Über das Buch:
FBI-Agent Mark Sanders hat seinen letzten Einsatz vermasselt. Damit Gras über die Angelegenheit wachsen kann, wird er nach St. Louis versetzt. Dort steht eines Tages überraschend seine Jugendliebe Emily vor ihm.
Mark kann sein Glück kaum fassen, doch ihr freudiges Wiedersehen findet ein jähes Ende. Sie werden von einem Heckenschützen ins Visier genommen. Dabei wird die Psychologin Emily verletzt. Mark ist zutiefst erschüttert. Er weiß, er muss den Täter finden, bevor er wieder zuschlägt. Doch was ist sein Motiv – und wer von ihnen sein eigentliches Ziel? Der ganze Fall ist mehr als undurchsichtig. Klar ist Mark nur eins: Er muss Emily beschützen und hinter die Identität des Schützen kommen, bevor es zu spät ist ...

Über die Autorin:
Irene Hannon studierte Psychologie und Journalistik. Sie kündigte ihren Job bei einem Weltunternehmen, um sich dem Schreiben zu widmen. In ihrer Freizeit spielt sie in Gemeindemusicals mit und unternimmt Reisen. Die Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann in Missouri..

Kapitel 8

An diesem Abend, genau um sieben Uhr, betätigte Mark Emilys Türklingel. Er hatte Anzug und Krawatte gegen eine Outdoorhose und ein Baumwollhemd getauscht, aber die Hitze war immer noch drückend.

Oder vielleicht war ihm auch aus einem anderen Grund warm, überlegte er, als Emily die Tür öffnete und sich sein Puls schlagartig erhöhte. Trotz der Schürfwunde auf ihrer Wange, auf der sich allmählich Schorf bildete, und trotz der dunkelroten Prellung an der Schläfe, die sich mit Makeup nicht vertuschen ließ, sah sie großartig aus. Weiße Caprihosen und ihr rosa und weiß gestreifter Strickpullover brachten ihre anmutige, weibliche Figur zur Geltung. Als er merkte, dass er eine Sekunde zu lange auf ihren schön geschwungenen Mund gestarrt hatte, zwang er sich zu sprechen.

„Hi.“

„Selber hi.“ Eine sanfte Röte kroch verräterisch in ihre Wangen.

Er hob eine große Einkaufstüte mit dem Logo eines Delikatessengeschäftes hoch. „Ich komme und bringe etwas zu essen. Meinst du, damit habe ich mir eine Einladung in die klimatisierte Wohnung verdient?“

„Entschuldige.“ Sie trat beiseite und ließ ihn eintreten. „Was ist mit der Pizza passiert?“

„Ich dachte, wir hätten nach den letzten beiden Tagen etwas Besseres verdient.“ Er wartete, bis sie die Tür verschlossen hatte, bevor er in die Küche ging. „Es dauert nur ein paar Minuten, das zuzubereiten – jedenfalls hat der Verkäufer mir das versichert.“

Er stellte die Tasche auf den Tisch und packte Salat, Rinderfilet, Kartoffelgratin, Spargel, Brötchen und zwei Stück Schokoladentorte aus.

„Wow!“ Emily begutachtete die Schlemmereien. „Du machst keine halben Sachen, oder?“

„Ich habe kurz überlegt, sentimental zu werden und Chilibrötchen zu holen, wie wir sie früher an Wren Lake gegessen haben. Aber ich hatte das Gefühl, dass du nach vierundzwanzig Stunden Krankenhauskost nichts gegen ein etwas gehobeneres Menü haben würdest.“

„Mein unsterblicher Dank ist dir gewiss. Was kann ich tun?“

„Teller, Besteck, Wassergläser, Servietten … es sei denn, du willst die Plastik- und Pappteile benutzen, die sie mir mitgegeben haben.“

Sie rümpfte die Nase. „Eine Mahlzeit wie diese verdient mein gutes Porzellan und Silberbesteck. Und wir essen im Esszimmer.“

„Mach auch ein paar Kerzen an“, rief er ihr nach, als sie zur Tür hinaus verschwand.

Sie streckte den Kopf wieder zur Tür herein. „Gleich willst du auch noch Musik.“

Grinsend zog er eine CD mit stimmungsvoller Jazzmusik aus der Tasche und hielt sie ihr hin.

Sie erschien nun ganz im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt, legte den Kopf zur Seite und musterte ihn. „Du bist ganz schön gerissen, Mark Sanders. Wie viele Herzen hast du schon gebrochen?“ Sie nahm ihm die CD aus der Hand.

„Ich verweigere die Aussage.“

„Das dachte ich mir.“

Fünf Minuten später, als sie sich setzten, um bei Kerzenlicht und leiser Musik ihren Salat zu genießen, schüttelte Emily den Kopf. „Dies ist beinahe genauso unwirklich wie die Schießerei. Du und ich nach zwanzig Jahren wieder zusammen.“

„Aber unwirklich auf gute Art.“

„Auf jeden Fall.“ Sie faltete ihre Serviette auseinander, legte sie auf ihren Schoß und neigte den Kopf zu einem stillen Tischgebet.

Das hatte sie sogar als Teenager schon getan, erinnerte sich Mark. Während viele von ihren Freunden den Glauben als zu altmodisch und zu beengend über Bord geworfen hatten, war Emily ihren Überzeugungen treu geblieben. Er fand es irgendwie tröstlich, dass das nach all den Jahren immer noch der Fall war.

Er wartete schweigend, bis sie fertig war. „Das ist eine schöne Angewohnheit. Und es ist gut zu wissen, dass manche Dinge sich nie ändern.“

„So wie Gott auch. Er ist die eine Konstante in einer Welt, in der wir uns nicht auf viele Dinge verlassen können. Und es ist mehr als nur eine Angewohnheit. Es ist ein Lebensstil.“

Unsicher, wie er darauf reagieren sollte, ohne sie zu beleidigen, nahm Mark seine Gabel und wechselte das Thema. „Mir gefällt, wie du die Haare heute trägst.“

„Danke. Mich fürs Abendessen fertig zu machen, war eine echte Herausforderung. Da ich diesen Verband nicht nass machen darf“ – sie hob den Arm, an dem der dicke weiße Verband unter dem Ärmel ihres Pullis hervorlugte – „musste ich ein Bad nehmen, anstatt zu duschen. Und mir mit einer Hand die Haare in der Küchenspüle zu waschen, war gar nicht so einfach, kann ich dir sagen.“

Er streckte die Hand aus und berührte ihre seidigen Strähnen. „Ich hätte dir gerne geholfen.“

