Über das Buch:
Der FBI-Agent Evan Cooper versteht sein Handwerk. Doch sein neuester Auftrag stellt selbst ihn vor eine große Herausforderung. Seine Schutzperson, die sturköpfige Diplomatentochter Monica Callahan, wird von Terroristen bedroht. Trotz bester Sicherheitsvorkehrungen gelingt es ihnen, Monica zu entführen und an einem geheimen Ort gefangen zu halten. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Evan Cooper ist frustriert und verwirrt: Noch nie hat er bei einem Auftrag derart versagt. Und noch nie ist eine Frau seinem Herzen so nahe gekommen wie Monica. Wird er es schaffen, sie zu befreien, bevor das Ultimatum abläuft?

Über die Autorin:
Irene Hannon studierte Psychologie und Journalistik. Sie kündigte ihren Job bei einem Weltunternehmen, um sich dem Schreiben zu widmen. In ihrer Freizeit spielt sie in Gemeindemusicals mit und unternimmt Reisen. Die Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann in Missouri..

Kapitel 7

Die Orgel setzte zum Schlusslied ein, und Monica griff nach dem Gesangbuch vor ihr in der Kirchenbank. Der Gottesdienst war das einzig Normale für sie gewesen, seit das FBI sie gestern früh überfallen hatte, und dass er schon endete, passte ihr gar nicht.

Während der letzten 60 Minuten hatte sie versucht so zu tun, als seien die beiden großen Männer in der letzten Bankreihe hinter ihr ebenfalls da, um Gott zu loben – und nicht, um sie zu beschützen. Sie hatte versucht zu vergessen, dass die unbekannten Gesichter in der Gemeinde nicht etwa neue Gottesdienstbesucher, sondern diensthabende Bundespolizisten waren.

Mit Waffen.

In der Kirche.

Es war absurd.

Eine Berührung an ihrer Schulter erinnerte sie daran, was ihr Coop beim Betreten der Kirche aufgetragen hatte. Gehen Sie noch vor allen anderen hinaus. Zögernd legte sie das Gesangbuch beiseite und drehte sich zu ihm. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Mittelgang, während sich sein Partner vor ihm aus der Kirchenbank schob. Monica nahm ihren Mantel, stand auf und schloss sich Mark an. Coop, so spürte sie, folgte ihnen auf dem Fuß. Als Mark die Tür zum Vorraum öffnete, schlossen sich Coops schlanke Finger in einem sanften doch festen Griff um ihren Oberarm.

„Lassen Sie ihn erst nachsehen, ob alles sicher ist.“

Sein warmer Atem streifte ihre Wange, als er sich zu ihr neigte, und sie blieb abrupt stehen. Er stand hinter ihr, ganz nahe, und schirmte sie von den anderen Gottesdienstbesuchern ab. Sein Partner beriet sich mit ein paar Männern in dunklen Anzügen und einer Frau in schwarzem Rock und royalblauem Blazer. Coop hielt Monica den Mantel hin, sodass sie bequem in die Ärmel schlüpfen konnte.

Wenige Sekunden später kam Mark zu ihnen.

„Alles klar. Das Auto steht auf dem Vorplatz. Beeilen wir uns.“

Flankiert von den beiden Männern ging Monica auf den Ausgang zu. Ihre Absätze klackerten auf dem Marmorboden im Rhythmus zu den schwebenden Tönen von „Amazing Grace“. Die drei Leute, mit denen Mark gesprochen hatte, verteilten sich im Vorraum, als ein paar Gemeindemitglieder hinausgingen. Einer der FBI-Agenten gab vor, das Schwarze Brett zu lesen. Der andere sah auf seine Uhr. Die Frau durchforstete ihre Handtasche wie auf der Suche nach ihren Schlüsseln. Doch Monica wusste, dass allesamt hellwach ihre Umgebung wahrnahmen und auf das leiseste Anzeichen von Gefahr achteten.

Sie waren einzig und allein da, um sie zu beschützen.

Sie erreichten die Ausgangstür und Mark trat vor. Er hob seinen linken Arm und sprach leise. Monica hatte zunächst die unauffälligen Ohrstöpsel und die unscheinbaren Mikrofone an den Handgelenken der Männer gar nicht bemerkt. Erst in der Kirche hatte sie erfahren, dass alle Sicherheitsbeamten mit diesen diskreten Kommunikationsmitteln untereinander verbunden waren.

