Mann sah eher aus wie einer der Bettler, die des Nachts unterhalb der Stadtmauern schliefen und an deren Leben oder Sterben niemand Anteil nahm.

»Ihr seid doch Peter Fallen, der Meister der Zunft?«, fragte sie vorsichtig.

Wieder betrachtete sie der Mann wortlos. Dann antwortete er plötzlich mit leiser Stimme. Es klang, als hätte er schon lange Zeit nicht mehr gesprochen. »Ja, der bin ich wohl. Oder sagt besser, was ein Leben von mir übrig ließ.« Der Mann hatte sich müde auf den Stock gestützt. Sein Blick verriet Misstrauen. »Was wollt Ihr von mir, Frau?«

»Bruder Humbert schickt mich …«

Jetzt schien er sich zu erinnern. Langsam humpelte er zurück in den engen feuchten Gang des Hauses. Eyleen und ihr Sohn folgten ihm. Gwyn bemerkte, wie trotz der Hitze die bloßen Wände schwitzten. Wie winzige Perlen hingen die feinen Wassertropfen an den Ziegelrändern, überall dort, wo sie der schützende Kalk nicht mehr bedeckte. Am Ende des Ganges öffnete Fallen eine Tür. Es war der Eingang zu einer kleinen Kammer. Darin stand ein rechteckiger Holzkasten an der Wand, kniehoch gefüllt mit Stroh: das Bett. Daneben ein niedriger Schemel. Unter einem kleinen Fenster stand ein schwerer Tisch. Darauf lagen ein feiner Hammer, ein paar Stichel und ein winziger Amboss, Werkzeuge, wie sie ein Goldschmied benutzt. Die Luft im Raum war warm. Aber hier war es nicht so schwül wie draußen auf der Straße.

Der Mann humpelte auf das Bett zu und ließ sich dort nieder. Er blickte seine beiden Besucher lange an, bevor er sprach. »Ihr kommt wegen des Platzes, nicht wahr, Frau?«

Eyleen nickte.

Der Mann schien einen Moment zu überlegen, so als suche er nach Worten. »Frau, ich kann deinen Sohn nicht als Lehrling nehmen.«

»Aber Ihr … Ihr habt’s versprochen … so sagte es der Bruder.«

»Das war dumm von mir. Sieh dich um, ich habe selbst nichts.« Seine Hand beschrieb eine Kreisbewegung durch den ärmlichen Raum, während seine Stimme lauter wurde. »Das Haus ist voller Wasser. Trotz der Hitze steigt es noch immer aus der Erde. Es dringt durch alle Mauern. Riecht Ihr, wie es stinkt? Aber ich will nicht nur klagen. Seit langer Zeit ist dies der erste Sommer, in dem meine Knochen wieder trocken werden. Krank bin ich, Frau! Zu lange hab ich kein Wissen mehr vergeben. Viel zu lange. Wer sagt mir, dass er begabt ist, he?«

Bei dieser Frage neigte er den Kopf ein wenig in Gwyns Richtung. Für einen Moment sah der Alte aus wie ein Raubvogel, der seine Beute noch einmal beäugt, bevor er sie kröpft.

»Er ist begabt, Faber, er …«

Der Alte begann zu lachen. »Wer sagt das? Du, Frau? Der Goldschmied ist ein Künstler. Nur wenigen Menschen ist es vergönnt, das Wissen und die Kunst weiterzutragen. Zudem kostet’s Geld. Viel Geld für dich, Frau. So meine ich.«

»Ich werde das Lehrgeld wohl aufbringen. Wenn Ihr nichts Unmögliches verlangt.« Ihre Stimme klang fest, als sie antwortete.

Der Alte lachte nicht mehr. »Zwölf und einen halben Pence. Einmal zum Ende des Sommers und einmal zum Ende des Winters. Im ersten Jahr, wohlgemerkt! Dann 20 Pence. Im vierten Jahr jeweils zwei ganze Schillinge. So verlangt’s der Brauch«, antwortete der alte Mann.

