Über das Buch:
Die Amisch-Trilogie: Das Schicksal der Katie Lapp, die ihren Weg finden muss, hin- und hergeworfen zwischen liebgewordenen Traditionen in einer Amisch-Gemeinschaft und der unbarmherzigen Wirklichkeit.

Band 1
In der beschaulichen Amisch-Gemeinschaft von Hickory-Hollow in Pennsylvania scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Auch für die junge Katie Lapp. Nach alter Tradition soll sie zu ihrer Hochzeit mit dem verwitweten Bischof ihrer Gemeinschaft das schlichte Feierkleid ihrer Mutter tragen. Doch sie findet noch mehr auf dem Dachboden ihres Vaterhauses – ein Säuglingskleid aus kostbarem Satin. Dass ein Amisch-Kind es getragen haben könnte, ist ausgeschlossen, doch wer war das geheimnisvolle Baby, das dieses Schmuckstück trug?

Am Abend vor ihrem großen Tag erfährt sie die Identität des Kindes und ihr bisheriges Leben zerfällt in seine Einzelteile ...

Über die Autorin:
Beverly Lewis wurde im Herzen des Amisch-Landes in Lancaster, Pennsylvania, geboren . Sie hat 3 erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann Dave in Colorado/USA. Ihr Wissen über die Amischen hat sie von ihrer Großmutter, die in einer Mennoniten-Gemeinde alter Ordnung aufwuchs.

7

Das Abendessen wurde in Johannes Beilers Haus pünktlich um siebzehn Uhr dreißig serviert. Der Bischof hielt einen strengen Zeitplan ein, und sein Haushalt funktionierte auf diese Weise recht gut.

Der Tisch war für elf Leute gedeckt. Nancy und ihre sechsjährige Schwester Susie trugen auf und stellten alles in die Nähe ihres Vaters.

Als Katie ihre Hilfe anbot, sprang Jakob von der Bank und hielt sie zurück. „Heute Abend ist das noch unsere Aufgabe“, sagte er. Damit wusste sie, dass die Kinder – ohne die gewohnte Hilfe der zwei hilfsbereiten Tanten – das Hühnchen und das selbst gebackene Brot, die Marmelade, die Makkaroni, die grünen Bohnen, den Mais und die Mixed-pickles, die Apfelsoße und das Bananennussbrot selbst zubereitet hatten.

„Habt ihr bei Noahs Verkauf heute irgendetwas Brauchbares gefunden?“, fragte Johannes Samuel nach dem schweigenden Gebet.

„Oh, nicht viel. Nichts, das wir brauchen konnten.“

„Wir sahen zwei schöne Schaukelstühle aus Nussbaumholz“, mischte sich Hickory-Johannes ein. „Aber wir sagten, dass wir sie noch nicht gebrauchen könnten.“ Er warf Katie durch die langen Wimpern, die seine klaren blauen Augen umrahmten, einen Blick von der Seite zu.

Katie fragte sich, ob er mit diesen Worten auf künftige kleine Geschwister anspielte, und merkte, wie ihre Wangen warm wurden. Er meinte wohl die Schaukelstühle seiner Mama müssten genügen, falls es dazu käme, dachte sie und wünschte sich insgeheim fast, sie könnte ihre eigenen Möbel mit in dieses Haus bringen – zusammen mit ihrer Aussteuertruhe und der Wäsche. Doch im nächsten Augenblick meldeten sich Schuldgefühle bei ihr. Sie sollte nicht so undankbar sein. Sollte sie nicht froh sein, dass überhaupt jemand sie noch heiraten wollte?

Gedanken dieser Art beschäftigten in diesem Augenblick gewiss auch ihre Mutter, die am anderen Ende des Tisches saß: dass Katie kein Aufhebens machen sollte, weil sie ihre Aussteuermöbel nicht mit in die Ehe bringen konnte, dass sie um überhaupt nichts Aufhebens machen sollte. Sie seufzte und nahm eine weitere Scheibe köstlichen Bananenbrotes.

Zu ihrer großen Bestürzung bat Jakob Katie nach dem Essen: „Singst du uns jetzt bitte etwas vor?“

Einen atemlosen Augenblick lang hatte Katie das Gefühl, ihr Herz wolle aufhören zu schlagen.

Nancy bohrte mit einem Grinsen nach: „Jakob sagt, du hast eine sehr schöne Stimme, wenn du singst.“

Alles wartete auf ihre Antwort. Ihr Vater starrte sie finster an. „Vielleicht könnten wir alle etwas zusammen singen“, brachte sie mühsam über die Lippen. „Ich könnte ,Welch ein Freund ist unser Jesus‘ anstimmen.“

Ihr Vater runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Das ist zu schnell.“

Sie war nicht überrascht, diese Meinung aus seinem Mund zu hören. Samuel Lapp zog die langsamen Melodien des Ausbund vor. Aber Katie war nicht darauf vorbereitet gewesen, den Ton anzugeben und heute Abend die erste Silbe jeder Zeile dieser uralten Kirchenlieder zu singen, wie es der Vorsänger bei den Gottesdiensten in der versammelten Gemeinde tat.

