Aus dem Amerikanischen von Doris Attwood

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Tears of Tess (Monsters in the Dark – Volume 1)

erschien 2013 im Verlag Pepper Winters.

Copyright © 2013 by Pepper Winters

Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Festa Verlag, Leipzig

Lektorat: Katrin Hoppe

Titelbild: Ari – www.coveritdesigns.net

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-617-5

www.Festa-Verlag.de

Widmung

Dieses Buch ist all den Bloggern, Facebook-Freunden, Beta-Lesern, Kritikern und unglaublichen Leuten in den Weiten des Internets gewidmet. Der Erfolg von Tears of Tess gehört euch wunderbaren Menschen.

Von ganzem Herzen ein riesiges Dankeschön.

Prolog

Drei kleine Worte.

Wenn mich jemand gefragt hätte, wovor ich mich am meisten fürchtete, was mir schreckliche Angst einjagte, den Atem raubte und mein Leben flackernd vor meinen Augen vorbeiziehen ließ, hätte ich geantwortet: drei kleine Worte.

Wie konnte mein perfektes Leben nur so tief in die Hölle stürzen?

Wie konnte meine Liebe zu Brax nur so sehr zerfallen, bis sie nicht mehr zu retten war?

Der schwarze, muffige Sack über meinem Kopf erstickte alle Gedanken. Ich saß einfach da, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Die Schnur fraß sich mit hungrigen, faserigen Zähnen in meine Handgelenke, als wollte sie mich in diesem neuen Dasein ausbluten.

Lärm.

Die Frachttür des Flugzeugs öffnete sich und Schritte donnerten auf uns zu. Meine Sinne waren wie vernebelt, gedämpft von der schwarzen Kapuze. Mein Verstand lief mit einer Flut schreckenserfüllter Bilder Amok. Würde ich vergewaltigt werden? Verstümmelt? Würde ich Brax jemals wiedersehen?

Männerstimmen stritten sich und irgendjemand riss meinen Arm nach oben. Ich zuckte zusammen und stieß einen Schrei aus, was mir einen Faustschlag in den Bauch einbrachte.

Tränen strömten über mein Gesicht. Die ersten Tränen, die ich vergoss, aber gewiss nicht die letzten.

Dies war meine neue Zukunft. Das Schicksal hatte mich den Hunden des Hades zum Fraß vorgeworfen.

»Die da.«

Mein Magen rebellierte und drohte seinen kompletten Inhalt zu entleeren. O Gott.

Drei kleine Worte:

Ich wurde verkauft.

Kapitel 1

STAR

»Wohin entführst du mich, Brax?« Seit zwei Jahren war ich mit ihm zusammen und kicherte drauflos, als Brax sein typisch schiefes Lächeln aufsetzte und mir den Koffer aus der Hand nahm.

Wir betraten das Flughafengebäude und ich hatte vor Aufregung Schmetterlinge im Bauch.

Vor einer Woche hatte er mich mit einem romantischen Abendessen und einem Umschlag überrascht. Ich hatte mich in seine Arme geworfen und ihn beinahe erdrückt, nachdem ich die beiden Kopien der Flugtickets herausgezogen hatte, deren Ziel mit dickem Filzstift geschwärzt war.

Mein perfekter, süßer Freund Brax Cliffingstone entführte mich an irgendeinen exotischen Ort, und das bedeutete Zweisamkeit, Sex und Spaß – Dinge, die ich wirklich dringend nötig hatte.

Brax hatte noch nie ein Geheimnis für sich behalten können. Verdammt, er war so ein grauenhaft schlechter Lügner – ich enttarnte seine Schwindeleien jedes Mal. Seine himmelblauen Augen wanderten dann immer nach links oben und seine niedlichen Ohren liefen rot an.

Aber irgendwie hatte er es geschafft, über diesen geheimnisvollen Urlaub Stillschweigen zu bewahren. Wie es jede andere normale 20-Jährige getan hätte, hatte ich unsere Wohnung skrupellos auf den Kopf gestellt. Ich hatte seine Unterwäscheschublade durchwühlt, das Playstation-Regal und alle anderen potenziellen Geheimverstecke, in denen er die echten Flugtickets hätte aufbewahren können. Aber die ganze Schnüffelei war erfolglos geblieben.

Und hier stand ich nun auf dem Flughafen von Melbourne, mit einem vor Freude wie verrückt strahlenden Freund und vor Nervosität hüpfendem Herzen, und konnte nur noch grinsen wie eine Idiotin.