»… werd’s bezahlen«, flüsterte Eyleen.

»Das ist viel Geld für dich. Kannst du eine Anzahlung aufbringen?«

Die Frau nickte. Aus der Falte ihres Schurzes holte sie ein Stück Tuch. Als sie es aufgewickelt hatte, lag da ein kleines, goldenes Kreuz. Ein Stück Schmuck, wie es Frauen gerne an einer Kette um den Hals tragen. Es war ihr teuerster und gleichzeitig einziger Besitz von wirklichem Wert. Bert hatte es ihr vor vielen Jahren geschenkt. Dies hielt sie Fallen hin. Der betrachtete das Schmuckstück erst ungläubig, dann lachte er laut.

»Weib!«, rief er spöttisch. »Davon kann ich kein Gran Gold oder Silber, kein’ Blutstein kaufen! Nehmt den Tand und geht jetzt!« Fallen ließ sich langsam in sein Bett zurücksinken und schloss die Augen. Das Gespräch hatte ihn ermüdet.

Eyleen stand unbeweglich. Sie war unfähig, sich zu rühren, etwas zu sagen. Sie glaubte sich schon am Ziel ihrer Träume, als der Mönch schon vor Tagen mit Fallen gesprochen hatte. Der Alte hatte ihr fest versprochen, den Jungen zu nehmen. Zumindest willigte er ein, ihn zu prüfen, ob er das Zeug zu einem Goldschmied habe. Und jetzt sollte er es sich anders überlegt haben? Sie wusste nichts mehr zu sagen.

»Herr, ich will das Handwerk lernen.«

Fallen öffnete die Augen.

Etwas in der Stimme dieses Jungen ließ ihn aufhorchen. Da war etwas, das er lange vermisst hatte, aber von dem er wusste, dass er es mochte. Wohl, weil es ihn an eine Zeit erinnerte, als er diesem Haus vorstand, er, der Meister Peter Fallen. Ein Handwerker und Künstler voll Zuversicht und Stolz. Eine Zeit, in der er glücklich gewesen war. Eine Weile betrachtete er prüfend den Jungen. Gwyn war groß gewachsen, von schlanker Statur. Das Haar fiel in braunen Locken bis auf die Schultern herab. Das Gesicht war mager. Ein wenig die Spuren des Hungers. Aber Peter Fallen sah auch ein selbstbewusstes, stolzes Auftreten. Für einen Moment glaubte er, sich selbst in jungen Jahren zu sehen.

»Wie heißt du, Junge?«

»Gwyn, Herr. Gwyn Carlisle. Sohn des Bert Carlisle.«

»Wie alt bist du?«

»13, Herr. Bald schon 14.«

»Warum willst’ ein Goldschmied werden?«

»Ich sah den Tafelbecher des Lords der Stadt, und …«

»Du sahst den Becher?«, fragte Fallen ungläubig.

»Ja, Herr! Bei der Messe zu Ehren des heiligen Elegius. Viele Faber aus London, York und Exeter waren da. Sie zeigten wundervolle Stücke ihrer Kunst …«

Fallen hatte von diesen Meisterwerken gehört. Geschenke der Vereinigung der Faber von London an den Ersten der Stadt. Sein verkrüppeltes Bein hatte ihn gehindert, selbst die Glanzstücke der Schmiedekunst in Augenschein zu nehmen.

Während Gwyn mit Begeisterung von der feierlichen Zeremonie erzählte, erinnerte sich Fallen. Einst hatte er viele Lehrlinge ausgebildet. Sicher waren bei der Messe zu Ehren des Schutzheiligen der Goldschmiede etliche seiner ehemaligen Schüler dabei gewesen. Ja, es waren einmal große Zeiten für ihn und sein Haus gewesen. Aber dies war längst vorbei. Er wollte nicht darüber nachdenken, denn sonst würde er sich wieder an die schrecklichsten Momente seines Lebens erinnern. Nein, er wollte nicht daran denken, welch unendliches Leid ihm damals alles genommen hatte. Seit dem Unglück mieden sie ihn alle wie einen Aussätzigen. Nur aus der Vereinigung der Faber hatten sie ihn nicht entlassen. Noch immer war er berechtigt, Lehrlinge aufzunehmen und ihnen das große und edle Handwerk beizubringen.