Sie nahm ihr Glas und trank einen großen Schluck von dem eisgekühlten Wasser. „Das überhöre ich mal lieber.“

„Warum?“

„Weil es mir unangenehm ist. So wie es dir unbehaglich wird, wenn ich vom Glauben spreche.“

Er ließ die Hand sinken und konzentrierte sich auf seinen Salat. Sie war immer zu gut darin gewesen, ihn zu durchschauen. „Es ist mir nicht unangenehm, Em. Ich kann nur nicht mehr viel damit anfangen.“

„Hast du wirklich so viele schlimme Dinge gesehen?“

Ihre Frage war sanft und einfühlsam. Aber die Erinnerungen, die sie weckte, waren brutal. Terrorangriffe, Gefängnisaufstände, gewalttätige Straßenbanden, die sich die Zeit mit Autodiebstahl, Drogendealen und Mord vertrieben. Und Jason Wheeler, der gestorben war, weil ein Cracksüchtiger dringend einen Schuss brauchte.

„Ja. Das habe ich.“

Die plötzliche Wärme ihrer Finger drang durch den Ärmel seines Hemdes, und ihre Berührung überraschte ihn – und war tröstlich zugleich. „Das tut mir leid, Mark.“

Er versuchte zu lächeln. „Hey, ich mache das freiwillig. Ich mag meine Arbeit. Ich wende nicht gerne Gewalt an, aber manchmal ist es die einzige Möglichkeit, Gerechtigkeit zu erreichen. Und ich glaube an die Gerechtigkeit, Em.“

„Das hast du immer getan. Und es ist ein nobles Prinzip. Gott würde das gutheißen.“

Sein Lächeln erstarb. „Das würde ich gerne glauben. Aber um ehrlich zu sein, bin ich nicht davon überzeugt, dass er viel darum gibt. Ich kann einen liebenden, fürsorglichen Gott nicht mit all der Brutalität und Herzlosigkeit und Missachtung menschlichen Lebens vereinbaren, die ich gesehen habe.“

„Es ist ihm nicht egal. Aber er hat uns einen freien Willen gegeben. Und das bedeutet, dass Menschen Fehler machen oder falsche Entscheidungen treffen können.“

„Und unschuldige Menschen als Folge davon leiden.“ Er berührte ihren Arm. „So wie du.“

„Was sollte Gott denn deiner Meinung nach tun? Einen Blitz vom Himmel schleudern und den Schützen erschlagen? Mich unsichtbar machen? Den freien Willen des Menschen abschaffen?“

Ihre ruhige Erwiderung widerstrebte ihm. „Wie kannst du so philosophisch darüber reden, wo du doch beinahe selbst umgekommen wärst?“

„Es geht nicht um Philosophie. Es geht um Vertrauen. Wenn ich zu viel darüber nachdenke, was am Samstag hätte passieren können, könnte ich nicht mehr funktionieren. Es gab nichts, was ich tun konnte, um die Situation zu kontrollieren – und es gibt nur sehr wenig, was ich tun kann, um eine ähnliche Situation in der Zukunft zu verhindern. Sosehr ich auch glauben möchte, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe, hat mich der Samstag daran erinnert, dass ich nicht jede Eventualität bedenken kann. Ich kann nur angemessene Vorkehrungen treffen und den Rest Gott überlassen. Und dem FBI natürlich.“

Die letzten Worte waren in einem neckenden Tonfall hinzugefügt, in dem offensichtlichen Versuch, die ernste Stimmung, die sich über sie gesenkt hatte, aufzulockern. Sie versuchte vielleicht, philosophisch zu klingen, aber die Diskussion hatte sie erschüttert, das wurde Mark bewusst, als er bemerkte, dass ihre Hand zitterte und ihr Blick düster war. Er hatte gehofft, ihr ein schönes Abendessen zu bieten, das so weit wie möglich von dem Schrecken des Wochenendes entfernt war. Stattdessen hatte er alles wieder heraufbeschworen.

Er nahm ihre Hand und verschränkte ihre kalten Finger mit seinen. „Wenn Gott und das FBI im Spiel sind, bist du in besten Händen. Und jetzt erzähl mir von Evelyn Martelli. Ich bin ihr auf dem Weg begegnet, und wenn ich bedenke, wie freundlich aber entschlossen sie mich ausgefragt hat, könnte sie gut und gern eine von unseren Undercoveragentinnen sein.“

Sein Themenwechsel und die humorvolle Bemerkung ließen die Spannung ein wenig aus Emilys Gesichtszügen weichen.

„Das ist eine interessante Vorstellung. Evelyn mit einer Waffe.“ Emily lächelte. „Sie wäre mit ihren Stricknadeln wahrscheinlich gefährlicher.“

„Und was ist ihre Geschichte?“ Mark räumte ihre Salatteller ab und stand auf, um das Hauptgericht in die Mikrowelle zu tun.

Emily folgte ihm und blieb in der Küchentür stehen, eine Schulter an den Türrahmen gelehnt. „Willst du etwa sagen, dass ihr sie nicht überprüft habt?“

Mark grinste sie an, während er arbeitete. „Sie steht nicht sehr weit oben auf unserer Verdächtigenliste.“

„Gut. Ihr würdet auch eure Zeit verschwenden. Evelyn ist wie die perfekte Großmutter. Hilfsbereit, fürsorglich, immer da – aber nie aufdringlich. Als ich ein Jahr nach Grants Tod hier einzog, dachte ich, ich käme gut klar. Schließlich bin ich Psychologin. Gerade ich hätte wissen müssen, wie man mit Trauer umgeht. Ich hatte genug Leute in ähnlichen Situationen beraten.

Aber um ehrlich zu sein, war ich ziemlich am Ende. Und Evelyn hat das sofort gemerkt. Sie hat eine Methode gefunden, mich aus meiner Isolation zu locken, indem sie sagte, sie wolle nicht alleine hier und dort hingehen. Als sie herausfand, dass mein Abendessen oft aus Dosenthunfisch und Kräckern bestand, fing sie an, mir ‚Reste‘ vorbeizubringen. Oder ich fand Witze, die sie aus dem Internet ausgedruckt hatte, unter meiner Tür. Und ich habe keinen Feiertag alleine verbracht. Irgendwie hat sie mich immer mit einem Trick dazu gebracht, sie über Weihnachten zu ihrem Sohn nach Chicago zu fahren, weil sie sich die Reise allein nicht zutraue, oder sie hat mich eingespannt, um an Thanksgiving in einem Obdachlosenasyl Essen auszuteilen. Der Himmel hat sie mir geschickt.“

Die Mikrowelle gab ein helles Klingeln von sich, und Mark holte ihre Hauptspeise heraus. Nachdem sie ihre Teller zum Tisch zurückgetragen hatten, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf.