»Ich sag’s dir nicht. Ich überlasse es den Typen am Check-in, die Überraschung zu verderben.« Er gluckste fröhlich. »Wenn es nach mir ginge, würde ich es dir erst sagen, wenn wir im Resort angekommen sind.« Er ließ die Koffer fallen und zog mich mit einem neckischen Grinsen zu sich. »Ehrlich gesagt, wenn ich könnte, dann würde ich dir die Augen verbinden, bis wir da sind, damit die Überraschung auch wirklich komplett ist.«

Tief in mir spürte ich ein Stechen, als heiße Bilder in meinem Kopf aufblitzten – sexy, sündige Visionen, in denen Brax mir die Augen verband, mich brutal durchvögelte und ich seiner Gnade vollkommen ausgeliefert war. O Gott, Tess, denk bloß nicht wieder an so was. Solche Gedanken wolltest du doch nicht mehr zulassen, schon vergessen?

Ich ignorierte meine innere Stimme und keuchte leise, als Brax’ Finger über meine Haut strichen. Ich spürte einen wohligen Schauer und mein mit Pailletten besetztes Top schien sich aufzulösen.

»Das könntest du, weißt du?«, flüsterte ich und ließ die Augenlider auf Halbmast sinken. »Du könntest mich fesseln und …«

Anstatt wie verrückt auf und ab zu hüpfen und mich zu küssen, weil ich ihm anbot, den dominanten Part zu übernehmen, schluckte Brax nur erschrocken und sah mich an, als hätte ich ihn aufgefordert, mich mit einem toten Fisch zu verprügeln.

»Tess, was zur Hölle? Das ist schon das dritte Mal, dass du Witze über Bondage machst.«

Getroffen von der Ablehnung senkte ich den Blick. Das Kribbeln zwischen meinen Beinen verpuffte wie schmutzige Bläschen und ich ließ mich von Brax wieder in die Schublade schieben, in die ich gehörte. Die Schublade mit der Aufschrift ›perfekte, unschuldige Freundin, die alles für ihn tun würde, solange es im Dunkeln geschieht und sie dabei auf dem Rücken liegt‹.

Aber ich wollte eine neue Aufschrift. So etwas wie: die Freundin, die alles tun würde, um gefesselt, versohlt und durchgefickt zu werden, anstatt nur angebetet.

Brax sah so enttäuscht aus, dass ich mich selbst dafür hasste. Ich muss damit aufhören.

Ich ermahnte mich zum 300. Mal, dass die liebevolle, wunderbare Beziehung, die ich mit diesem Mann führte, um Längen wichtiger war als irgendwelche heißen Spielchen im Schlafzimmer.

»Es ist einfach schon zu lange her«, murmelte ich. »Fast eineinhalb Monate.« Ich erinnerte mich sogar an das exakte Datum, an dem der lustlose Sex in der guten alten Missionarsstellung stattgefunden hatte. Brax hatte Überstunden gemacht, mein Kurs an der Uni verlangte mir geistig einiges ab und irgendwie war das Leben wichtiger geworden als das, was unter der Bettdecke passierte.

Er erstarrte und ließ den Blick über die Menschenmenge um uns schweifen. »Toller Zeitpunkt, um das anzusprechen.« Er zerrte mich beiseite und bedachte ein Pärchen, das uns zu nahe kam, mit einem finsteren Blick. »Können wir vielleicht später darüber reden?« Er neigte den Kopf und küsste mich auf die Wange. »Ich liebe dich, Schatz. Wenn wir nicht mehr so viel zu tun haben, können wir auch wieder mehr Zeit allein verbringen.«

»Und in diesem Urlaub? Besorgst du es deiner angebeteten Freundin da wenigstens mal so richtig?«

Brax strahlte und schloss mich fest in die Arme. »Jede Nacht. Wart’s nur ab.«

Ich lächelte. Die freudige Erregung und das Glücksgefühl vertrieben meine Angst. Brax und ich wollten im Schlafzimmer nun mal nicht dasselbe, und ich hoffte inständig, betete, fiel auf die Knie und flehte, dass ich das, was zwischen uns war, nicht kaputt gemacht hatte.

Mein Blut kochte förmlich, wenn ich mir Dinge vorstellte, die alles andere als süß und liebevoll waren. Dinge, die auszusprechen ich nicht den Mut hatte. Geradezu sündige Dinge, die mein Blut in brodelnde Lava verwandelten und mich ganz feucht werden ließen – und keusche Küsse waren nicht dabei.

Hier stand ich, in seinen Armen, an diesem öffentlichen Ort – er mit einem sexy Grinsen auf den Lippen und den Händen an meinen Hüften –, und erbebte in einem Cocktail aus wilder Sehnsucht. Diese Reise war genau das, was wir brauchten.