Die Atmosphäre knisterte vor Spannung. Katie betete im Stillen mit ungewohnter Leidenschaft: Bitte, Herr, lass doch Jakob den Mund halten und nicht verraten, was er heute Vormittag gehört hat. Lass nicht zu, dass Papa erzählt, dass ich mit meinen Liedern gesündigt habe ... Vor allem aber hoffte sie, die anderen würden nicht bemerken, wie wild ihr Herz raste.

Bischof Johannes kam ihr zu Hilfe. „Oh, ich finde nicht, dass Katie uns jetzt im Gesang anleiten sollte.“ Bei dem leichten Tadel in seinem Tonfall ließ Jakob seine schmalen Schultern hängen, aber der Junge sagte nichts.

Alle fünf Kinder, einschließlich des achtjährigen, in sich gekehrten Levi, saßen aufrecht und regungslos wie Zaunpfosten Katie gegenüber auf der Bank – und sahen ein wenig enttäuscht aus.

Katie glaubte die Sache schon beendet, als Jakob anscheinend in einem Begeisterungsansturm von neuem begann. „Aber, Papa“, beharrte er, „könnte sie nicht einfach das Lied singen, das ich sie heute auf der Straße summen gehört habe?“

Johannes’ Augen wurden richtig weit, aber noch bevor er antworten konnte, griff Samuel ein. „Nein, Jakob, sie singt heute Abend nicht – und dabei bleibt es.“

Katie fühlte seinen strengen Blick auf sich.

Als Johannes seine Kinder vom Tisch verscheuchte, als wären sie eine Schar Hühner, nutzte Katie dankbar die Gelegenheit zur Flucht. Sie stand auf, um ihnen beim Geschirrabräumen und -spülen zu helfen. Ihre Gedanken waren jedoch nicht ganz bei der Sache. Würde ihr Vater dem Bischof gegenüber ihre Lieder, ihre bewusste Sünde erwähnen?

Sie war so beunruhigt, dass sie sich anstrengte, so viel wie möglich von dem Gespräch der Erwachsenen zu verstehen – sehr zu Jakobs und Susies Unmut, die versuchten, sie lebhaft zu unterhalten, während sie ellbogentief im Spülwasser vor der Spüle stand.

„Ich kann es kaum erwarten, dass du unsere Mama wirst“, sagte der kleine Junge gerade.

„Ich auch nicht.“ Susies große blaue Augen strahlten sie an.

Nancy stand neben der Spüle und wartete darauf, die erste Tasse abzutrocknen. „Wir alle können es kaum erwarten“, fügte sie mit ihrer leisen Stimme hinzu.

Über Katies Gesicht zog ein leichtes Lächeln. „Ihr müsst aber Geduld mit mir haben, ja? Ich war noch nie eine Mama.“

Nancy kicherte. „Einverstanden, wir werden Geduld haben. Aber es wird bestimmt wunderbar schön, wenn du die ganze Zeit bei uns bist.“

„Und wir können dir auch viel beibringen und dir zeigen, wie es ist, eine Mama zu sein“, plapperte der kleine Jakob weiter.

Die armen Kleinen müssen sehr einsam sein, folgerte Katie. Sie sind so begierig darauf, dass ihr Vater wieder heiratet. Sie brauchten auch zweifellos eine Mutter. Jemanden, dem sie nach der Schule erzählen konnten, was sie bewegte. Jemanden, der den Mädchen beibrachte, wie man das reichliche Obst und Gemüse, das die Erde im Herbst hergab, einmachte und für den Winter einlegte. Jemanden, der ein Vorbild sein und die Überlieferungen der Amisch weitergeben konnte.

Nancy hatte noch sechs bis sieben Jahre, bis ihre Rumspring-Jahre begannen – die Zeit, in der den Jugendlichen der Amischgemeinde erlaubt wurde, sich anzusehen, wie das Leben in der Welt außerhalb ihrer Gemeinde war. In der Rumspring-Zeit könnte sie auch jeden zweiten Sonntagabend Jugendliche beim Singen treffen und müssten sich danach zwischen der Welt und der Gemeinde entscheiden.

Jakob dagegen hatte noch viel Zeit bis dahin, Zeit, in der er zu Hause geliebt, umsorgt und geformt werden würde. Als Katie in seine unschuldigen blauen Augen schaute und seine fröhliche Kinderstimme hörte, empfand sie eine starke Zuneigung zu ihm. Dieses Kind hatte bereits einen festen Platz in ihrem Herzen erobert ... das hatten eigentlich alle Beiler-Kinder.