„Jetzt scheinst du aber alles gut im Griff zu haben.“

„Im Großen und Ganzen stimmt das, würde ich sagen. Und ich habe ein sehr angefülltes Leben.“

„Du lässt wirklich keine Langeweile aufkommen.“

„Aber es ist sinnvolle Arbeit.“ Ihr Ton klang ein wenig defensiv. „Die Frauen, denen ich im Haus der Hoffnung helfe, brauchen dringend Mitgefühl und Ermutigung. Und das Radioprogramm ist auch wichtig. Hat deine Überprüfung dazu etwas ergeben?“

„Nein. Erzähl mir davon.“

„Es ist eine wöchentliche Sendung, bei der Leute anrufen können. Sie heißt Teen Talk. Mein Pastor ist im Vorstand eines christlichen Radiosenders hier in St. Louis, und er hat mich vor zwei Jahren überredet, die Sendung zu machen. Die Zuhörerschaft wächst stetig, und wir haben ein paar gute Kritiken bekommen.“ Sie lehnte sich vor, und ihre Miene war ernst. „Aber die Gelegenheit, den Kids ein Forum zu geben, wo sie ihre Sorgen loswerden können, macht die Sache für mich erst zu einem Erfolg. Die Sendung ist ein sicherer, anonymer Weg, wie sie von jemand Außenstehendem ihre eigene Wahrnehmung gespiegelt bekommen können, weil die durch Hormone und den Druck ihrer Freunde verzerrt sein kann. Ich möchte gerne glauben, dass ich im Leben von Kindern etwas bewirkt habe, die sonst niemanden gehabt hätten, an den sie sich wenden können.“

„Und an wen wendest du dich, Emily? Abgesehen von Evelyn?“

Bei dieser leisen Frage zuckte sie die Schultern und schob sich die Haare hinters Ohr. „Maria, meine Sekretärin. Sie ist großartig, was Feedback betrifft.“

Er wartete, aber als sie nichts mehr hinzufügte, sah er sie fragend an. „Das war’s?“

„Ich kann immer mit meinem Pastor reden, wenn ich Hilfe brauche. Und das Gebet ist für mich eine wichtige Stütze.“ Sie trank einen Schluck Wasser und drehte den Spieß um. „Aber sprechen wir doch zur Abwechslung mal von dir. Du weißt beinahe alles über mich, aber du hast mir noch nicht viel über dich erzählt. Ich weiß eigentlich nur, dass du zum Geiselrettungsteam gehörst.“

„Viel mehr kann ich dir auch gar nicht sagen. Meine Aufträge sind oft geheim.“

„Und was ist, wenn du nicht im Dienst bist?“

„Dann mache ich Sport. Krafttraining. Hänge mit den Jungs vom Team herum. Oder ich esse mit Coop und seiner Frau Monica zu Abend.“

Sie kaute den letzten Bissen des saftigen Filets. „Wie kommt es, dass ich nichts von irgendwelchen Frauen höre?“

„Ich versuche, diskret zu sein.“

„Keine Sorge. Ich gehe nicht davon aus, dass es einem Mann wie dir an weiblicher Gesellschaft mangelt.“

Er grinste und nahm ihre Teller. „Ich hole den Nachtisch und Kaffee.“

„So schnell lass ich dich nicht vom Haken, dass du es nur weißt“, rief sie ihm nach, als er in die Küche ging.

„Das dachte ich mir schon. Ich spiele nur auf Zeit, damit ich mir ein paar gute Antworten überlegen kann.“

Er hörte sie lachen, als er die Teller auf der Arbeitsplatte abstellte. In Wirklichkeit war es so, dass es zwar genug Frauen gegeben hatte, die vom Ruhm seiner Tätigkeit beeindruckt waren – auch wenn der oft eher eingebildet als tatsächlich war – aber es war niemand dabei gewesen, der ihm wirklich etwas bedeutet hätte. Er ging gerne mit Frauen aus, aber er war nie versucht gewesen, eine dieser Beziehungen zu einer ernsthafteren Sache werden zu lassen. Und was das betraf, war er immer ehrlich. Die meisten Frauen akzeptierten, was er ihnen zu bieten bereit war. Diejenigen, die es nicht konnten, brachen den Kontakt ab.

Nachdem er Kuchen und Kaffee auf ein Tablett gestellt hatte, das er in ihrem Schrank gefunden hatte, gesellte er sich wieder zu Emily an den Tisch. Sie beobachtete ihn, das Kinn auf die Hand gestützt.

„Wo ist Coop?“

„Er hat mich hier abgesetzt und ist zu Nick zurückgefahren. Er holt mich nachher wieder ab.“

„Du hättest ihn einladen können, mit uns zu essen.“

„Nein, das hätte ich nicht. Heute Abend teile ich dich mit niemandem.“

„Ich dachte, er wäre dein Freund.“

„Das ist er auch. Und Freunde wissen, wann sie sich diskret zurückziehen müssen. Außerdem revanchiert er sich für einen Gefallen.“ Er trank einen Schluck Kaffee und machte sich über den Kuchen her, überrascht, dass sie nicht wieder auf sein Sozialleben zurückkam.

„Inwiefern denn das? Das Dessert ist übrigens köstlich. Mit Schokoladenkuchen kannst du mich jederzeit weichkriegen.“

Er grinste. „Immer noch schokosüchtig, wie ich sehe.“ Er spießte ein Stück Kuchen mit der Gabel auf und beantwortete ihre Frage. „Coop und ich waren zum Personenschutz für Monica abgestellt. So haben sie sich kennengelernt. Nachdem die Funken zu fliegen begannen, habe ich versucht, im Hintergrund zu bleiben.“

Ihre nachdenkliche Miene sagte ihm, dass sie seine Andeutung, dass es auch zwischen ihnen funkte, durchaus verstanden hatte. Aber sie ging nicht darauf ein. „Warum brauchte sie Personenschutz?“

Mark zögerte und erzählte ihr so viel, wie er konnte. „Sie war die Tochter eines Diplomaten, und eine Gruppe von Extremisten hatte es auf sie abgesehen. Sie haben sie entführt.“

„Oh.“ Sie blickte auf ihren Teller und schob das Stück Kuchen darauf mit ernster Miene hin und her.