Mark öffnete die Tür. Er wechselte ein paar knappe Worte mit dem Kollegen, der auf der anderen Seite stand. Coop hielt noch immer Monicas Arm fest. Der andere Beamte öffnete die Tür des nur wenige Schritte entfernten Geländewagens, und sie fand sich plötzlich eilig hinein- und auf die Rückbank verfrachtet. Coop rutschte neben sie, Mark setzte sich auf den Beifahrersitz, und der Kollege übernahm das Steuer. So rasch und reibungslos war ihr Abgang gewesen, dass der Wagen bereits aus der Parklücke fuhr, als die Orgel gerade mal den ersten Vers beendete.

„Wow. Ganz schön beeindruckend.“ Monica holte tief Luft. „Ich nehme mal an, Sie beide haben das schon ein paarmal durch.“

„Ein paarmal.“ Coop sah sich über die Schulter, während er antwortete.

„Sie schauen wohl nach Verfolgern?“ Ihre Frage war nur zum Teil scherzhaft gemeint. Die Art der Sicherheitsmaßnahmen für diesen kleinen Ausflug hatten ihr gezeigt, wie ernst die Drohungen gegen sie genommen wurden. Und sie überzeugten sie davon, dass die Gefahr realer war, als sie hatte wahrhaben wollen.

Coop wandte seine Aufmerksamkeit nach vorne und sah zu, wie ein Auto vom Bordsteinrand fuhr und vor ihnen Position bezog.

„Hat der sich gerade vor uns reingedrängelt?“ Monica hatte jetzt ebenfalls ihre Antennen ausgefahren, ihr Puls trommelte Staccato. Sie beugte sich nach vorn und hielt den Rand ihres Sitzes umklammert.

„Ja.“ Coop lehnte sich ganz entspannt zurück. „Aber er gehört zu uns.“

Langsam dämmerte es ihr. Sie wies mit dem Kopf auf das Auto hinter ihnen. „Der da auch?“

„Ja. Vergessen Sie nicht Ihren Sicherheitsgurt.“ Er schnallte sich an.

„Hatten wir auch schon auf dem Herweg eine ... Eskorte?“

„Ja.“

Wie schon zuvor, so machten sie auch jetzt auf dem Heimweg viele Umwege, stellte Monica fest. Als sie die Männer wegen ihrer schlechten Orientierung aufgezogen hatte, hatte Coop ihr erklärt, es sei sicherer, „nicht dem Muster entsprechend“ zu handeln, wie er sich ausdrückte.

Die beunruhigende Implikation war ihr nicht entgangen. Sie befürchteten, jemand könne sie schon lange genug beobachtet haben, um ihre Gewohnheiten zu kennen.

In dem Versuch, die plötzlich aufwallende Panik unter Kontrolle zu bekommen, tastete Monica nach dem Sicherheitsgurt und zog daran. Als sie aber die Schnalle einrasten wollte, rutschte sie ihr aus den zittrigen Fingern und sauste mit einem Knall zurück. Mark fuhr alarmiert auf und griff instinktiv nach seiner Waffe.

„’tschuldigung!“ Ihr Gesicht begann zu glühen.

„Lassen Sie mich mal.“ Coop lockerte seinen eigenen Gurt und beugte sich zu ihr hinüber. Seine breite Schulter lehnte gegen ihre, als er nach dem Gurt griff und daran zog, und seine Finger streiften ihre Hüfte, als er die Schnalle einrasten ließ.

Aus irgendeinem Grund geriet ihr Atem völlig aus dem Tritt. Unter anderen Umständen hätte sie ihre Reaktion vielleicht dem hochgewachsenen dunklen Mann neben sich zugeschrieben, der vor Männlichkeit sprühte und dessen schiere Anwesenheit ihr Stärke und Kompetenz vermittelten.

Aber so anziehend er auch sein mochte, so war ihre plötzliche Verwirrung und Aufregung wohl eher der Erkenntnis zuzuschreiben, dass diese Situation weitaus gefährlicher war, als sie sich hatte eingestehen wollen. Sie hatte wenig Ahnung von Polizeieinsätzen, bezweifelte aber, dass derart ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen ohne einen triftigen Grund ergriffen wurden.

„Mir war nicht bewusst, dass ein einfacher Kirchgang so viel Aufwand erfordern würde. Die Sicherheitsleute waren ganz schön beschäftigt, oder?“

Das leichte Zittern in ihrer Stimme ließ Coop aufhorchen. Zwar mühte sie sich sehr, es unter Kontrolle zu bringen, doch ein Aufflackern von Angst in ihren Augen entging ihm nicht. Und er schloss daraus, dass ihr die Realität der Bedrohung langsam bewusst wurde.

In beruflicher Hinsicht hielt er das für ein gutes Zeichen. Angst führte für gewöhnlich zu Vorsicht – und Kooperationsbereitschaft.