Levi reichte Nancy mit einem nachdenklichen Blick das Geschirr. Er ließ Katie nicht aus den Augen, als sie das Spülwasser ausleerte und die Arbeitsplatte abwischte. Welche Gedanken gingen in seinem Kopf um? Levi war während des ganzen Essens ruhig, schweigsam auf seinem Platz gesessen und hatte kein einziges Mal gesprochen. Jetzt schien ihn etwas zu beschäftigen, etwas, das ihm auf dem Herzen lag, das er aber nicht über die Lippen brachte.

Katie beschloss, es ihm leichter zu machen. „Du bist schon ein großer Junge, fast genauso groß wie dein großer Bruder“, sagte sie mit einem Lächeln.

Das Lächeln wurde nicht erwidert.

Während sie mühsam ein anderes Gesprächsthema suchte, mischte sich Nancy ein und half ihr aus der Klemme. „Levi redet nie sehr viel“, erklärte sie.

„Was ich sagen muss, das sage ich auch.“

Von den anderen Kindern kam bei der abrupten Erklärung ihres Bruders ein einstimmiges Kichern und Grinsen. Dann begann Jakob, an Katies Schürze zu zupfen und sie zu dem Schaukelstuhl neben dem Holzofen zu ziehen. „Spielst du etwas mit mir?“

Nancys Augen strahlten auf. „Au ja! Dame!“

Die anderen – Hickory-Johannes, Susie und Jakob – saßen mit überkreuzten Beinen auf dem Boden, der genau das gleiche Karomuster aufwies, den auch Rebekka Lapps Küchenboden hatte. Die meisten Küchen in Hickory Hollow sahen sich ähnlich – der gleiche schwarze Holzofen in der Mitte, die gleichen messingschimmernden Arbeitsflächen, die gleichen karierten Linoleumböden. Eine Gaslampe hing über den langen Tischen, und ein großer Eckschrank bewahrte Bücher und verschiedene Kleinigkeiten auf. An der anderen Wand neben der Treppe, die in den Keller hinabführte, hing ein Bildkalender mit Landschaftsszenen. Einen anderen Wandschmuck gab es nicht.

Levi setzte sich neben den Bischof, der sich immer noch mit Katies Eltern unterhielt. Zweimal fing Katie einen Blick des Jungen auf, den er zu ihr und den Kindern herüberwarf. Sollte sie ihn auffordern, sich zu ihnen zu gesellen?

Unsicher, wie sie es anpacken sollte, spielte Katie weiter. Einen Augenblick lang wünschte sie sich, Maria wäre hier. Sie wüsste bestimmt, was zu tun sei, um einen Jungen wie Levi für sich zu gewinnen.

„Ich habe eine Dame!“, rief Jakob, dessen schwarze Figur sich an Katies roten Figuren vorbeigemogelt hatte.

„Schon?“, sagte sie und wurde sich plötzlich bewusst, dass das Kind besser aufgepasst hatte als sie.

Als es eine Stunde später Zeit zum Aufbruch war, umarmte jedes der Kinder Katie. Alle außer Levi, der neben dem Bischof stand und niemanden zu dicht an sich herankommen ließ.

„Wir sehen uns bestimmt bald wieder“, sagte Katie und sprach Levi bewusst persönlich an.

Der Junge schaute sie mit ausdruckslosen Augen direkt an. Irgendetwas beunruhigte ihn anscheinend. Was hatte er nur?

Auf dem Heimweg kauerte sich Katie zerknirscht zusammen, als Samuel das Gespräch auf die Musik brachte und auf die Tatsache, dass der kleine Jakob sie summen gehört hatte. „Hast du deine Lieder auf offener Straße gesungen, wo die ganze Welt es hören konnte?“, wollte er wissen.

„Ja, Papa ... das habe ich“, erklang Katies unterwürfige Stimme von ihrem Sitz hinter ihren Eltern.

„Damit gibst du dem kleinen Jungen und seinen Geschwistern aber kein gutes Beispiel, oder?“

Darauf konnte sie ihm keine Antwort geben. So musste sich bestimmt Levi Beiler heute Abend gefühlt haben. In die Enge getrieben und ohne jede Fluchtmöglichkeit.

Sie konnte hören, wie ihr Vater etwas brummte, dann platzte es wütend aus ihm heraus. „Es gibt nicht mehr viele Menschen, die so leben, wie es der Herr, unser Gott, von Anfang an bestimmt hatte.“

Ein unbehagliches Schweigen folgte. Katie fühlte den starken Druck, dem sie ausgesetzt war. Sie hatte herzlich wenig Zeit, sich zu entschuldigen.

Als sie nicht sofort antwortete, fuhr Samuel fort. „Mir bleibt keine andere Wahl, Katie. Ich werde morgen gleich in aller Frühe mit Bischof Johannes sprechen.“

„Aber Papa, ich ...“

„Spare dir deine Ausreden. Es ist zu spät“, sagte er mit hörbarer Endgültigkeit in der Stimme. In diesem grauenhaft monotonen Tonfall, den die Stimme ihres Vater bei feierlichen Gelegenheiten annahm, begann er, die Stelle aus der Heiligen Schrift über „das bittere und das süße Wasser“ zu zitieren. Eli und Benjamin saßen mit ernsten Gesichtern links und rechts neben ihr und hörten teilnahmslos zu.