„Und um deine frühere Frage zu beantworten …“ Es überraschte ihn selbst, dass er die Sprache auf seine Damenbekanntschaften brachte, aber er wollte die Sorgenfalten in ihrem Gesicht glätten. „Wenn ich zu Hause bin, habe ich immer wieder Verabredungen. Seit Coop verheiratet ist, sogar öfter. Aber ich hatte nie eine ernsthafte Beziehung.“

Der Trick funktionierte. Emily hob das Kinn und musterte ihn. „Warum nicht?“

„Das ist eine ziemlich persönliche Frage.“ Sein neckender Tonfall nahm der Äußerung ihre Schärfe.

„Wie du mir, so ich dir.“

„Touché.“ Er lehnte sich zurück, die Hände um seine Kaffeetasse gelegt. Ein Grinsen zuckte um seine Mundwinkel, während er sie prüfend ansah. „Ich könnte sagen, dass ich all die Jahre nur an dich gedacht habe und niemand anders gegen dich eine Chance hatte.“

Sie lachte und versuchte, sich nicht an ihrem Kaffee zu verschlucken.

„Ich bin zutiefst getroffen von deinem Zynismus.“ Er tat so, als sei er schwer gekränkt.

„Woher hast du nur diese Sprüche? Ich glaube, allmählich verstehe ich, warum du nie geheiratet hast.“

Er lächelte und trank einen Schluck Kaffee. „Also gut, die Wahrheit. Es ist so, wie ich im Park sagte. Mein Beruf ist keine gute Voraussetzung für eine harmonische Ehe.“

„Das hat Coop nicht davon abgehalten.“

„Ich vermute, er kann seine Verpflichtungen besser organisieren als ich. Außerdem hat er eine Frau gefunden, die mit seinen langen Abwesenheiten leben kann. Und mit dem Risiko.“

Emily betrachtete Mark einen Augenblick lang und wirkte nachdenklich und auch ein bisschen traurig. Dann schob sie ihren leeren Teller von sich und sah auf ihre Uhr. „Als du angerufen hast, sagtest du, heute Abend gehe es um Geschäftliches und Vergnügen. Den vergnüglichen Teil habe ich sehr genossen, aber ich will nicht diejenige sein, die Coop von seinem wohl verdienten Nachtschlaf abhält. Wir sollten jetzt besser über das Geschäftliche reden.“

Seine Antwort hatte ihr nicht gefallen, schloss Mark. Ihr Rückzug, so subtil er auch war, erfolgte ganz bewusst. Für Emily waren, wie für die meisten Frauen, die Abwesenheiten und Risiken, die mit seinem Beruf verbunden waren, langfristig nicht akzeptabel. Und sein Verstand sagte ihm, dass sie für Emily eine noch größere Hürde darstellen würden als für andere Frauen. Sie hatte schon einmal einen Mann mit einem sehr gefährlichen Beruf geliebt – und verloren.

In gewisser Hinsicht sollte er dankbar dafür sein, dass sie auf Abstand ging. Für eine dauerhafte Verpflichtung war er nicht bereit. So wichtig ihm Emily früher auch gewesen war, gab es doch keine Garantie, dass die Gefühle, die durch ihr unerwartetes Wiedersehen neu entfacht worden waren, sie tragen konnten, wenn der Reiz des Neuen erst einmal vorüber war. Dennoch wollte er es genießen, solange es dauerte. Er würde nichts lieber tun, als sich mit Emily an seiner Seite eine alte Komödie anzusehen, und von Herzen zu lachen, so wie damals in ihrem gemeinsamen Sommer während eines Filmfestivals in Tennessee.

Und darüber hinaus, wer konnte das schon sagen? In weniger als vier Wochen würde er nach Quantico zurückkehren und sie würde wieder ihr normales Leben führen. Ein Leben, zu dem er nicht gehörte. Es war sicher das Beste, wenn er die wenigen besonderen Augenblicke mit ihr inmitten dieses Wahnsinns genoss und darüber hinaus nichts erwartete.

Mark lehnte sich vor, faltete die Hände auf dem Tisch und legte einen anderen Gang ein. „Es gehört nicht zur Aufgabe des FBIs oder der städtischen Polizei, Rund-um-die-Uhr-Schutz für Personen bereitzustellen, die bedroht werden. Aber ich habe mit meinem Boss gesprochen, und er hat gesagt, dass Coop und ich und gelegentlich auch Nick zur Verfügung stehen, um dich zu deinen verschiedenen Verpflichtungen zu begleiten. Kurzfristig jedenfalls.“

„Das bedeutet, der Agent in dem SUB – wie Evelyn das Überwachungsfahrzeug auf dem Parkplatz nennt – wird verschwinden?“

Er hörte die Befürchtungen unter ihrem Versuch, witzig zu sein. „Er ist gefahren, als ich ankam.“

„Warum erzählst du mir nicht, wie der Plan aussieht?“ Sie nippte an ihrem Kaffee und schob die Tasse dann zur Seite.

„Coop und ich, oder Nick, werden dich begleiten, wenn du irgendwohin gehst. Du musst uns nur deinen Ablaufplan geben, dann sind wir da, um dich von Ort zu Ort zu begleiten. Es wäre uns lieber, wenn du nicht alleine das Haus verlässt.“

„Für wie lange?“

„Bis wir den Fall gelöst haben, oder bis wir einigermaßen sicher davon ausgehen können, dass der Schütze beschlossen hat, es nicht noch einmal zu versuchen. Warum erzählst du mir nicht, was du morgen vorhast? Und es wäre hilfreich, wenn wir so bald wie möglich deine Termine für den Rest der Woche hätten.“

„Dienstags bin ich ab acht Uhr im Büro, um meine Termine für den Tag durchzugehen. Um neun Uhr kommt mein erster Klient. Da ich über Mittag oft Papierkram erledige, ist es kein Problem, im Büro zu bleiben. Ich nehme mir Brote zu essen mit. Meinen letzten Termin habe ich um vier, und Maria geht um fünf. Ich bleibe normalerweise bis sechs.“

„Das ist ein langer Tag.“

Sie hob eine Schulter. „Es ist eine interessante Arbeit. Mir macht die Arbeitszeit nichts aus. Morgen muss ich aber früher los, um den Verband wechseln zu lassen.“

„Einer von uns wird dich hinfahren. Und jetzt lass uns über die Sicherheitsvorkehrungen sprechen. Nick hat heute Nachmittag dein Büro überprüft.“

„Warum überrascht mich das nicht?“

„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Er sagt, Maria war sehr hilfsbereit.“

„Das ist sie immer. Sie macht sich viel zu viele Sorgen um mich.“

„Jemand muss sich schließlich welche machen.“ Er fuhr fort, ohne ihr die Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben. „Das Gebäude ist nicht sehr sicher, Emily.“

Nicks Beschreibung nach zu urteilen war das eigentlich eine Untertreibung, dachte Mark. Mitten in Kirkwood gelegen, beherbergte das kleine einstöckige Backsteingebäude, das in den vergangenen drei Jahren Emilys berufliches Zuhause gewesen war, vier Büros. Der Parkplatz war hinter dem Haus, und die Büros gingen von einem zentralen Korridor ab. Abgesehen von der Alarmanlage, die abends von dem Letzten, der das Gebäude verließ, eingeschaltet werden konnte, gab es keine Sicherheitsvorkehrungen.