Aber auf persönlicher Ebene zog es ihm den Magen zusammen. Monica war ohne eigenes Zutun in Gefahr geraten. Natürlich taten sie alles, um sie zu beschützen – aber eine Garantie gab es nicht. Am wenigsten dann, wenn Terroristen im Spiel waren, die vor nichts zurückschreckten. Am wenigsten vor Mord.

Als HRT-Mitglied hätte er ihre Angst gerne dafür genutzt, dass sie ihrem Rat folgen und mit ihnen zusammenarbeiten würde.

Als Mann hätte er ihr die Ängste gerne genommen – trotz seiner eigenen wachsenden Besorgnis.

Schließlich entschied er sich, seine Antwort sehr ausgewogen zu formulieren und Monica zu beruhigen, ohne die Gefahr herunterzuspielen.

„Es war schon aufwendig, aber lieber übertreibe ich es mit der Sicherheit, als kalt erwischt zu werden.“ Er versuchte, ganz beiläufig zu klingen. „Wir sind schon mit viel verfahreneren Situationen klargekommen.“

Ein paar Sekunden lang starrte sie schweigend durch die getönte Scheibe nach draußen. Coop nutzte die Gelegenheit, um ihr klassisches Profil zu bewundern.

„Was ist mit meinem Vortrag morgen? Und später mit dem Buchsignieren?“

„Wieso fragen Sie?“

„Wird das für Sie ein Riesentheater werden?“

„Wegen des Signierens machen wir uns Gedanken, wenn es so weit ist. Wenn heute im Laufe des Tages die anderen Sicherheitsteams ankommen, werden Mark und ich vor Ort die Gegebenheiten im Hotel überprüfen. Es wäre uns zwar lieber, wenn Sie die Rede absagen, aber ich denke, wir werden den Veranstaltungsort ohne größere Probleme sichern können, wenn wir genügend Leute haben.“

„Dieser Zeitaufwand und all die Mühe, nur wegen mir ...“ Ihre Worte verloren sich. „Wenn ich aber so kurz vor knapp noch die Rede absage, wird das für die Veranstalter ein riesiges Problem darstellen.“

„Wir kriegen das auch so hin.“

„Tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Schwierigkeiten mache.“

Sie hatte sich in die Ecke ihres Sitzes gedrückt und sah so verloren und zerbrechlich aus, dass Coop den heftigen Drang verspürte, sie zu trösten und ihre Hand zu halten.

Er widerstand diesem unprofessionellen Impuls, indem er seinen Händen etwas anderes zu tun gab. Er holte seinen BlackBerry hervor und gab ein paar Zahlen ein.

„Sie machen ja nicht die Schwierigkeiten.“ Sein nächster Satz galt Mark: „Ich kontaktiere mal unsere Kollegen vor Monicas Haus.“

„Gute Idee.“

Nachdem ihm die Kollegen einen kurzen Lagebericht gegeben hatten, steckte Coop seinen BlackBerry in die Halterung zurück.

„Alles in Ordnung?“ Mark warf einen Blick in den Rückspiegel und sah Coop fragend an.

„Ja. Alles okay.“ Coop blickte zu Monica. Sie war noch immer in ihrem Sitz zusammengekauert, den Kopf gegen das Fenster gelehnt.

„Hey.“ Er sagte das Wort ganz sanft. Dann schob er alle professionellen Bedenken beiseite und legte sein Hände auf ihre. Sie waren eiskalt.

Sie drehte sich zu ihm und ließ den Blick auf ihre miteinander verbundenen Hände fallen. Einen Moment lang dachte er, sie würde ihre Hand wegziehen. Als sie es nicht tat, sprach er weiter.

„Das alles ist nicht Ihre Schuld, Monica. Wir kriegen das hin mit der Rede. Dennoch würden wir uns freuen, wenn Sie noch einmal über das sichere Haus nachdenken. Es würde uns erlauben, Ihnen den bestmöglichen Schutz zu geben, bis das alles hier vorbei ist. Überlegen Sie sich’s noch einmal?“

Eine Weile sah sie ihn an. Er konnte förmlich sehen, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. „In Ordnung.“

„Gut.“ Er widerstand dem Wunsch, ihre Hand ermutigend zu drücken, lächelte stattdessen und zog sie zurück. „Dreh doch bitte die Heizung ein bisschen auf, Mark, sei so gut.“

„Aber gerne.“

Sein Partner kam der Bitte nach, woraufhin es im Wagen angenehm warm wurde. Aber Monica fühlte sich noch immer durch und durch kalt.