Gwyn hatte mit seiner Erklärung längst geendet, und wie seine Mutter blickte er noch immer stumm auf den alten Meister.

»Kannst du lesen, schreiben? Verstehst du etwas von Mathematik?«

»Ja, Herr! Ich kann Britisch und Latein lesen und auch schreiben. Dies und Mathematik lehrte mich Bruder Humbert von den Brüdern des heiligen Dominikus.«

Fallen schloss wieder für einen Moment die Augen. Noch einmal einen Lehrling haben! Würde ihm überhaupt noch die Zeit bleiben, den Jungen all das zu lehren, was er selbst wusste? Man hatte ihn bis zum heutigen Tag geächtet, aber nicht ausgeschlossen. Von der Zunft hatte er nichts zu fürchten.

Aber würde er ihn noch arbeiten und lehren lassen?

War dies gar die letzte Möglichkeit, sein so armseliges Leben noch einmal ein wenig zu ändern?

Er blickte Gwyn und Eyleen an. Seine Stimme war jetzt nicht mehr unfreundlich. »Ich muss dich prüfen, Junge. Wenn du etwas taugst, lehre ich dich das Handwerk.«

Er wandte sich an Eyleen. »Dies versprech ich dir, Frau.«

Sie nickte freudig und umarmte ihren Sohn. Die Worte, die Fallen gebraucht hatte, waren so bindend wie ein geschriebenes Pergament.

Kein Notarius berichtete in einer verbrieften Chronik über das Ende der großen, sengenden Sommerhitze in jener Nacht. Ein schweres Unwetter zog herauf, ein Sturm, von der Atlantischen See kommend. Er fegte über die große Insel hinweg, und nichts hielt den Wind in seiner Kraft auf.

In London stürmte und regnete es ohne Unterlass. Bis zum nächsten Morgen.

***

Mehr als ein Jahr lernte Gwyn unter der Obhut von Peter Fallen. Anfangs war der alte Meister mürrisch und wortkarg geblieben. Nach und nach jedoch verschwand die Verbitterung immer mehr. Der alte Goldschmiedemeister war Kenner genug, um bald fest- zustellen, welch eine unglaubliche Begabung dieser Gwyn Carlisle war. Der Junge schien wie geschaffen für dieses Handwerk. Er war wissbegierig, klug und besaß jene natürliche Eigenschaft, neu Erfahrenes sofort auszuprobieren oder gar Neues zu schaffen. Mit unglaublichem Geschick setzte er die Anweisungen seines Meisters in die Tat um. Dabei unterlief ihm kaum ein Fehler. Die Finger des Jungen schienen so schnell und geschickt zu sein, wie Fallen es nie zuvor bei einem Lehrling gesehen hatte. Es war ihm wohl bewusst, welch ein außergewöhnliches Talent er ausbildete. Er beschloss, Gwyn Carlisle zu formen, als sei der ein kostbarer Stein.

Gwyn war der alte Mann anfangs kalt und barsch, ohne ein Gefühl erschienen. Schnell bemerkte er das große Herz, das unter einem unbekannten Leid verborgen war.

Er entwickelte im Laufe der Wochen immer mehr Zuneigung zu dem alten Faber. Er spürte, wie sein Leben nun mit einer Aufgabe betraut wurde, die ihm wie vorbestimmt erschien.

Eyleen hatte die erste Zeit mit ein wenig Unbehagen beobachtet. Wenn Gwyn sie besuchte und dann aufgeregt, mit glühenden Wangen, von seiner Arbeit berichtete, war sie wohl stolz auf ihn. Gleichzeitig hoffte sie inständig, dass sich ihr heimlicher Wunsch erfüllen würde: Gwyn sollte einmal Goldschmied in der Zunft der ehrwürdigen Faber aurifex zu London werden. Würde ihm dies gelingen, sie müsste ihr Leben nicht im Armenhaus oder gar auf der Straße beenden. Für diese Aussicht würde sie jedes Opfer bringen.