Er streifte mit den Lippen über meinen Mund – keine Zunge – und ich musste die Beine fest zusammenpressen, um die heißen Wellen zurückzudrängen, die meinen ganzen Körper durchzuschütteln drohten. Stimmt was nicht mit mir? Das konnte doch unmöglich normal sein. Vielleicht gab es ja ein Heilmittel – irgendetwas, das mein Verlangen unterdrückte.

Brax löste die Umarmung und lächelte. »Du bist umwerfend.«

Mein Blick fiel auf seinen wohlgeformten Mund, mein Atem wurde schneller. Was würde Brax tun, wenn ich ihn gegen die Wand stoßen und in aller Öffentlichkeit begrapschen würde? Sofort verdrehte mein Geist die Fantasie und ich sah, wie er mich hart gegen die Wand rammte, den Oberschenkel zwischen meine Beine schob, mich gierig befummelte und mir mehrere blaue Flecken bescherte, weil er mir einfach nicht nahe genug kommen konnte.

Ich schluckte und kämpfte gegen die viel zu verführerische Vorstellung an. »Du bist aber auch nicht so übel«, scherzte ich und zupfte an dem babyblauen T-Shirt, das so gut zu seinen Augen passte.

Ich liebte diesen Mann, aber gleichzeitig vermisste ich ihn auch. Wie war so etwas möglich?

Das Leben hatte sich zwischen uns gedrängt: Der Kurs an der Universität klaute mir jede Woche fünf volle Tage, von den Hausaufgaben ganz zu schweigen, und Brax’ neuer Chef hatte ein großes Bauprojekt mitten im Stadtzentrum an Land gezogen.

Ein Monat tröpfelte in den anderen und unser Liebesleben spielte neben Call of Duty auf seiner Playstation und den Architekturskizzen für die zusätzlichen Credit Points, die ich sammeln wollte, nur noch die zweite Geige.

Aber jetzt würde sich das alles ändern. Unser gemeinsames Leben würde wieder besser laufen, weil ich meinen Freund verführen würde. Ich hatte ein paar unanständige Überraschungen eingepackt, um Brax zu zeigen, was mich antörnte. Ich musste das tun, wenn ich meine geistige Gesundheit retten wollte. Wenn ich meine Beziehung retten wollte.

Brax’ Finger drückten meine Taille, bevor er einen Schritt zurückwich, sich nach unten beugte und sich die Koffer wieder schnappte.

Wenn ich ihn verführen wollte, war es dann nicht am besten, es einfach zu tun? Alles genau zu planen und Ewigkeiten davon zu träumen kam mir falsch vor, wo er doch jetzt und hier direkt vor mir stand.

Ich ließ die Umhängetasche von meiner Schulter rutschen, packte den Kragen seiner beigen Leinenjacke und zog ihn an mich. »Lass uns in den Mile High Club eintreten«, flüsterte ich, bevor ich ihm einen Kuss auf den Mund drückte. Seine Augen flackerten, als ich meinen gesamten Körper gegen ihn presste. Spür mich. Brauch mich.

Er schmeckte nach Orangensaft und seine Lippen waren warm, so wunderbar warm. Meine Zunge bat um Einlass, aber Brax’ Hände legten sich auf meine Schultern und hielten mich auf Abstand.

Irgendjemand klatschte und rief: »Nimm ihn dir, Süße!«

Brax schreckte einen Schritt zurück und blickte unsere Zuschauerin über meine Schulter hinweg an. Dann senkte er den Blick und sah mir direkt in die Augen. In seinen blitzte Zorn auf. »Nettes Spektakel, Tess. Sind wir fertig? Können wir jetzt endlich einchecken?«

Die Enttäuschung sank wie ein schwerer Felsbrocken in meinen Magen. Brax spürte ganz genau, wie ich mich fühlte – das tat er immer. Er zog mich erneut in eine Umarmung. »Es tut mir leid. Du weißt doch, wie sehr ich öffentliche Zuneigungsbekundungen hasse. Aber hinter verschlossenen Türen gehöre ich ganz dir.« Er lächelte und ich nickte.

»Du hast recht. Tut mir leid. Ich bin nur so aufgeregt, weil ich mit dir in den Urlaub fliege.« Ich senkte den Blick und ließ die wilden blonden Locken wie einen Vorhang über mein Gesicht fallen. Bitte, lass ihn nicht die Ablehnung in meinem Blick sehen. Brax sagte gern, dass ihn meine Augen an Taubenfedern erinnerten – an einen weißen Vogel, der über den Himmel schwebte. Er konnte richtig poetisch sein, mein Brax. Aber ich wollte keine Poesie mehr. Ich wollte … Ich wusste nicht, was ich wollte.