Abgesehen von ihrem Handrücken, der von Coops Hand erwärmt worden war.

* * *

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich was koche?“

Die Frage unterbrach Coop und Mark bei ihrer Diskussion über die Hotelpläne, die sie auf dem Küchentisch ausgebreitet hatten. Sie wandten sich zu Monica, die im Türrahmen stand. Sie hatte das burgunderfarbene Kostüm, das sie in der Kirche getragen hatte, gegen bequeme Jeans und einen weichen, grünen Pulli eingetauscht, der gut zu ihren Augen passte, stellte Coop mit einem raschen Blick anerkennend fest.

„Nein, gar nicht. Sind wir im Weg?“ Er zeigte auf die großen Baupläne auf dem Küchentisch.

„Geht schon.“ Sie hatte kaum mehr als einen kurzen Blick dafür übrig. Sie machte sich auf der Arbeitsplatte zu schaffen. „Ich dachte an Hühnchenauflauf. Aber falls Ihnen Pizza lieber wäre ...“

„Sie müssen uns nicht durchfüttern, Monica.“

Sie hielt einen Moment inne, antwortete aber nicht sofort auf Coops Einwand. Er sah Mark fragend an, der zuckte aber nur mit den Schultern.

„Wenn meine Nerven blank liegen, tut mir Kochen gut. Es sei denn, Sie bestellen sich lieber was.“ Sie sagte das in gedämpftem Ton und ohne sich umzudrehen.

Menschen haben viele verschiedene Stressbewältigungsstrategien, ganz besonders, wenn sie eingesperrt sind. Coop hatte sich eingebildet, inzwischen alle zu kennen. Videospiele, Fernsehen, Solitaire, Kreuzworträtsel – und die etwas weniger harmlosen Fluchtversuche wie Alkohol und Rauchen. Er selbst las in solchen Situationen, Mark bevorzugte Musikhören.

Kochen als Bewältigungsstrategie war neu für ihn. Aber ihm war alles recht, wenn es nur half. Monica war aufgedreht wie eine Uhrenfeder. Wenn sie nichts fand, womit sie ein wenig Spannung abbauen konnte, würde sie durchdrehen. So etwas hatte er schon ein paarmal erlebt. Und er wollte nicht, dass es ihr ebenso erging.

„Im Falle einer Abstimmung würde der Hühnchenauflauf meine Stimme bekommen“, meldete sich Mark zu Wort. „Mein Pizzakonsum reicht bereits für zwei Leben.“

„Dem schließe ich mich an“, fügte Coop hinzu.

Er sah, wie sich ihre Schultern ein klein wenig entspannten. Er beobachtete sie so lang, bis Mark ihn unter dem Tisch trat und leise und amüsiert sagte: „Konzentration, Kumpel. Wir sprachen darüber, wie wir die Zugänge sichern können, schon vergessen?“

Den restlichen Nachmittag lang gab sich Coop alle Mühe, ihrem Einsatzplan seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Er setzte sich sogar so, dass er Monica im Rücken hatte. Dennoch war er sich in jedem Augenblick ihrer Gegenwart bewusst. Für ihn war das eine völlig neue Erfahrung.

Keine Frau hatte je diese Wirkung auf ihn gehabt – und er konnte sich nicht erklären, warum es bei Monica anders war. Ja, sie war schön. Und klug. Und empfindsam. Sie schien eine freundliche, fürsorgliche, prinzipienstarke Persönlichkeit zu sein. Allerdings hatte er auch schon andere Frauen kennengelernt, die dieselben Eigenschaften besaßen, und sie kaum mehr als eines Blickes gewürdigt.

Aber aus irgendeinem geheimnisvollen Grund fand er Monica Callahan so anziehend wie keine andere Frau zuvor.

Und das machte ihm Angst.

Dinge, die er begreifen konnte, waren kein Problem für ihn. Aber er verstand nicht, warum er sich zu ihr so hingezogen fühlte. Es gab keinerlei Erklärung für diese besondere Ausstrahlung, die sie umgab. Und er mochte Unerklärbares nicht. Rätsel ohne Lösung. Fragen ohne Antworten. Aufgabenstellungen mit zu vielen Unbekannten. Situationen, deren Auflösung eher Glauben denn Fakten erforderte.