Zu sagen, dass es ihr leid tue, war eine Lüge. Katie wünschte sich, sie könnte um Vergebung bitten und das auch ernst meinen, aber wie konnte sie das? Die Lieder, die sie heute gesungen und gespielt hatte, hatten das Ende ihrer unbeschwerten Jugend bedeutet. Sie hatte ihre Erinnerungen an Daniel Fischer gefeiert. Heute auf der Straße und später in der Scheune hatte sie ein letztes Mal die herrlichen Tage, die sie mit dem geliebten Menschen verbracht hatte, lebendig werden lassen. Als die Lieder zu Ende gesungen und die Gitarre weggepackt war, hatte sie beschlossen, der Musik ein für alle Mal den Rücken zu kehren. Trotzdem war sie sich bei alledem bewusst, dass sie ihrem Vater gegenüber ungehorsam war. Sie hatte willentlich ein letztes Mal gesungen.

„Es würde dem Herrn missfallen, wenn ich das Prediger Yoder oder Bischof Johannes nicht melde.“ Die berechtigte Entrüstung ihres Vaters war zu der kalten und feuchten Dunkelheit so schwer und niederdrückend, dass Katie das Gefühl hatte, sie müsse darunter ersticken.

Rebekka weinte auf dem vorderen Sitz, während das Pferd den Wagen über die Hickory Lane zu dem alten Sandsteinhaus zog. Katie brauchte das Gesicht ihres Vaters nicht zu sehen, um zu wissen, was er fühlen musste. So streng und fromm ihr Vater auch war, war er gleichzeitig zwischen der festen Entschlossenheit, Gottes Willen zu tun, und dem Wunsch, der Zukunft seiner einzigen Tochter nichts in den Weg zu legen, hin- und hergerissen.

* * *

Johannes Beiler las seinen Kindern ein Abendgebet aus dem Standardgebetbuch, der Christenpflicht vor, bevor er in sein Schlafzimmer hinaufstieg. Es war ein langer Tag gewesen, aber vor ihm lag eine noch längere Nacht.

Wie bezaubernd Katie ist, dachte er, während er unter seine Decken schlüpfte. So freundlich und fröhlich ... Kein Wunder, dass meine Kinder sie bereits ins Herz geschlossen haben.

Er selbst bewunderte Katie Lapp schon seit dem Tag, an dem ihm bewusst geworden war, dass sie zu einer jungen Frau herangewachsen war. Seit dem Tag, an dem sie in Prediger Yoders Scheune vor allen Leuten vor ihm niederkniete. Als Bischof war es seine Pflicht, das Ritual durchzuführen und das Taufwasser aus dem Becher über ihren Kopf und ihr Gesicht zu gießen. Aber das seidige Gefühl ihrer rotbraunen Haare unter seinen Fingern hatte ihm die Augen für die Schönheit dieser jungen Frau erst richtig geöffnet.

Auf Katie zu warten war für einen Mann, dessen Kinder eine Mutter brauchten und dessen Bett schon lange leer stand, nicht leicht gewesen. Über drei Jahre hatte er gewartet. Und bald, sehr bald würde sie ihm gehören.

Er gähnte und streckte sich, dann entspannte er seinen müden Körper und wartete sehnsüchtig auf ihre erste gemeinsame Nacht, in der er seine neue Braut in die Arme nehmen würde – sie zärtlich festhalten und ihr seine Liebe zeigen würde. Natürlich war die Schönheit einer Frau nicht der Hauptgesichtspunkt, wenn man eine Ehe einging, aber wenn eine Frau so hübsch war wie Katie Lapp, war der Anreiz doch größer. Trotzdem war es weitaus wichtiger, dass Katie als seine Frau gute Beziehungen zu den Leuten in der Gemeinde pflegte. Gemeinsam würden sie ihr Eheleben angehen und die Pflichten, die ein Leben als Bischof mit sich brachten, erfüllen.

Er gähnte wieder und döste schon fast ein, als er die Bodendielen knarren hörte. Er hörte, dass jemand vor der Tür stand. Welches seiner Kinder war aus seinem Bett aufgestanden?

„Papa“, flüsterte sein zweiter Sohn. „Bist du noch wach?“

Johannes setzte sich auf. „Komm herein, Levi.“

Levi trat mit einer Lampe auf das Bett zu.