„Wir mussten uns nie Gedanken darum machen. Es ist normalerweise ein ziemlich sicherer Stadtteil.“

Er ließ ihre Bemerkung unkommentiert. Für ihn war Sicherheit relativ. „Nick sagt, es gibt zwei Türen in dein privates Büro.“

„Das dient der Vertraulichkeit. Mein Klient kann direkt in den Flur hinausgehen, ohne durchs Wartezimmer zu müssen und dem nächsten Klienten zu begegnen. Die Tür zum Flur ist nicht gekennzeichnet und immer von innen verschlossen.“

„Das hat Maria unserem Kollegen Nick auch erklärt. Er hat auch mit dem Vermieter gesprochen, der eingewilligt hat, morgen in beide Türen zum Flur Spione einbauen zu lassen. Wir haben Maria Anweisung gegeben, alle Besucher zu überprüfen, bevor sie die Tür öffnet, und niemanden hereinzulassen, den sie nicht erkennt. Und wir möchten, dass du einen Blick in den Flur wirfst, wenn deine Klienten gehen, bevor du die Tür aufmachst.“

Er beugte sich vor und blickte sie eindringlich an. „Das alles gilt unter der Voraussetzung, dass du keinerlei Bedenken hast, was deine Klienten betrifft, abgesehen von Jack Hanley natürlich. Wenn doch, dann solltest du es jetzt sagen, Emily.“

„Nein.“ Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe keinerlei Bedenken, was sie betrifft. Und in Bezug auf Jack Hanley auch nur sehr wenig.“

Nachdem er sie noch einige Sekunden lang prüfend angesehen hatte, lehnte sich Mark zurück. „Gut. Was hältst du davon, wenn wir dich um halb acht abholen?“

„Wenn euch viertel nach sieben möglich ist, lade ich euch zu Starbucks ein. Es gibt einen in der Nähe meines Büros. Und ich liebe einen Vanilla Latte am frühen Morgen.“

„Abgemacht.“

Ein plötzliches Gähnen überfiel sie, und sie unterdrückte es mit einem verlegenen Lachen. „Tut mir leid.“

„Ich verstehe den Wink.“ Er grinste, stand auf und fing an, den Tisch abzuräumen.

„Lass alles stehen.“ Sie erhob sich und nahm ein Wasserglas. „Das Mindeste, was ich nach dieser Gourmetmahlzeit tun kann, ist –“

Ein sanftes Klopfen ertönte von der Wohnungstür her und sie zuckte zusammen, sodass sie etwas Wasser über der Tischdecke verschüttete.

„Das ist Coop.“ Mark legte eine beruhigende Hand auf ihre Schulter. „Ich habe ihm gesagt, er soll um zehn hier sein.“

Er ging zur Tür, blickte durch den Spion und öffnete. „Gib mir noch fünf Minuten.“

Coop trat in den Schatten zurück. „Kein Problem.“

Als er wieder ins Esszimmer kam, stand Emily, wo er sie zurückgelassen hatte, das Wasserglas noch immer umklammert. Man brauchte kein Genie – oder Psychologe – zu sein, um zu sehen, dass sie Angst hatte.

Er hätte sie gerne in den Arm genommen und ihr versichert, dass sie in Sicherheit war. Nur konnte er solche Garantien nicht geben. Stattdessen schob er die Hände in die Taschen und blieb, wo er war.

„Wenn irgendetwas – egal, was – dir heute Nacht Angst macht, ruf die Polizei. Überleg nicht lange. Das musst du mir versprechen.“

„Das mache ich. Danke für das fantastische Essen.“

Er hörte das leichte Zittern in der zu fröhlich klingenden Stimme und zögerte. „Ich könnte doch auf dem Sofa schlafen, Emily.“

Sie brachte ein Lächeln zustande. „Dann müsste Coop auch bleiben, denn er passt schließlich auf dich auf.“

„Ihm würde etwas Abwechslung von dem Gipsstaub bestimmt nichts ausmachen.“

„Ich habe nur ein Sofa. Und es ist für keinen von euch beiden lang genug. Geh nach Hause, Mark. Ich komme schon klar. Ich habe gute Schlösser und eine gute Alarmanlage. Das hat Nick selbst gesagt.“

„Stimmt.“

„Und vergiss nicht: Geheimagentin Evelyn ist nur ein Klopfen entfernt.“

Er musste lächeln. Er bewunderte Emilys Mut. Das hatte er schon immer getan. „Sag ihr, sie soll die Stricknadeln bereithalten.“

„Das mache ich.“ Sie stellte das Glas auf den Tisch und rieb sich die Hände an der Hose trocken, während sie in den Flur ging. „Ich bringe dich zur Tür.“

Als sie an der Tür angekommen war, legte Mark seine Hand auf ihre Hand, die gerade den Türknauf umfasste. Als sie sich in dem dämmrigen Flur zu ihm umdrehte und so verletzlich aussah, wusste er sofort, dass es ein Fehler gewesen war, sie zu berühren. Und er war nicht sicher, was er als Nächstes tun würde.

Was er tun wollte, war glasklar.

Und gefährlich.

Früher an diesem Abend, als Emily das Thema gewechselt hatte, nachdem er die Risiken seiner Arbeit erwähnt hatte, war ihre Botschaft deutlich gewesen. Sie wollte sich nicht mit jemandem wie ihm einlassen. Und das verstand er. Emilys Welt war von einem Verlust auf den Kopf gestellt worden. Sie würde es nicht unbeschadet überstehen, wenn die Sache zwischen ihnen aus dem Ruder lief.

Und ehrlich gesagt war er sich nicht sicher, ob er selbst es unbeschadet überstehen würde.

Es war besser, auf Distanz zu gehen. Bevor es zu spät war.