„Wenn Sie beide mal eine Pause einlegen und den Tisch freimachen könnten, würde ich das Essen auftragen.“

Mark wandte sich mit einem Grinsen zu ihr um. „Pause einlegen können oder nicht – diesen Düften kann ich nicht länger widerstehen. Ich lebe gerade nur noch von der Erinnerung an die deftigen Muffins, die Nick uns heute morgen vorbeigebracht hat – zusammen mit seiner Standpauke wegen unserer schlechten Essgewohnheiten. Und überhaupt habe ich den Eindruck, dass mein Partner sich vor Hunger kaum mehr konzentrieren kann.“

Mark vergewisserte sich mit einem Grinsen im Gesicht, dass Coop auch ja den Doppelsinn seiner Bemerkung erfasst hatte und fing an, die über den Tisch verstreuten Papiere einzusammeln.

„Kann ich irgendwie helfen?“ Coop stand auf. Mark eilte ins Wohnzimmer, um dort die Arbeit ihres Nachmittags zu deponieren.

„Sie könnten den Tisch decken, wenn Sie möchten.“ Monica wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und nahm ihre übergroße Schürze ab. „Die Teller sind im Hängeschrank ganz rechts, und das Besteck finden Sie in der Schublade bei der Kaffeemaschine.“

Während Coop für drei Personen deckte, betrachtete er sie prüfend. Die fast greifbare Anspannung, die er früher am Tag an ihr wahrgenommen hatte, war verschwunden. Der Großteil ihres Make-ups, übrigens nur sehr dezent aufgetragen, war dem Dampf aus dem Ofen zum Opfer gefallen. Übriggeblieben war nur ein ganz reizender Mehlstreifen auf ihrer Wange.

Wie sie da mit appetitanregendem Essen zwischen Arbeitsplatte und Tisch hin und her ging, wurde Coop bewusst, mit welcher Vehemenz sie sich aufs Kochen gestürzt hatte. Sie stellte eine große Auflaufform in die Mitte – Hühnchen und Brokkoli waren von einer sahnigen Soße überzogen. Eine randvolle Schüssel mit Kartoffelbrei und eine riesige Salatschüssel teilten sich den verbliebenen Platz mit einem Korb voll anscheinend selbst gebackener Brötchen. Und auf der Arbeitsfläche stand zum Abkühlen ein Blech voll frisch gebackener Chocolate-Chip-Cookies.

Überwältigt sah er sich noch einmal rasch das Essen an. „Haben Sie das alles in den letzten“ – er schaute auf seine Uhr – „drei Stunden zubereitet?“

„Ist gar nichts Besonderes. Alles nur einfache Grundrezepte.“

„Glauben Sie mir, Monica“, Mark lächelte, als er wieder in die Küche kam und sich den Tisch besah, „für zwei Junggesellen, die sich von Fastfood und Imbissbudenfraß ernähren, ist das hier ein Festmahl.“

„Ich denke nicht, dass ich so weit gehen würde. Aber es ist jedenfalls was Anständiges. Kommen Sie, essen wir, solange es noch heiß ist.“

„Dazu brauche ich keine schriftliche Einladung. Madame ...“ Mit elegantem Schwung rückte Mark ihr den Stuhl zurecht, was ihr ein mädchenhaftes Kichern entlockte.

Ein Kichern.

Coop brachte Monica kaum dazu, einmal zu lächeln, von Kichern oder Lachen ganz zu schweigen. Er sah Mark finster an, als der sich hinsetzte.

„Hey, Kumpel, kommst du jetzt, oder was?“, fragte Mark ganz unschuldig.

Schweigend setzte sich Coop auf den letzten freien Platz.

„Einen Moment nur, ja?“ Ohne auf Antwort zu warten, neigte Monica ihren Kopf und schloss die Augen. Ihr Gebet war nur kurz, aber doch so lange, dass Coop Mark mit einem weiteren grimmigen Blick durchbohren konnte. Mark ignorierte ihn.

„Bedienen Sie sich, ganz unkompliziert“, forderte Monica sie auf, als sie wieder den Kopf gehoben hatte.

Nachdem sich alle die Teller gefüllt und den ersten Hunger gestillt hatten, brachte sie ihren Vortrag zur Sprache.

„Sie haben sich doch inzwischen den Grundriss des Hotels ansehen und über Sicherheitsmaßnahmen reden können. Sind Sie mit den Gegebenheiten einigermaßen zufrieden?“

„Wir werden mehr wissen, wenn wir heute Abend hingehen und uns das im Original anschauen“, antwortete Coop.

„Aber wie lautet Ihre erste Einschätzung?“

„Müsste eigentlich mit geringem Risiko machbar sein“, sagte Mark. „Kollegen von hier werden im Publikum sitzen, ein paar mischen sich unter das Hotelpersonal, und Coop und ich bleiben in Ihrer Nähe.“

„Es gibt da einen Eingang für die Essenslieferanten nahe der Bühne mit einer Verbindung nach draußen. Den werden wir zum Kommen und Gehen verwenden“, fügte Mark hinzu. „So können wir rein und raus, ohne durch die Menge zu müssen.“

„Normalerweise benutze ich ein Funkmikrofon.“

„Uns wäre es lieber, wenn Sie diesmal hinter dem Rednerpult bleiben könnten.“ Mark nahm sich eine zweite Portion Kartoffelbrei.