Johannes sah den zögernden Blick in den Augen seines Sohnes. „Was ist? Kannst du nicht schlafen?“

„Ich muss dir etwas erzählen, Papa“, sagte Levi leise. „Etwas, das mir einfach nicht aus dem Kopf geht.“

„Was geht dir denn nicht aus dem Kopf?“

„Heute kam nach der Schule jemand ... eine Fremde ... auf unser Haus zu.“

„Sprich weiter.“

„Eine Frau kam die Veranda vor dem Haus herauf – eine Engländerin. Ich ging zur Tür ... da konnte ich ihr ins Gesicht sehen.“ Seine schläfrigen Augen wurden beim Erzählen ganz groß. „Sie fragte nach dem Weg, denn sie hatte sich anscheinend verfahren.“

„Ich hoffe, du hast ihr geholfen.“

Levi nickte. „Ich versuchte, ihr zu erklären, wie sie wieder zur Hauptstraße zurückkommt. Sie wirkte irgendwie durcheinander, sagte, sie habe gesucht und gesucht, aber nirgends auf der Landkarte Hickory Hollow finden können.“

Johannes schmunzelte. „Hickory Hollow war nie für Außenstehende bestimmt. Was wollte sie denn hier draußen?“

Levi sprach ernst weiter. „Sie sagte, sie versuche, hier eine Freundin zu finden ... eine Frau Anfang Zwanzig. Sie wusste aber ihren Namen nicht.“

Johannes wurde daraus genauso wenig schlau wie sein Sohn. „Sehr seltsam ... eine Engländerin hier draußen. Und sie hat auf der Landkarte Hickory Hollow gesucht, sagst du?“ Er schaute den Jungen mit forschend zusammengekniffenen Augen an. „Warum geht dir diese Sache denn nicht aus dem Kopf?“

Levi zuckte mit den Achseln. „Es ist vielleicht nur Neugier, schätze ich.“

„Warum denn das?“

„Weil sie Haare hatte, wie ich sie nie zuvor gesehen habe ... außer bei Katie.“

Johannes unterdrückte ein Grinsen. Sein scheuer Sohn sollte nicht glauben, er verspotte ihn. „Viele Leute haben rote Haare.“

„Aber nicht hier bei uns.“

Der Junge war todernst, und da Levi nur selten etwas sagte, wusste Johannes, dass ihn diese Angelegenheit wirklich beschäftigte. „Geh jetzt lieber wieder ins Bett. Morgen können wir weiter darüber sprechen, ja?“

„Ja ... gute Nacht, Papa.“

„Gute Nacht, mein Sohn.“

Als der Junge fort war, griff Johannes nach der Decke und zog sie bis unter seinen buschigen Bart hoch. Er dachte über das Gesagte nach. Es war wirklich seltsam. Warum sagte eine Engländerin, sie suche eine Freundin hier bei ihnen, und verirrte sich trotzdem? Das klang nach einem Widerspruch.

Je mehr er darüber nachdachte, umso mehr kam Johannes zu dem Schluss, dass die Frau wahrscheinlich doch die Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht hatte die Fremde sich einfach auf der langen Hauptstraße verfahren. Aber trotzdem ließ Johannes diese Frage nicht los. Er drehte sich in seinem Bett um und versuchte zu schlafen. Aber in dieser Nacht schlief er nicht besonders gut.

* * *

In einem der anderen Beilerhäuser saß Ella Mae schweigend am Tisch, während ihr Schwiegersohn aus der alten Lutherbibel in ihrer Mundart vorlas. Eine bekannte Stelle, Kapitel zwanzig aus dem zweiten Buch Mose – das erste der zehn Gebote: „,Du sollst keine anderen Götter haben neben mir,‘“ las David Beiler. „,Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser und unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.‘“

Ella Mae faltete ihre von Arthritis gezeichneten Hände zu dem Gebet in ihrer deutschen Mundart, aber noch lange danach drehten sich ihre Gedanken um Rebekka Lapp und die sonderbare Art, wie sie sich heute bei dem Steppen benommen hatte. Rebekka hatte sie angestarrt und dann auch noch gesagt, sie sei „hübsch“ und sehe „fast wie ein Engel“ aus. So ein Unsinn! Danach sah Rebekka sie mit sorgenvollen Augen an. Mit auffällig sorgenvollen Augen.

Da stimmte etwas nicht! Ella Mae kannte ihre Nichte in- und auswendig – fast genauso gut wie eine Frau ihr eigenes Kind kannte. Zu den Kindern der eigenen Zwillingsschwester hatte man eine engere Beziehung. Davon war sie felsenfest überzeugt. Rebekka Lapp sah ihr fast genauso ähnlich wie ihre Tochter Mattie ihr selbst.

Die alte Frau seufzte. Was war nur in Rebekka gefahren? Ihre Gedanken gingen in die Ferne. Und wie kam es nur, dass Rebekkas Tochter, die junge Katie, keins der typischen Familienmerkmale geerbt hatte? Die glatten aschblonden Haare oder die haselnussbraunen Augen? Oder die hohe Stirn und die tiefen Grübchen?

Ella Mae war nie jemand gewesen, der sich über Kleinigkeiten den Kopf zerbrochen hatte. Sie war die vernünftige Frau, zu der die Leute mit ihren Sorgen kamen – nicht umgekehrt. Trotzdem fand sie es recht sonderbar, wie Katies rötliche Haare einfach aus dem Nichts aufgetaucht waren. Nicht einmal bis zu Ururgroßmutter Yoder zurück hatte es einen Einzigen mit roten Haaren in der Familie gegeben. Das wusste Ella Mae mit Bestimmtheit. Auch wenn man keine Fotos hatte, um das zu belegen, gaben die Leute von Hickory Hollow die Beschreibungen ihrer Vorfahren treu weiter und wussten, wie sie ausgesehen hatten.