Seine Hand zurückzuziehen erforderte jede Faser seines Willens, aber er schaffte es. „Lass die Jalousien zu und alle Türen verschlossen, in Ordnung?“

„Mach ich.“ Sie klang auch nicht sicherer, als er sich nach dieser kurzen Berührung fühlte.

„Wir sehen uns morgen früh.“

Und bevor die Versuchung, sie in seine Arme zu ziehen und zu küssen, zu groß wurde, zog er die Tür auf und schlüpfte hinaus. Dann zog er sie hinter sich ins Schloss.

„Alles okay hier draußen?“ Er wandte sich an Coop.

„Prima. Alles okay da drinnen?“ Er deutete mit dem Kopf auf Emilys Wohnung, während er sich von der Wand abstieß.

„Ja. Warum?“

„Ich habe schon viele Aufträge mit dir zusammen erledigt, und dich erschüttert so leicht nichts. Aber heute Abend wirkst du ziemlich mitgenommen.“

Mark spürte, wie die Wärme seinen Hals hinaufkroch, und wandte sich dem Wagen zu. „Das wird schon wieder.“

Coop ging neben ihm. „Das habe ich auch gesagt.“

„Wovon redest du?“

„Monica hatte auf mich die gleiche Wirkung.“

Einen Augenblick lang überlegte Mark, ob er die Schlussfolgerung seines Partners zurückweisen sollte. Aber dann entschied er sich dagegen. Es hatte keinen Sinn.

Coop kannte ihn zu gut.

Kapitel 9

„Konzentrieren wir uns zuerst auf die Laborberichte. Clair, hast du die Substanz am Schuh des Schützen untersucht?“ Steve wandte sich an die Technikerin der Beweissicherung, die bei dieser Besprechung am Dienstagmorgen im Konferenzraum der Polizeidirektion Oakdale am anderen Ende des Tisches saß.

„Ja. Das Labor hat zwei unterschiedliche Substanzen gefunden. Beton und Dung.“

„Ist der Dung von einem Wild?“, fragte Carl. „Das nimmt nämlich hier allmählich überhand.“

„Nein. Ausgehend von den vorläufigen Ergebnissen sieht es nach Rind aus. Die Probe war frisch, also kaum Degeneration der DNA. Das Labor müsste heute oder morgen eine definitive Identifizierung haben.“

„Interessant. Klingt so, als würde unser Schütze in einer ländlichen Gegend wohnen oder sich oft dort aufhalten. Und außerdem hatte er vor Kurzem mit feuchtem Beton Kontakt. Es ist nicht viel, aber mehr, als wir gestern hatten.“ Steve blätterte in seinem Notizbuch. „Wir konnten mehrere Leute auf Christys Liste ausfindig machen. Bislang kommt keiner von ihnen in Frage. Drei müssen noch befragt werden.“ Er sah zu Coop und Mark hinüber. „Was ist bei euren Interviews mit den Frauen vom Frauenhaus herausgekommen?“

„Wir hatten neun Frauen auf unserer Liste.“ Coop lehnte sich vor. „Mit fünf davon haben wir gestern gesprochen. Vier hatten keinen Kontakt mit ihren Partnern, seit sie mit Dr. Lawson gesprochen haben, und eine ist zu ihrem Mann zurückgegangen. Wir befragen die anderen vier heute, vorausgesetzt, sie halten sich in der Stadt auf.“

„Was ist mit Hanley?“

„Sein Alibi ist wasserdicht“, erwiderte der Kriminalbeamte, der auf Emilys problembeladenen Klienten angesetzt worden war. „Er war mit seinem Sohn das ganze Wochenende weg zu einem Fußballcamp. Am Samstagmorgen hat er geholfen, eine der Mannschaften zu trainieren. Seine Geschichte deckt sich mit den Aussagen aller Zeugen, die er angegeben hat.“

„So viel also zu dieser Spur. Gibt es noch etwas, was wir besprechen müssen?“, wandte sich Carl an die Gruppe.

Während Mark den Blick in die Runde schweifen ließ, gab es noch ein paar Fragen in Bezug auf die nächsten Schritte, aber die Möglichkeiten waren begrenzt. Nach drei Tagen Ermittlung hatten die meisten Hinweise sich als Sackgasse erwiesen, und neue Beweise gab es auch nicht. Die heiße Spur wurde so schnell kalt, wie seine Haut es einmal im Frühjahr nach einem Sprung in den eisigen Wren Lake geworden war.

„Wir berufen wieder eine Konferenz ein, wenn sich etwas Substanzielles ergibt. In der Zwischenzeit haltet bitte telefonischen Kontakt.“ Carl erhob sich und sammelte seine Unterlagen ein.

Während die Runde sich auflöste, gesellte sich Steve zu Mark und Coop in einer Ecke des Raumes. „Wie geht es Dr. Lawson?“

„Ganz gut. Sie ist heute wieder arbeiten gegangen. Coop und ich haben sie hingebracht und ein paar Regeln für die nächsten Tage aufgestellt.“ Mark fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und schüttelte frustriert den Kopf. „Wir kommen hier keinen Schritt weiter.“

„Der Schütze hat uns nicht viel gegeben, womit wir arbeiten können“, gab Steve zu bedenken.

„Er hat Schuhgröße 44/45, fährt einen Mittelklassewagen und hat zumindest eine flüchtige Bekanntschaft mit Kühen und Zement.“ Coop steckte eine Hand in die Tasche und lehnte sich mit der Schulter an die Wand. „Und wir wissen, dass er vorsichtig ist. Er will nicht, dass wir ihn finden.“

„Und das werden wir vielleicht auch nicht, es sei denn, er hat einen Fehler gemacht, den wir bislang noch nicht gefunden haben. Oder er versucht es wieder“, sagte Steve.