Zum vereinbarten Zeitpunkt machte sie sich auf, Peter Fallen die erste Rate des ausgemachten Lehrgeldes zu bringen. Sie war erstaunt, schien das Haus des Fallen, wie auch er selbst, wie verwandelt. Aus dem vergrämten, verwahrlosten Greis war ein würdevoller Mann geworden, der einfach, aber sauber gekleidet war. Nach wie vor war das Haus groß und leer. Aber es erschien ihr nicht mehr so kalt und unfreundlich.

Das Lehrgeld lehnte der alte Meister ab. Er erklärte ihr, dass er auch in Zukunft nichts von ihr annehmen würde. Gwyn sei weiter in seiner Ausbildung als jemals ein Faberlehrling zuvor.

»Die Menschen aus der Nachbarschaft kommen und lassen einfachen Schmuck ändern oder gar neu fertigen. Einen Ring, eine Spange. Nicht viel, aber es genügt zum Leben. Sogar zwei Leuchter für den Altar des Adam Bethel werd ich fertigen. Dein Sohn hat mich mit dem Leben und meinem Handwerk versöhnt. Ihr schuldet mir nichts, Frau Carlisle.«

Bei diesen Worten weinte er plötzlich still und sah dabei aus seinem kleinen Fenster hinaus über den Fluss. Es war ein Weinen ohne Trauer. Eyleen war wieder ein wenig stolz und gleichzeitig verwirrt.

Bald war der Ruf des Peter Fallen und seines Wunderlehrlings überall in London zu hören.

***

Gwyn lernte alles, was ein Goldschmied seiner Zeit wissen musste, denn Fallen besaß einen schier unerschöpflichen Fundus von Entwürfen und Ideen, Formeln und uralten Tabellen. Der Junge konnte über die kunstvollen Pergamente nur staunen, die der Alte unter seinem Bett oder in alten Truhen verwahrt hatte. Skizzen und Zeichnungen von Schmuck und Kirchengefäßen, kunstvollen Schreinen und Skulpturen.

Fallen lehrte ihn die verfeinerte Anwendung der Glasstaubausschmelzung und wie man Gold von anderen Metallen trennt. Er lehrte ihn, welch feines Material das reine Silber ist und wie man es raffiniert bearbeitet. Stundenlang studierten sie beide die berühmten Skizzen des Villard de Honnecourt und diskutierten seine Linien und Entwürfe. Gwyn erfuhr, wie der Bernstein poliert wird, bis er in jenem begehrenswerten warm-gelben Ton schimmert, der an Honig erinnert, wie der Faber Korallen schneidet, bis man die dünnen, feinen Stücke zum Schmücken von Schreinen und edlen Schatullen nutzen kann, wie er Elfenbein so schnitzen kann, bis es mit Zierat über und über bedeckt ist.

In all diesen Erkenntnissen war Gwyn ruhelos. Wie ein Schwamm sog er alles Neue auf, um es bald wieder anzuwenden. Er ruhte dabei nicht eher, bis er selbst gute Arbeiten vorzeigen konnte. Und all dies fiel ihm leicht und gelang ihm immer besser.

Fallen aber konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch talentierten Menschen erlebt zu haben.

Zweimal in der Woche verschwand Fallen für einen ganzen Tag lang. Eingehüllt in einen weiten Mantel, hängte er sich ein fest verschnürtes Bündel um und verschwand, meist gegen die Mittagszeit. Niemals verriet er Gwyn, wohin er ging. Und der Junge wagte es nicht, zu fragen. An solchen Tagen sprach der alte Meister wenig. Er trug ihm schon am Tag zuvor Arbeiten auf, die er bis zum Abend ausführen sollte.