Nicht nur das, sie hatte sogar Samuels Familienstammbaum mehrere Generationen weit zurückverfolgt – bis zu dem Mann, der eines der schönsten Sandsteinhäuser in ganz Lancaster County gebaut hatte. Samuel Lapps Vorfahr, Josef Lapp.

Später, als die Familie schon zu Bett gegangen war, schloss Ella Mae die Tür zwischen Matties und Davids großem Bauernhaus und ihrem kleinen angebauten Großvaterhaus. Sie saß in ihrer kleinen Wohnstube in ihrem Schaukelstuhl und dachte über die Vorkommnisse dieses Tages nach, dann blies sie die einzige Laterne im Raum aus.

Wie lang sie in der Dunkelheit gesessen war, wusste sie nicht. Aber ungefähr zu der Zeit, als der Mond durch die weit ausholenden Zweige der alten Ulme auf der Ostseite des Hauses den Himmel erklomm – ungefähr in dieser Stunde – hörte sie das Geräusch eines Automotors vor dem Haus. Sie drehte sich um und spähte durch das Fenster, an dem keine Vorhänge hingen. Auf der Fensterscheibe hatten sich ein paar Eisblumen gebildet, aber sie war trotzdem frei genug, um den Blick auf einen langen schwarzen Wagen freizugeben, der die Hickory Lane entlangkroch. Je näher das Auto kam, umso besser konnte sie die vordere Stoßstange und die mit Chrom besetzten Türen sehen.

Sekunden später kam die elegante Limousine, wie sie sich erinnerte, unweit von ihrem Fenster leise zum Stehen. Das einsame Hoflicht warf einen unheimlichen Schein über das stromlinienförmige Fahrgestell.

Ella Mae stand auf und trat ans Wohnzimmerfenster, um den ungewöhnlichen Anblick eingehender zu betrachten. Dann glitt plötzlich das Fenster auf der Beifahrerseite nach unten. Das Gesicht einer Frau starrte in die halbdunkle Nacht hinaus. Wäre nicht der Vollmond am Himmel gestanden, dann wäre es Ella Mae vielleicht entgangen, dass der weiße Pelzhut vom Gesicht der Frau rutschte und ihr volles Haar zum Vorschein brachte. Es war von einem so leuchtenden Rot, dass sie augenblicklich an ihre Nichte Katie denken musste.

„Meine Güte“, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein, „wer ist denn das?“

Sie ging näher ans Fenster, da sie wusste, dass sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnte. Wenige Augenblicke später ging im Inneren des Autos ein Licht an. Ein Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war und eine Schildmütze auf dem Kopf trug, faltete ein großes Papier auseinander. Die Frau und ihr Fahrer beugten sich darüber und studierten eine Landkarte.

„Seltsam“, sagte sie zu sich selbst, „wenn man sich vorstellt, dass sich jemand in einer Winternacht wie heute verirrt.“ Wenn sie nicht ihr Alter so schmerzlich in ihren Knochen gespürt hätte – bei dem kalten Wetter kein Wunder – hätte sie sich wahrscheinlich in ihr wärmstes Tuch gewickelt und ihre Schneestiefel angezogen und wäre hinausgestapft, um den Fremden zu helfen. Da sie jedoch nicht das Risiko eingehen wollte, auf dem Eis auszurutschen, wartete sie und beobachtete das ungewohnte Bild von ihrem Fenster aus.

Bald rollte der Wagen wieder die Straße hinab, und Ella Mae wandte sich vom Fenster ab und ging zu Bett.

* * *

In Benjamin Lapps offenem Einspänner lagen zwei große Taschenlampen. Katie sah sie und nahm eine davon mit. An Satin Boys Stall blieb sie kurz stehen und flüsterte ihm zu: „Ich bleibe nicht lange fort.“ Dann spannte sie geräuschlos Melasse vor die Familienkutsche. Ihre Eltern waren inzwischen bestimmt eingeschlafen – ebenso Eli und Benjamin.

Der Wind war kalt und beißend, während sie auf den Stoltzfus-Hof zufuhr. Sobald sie dort war, leuchtete sie mit der kraftvollen Taschenlampe zu Marias Schlafzimmerfenster hinauf und grinste leise. Ihre Freundin würde wahrscheinlich glauben, ein junger Mann stehe draußen und wolle um ihre Hand anhalten. So war es in Hickory Hollow nämlich üblich! Der Junge wartete, bis er sicher war – oder wenigstens hoffte –, dass die Eltern des Mädchens tief und fest schliefen. Dann stellte er seinen offenen Einspänner draußen an der Straße ab, schlich auf Zehenspitzen zum Haus und leuchtete mit der Taschenlampe zum Schlafzimmerfenster seiner Liebsten hinauf, bis sie aufmachte und ihm sagte, dass sie zu ihm nach unten komme.