Monica stocherte in ihrem Salat herum. „Ich wette, Sie wollen auch nicht, dass ich während der anschließenden Diskussion durch die Reihen gehe?“

„Auf keinen Fall“, antworteten die beiden Männer gleichzeitig.

„Sehen Sie? Zwei Dumme, ein Gedanke.“ Mark grinste und hob seine Gabel mit Kartoffelbrei. „Ist da Knoblauch drin?“

„Ja.“

„Dacht ich’s mir. Schmeckt super!“

„Danke.“ Monica lächelte und griff nach dem Brotkorb. „Nehmen Sie sich doch noch eins.“

„Aber gerne.“ Mark bediente sich. „Die schmecken ausgezeichnet.“

„Coop?“ Sie hielt auch ihm den Korb hin.

„Danke. Ich schließe mich dem Kompliment meines Partners an. Die erinnern mich an die Brötchen, die meine Stiefmutter immer macht.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Stiefmutter haben.“ Sie stellte den Korb ab und wandte sich ihm interessiert zu.

In ihren Augen, die wie tiefe grüne Seen waren, konnte ein Mann ertrinken, stellte Coop fest, und bemühte sich, seine Aufmerksamkeit auf die Brötchen zu richten. „Mein Vater hat noch einmal geheiratet, als ich 16 Jahre alt war. Ich war nur noch ein Jahr zu Hause, bis ich dann zum College ging, aber ich weiß noch, dass meine Stiefmutter sehr gut kochte. Und ich habe mich immer über ihre Carepakete voller selbst gebackener Kekse und Plätzchen gefreut, die sie mir ins College schickte.“

„Das hast du nie erzählt.“

Coop reagierte auf Marks Einwurf mit einem Achselzucken. Er hatte noch nie jemandem erzählt, wie nett seine Stiefmutter war. Er redete nicht über seine persönliche Geschichte. Das hatte er zumindest nicht getan, bis vor 24 Stunden. „War ja nichts Besonderes.“

„Hey, Kekse und Plätzchen sind immer was Besonderes.“ Mark zwinkerte Monica zu und entlockte ihr ein sanftes Kichern.

Obwohl Coop keineswegs begeistert von Marks Flirterei mit Monica war, nahm er doch an, es könne sich um ein Zerstreuungsmanöver handeln. Mark hatte ein ebenso feines Gespür für Stimmungen wie Coop – und Monicas Anspannung war nicht zu übersehen. In angespannten Situationen griffen sie oft auf fröhliches Geplänkel zurück, um jemanden zu beruhigen. Wahrscheinlich war es das, was Mark gerade tat.

Hoffte Coop.

Sein BlackBerry vibrierte. Er zog es aus der Tasche. Monicas Lächeln verschwand, während sie ihm zusah. Die Stimmung, die eben noch unbeschwert gewesen war, wurde wieder angespannt.

„Ist die Verstärkung schon da?“ Mark legte seine Serviette neben sich auf den Tisch, als Coop das kurze Gespräch beendete.

„In zwei Minuten.“ Coop verdrückte die andere Hälfte seines Brötchens mit einem Bissen und wischte sich den Mund an der Serviette ab. „Wir helfen noch beim Spülen, bevor wir losziehen“, sagte er zu Monica gewandt. Er stand auf, griff nach einer der Schüsseln und ihrem Teller und stellte fest, dass sie selbst fast nichts gegessen hatte.

„Nein, nein, lassen Sie nur. So habe ich wenigstens etwas zu tun.“ Sie stand auf und zeigte auf die Cookies. „Haben Sie noch Zeit für einen Nachtisch?“

„Für Nachtisch haben wir immer Zeit.“ Mark antwortete lächelnd für sie beide. „Und ich schätze, unsere Ablösung hätte auch nichts dagegen, solange wir die Übergabe machen.“

Es läutete an der Tür. Coop ging in Richtung Diele, Mark blieb ihm auf den Fersen. „Bleiben Sie hier“, wies er Monica an.

In der Diele blieb Mark stehen, während Coop durch den Spion sah. Zwei große, Respekt einflößende Männer in Anzug standen vor der Tür, der eine mit schwarzem Haar und einem wettergegerbten, markanten Gesicht, der andere mit kastanienbraunem Schopf und durchdringenden Augen. Zwei der besten HRT-Mitarbeiter. Les überließ bei dieser Aktion hier wirklich nichts dem Zufall, ging es Coop durch den Kopf. Er öffnete.