Er lachte. »Du solltest auch aufgeregt sein.« Er wackelte mit den Augenbrauen und gemeinsam steuerten wir auf den Check-in zu. Das Mädchen, das mich angefeuert hatte, zwinkerte mir zu und reckte den Daumen hoch.

Ich lächelte und versteckte den nachklingenden Schmerz, weil mein Überfall nicht dieselbe Reaktion ausgelöst hatte.

Wir reihten uns in die Schlange ein und ich blickte mich um. Die Menschen schwärmten wie Fische in einem Teich hin und her, huschten vorbei und wichen größeren Gruppen von wartenden Passagieren aus. Die Atmosphäre eines Flughafens begeisterte mich immer wieder aufs Neue. Nicht dass ich häufig verreiste. Vor dem Kurs an der Uni war ich nach Sydney geflogen, um die Architektur der Stadt zu studieren und zu skizzieren. Ich liebe es, Gebäude zu skizzieren. Als ich zehn war, sind meine Eltern mit meinem Bruder und mir für eine Woche nach Bali geflogen. Nicht dass es Spaß gemacht hätte, mit meinem 30-jährigen Bruder zu verreisen, und meinen Eltern, die mich verachteten.

Alte Wunden drohten wieder aufzubrechen, wenn ich an sie dachte. Seit ich vor 18 Monaten mit Brax zusammengezogen war, hatte ich mich noch mehr von meinen Eltern entfernt. Immerhin waren sie fast 70 und widmeten sich lieber anderen »wichtigen Dingen« statt ihrer Tochter, die 20 Jahre zu spät gekommen war. Ein schrecklicher Fehler, wie sie mir immer wieder gern versicherten.

Sie waren so entsetzt über die Schwangerschaft gewesen, dass sie prompt den Arzt verklagt hatten, weil er die Vasektomie meines Vaters verpfuscht hatte.

Ein alter Feind – Ablehnung – regierte mein Leben. Ich nahm an, dass ich mich mit solcher Verzweiflung an Brax band, weil es eine Möglichkeit war, mich zu vergewissern, dass irgendjemand mich wollte.

Ich wollte Intimität nicht nur, ich brauchte sie. Ich brauchte es, seine Hände auf mir zu spüren, seinen Körper in meinem. Es war eine Sehnsucht, die mich niemals in Frieden ließ.

Ich blinzelte und gestand mir das Unmögliche ein: Ich brauchte das Gefühl, dass Brax grob zu mir war, weil ich es brauchte, in Besitz genommen zu werden.

O mein Gott, bin ich wirklich so verkorkst?

Ich folgte Brax wie in Trance zum Schalter, wo er die Koffer auf die Waage stellte.

»Guten Morgen. Ihre Tickets und Reisepässe, bitte«, bat das Mädchen in schicker Uniform.

Brax fummelte mit den Gepäckanhängern herum und fragte: »Schatz, kannst du ihr bitte unsere Tickets geben? Sie sind in meiner Gesäßtasche.«

Ich fasste um ihn herum und zog ein Reiseetui aus der Tasche seiner Baggy Jeans. Obwohl Brax schon 23 war, zog er sich immer noch an wie ein Teenager im Grunge-Look. Ich kniff ihm in den Hintern.

Er riss den Kopf zu mir herum und runzelte die Stirn.

Ich zwang mich zu einem strahlenden Lächeln und reichte der Angestellten am Schalter unsere Papiere. Ich warf noch nicht mal einen heimlichen Blick auf unser Reiseziel, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, das Stechen der Traurigkeit zu ignorieren – ich durfte meinen eigenen Freund nicht begrapschen. Vielleicht bin ich zu sexuell? Vielleicht waren meine Ängste ja berechtigt. Ich war offensichtlich völlig falsch verkabelt.

»Danke.« Die junge Frau senkte den Blick und zeigte uns ihre dick bemalten Augenlider. Ihr braunes Haar war zu einem straffen Knoten gebunden und sah vor lauter Haarspray aus wie Plastik. Sie biss sich auf die Unterlippe und zog eine ganze Schlange an Etiketten aus der Maschine, bevor sie sich unsere Reisepässe anschaute. »Möchten Sie das Gepäck direkt bis Cancún einchecken?«

Cancún? Mein Herz machte einen Freudensprung. Wow. Brax hatte sich selbst übertroffen. Ich hätte niemals gedacht, dass er so weit von zu Hause wegfahren würde. Ich drehte mich zu ihm und küsste ihn auf die Wange. »Vielen, vielen Dank, Brax.«