Erst wenn die Sonne längst untergegangen war, kehrte der alte Mann zurück. Dann war er müde und verlangte zu trinken, bevor er in seiner Kammer verschwand und schnell einschlief. Nur selten wollte er noch ein wenig zu essen.

So geschah es auch an diesem Tag.

Am frühen Morgen hatte der Meister einige Aufgaben erwähnt, die Gwyn ohne sein Beisein alleine bewältigen sollte. Da wusste der Junge, dass er den heutigen Tag wieder alleine verbringen würde.

Kurz nach dem leichten Mittagsmahl verschwand der Meister wie gewohnt. Gwyn sah ihm lange vom Fenster der Werkstatt nach. Die enge Gasse, bis zur Brücke, konnte er ihn sehen. Wie er so ging, müde und mit langsam schlurfenden Schritten, den Körper auf seine Krücke gestützt. Gwyn beobachtete, wie der alte Mann in der Menschenmenge verschwand, die tagaus, tagein über die Brücke strömte. Er war sich sicher, dass der Mann in einer der winzigen Seitengassen verschwand. Aber wohin ging der alte Goldschmied? Außer Eldrige, dem Schankwirt, kannte er niemanden näher. Traf er eine der liederlichen Frauen, die für einen Pence den Rock hoben und sich von ihren Kunden an der Scham oder den Brüsten berühren und für drei Pence auch besteigen ließen? Gwyn verwarf diesen Gedanken jedes Mal erneut. Sein Meister, der das wenige verdiente Geld in Werkzeug und Material anlegte, und ein Frauenzimmer?! Der Gedanke schien zu seltsam. Aber wohin sonst verschwand er mit solcher Regelmäßigkeit?

Dieses eine Mal beschloss Gwyn, seine Neugier nicht mehr länger zu zügeln. Es war weit mehr als eine Stunde vergangen, seit der Meister an diesem frühen Nachmittag fortgegangen war. Gwyn hielt es nicht mehr länger zurück. Zum ersten Mal ließ er absichtlich seine Arbeit liegen. Er band sich den feinen Schurz ab und legte ihn behutsam immer in einer Richtung zusammen. So fiel der feine Metallstaub aus Silber nicht auf den Boden, sondern blieb auf dem glatten, zarten Leder liegen.

Gwyn würde seine Arbeit rechtzeitig zu Ende bringen, flink und geübt, wie er mittlerweile war. Fast 15 Monate stand er bereits im Dienste des Fabers. Vom ersten Tag an hatte es ihm das riesige, alte Haus angetan, das ihn in manch einer Nacht lange nicht einschlafen ließ. Besonders dann, wenn es anfing zu erzählen, mit seinen zahllosen, seltsamen Geräuschen.

Durch die gute Auftragslage hatte Fallen etwas Geld gespart. Auf seinen Wunsch hin hatte ein Maurer mit zwei Gehilfen einen weiteren Raum neu verputzt. Argwöhnisch beobachtete Fallen die Arbeiten die ganze Zeit über. Dabei achtete er streng darauf, dass der übrige Teil des Hauses von niemandem betreten wurde.

Das Haus war groß und besaß noch ein ganzes Stockwerk. Darüber lag ein Dachboden. In früheren Jahren mussten hier wenigstens ein Dutzend Menschen gewohnt haben. Vielleicht Fallens Familie und das Gesinde? Gwyn hatte den Meister einmal gefragt, warum er weitere Räume nicht für ein paar Pence vermieten wolle. Wäre dies doch ein gutes Zubrot gewesen. Aber Fallen hatte ihm nur einsilbig geantwortet und schließlich weitere Fragen verboten. Der Junge verstand, dass der Mann darüber nicht sprechen wollte.

Gwyn zündete ein Wachslicht an und stieg eine steile Treppe in das erste Stockwerk hinauf. Dort fanden sich eine Reihe enger Räume. Alle standen seit langem leer. Durch die stete Feuchtigkeit begannen die Böden, wie auch die Wände, bereits langsam zu zerfallen. Das ganze Haus sog das Wasser der nahen Themse auf. Es roch stark nach feuchtem Kalk. Ganz langsam schlich Gwyn durch einen langen, schmalen Gang. Raum für Raum leuchtete er mit seinem Licht zaghaft aus. Die wenigen kleinen Fensteröffnungen waren allesamt einmal vor langer Zeit zugemauert worden.