Schnell traten die beiden Männer ein. Mark steckte seine Glock-Pistole ins Halfter zurück, dann begrüßten sie sich.

„Seid ihr beiden über alles informiert?“, fragte Coop, während er ihnen zur Küche vorausging.

„Auf dem Weg hierher haben wir uns die Infos angesehen“, gab der Kastanienbraune zur Antwort.

„Bestens. Wir bringen euch dann gleich auf den neuesten Stand.“ Coop scheuchte sie in die Küche. „Monica, lassen Sie mich Ihnen die Nachtschicht vorstellen.“

Sie drehte sich um und hielt sich an der Arbeitsfläche hinter ihr fest.

„Rick Hooper“ – Coop wies mit dem Kopf in Richtung des schwarzhaarigen Mannes – „und Shaun MacDonald ... oder Mac, wie wir ihn nennen.“

Ihr Lächeln wirkte zwar gezwungen, aber sie trat vor und streckte zur Begrüßung ihre Hand aus.

„Ich habe den beiden schon gesagt, dass sie grade rechtzeitig zum Spülen kommen.“ Mark grinste und zwinkerte ihr zu, während sie die Neuankömmlinge begrüßte.

„Er macht Witze“, versicherte Monica. „Aber Sie kommen genau richtig für Cookies und Kaffee, falls Sie möchten.“

„Klingt gut. Danke schön!“ Mac lächelte sie an.

Die Männer bedienten sich und verschwanden dann einer nach dem anderen im Wohnzimmer, bis nur noch Coop übrig war.

„Wir brauchen ein paar Minuten, um alles zu regeln“, erklärte er ihr.

Sie schluckte und nickte ein bisschen zittrig. „Ich werde Sie nicht stören.“

Sie drehte sich zur Spüle und machte sich am Abwasch zu schaffen.

Coop nahm die verkrampfte Linie ihrer Schultern wahr. Ihre steife Haltung war das stumme Zeugnis ihrer Anspannung. Ebenso ihr ungeschicktes Hantieren mit einer Schüssel. Sie rutschte ihr ins Spülbecken. Seifenwasser bespritzte sie.

Er schnappte sich ein sauberes Spültuch und reichte es ihr schweigend. Als sie sich das Gesicht damit abwischte, hätte er nicht sagen können, ob die Feuchtigkeit darauf vom Wasser stammte – oder von Tränen.

„Monica.“ Ganz sanft sagte er das und wartete, bis sie ihm in die Augen sah, bevor er weitersprach. „Alles wird gut gehen.“

Sie forschte in seinen Augen, als suche sie nach der Wahrheit. Was sie sah, musste sie beruhigt haben, denn nach ein paar Sekunden entspannten sich ihre Züge.

„Ich bin nur ein bisschen zitterig. Aber ich verlasse mich auf Sie alle.“

Er schaffte es, ein zuversichtliches Lächeln aufzusetzen, aber als er dann ins Wohnzimmer ging, konnte er nur hoffen, dass sie das Vertrauen, das Monica ihnen entgegenbrachte, auch wirklich verdienten.

Eine Dreiviertelstunde später tauchte Coop wieder in der Küche auf. Monica hatte die Arme verschränkt und sah ihn abwartend an.

„Mark und ich machen uns jetzt auf, um das Hotel in Augenschein zu nehmen. Er angelte sein Jackett von einer der Stuhllehnen und schlüpfte hinein. „Morgen früh um sechs lösen wir dann Rick und Mac ab.“

„Okay.“

In der Annahme, er werde gleich aufbrechen, sah sie zu, wie er sein Jackett zurechtrückte. Aber er zögerte, als sei er sich wegen irgendetwas unschlüssig. Ein solches Verhalten bei jemandem, der sonst Autorität und Selbstbewusstsein verbreitete, brachte sie ganz aus dem Konzept.

„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ Sie versteifte sich.

„Es gibt Neuigkeiten.“

„Gute oder schlechte?“

„Könnten gute sein.“

„Klingt ja nicht besonders überzeugend.“ Sie sah ihn skeptisch an.