Seine Miene wurde wieder weicher und er nahm meine Hand. »Gern geschehen. Es gibt keine bessere Art, unsere Zukunft zu feiern, als in ein Land zu reisen, in dem Freundschaft und Familie so große Bedeutung haben.« Er lehnte sich näher zu mir. »Ich hab gelesen, dass die Straßen dort sonntags richtig zum Leben erwachen und sogar Fremde miteinander tanzen. Alle werden durch die Musik verbunden.«

Ich konnte mich gar nicht mehr von seinen leuchtend blauen Augen losreißen. Genau das war der Grund, warum ich ihn so sehr liebte – auch wenn ich nicht vollkommen befriedigt war: Brax litt unter derselben Unsicherheit. Er hatte niemanden außer mir. Seine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er gerade mal 17 gewesen war. Und er war ein Einzelkind.

Brax gehörte die Wohnung, in der wir lebten – dank der ausbezahlten Lebensversicherung. Außerdem hatte er den Husky seines Dads geerbt: Blizzard.

Blizzard und ich verstanden uns nicht besonders gut, aber Brax liebte den Hund wie einen schmuddeligen Teddybären. Ich tolerierte das Biest und sorgte dafür, dass sich meine Handtaschen stets außerhalb seiner Bissweite befanden.

»Du bist der Beste.« Ich nahm sein Kinn, gab ihm einen Kuss und kümmerte mich nicht darum, ob es ihm unangenehm war. Verdammt, das Pärchen neben uns stand praktisch kurz vor dem Koitus. Dagegen war ein Kuss auf den Mund ja wohl völlig in Ordnung.

Die junge Frau hinter dem Schalter seufzte. »Sind das Ihre Flitterwochen? Cancún ist unglaublich. Mein Freund und ich sind vor ein paar Jahren auch dort gewesen. Wahnsinnig heiß und spaßig. Und die Musik ist so sexy, wir konnten die Finger gar nicht voneinander lassen.«

Bilder tanzten vor meinem inneren Auge, wie ich in einem neuen sexy Bikini um Brax herumwirbelte. Vielleicht würde ein Tapetenwechsel unserer Lust aufeinander ja wirklich den nötigen Kick verleihen.

»Nein, es sind nicht unsere Flitterwochen«, antwortete ich. »Wir feiern nur.«

Brax grinste und seine Augen leuchteten.

Ein Gedanke rauschte durch meinen Kopf. War diese Reise etwas Besonderes? Würde Brax mir einen Heiratsantrag machen? Ich wartete auf die unbändige Freude und das Herzrasen bei der Aussicht darauf, Mrs. Cliffingstone zu werden. Was mich stattdessen jedoch erfüllte, war das Gefühl wohliger Zufriedenheit. Ich würde Ja sagen …

Brax wollte mich. Brax hieß Sicherheit. Ich liebte ihn auf meine eigene Weise – auf die einzige Weise, auf die es ankam. Auf die langfristige Weise.

Stille breitete sich aus, während das Mädchen auf der Tastatur tippte und unsere Bordkarten ausdruckte. Nachdem sie unser Gepäck mit den Etiketten versehen hatte, gab sie uns die Papiere zurück. »Ihre Koffer sind bis Mexiko eingecheckt, aber Sie haben in Los Angeles vier Stunden Aufenthalt.« Sie malte je einen Kreis um die Nummer des Gates und die Einsteigezeit. »Bitte gehen Sie jetzt durch die Sicherheitskontrolle und dann weiter zum Abfluggate. Ihr Boarding beginnt um 11:30 Uhr.«

Brax nahm die Papiere entgegen und hängte sich die Laptoptasche über die Schulter. Er fädelte die Finger zwischen meine und sagte: »Vielen Dank.«

Wir begaben uns in den Passagierbereich. Uns blieb noch etwas mehr als eine Stunde, bevor wir einsteigen mussten. Mir fielen eine Menge Dinge ein, die wir in einer Stunde hätten tun können. Ich bezweifelte jedoch, dass Brax davon begeistert gewesen wäre.

Wir waren auf dem Weg nach Mexiko. Ein anderes Land und ein anderes Bett warteten auf uns. Ich konnte geduldig sein.

Während Brax im Duty-free-Shop in den Playstation-Spielen stöberte, beschloss ich, dass die heutige Nacht einen Neubeginn für uns bedeuten würde. Auf Wiedersehen, Behaglichkeit, hallo Lust.

Unsere Beziehung würde vor heiß flammender Liebe förmlich explodieren. Dafür würde ich sorgen.

Ja, heute Nacht würde alles anders werden.

Ich brauchte anders.