Er konnte jedoch nichts von Besonderheit entdecken. Nur einmal schien sich ein Haufen alter Lumpen auf dem Boden zu bewegen. Eine kleine Ewigkeit lang wagte der Junge keine Bewegung. Es waren jedoch nur zwei große, hagere Ratten, die sich dort soeben gepaart hatten. Er war nicht furchtsam, aber das finstere, so scheinbar stille Haus erschien ihm auf einmal besonders unheimlich. Aber die Neugier trieb ihn weiter. So untersuchte er behutsam Kammer für Kammer.

Dann hörte er es deutlich, jenes seltsame Geräusch über seinem Kopf. Es kam aus der Dachkammer. Die Decke bebte ganz leicht. So, als ob sich dort irgendjemand ganz langsam bewegte. Gwyn lauschte mit angehaltenem Atem. Sein Herz pochte so laut, dass er meinte, man müsste es im ganzen Haus hören. Kein Zweifel! Er war in diesem Haus ganz allein, und doch bewegte sich etwas dort oben. Auf einmal erinnerte er sich einen Augenblick lang daran, wie er ähnlich ängstlich gewesen war, als er als Kind mit anderen Kindern ins nahe Beinhaus geschlichen war … Das Windlicht würde ihn bestimmt verraten. Trotzdem wagte er nicht, es zu löschen, aus Angst vor der Dunkelheit. Mit einer Hand schirmte er es ab. Jetzt wirkte sein Schatten an der nackten Wand noch bedrohlicher.

Gwyn fürchtete sich.

Am Ende des langen, hohen Ganges führte eine weitere Stiege auf den Speicher. Wie unter einem Zwang schlich er langsam die Stufen hinauf. Die alten Bohlen knarrten bei jedem Schritt. Stufe für Stufe folgte er, an seiner rechten Schulter die Mauer, denn die Stiege hatte kein Geländer, dem Weg bis unter die Decke. Er erreichte eine Dachluke. Noch immer traute er sich nicht, das Licht zu löschen. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Aber es war kein Laut mehr zu hören. Trotzdem war er sich sicher, keiner Einbildung aufgesessen zu sein. Ganz deutlich hatte er Geräusche gehört.

Nun war es auf einmal still. Gerade so, als ob diese alten Mauern ihn beobachteten, wie weit er in seiner Neugier noch gehen würde.

»Sicher ist das Haus voll Ratten und Mäusen«, murmelte Gwyn ganz leise, nur für sich.

Er beschloss, sich hier oben umzusehen. Dann, so versprach er insgeheim, würde er nie wieder in Fallens Haus herumstöbern.

Langsam stemmte er den Lukendeckel auf. Dies geschah ohne das geringste Geräusch. Erneut hielt er einen Moment still und lauschte.

Er wunderte sich ein wenig.

In diesem uralten Haus, in dem jeder Hauch ein Geräusch machte, traf er auf diese schwere Bodenluke, die sich ohne den geringsten Laut bewegen ließ! Er spürte, wie es ihn fröstelte, und es kam sicher nicht von der modrigen Kühle ringsumher. Gwyn stieß die Bodenluke ganz auf und kletterte hinauf. Im Schein seines kleinen Lichtes tanzte der Staub, und es kostete ihn Mühe, ein Niesen zu unterdrücken.