Das Fenster ging auf, und Maria spähte hinaus. „Ich habe nicht mehr geglaubt, dass du heute noch kommst, und bin ins Bett gegangen“, entschuldigte sie sich. „Aber komm herauf. Die Tür ist nicht zugeschlossen.“

„Du hast bestimmt gedacht, das sei deine Nacht?“, neckte Katie sie, als Maria ihre Zimmertür hinter ihnen schloss. Maria trug ein langes weißes Nachthemd, ihre Haare hingen ihr bis über die Hüften. „Als ich die Taschenlampe sah, fuhr ich im Bett hoch und sagte zu mir: ,Oh Gott, er ist gekommen!‘“, gestand Maria mit einem leichten Lachen. „Aber eines Tages wird es so sein. Das kann nicht mehr lang dauern.“

Katie wusste, dass sie entweder an Prediger Yoders mittleren Sohn, Jake, oder an einen von Marias eigenen entfernten Vettern, Hühner-Josef, dachte, der seinem Vater half, eine Hühnerfarm zu bewirtschaften. „Bist du sicher, dass deine Eltern schlafen?“, fragte Katie, während sie ihren Mantel auszog, den schwarzen Hut abnahm und sich auf Marias Bettkante setzte.

„Ja ... hör doch. Du kannst Papa schnarchen hören!“

Katie lehnte ihr Ohr an die Wand. Abe Stoltzfus sägte mehr als einen Baumstamm, und bei dieser lauten Geräuschkulisse im Schlafzimmer konnte Marias Mutter unmöglich hören, was Katie Maria zu erzählen hatte. „Als ich heute Morgen hier war – vor dem Steppen – dachtest du, ich würde einen Rückzieher machen und Johannes Beiler nicht heiraten. Erinnerst du dich?“, begann sie. „Nun, seitdem ist alles noch viel schlimmer geworden.“

Maria runzelte die Stirn und beugte sich vor. „Noch schlimmer?“

„Oh, ich will Johannes schon heiraten, aber Papa macht mir die Sache sehr schwer.“

„Wie meinst du das?“

„Jemand hat mich heute singen gehört.“ Katie atmete tief ein und senkte den Blick auf ihre Schürze. „Der kleine Jakob hat mich gehört ... und es erzählt.“

Maria atmete tief durch. „Ich dachte, du hättest die Gitarre schon vor Jahren weit weggeräumt!“

„Es war nicht die Gitarre. Ich habe heute Morgen auf dem Nachhauseweg von dir auf der Straße ein Lied gesummt – und es war keine Melodie aus dem Ausbund. Papa sagt, er wolle die Angelegenheit direkt vor den Bischof bringen.“

„Über Prediger Yoders Kopf hinweg?“, fragte Maria verblüfft.

Katie nickte beschämt.

„Dann hast du dich also einer Sünde schuldig gemacht?“

„Schuldig im Sinne der Anklage“, antwortete Katie, „aber mit der Musik ist es aus und vorbei. Und das ist die Wahrheit.“

„Dann beeile dich und sage es deinem Vater!“, forderte Maria sie heftig auf. „Lass ihn nicht zu Bischof Johannes gehen – was es auch kostet: Du musst beichten!“

Katie starrte Maria ungläubig an. „Du sagst das nur, weil du glaubst, niemand anders wolle mich haben, falls der Bischof mich fallen lässt, nicht wahr?“

Maria schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass das nicht stimmt. Du bist eine gute und freundliche Frau, Katie. Das weiß jeder hier. Und jeder Mann, der Augen im Kopf hat, kann sehen, dass du äußerlich genauso schön bist.“

Es war das erste Mal, dass Katie ihre Freundin so sprechen hörte. Sie sinnierte darüber nach, bevor sie antwortete. „Was hilft schon gutes Aussehen, wenn es mit Eigensinn und Unbeugsamkeit gepaart ist?“, murmelte sie. „Ich habe die Jungen schlicht und ergreifend vertrieben.“

Maria schwieg einen Augenblick. „Aber einer lief nicht davon. Er wusste, dass du gern Lieder summst und singst, nicht wahr? Deshalb gab er dir auch die Gitarre.“

Sie hatte natürlich Recht, aber Katie beschloss, nicht über Dan zu sprechen. Nicht einmal mit Maria. „Dan lebt schon lange nicht mehr. Lass ihn aus dem Spiel.“

Maria rutschte neben sie und legte die Hand auf ihren Arm. „Du liebst Daniel Fischer doch immer noch, oder? Du hängst immer noch sehr an ihm ... aber er ist tot.“

„Aber nicht die Erinnerung an ihn. Sie ist nicht tot!“

„Nein“, flüsterte Maria. „Aber hast du dir eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was du tun willst, wenn du mit einem Mann verheiratet bist, den du nicht liebst?“

Katie fuhr mit dem Kopf herum. „Johannes ist ein guter Mann“, beharrte sie. „Er ist bestimmt ein hervorragender Ehemann, und ich werde es lernen, ihn zu lieben ... mit der Zeit.“

„Vielleicht ... vielleicht aber auch nicht.“

Die zwei Freundinnen saßen eine Weile schweigend da. Katie ärgerte sich, dass das Gespräch diese Richtung eingeschlagen hatte. Warum stellte Maria plötzlich solche Fragen?