Herumzusitzen und auf die letztere der beiden Möglichkeiten zu warten, gefiel Mark gar nicht. „Was hältst du davon, wenn wir zusätzliche Informationen an die Presse geben? Ich weiß, dass die ursprüngliche Berichterstattung uns keine Hinweise gebracht hat, aber vielleicht liest es diesmal jemand, der den ersten Artikel nicht gesehen hat.“

„Es könnte einen Versuch wert sein. Ich bespreche das mit Carl und höre, was er davon hält. Ich melde mich dann.“

Während Steve den Besprechungsraum durchquerte, um mit dem Kriminalkommissar zu reden, wandte sich Coop an Mark. „Komm, wir nehmen uns die restlichen Kontakte aus dem Frauenhaus vor.“

* * *

Als es an ihre Tür klopfte, blickte Emily von der Klientenakte auf ihrem Schreibtisch auf. „Herein.“

Einen Augenblick später streckte Maria den Kopf zur Tür herein. „Du bist alleine, ja?“

„Ja. Mr Barlow ist vor ein paar Minuten gegangen.“ Sie blickte auf ihre Uhr. „Warum bist du noch hier? Ich dachte, du musst Carlos heute eher aus der Schule abholen.“

, ich weiß. Aber ich will dich nicht alleine lassen.“

„Ich habe Schlösser an allen Türen. Und dank Nicks Einsatz gibt es jetzt auch Spione in den Türen. Mark und Coop kommen gleich. Ich verspreche, dass ich bis dahin keinem Fremden die Tür aufmachen werde.“

„Bist du sicher?“

„Ja. Geh. Wir sehen uns morgen Nachmittag.“

„Ich bin froh, dass du mittwochs keine Vormittagssprechstunde hast. So kannst du ein bisschen ausschlafen.“

„Darauf freue ich mich schon, das kannst du mir glauben. Und jetzt hol Carlos ab.“

„In Ordnung. Ich schreibe nur noch einen Brief zu Ende.“

Wenige Minuten später, als Emily den gedämpften Klang einer männlichen Stimme durch ihre dicke Tür hörte, vermutete sie, dass Mark und Coop gekommen waren, um sie zum Arzt zu begleiten. Sie schloss die Akte in ihrer Schreibtischschublade ein und stand auf, froh, ihren Arbeitstag beenden zu können. In der letzten vergangenen Stunde hatte ihr Arm wieder angefangen zu pochen, und die Erschöpfung hatte ihr die Kraft geraubt. Ihr Plan für den Rest des Tages, nachdem der Verband gewechselt worden war, sah ganz einfach aus: ein warmes Bad nehmen, etwas Leichtes zu Abend essen und dann schlafen gehen. Je eher, desto besser.

Sie nahm ihre Handtasche und ihren Aktenkoffer und legte sich die Jacke um die Schultern. Aber als sie das Licht in ihrem Büro löschte und die Tür aufzog, erstarrte sie.

Ein rotgesichtiger Jack Hanley stand auf der Schwelle zum Büro, und vor ihm stand Maria, die ihm mit ihrem ganzen Meter fünfzig den Weg versperrte, indem sie mit einer Hand die Tür und mit der anderen den Türrahmen so festhielt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Es war deutlich, dass sie nicht die Absicht hatte, sich von der Stelle zu rühren. Sie sah den Mann, der sie um mindestens einen Kopf überragte, finster an.

Als Jack Emily erblickte, drängte er sich grob an Maria vorbei, sodass sie das Gleichgewicht verlor.

„Er stand vor der Tür, als ich gehen wollte“, sagte Maria zu Emily, und ihre Augen funkelten vor Zorn, während sie sich am Türrahmen abstützte. „Ich habe ihm gesagt, dass du heute niemanden mehr sehen kannst, aber er wollte nicht gehen.“

„Ist schon gut, Maria.“ Emily bemühte sich, Miene und Tonfall ruhig zu halten, obwohl sich ihr Magen zusammenzog. „Warum rufen Sie nicht morgen an, Mr Hanley, dann kann Maria Ihnen einen Termin –“

„Haben Sie die Bullen geschickt, damit sie mich ausfragen?“ Er stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte sie an, während er die Worte ausspie, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

Obwohl Mark gesagt hatte, die Beamten und Agenten würden keine Einzelheiten der Ermittlungen preisgeben, überraschte es Emily nicht, dass Jack die Spur bis zu ihr zurückverfolgt hatte. Sie war für ihn in letzter Zeit zu seiner persönlichen Erzfeindin geworden und er wusste, dass sie detaillierte Informationen über seine Probleme besaß. Es war nur logisch, dass er annahm, sie habe etwas damit zu tun oder wisse zumindest von seiner Begegnung mit der Polizei.

„Mir ist bewusst, dass die Polizei mit Ihnen sprechen wollte.“

Ihre Antwort fachte seine Wut nur noch mehr an. „Das dachte ich mir. Hören Sie mal, Lady, ich habe schon genug Probleme. Da haben mir die Bullen gerade noch gefehlt. Ich habe nichts Illegales getan.“

„Dann brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen.“

„Seit ich Sie kenne, habe ich nichts als Schwierigkeiten.“

„Die Schwierigkeiten gab es schon, bevor wir uns kannten, Mr Hanley. Ich versuche Ihnen dabei zu helfen, einen Weg aus diesen Schwierigkeiten heraus zu finden.“

„Und mir die Polizei auf den Hals zu hetzen, ist dafür die richtige Methode? Was sind Sie denn für eine Therapeutin?“

Sie trat einen Schritt zurück. „Ich finde, Sie sollten jetzt gehen. Wir können einen Termin für morgen vereinbaren, wenn Sie sich beruhigt haben.“

„Ich will jetzt reden.“ Er hob die Stimme. „Ich bin es leid, hin- und hergestoßen zu werden. Und ich habe es satt, dass alle mir sagen, was ich tun soll und wie ich mein Leben leben soll. Und versuchen Sie nicht, mich loszuwerden.“ Er streckte die Hand aus, als Emily sich abwandte und griff nach ihrer Jacke, so als wollte er sie festhalten. Aber die Jacke rutschte lediglich von ihrer Schulter.

Die nächsten Sekunden nahm Emily nur verschwommen wahr. Sie hörte Schritte im Flur. Maria fing an, Jack mit ihrer Handtasche zu schlagen. Mark und Coop erschienen mit gezogenen Waffen. Während Coop Jack herumriss und einen Befehl bellte, trat Mark vor Emily, seine Pistole auf Jack gerichtet.

„Was …“ Jacks Gesicht rötete sich noch mehr, als Coop seinen Ausweis zückte und ihn gründlich abtastete.

Nachdem er fertig war, trat Coop einen Schritt zurück und ließ seine Waffe sinken, aber er steckte sie nicht weg. Seine Miene blieb bedrohlich. „Er ist sauber.“

Mark wandte sich um, schob seine Waffe in das Pistolenhalfter und drückte Emily sanft auf den Stuhl neben Marias Schreibtisch. Maria, die etwas auf Spanisch murmelte, blieb in ihrer Nähe und reichte ihr ein Glas Wasser.

Als sie das Glas zum Mund führte, merkte Emily, dass sie zitterte. Das Wasser wäre beinahe über den Rand des Glases geschwappt, und Mark legte seine Hand um ihre kalten Finger. Sie war dankbar für seine warme, stützende Berührung, als sie einen Schluck trank.