Der Dachboden war groß und völlig leer. Der Dachstuhl wölbte sich mehr als vier Manneslängen über ihm. Winzige Läden, verkleidet mit einem Geflecht aus dünnen Holzstreifen, tauchten den gesamten Raum in ein fahles Licht, in dem sich dunkle Gestalten zu bewegen schienen, groß und schnell bei jeder Bewegung. Aber es war nur Gwyns eigener Schatten, der sich grotesk verzerrt die Wände entlangbewegte. So wagte er es erst nach einer Weile, in den Raum zu treten. Das Dach ruhte auf mächtigen Eichenpfetten. Wie die meisten großen Häuser in London war auch das Haus des Fallen mit einer festen Lage Schilf gedeckt. Gwyn wunderte sich über die schweren Taue, die zwischen den Balken gespannt waren. Sie führten von jedem Stützbalken durch den ganzen Raum, so dass sie ein langes eingefasstes Rechteck ergaben. Der Boden dort war mit einer hellen Sandschicht bedeckt, fingerdick und sauber gefegt.

Gwyn hatte plötzlich das Gefühl, nicht allein zu sein.

Dies war sicher nur die Furcht, ähnlich jenem Schauder bei alten Geistergeschichten, die seine Mutter ihm und Sid manchmal erzählt hatte.

Als Kind hatte er sich davor gefürchtet … sehr gefürchtet.

Aber da war er ein Kind gewesen.

Trotzdem wagte er kaum zu atmen, als er behutsam in die Mitte des Raumes schlich. Dort fand sich ein mächtiger Balken, der die Hauptlast des Dachstuhles trug. Und genau an diesem Balken lehnte ein langer schlanker Bogen, fast so lang wie ein Mann hoch. Daneben, in einem Leinensack, ein Bündel Pfeile. Erstaunt trat er näher. Bei den großen Wettkämpfen der Stadt hatte er die Bogenschützen immer besonders bewundert, deren oftmals erstaunliche Schießkunst verblüffend war. Doch die Bogen jener Schützen waren viel kleiner gewesen. Auch waren diese Waffen mit breiteren Schäften versehen. Dieser Bogen hier war aus vielen dünnen Schichten feinsten Holzes kunstvoll verleimt und dann geglättet und poliert worden. Beide Enden verliefen in einem kaum merklichen Schwung, und beide Spitzen waren nur ein wenig dicker als der Daumen eines Mannes. Die Sehne schimmerte ein wenig und war gespannt. Dies hier war eine Kriegswaffe, hervorragend gearbeitet und von kundiger Hand gepflegt.

Vorsichtig griff Gwyn nach dem Bogen und wog ihn in der Hand. Wie leicht er war! Dort, wo die Hand den Schaft festhält, war das Holz mit feinem, hellem Leder umwickelt. Sonst konnte er keinen weiteren Zierat entdecken.

Er stellte sich in Positur, so wie er es bei den Schützen gesehen hatte, und spannte die Waffe. Er musste ordentlich Kraft aufwenden, um die Sehne auch nur einen Zoll weit zu bewegen. Einen Moment lang konnte er sie halten. Dann ließ er los.

Ein singender Ton ertönte, der immer leiser wurde, bis er kaum noch zu hören war. Hart hatte die Bogensehne an seinem Handgelenk angeschlagen. Jetzt war ihm auch die Wirkung der ledernen Armmanschetten klar, welche die Schützen sich vor dem Schuss schnürten.

Gwyn bekam nachträglich einen gehörigen Respekt vor der Kraft und der Geschicklichkeit der Bogenschützen, die er so oft bewundert hatte. Er wollte den Bogen zurücklegen, als er den leisen Hauch hinter seinem Rücken verspürte.

Jemand war hinter ihm …

»Es ist ein sächsischer Langbogen!«

Erschrocken fuhr Gwyn herum. Nur wenige Schritte hinter ihm stand Peter Fallen.

Wie war es dem alten Mann gelungen, sich unbemerkt, ohne das geringste Geräusch, heranzuschleichen? Gwyn sah, wie sein Lehrherr näher kam. In dem dämmrigen Licht schien der alte Mann zu schweben. Erst jetzt erkannte der Lehrling den Zweck der Taue, die kreuz und quer verspannt waren: Der alte Mann hielt sich daran fest und hangelte sich erstaunlich schnell durch den Raum. Nur jeweils für einen Moment ertönte ein leises kurzes Geräusch, wenn die Fußspitze eines seiner wehen Beine für einen Moment den Boden berührte.