„Ich habe gerade mit meinem Chef in Quantico gesprochen. Sieht so aus, als sei einer aus der terroristischen Gruppierung, die für die Entführungen verantwortlich ist, bereit, Informationen über den Aufenthaltsort der Geiseln zu verkaufen.“

„Ist das nicht gut?“

„Wenn es authentisch ist. Die Sicherheitsleute, die die Nachricht analysiert haben, halten es für sehr wahrscheinlich, dass sie echt ist. Offensichtlich stammt sie von einem Eingeweihten, der sein eigenes Süppchen kocht. Es könnte aber auch eine Falle sein.“

„Wie meinen Sie das?“

„Ihr Vater soll der Kurier für das Geld sein.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie diese Information verdaut und die auf der Hand liegenden Schlüsse gezogen hatte. „Die Terroristen könnten ihn also auch nur aus der Botschaft locken wollen, um ihn dann ...“ Sie ließ den Satz unvollendet.

„Wäre möglich. Er soll alleine kommen.“

„Wohin?“

„Auf einen belebten Marktplatz.“

„Wird er es tun?“

„Ja.“

„Warum?“

„Das müssen Sie ihn selbst fragen.“

Er lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und versenkte eine Hand in der Hosentasche. „Ich könnte in der Botschaft anrufen, falls Sie mit ihm sprechen möchten.“

Ein kurzen Moment der Unsicherheit verzögerte ihre Antwort um den Bruchteil einer Sekunde. „Nein.“

„Sollten Sie es sich anders überlegen, melden Sie sich bei Rick oder Mac. Die können auch dort anrufen.“

„Danke.“

Und wieder zögerte er. „Geht es Ihnen gut?“

Er schien von seiner vorsichtigen Frage ebenso überrascht zu sein wie sie.

„Ja“, antwortete sie, aber ein leichtes Zittern, das durch ihren Körper ging, strafte sie Lügen.

Er ließ seinen Blick einen Moment auf ihren Lippen ruhen, hob ihn dann wieder und sah ihr lange in die Augen. „Monica?“

Ein Wort nur. Mehr sagte er nicht. Aber sie hörte viel mehr. Sag mir die Wahrheit. Ich sorge mich um dich. Ich will wissen, wie es dir wirklich geht.

Mehrere Sekunden verstrichen in Schweigen, während sie ihre Antwort bedachte.

„Ich weiß nicht so recht.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie auf seine unausgesprochene Bitte einging. „Das ist alles so schwierig. Und beängstigend.“

„Ich weiß. Wir tun unser Bestes, um Sie da sicher durchzubringen.“

Unter seinem prüfenden Blick begann ihre Fassade langsam zu bröckeln. Seit Coop und Mark gestern morgen ihre Welt auf den Kopf gestellt hatten, hatte sie sich abgemüht, selbstsicher, gelassen und stark zu wirken.

Jetzt allerdings fühlte sie sich kein bisschen stark. Sie war aus dem Gleichgewicht geraten und unsicher, ganz besonders nach dieser neuesten Nachricht und ihren beunruhigenden Implikationen. Und sie hatte das starke Verlangen nach etwas Zuverlässigem, Sicherem, etwas Vertrauenswürdigem, an das man sich klammern konnte. Etwas oder jemand.

Jemand wie Coop.

Noch als der Satz in ihrem Kopf nachhallte, schob sie ihn als absurd beiseite. Dieser Mann war für sie ein Fremder.

Weniger einfach allerdings war es, das Verlangen beiseitezuschieben, zu ihm hinüberzugehen und sich anzulehnen, in seinen starken Armen geborgen zu sein. Das Verlangen war so stark, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurück machte, um etwas dagegenzusetzen.

„Danke.“ Mehr bekam sie aus ihrer zugeschnürten Kehle nicht heraus.

Seine Augen verengten sich, als sie sich so zurückzog. „Versuchen Sie, ein bisschen zu schlafen. Sie sind in guten Händen.“

„Ich werd’s versuchen. Danke.“

Nach einem letzten prüfenden Blick verschwand Coop in der Diele. Ein paar Minuten später hörte sie, wie die Haustüre aufging und dann ins Schloss fiel.

Er war fort.

Und er nahm das letzte bisschen Seelenfriede mit sich, an das sie sich noch geklammert hatte. Jetzt, wo er weg war, fühlte sie sich verlassen. Und unwohl.

Das ist doch lächerlich, schimpfte sie sich selbst, schnappte sich ein Geschirrtuch und wischte energisch über die völlig saubere Arbeitsplatte. Rick und Mac saßen in ihrem Wohnzimmer. Die waren doch auch HRT-Mitglieder. Genauso kompetent und qualifiziert wie Coop und Mark. Hatte Coop nicht selbst gesagt, sie sei in guten Händen?

Sie glaubte das. Wirklich.

Das Problem war nur, dass es sich nicht um Coops Hände handelte.

Und warum auch immer – das machte einen riesigen Unterschied.