„Jetzt ist alles in Ordnung.“ Er beugte sich zu ihr und strich ihr über Haar und Wange, während er sie prüfend ansah.

„Was ist hier los?“ Jack funkelte Coop an.

Mark ignorierte Jacks Frage und sprach leise mit Emily. „Er hat ein hieb- und stichfestes Alibi für Samstag. Aber du hast nach diesem kleinen Zwischenfall das Recht, ihn wegen Belästigung anzuzeigen.“

„Nein. Das würde sein Leben nur noch komplizierter machen. Ich hätte dir seinen Namen nicht geben dürfen. Ich wusste, es würde sich rächen.“

„Nachdem ich ihn in Aktion erlebt habe, bin ich froh, dass wir ihn überprüft haben. Bist du sicher wegen der Anzeige?“

„Ja.“ Sie nickte heftig.

Mark zögerte eine Sekunde, dann richtete er sich auf und wandte sich an Jack. „Sie haben riesiges Glück, Mr Hanley.“ Sein Tonfall war eisig. „Dr. Lawson hat sich entschieden, keine Anzeige wegen Belästigung zu erstatten. Und nur zu Ihrer Information: Sie hat uns Ihren Namen nur sehr widerwillig genannt, obwohl sie am Samstag von einem Heckenschützen verwundet wurde.“

„Man hat auf sie geschossen?“ Entsetzen machte sich auf Jacks Miene breit, und die Farbe wich aus seinem Gesicht. Er legte den Kopf zur Seite und sah an Mark vorbei. Zum ersten Mal schien er den dicken weißen Verband an Emilys Oberarm zu bemerken, der unter dem Ärmel ihrer Bluse hervorlugte.

„Ja. Und jetzt schlage ich vor, dass Sie gehen, bevor Dr. Lawson ihre Meinung wegen der Anzeige ändert … oder bevor wir dafür sorgen, dass sie ihre Meinung ändert.“

„Hören Sie, es tut mir leid … Ich hatte ja keine Ahnung.“ Er ging auf die Tür zu, drehte sich dort noch einmal zu Emily um und sagte kleinlaut: „Vielleicht brauche ich diesen Kurs zur Aggressionsbewältigung ja wirklich. Danke, dass Sie nicht … dass Sie wegen heute keine rechtlichen Schritte unternehmen.“

Dann hat dieser Zwischenfall ja wenigstens etwas Gutes gehabt, dachte Emily. Jack hatte erkannt, dass er wegen seiner Aggressivität beinahe in ernsthafte Schwierigkeiten geraten wäre und dass er etwas gegen sein Problem tun musste.

„Nehmen Sie Hilfe in Anspruch, Mr Hanley“, sagte sie zu ihm.

Mit einem kurzen Nicken verschwand der Mann durch die Tür. Coop trat auf den Flur hinaus und sah ihm nach, bis er das Gebäude verließ.

Mark ging neben Emily in die Hocke und nahm ihre Hand. „Komm, wir bringen dich zum Arzt und dann nach Hause, okay?“

Sie lächelte tapfer. „Wie kommt es bloß, dass du immer wieder so dramatische Auftritte in meinem Leben hast?“

„Ehrlich gesagt wäre mir ein bisschen weniger Drama auch recht.“ Er wandte sich an Coop, der wieder das Büro betreten hatte.

„Er ist weg“, bestätigte Coop.

Maria kam näher, und man konnte sehen, wie besorgt sie war. „Kann ich noch irgendetwas für dich tun, Emily?“

„Nein. Danke, dass du mich verteidigt hast. Diese Handtasche kann eine tödliche Waffe sein. Ich weiß, wie viel sie wiegt.“ Sie lächelte schwach.

„Passen Sie gut auf sie auf“, sagte Maria zu den beiden Männern.

„Das haben wir vor.“ Mark stand auf.

„Ich bin sicher, Sie werden es versuchen, aber es ist nicht immer einfach. Sie kann ganz schön terca … stur sein.“ Maria wandte sich an Emily. „Tu, was sie sagen, und wir sehen uns morgen. Und von jetzt an werde ich nachschauen, auch wenn ich denke, dass niemand da ist. Den Fehler mache ich nicht noch einmal. Buenas noches.“

Als Maria durch die Tür entschwand, stand Emily auf. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi, und sie war froh, dass Marks Hand ihren Ellenbogen stützte. Sie streckte die Hand nach ihrer Tasche und dem Aktenkoffer aus, aber Mark war schneller.

„Wie wäre es, wenn du dich darauf konzentrierst, dich an mir festzuhalten?“

Das fiel ihr nicht schwer. Sie konnte fühlen, wie seine Muskeln sich unter ihren Fingerspitzen bewegten, als sie sich bei ihm einhakte, und seine unerschütterliche Stabilität gab ihr ein Gefühl der Stärke und Sicherheit. Zwei Dinge, die sie heute Abend dringend brauchte.

Vor allem, nachdem er ihr auf dem Heimweg erzählte, dass keine der Befragungen oder Spuren irgendeinen Verdächtigen zutage gefördert hatten. Und dass sie noch immer keinen Schritt näher dran waren, den Schützen zu finden.

* * *

Beinahe hätte er den zweiten Bericht verpasst. Wenn nicht jemand die Mittwochszeitung auf dem Tisch im Aufenthaltsraum hätte liegen lassen, hätte er den Artikel nicht gesehen.

Während er eine der letzten Portionen der selbst gemachten Hühnchenpastete vertilgte, die Ruthie eingefroren hatte, überflog er die Überschrift: „Polizei verfolgt weiter Spuren in Park-Schießerei.“ Bis jetzt hatte es nur wenige Informationen über den Zwischenfall gegeben. Eine erste Berichterstattung hatte wenig Einzelheiten gebracht, und die Fernsehreportagen am ersten Tag hatten lediglich ein Video von der Tatortbegehung gezeigt. Das war alles gewesen.

Der Grund für den Mangel an Einzelheiten war offensichtlich. Die Polizei hatte keine Ahnung, wer für die Schüsse verantwortlich war. Und diese jüngste Überschrift war eine Finte. Es gab keine Spuren, die sie hätten verfolgen können. Wenn doch, säße er jetzt bereits im Gefängnis. Die Sorgfalt, mit der er seine Spuren verwischt hatte, zahlte sich aus.

Die Mikrowelle piepste, und er holte seine Pastete heraus. Dann setzte er sich mit der Zeitung an den Tisch im leeren Pausenraum. Er hatte in den vergangenen Wochen immer später als die anderen Mittagspause gemacht. Ihr Gerede ging ihm auf die Nerven.

„Riecht gut hier.“