Noch immer stand Gwyn wie erstarrt, den mächtigen Bogen in der Hand. Der alte Mann hielt vor ihm, sich nur mit der einen Hand auf ein Bein stützend. Sein Haar und der Bart waren voller Spinnweben. Fallen griff nach dem Bogen und nahm ihn behutsam aus Gwyns Hand.

»Es ist ein sächsischer Langbogen!«, wiederholte der Faber mit ruhiger, sanfter Stimme.

Gwyn antwortete nicht, und der Mann sprach weiter.

»Eine schöne Waffe und eine gute dazu. Aber nur in der Hand eines geübten Schützen. Auf die Entfernung von wenigstens zehn Schritt durchschlägt solch ein Pfeil noch ein Kettenhemd. Wenig Menschen in Britannien können damit umgehen.«

Gwyn antwortete nicht. Der alte Meister machte keinerlei Anstalten, ihn zu tadeln. Dafür, dass er seine Arbeit im Stich gelassen hatte und neugierig durch das Haus geschlichen war. Gwyn erschien alles etwas unwirklich. Hier stand er zusammen mit seinem Lehrherrn, den er nur schwach und kränkelnd kannte. Stattdessen ergriff Fallen seine Krücke, die er an einer Schnur auf dem Rücken trug, und stützte sich darauf. Dann nahm er einen Pfeil aus dem leinenen Sack und wog ihn prüfend in der Hand. Er legte den Schaft an die Sehne und zog scheinbar mühelos, bis die dünne Schnur an seine Nase stieß. So hielt er einen Moment lang inne und zielte in die Dämmerung vor sich in den Raum. Der Lehrling betrachtete all dies mit leisem Erstaunen.

Sein Lehrherr, ein Krüppel, stand nun vor ihm, voll Würde und geheimer Kraft. Mit kaum wahrnehmbarer Handbewegung ließ Fallen los und schoss den Pfeil ab. Genauso folgten zwei weitere Pfeile. Auch sie verschwanden mit leisem Surren in dem großen, dunklen Raum.

Nach dem letzten Schuss drehte sich der Alte um und sah Gwyn ins Gesicht. Er schien belustigt über den erstaunten Blick des Jungen. »Ein guter Bogenschütze zwingt den Pfeil zum Ziel. Zu jeder Zeit, an jedem Ort.«

Gwyn wagte nicht, zu antworten. Sein Hals war wie zugeschnürt.

»Komm her, Söhnchen!« Fallen winkte ihn zu sich. »Geh und hole mir die Pfeile wieder. Aber sei behutsam. Stecken dort in einem Balken. Verbieg mir nicht die Spitzen. Achte darauf, wie sie im Ziele stecken.«

Gwyn nickte und wandte sich um.

»Das Licht, Gwyn! Nimm dir ein Licht. Es sind mehr als zehn Schritte dorthin.« Der alte Meister lachte leise. Aber es klang gar nicht spöttisch, eher voll geheimer Freude.

Gwyn nahm die Kerze und folgte der angegebenen Richtung. Schritt für Schritt leuchtete er, immer gewahr, die Brandmauer, und damit das Ende des Dachbodens, zu erreichen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er die gegenüberliegende Wand erreichte. Dort stand der letzte Stützbalken, auf dessen Ende die Pfette ruhte, die dem Dach Halt und Ansatz zu weiterer Form gab. Gwyn leuchtete umher. Die Pfeile konnte er nirgends entdecken.

»Sieh dorthin, wo deine Augen noch leicht schauen!«

In Augenhöhe, untereinander, exakt in einer Linie ausgerichtet, steckten die drei Pfeile in dem Balken. Der Abstand zwischen jedem Pfeil betrug genau die Breite seiner Hand.

Bei diesem Anblick fröstelte es Gwyn plötzlich erneut, und er zitterte. Und es wollte nicht aufhören, während er auf die Pfeile starrte.

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