Die Bücherschlacht

Jugendwerke und Tagebuch

Erich Reiss Verlag

Berlin
1910

Der Verleger an den Leser.

Wie die folgende Abhandlung unfraglich von demselben Verfasser ist, so scheint sie auch ungefähr um dieselbe Zeit geschrieben worden zu sein wie die vorhergehende; ich meine, im Jahre 1697, als der berühmte Streit über die alte und die moderne Gelehrsamkeit im Schwange war. Die Polemik entstand infolge einer Schrift Sir William Temples über jenes Thema, auf die W. Wotton antwortete, während Dr. Bentley für diese Antwort einen Appendix schrieb, indem er das Ansehn des Aesop und des Phalaris als Autoren zu vernichten suchte, die Sir William Temple in genannter Schrift aufs höchste gepriesen hatte. In jenem Appendix fällt der Doktor über eine neue Ausgabe des Phalaris her, die der ehrenwerte Charles Boyle veranstaltet hatte, der jetzige Lord Orrery; Herr Boyle entgegnete ausführlich und mit viel Gelehrsamkeit und Witz; worauf der Doktor von neuem eine umfangreiche Erwiderung schrieb. In diesem Streit empfand es die Stadt als im höchsten Grade ungehörig, dass ein Mann von Sir William Temples Ruf und Methodik von den beiden vorbenannten ehrwürdigen Herrn ohne jede Provokation scharf angefasst wurde. Da nun dem Streit kein Ende abzusehn war, so erzählt unser Autor uns, wie schliesslich die Bücher in der St. Jakobs-Bibliothek, die sich selber als Hauptbeteiligte ansahn, den Streit aufgriffen und eine entscheidende Schlacht begannen; da aber das Manuskript an verschiedenen Stellen durch Zufall oder durch die Witterung Schaden gelitten hat und sehr unvollständig ist, so erfahren wir nicht, welcher Seite der Sieg zufiel.

Ich muss den Leser warnen, damit er nicht auf Personen bezieht, was hier nur im buchstäblichsten Sinn von Büchern gemeint ist. Wenn also Vergil genannt wird, so haben wir darunter nicht die Person jenes berühmten so benannten Dichters zu verstehn, sondern nur gewisse Bogen Papier, die in Leder gebunden sind und die gedruckten Werke besagten Dichters enthalten; und so auch mit allen andern.

Ein ausführlicher und wahrhaftiger Bericht über die Schlacht, die letzten Freitag in der St. Jakobsbibliothek zwischen den alten und den modernen Büchern ausgefochten wurde.

Die Vorrede des Verfassers.

Die Satire ist eine Art Spiegel, in dem die Beschauer allgemein jedermanns Gesicht erkennen, nur ihr eigenes nicht; das ist der Hauptgrund, weshalb sie in der Welt eine so gute Aufnahme findet und weshalb so wenig Leute an ihr Anstoss nehmen. Wenn es aber anders gehn sollte, so ist auch da die Gefahr nicht gross, und die lange Erfahrung hat mich gelehrt, niemals von einem Verstand Unheil zu befürchten, den ich habe reizen können; denn wenn Zorn und Wut auch die Kraft der Sehnen des Körpers steigern, so zeigt sich doch, dass sie die der Sehnen des Geistes schwächen und all seine Anstrengungen matt und ohnmächtig machen.

Es gibt ein Gehirn, das nur ein einziges Abschäumen gestattet; der Besitzer möge das Ergebnis sorgfältig sammeln und seinen kleinen Vorrat sparsam verwalten; vor allen Dingen aber möge er sich hüten, ihn unter die Peitsche Überlegner zu bringen, denn dann wird das Ganze in Unverschämtheit aufschäumen, und er wird keinen neuen Vorrat finden. Witz ohne Wissen ist eine Art Rahm, der über Nacht nach oben steigt und sich von geschickter Hand gar schnell zu Schaum schlagen lässt; ist er aber einmal abgeschäumt, so wird, was darunter zu Tage tritt, für nichts mehr taugen, als dass man es den Schweinen vorwirft.

Ein ausführlicher und wahrhaftiger Bericht usw.

Wer mit der nötigen Umsicht die ›jährlichen Zeitberichte‹ durchsieht, wird angemerkt finden, dass der Krieg das Kind des Stolzes, der Stolz aber der Sohn des Reichtums sei. Die erste Behauptung wird man ohne weiteres anerkennen, aber die zweite kann man nicht so leicht unterschreiben, denn der Stolz ist durch seinen Vater oder seine Mutter und bisweilen durch beide eng mit dem Bettelstab und dem Mangel verwandt; und um ohne Umschreibung zu reden, so zeigt er sich selten unter den Menschen, wenn alle genug haben, denn Angriffe wandern in der Regel von Norden nach Süden, das heisst, von der Armut zur Fülle. Die ältesten und natürlichsten Anlässe aller Streitigkeiten sind Wollust und Habgier; und obgleich wir beide als Schwestern oder als Seiten verwandte des Stolzes anerkennen können, so sind sie sicherlich doch Nachkommen des Mangels. Um in der Sprache politischer Schriftsteller zu reden, so können wir in der Republik der Hunde (als welche ihrem Ursprung nach eine Einrichtung der Masse zu sein scheint) beobachten, dass der ganze Staat nach einer reichlichen Mahlzeit stets im tiefsten Frieden lebt, und dass sich Bürgerkriege zwischen ihnen nur dann erheben, wenn ein einziger, grosser Knochen von irgendeinem führenden Hund aufgeschnappt wird, der ihn entweder unter die wenigen verteilt, was auf eine Oligarchie hinausläuft, oder für sich behält, was sich zur Tyrannei versteigt. Derselbe Gedankengang bleibt unter ihnen auch bei jenen Streitigkeiten stichhaltig, die wir erleben, wenn eins ihrer Weibchen anschwillt. Denn da das Besitzrecht allgemein ist (in so heiklen Fragen ist es unmöglich, Eigentumsrechte festzustellen), so ist die Eifersucht und der Argwohn so allgemein verbreitet, dass der ganze Staat einer Strasse klärlich in Kriegszustand gerät: Jeder Bürger kämpft wider jeden Bürger, bis irgendeiner, der mehr Mut, mehr Sicherheit oder mehr Glück hat als die andern, die Beute packt und geniesst, worauf sich natürlich viel Ingrimm, Neid und Knurren wider den glücklichen Hund erhebt. Und wenn wir dann einen jener Staaten betrachten, die in der Fremde in einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg verwickelt sind, so werden wir sehn, dass auch in bezug auf die Grunde und Anlässe dieselben Gedanken ihre Gültigkeit behalten, und dass die Armut oder der Mangel in irgendeinem Grade (und es macht dabei keinen Unterschied, ob sie wirklich sind oder eingebildet) auf der Seite des Angreifers ebenso stark beteiligt ist wie der Stolz.