„Ich führe ein schlichtes Leben, so gut ich es kann ...“ Katie machte eine Pause, bevor sie hinzufügte: „... ohne Dan.“

„Aber du bist wütend.“ Wieder schien Maria in ihr Herz schauen zu können. „Es gefällt dir in Wirklichkeit nicht, eine Amisch zu sein, aber du bist gebunden.“

„So etwas habe ich nie gesagt!“ In ihrer Erregung vergaß Katie, dass es mitten in der Nacht war, und erhob die Stimme, fuhr sich aber rasch mit der Hand an ihren Mund. Rachel Stoltzfus würde bestimmt gleich angelaufen kommen und fragen, was um alles in der Welt so wichtig sei, dass es mitten in der Nacht besprochen werden müsse. Katie wartete und lauschte ...

Als auf dem Gang keine Schritte zu hören waren, entspannte sie sich etwas. „Ehrlich gesagt, macht es wirklich keinen besonderen Spaß, diese langen, schweren Kleider und tristen Farben zu tragen“, gestand sie. „Aber das ist nichts Neues. Du weißt ja, dass ich schon immer so denke.“

„Ja, aber das solltest du inzwischen überwunden haben, Katie. Du solltest nach Höherem streben. Wie kannst du den Kindern des Bischofs eine gute Mutter sein, wenn du dich selbst nicht beherrschen kannst – dich den Regeln unserer Gemeinde nicht unterordnen kannst?“

Maria hatte Recht, aber Katie wollte es nicht hören. „Du willst also damit sagen, dass ich den Bischof nicht heiraten sollte – dass es sich nicht schickt und nicht rechtens wäre?“ Ihre Worte spiegelten ihre eigenen Zweifel wider.

„Du bist ein getauftes Mitglied der Gemeinde, Katie. Damit kannst du jeden Mann heiraten – einen Bischof, Prediger, Ältesten oder wen auch immer.“

Katie drängte weiter, da sie von ihrer besten Freundin eine klare Antwort hören wollte. „Das würdest du sagen – bei allem, was du über mich weißt? Werde ich wirklich hier genug geachtet? Was meinst du?“

„,Der Herr erhöht diejenigen, die sich selbst erniedrigen‘“, zitierte sie. „Es liegt nicht an dir, Katie. Die Dinge sind von der Vorsehung geregelt – von Gott vorherbestimmt.“

Das war es also. Maria glaubte ernsthaft, dass Katie von Gott auserwählt worden sei, die Frau des Bischofs zu werden. Katie stand seufzend auf, band sich ihren schwarzen Hut wieder um und zog sich ihr Tuch über die Schultern.

„Aber eines darfst du nie vergessen“, sagte Maria mit feierlicher Miene. „Du kannst mir alles erzählen. Dafür bin ich doch deine beste Freundin, oder?“

„Ja ... und dafür bin ich dir wirklich dankbar.“ Katie ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte und Maria mit einem hilflosen Achselzucken anschaute. „Betest du dafür, dass ich aufhöre, so dickköpfig zu sein? Dass ich nicht mehr so sehr in Versuchung geführt werde?“

„Die Versuchung ist noch nicht Sünde. Der Versuchung nachgeben ist Sünde.“ Maria sprang auf und umarmte sie. „Vergiss nicht: ,Selig sind, die Frieden stiften.‘“

Katie lächelte und musste ihrer Freundin wieder einmal Recht geben. „Morgen früh schließe ich gleich als Erstes Frieden mit Papa. Ich fange ihn vor dem Melken ab und beichte – und bereinige die Dinge zwischen uns. Ich werde ihm sagen, dass es mir wegen der Musik leid tut, und dass ich für den Rest meiner Tage nie wieder etwas anderes singen oder summen werde als die Lieder, die im Ausbund stehen.“

„Das ist gut“, nickte Maria. „Und wenn wir unsere Hausarbeit erledigt haben, kommen Mama und ich und ein paar Kusinen zu euch und helfen euch, die Wände zu schrubben und zu streichen – damit die Hochzeit stattfinden kann.“

Mit Marias weisen Worten in den Ohren verließ Katie das Stoltzfus-Haus. Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Sie war auf ihrem Weg über die Hickory Lane so tief in Gedanken versunken, dass sie die schwarze Limousine, die ihr Tempo verlangsamte und dann auf der gegenüberliegenden Straßenseite weiterfuhr, kaum wahrnahm.