Aus dem Englischen von Manfred Sanders

Impressum

Die australische Originalausgabe The Tournament

erschien 2014 im Verlag Pan Macmillan Australia Pty. Ltd.

Copyright © 2013 by Karanadon Entertainment Pty. Ltd.

Zeichnungen der Karten: David Atkinson, Hand Made Maps Ltd.

Foto der Hagia Sophia: Juanjo González

Copyright © dieser Ausgabe 2017 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Dean Samed

eISBN 978-3-86552-565-9

www.Festa-Verlag.de

www.Festa-Action.de

Inhalt

Impressum

Prolog — 1603

1546

I — TURM

England, September 1546

Die Reise, Oktober 1546

Im Reich der Habsburger

Durch die Walachei

Die osmanische Hauptstadt

II — BAUER

Byzanz

Der Palast des Sultans

Die Stadt Konstantins

Der Sultan

Das Eröffnungsbankett

Die Spieler

III — LÄUFER

Die Stunden nach dem Bankett

Ein Ausflug in die Nacht

Das Wasserbecken und der Kerker

Des nachts im Palast des Sultans

Das Turnier beginnt

Die Auslosung

Die erste Paarung

Zwei weitere Opfer

Der Kardinal und der Bordellbesitzer

Eine weitere Nacht im Palast

Eine Diskussion unter Titanen

Die Botschaft

IV — DAME

Ein sehr ungewöhnlicher Morgen

Die unglaubliche Menagerie des Sultans

Der Tod eines Schachspielers

Die zweite Runde beginnt

Der Sultan

Die Königin

Der Favorit des Sultans strauchelt

Mr. Giles gegen Dragan

Die Unterwelt

Die Bewohner der Unterwelt

Eine Bewegung in der Nacht

Die Wölfe des Topkapi-Palastes

Elsie und der Kronprinz

V — SPRINGER

Das Halbfinale

Pietro

Der Diener des Kardinals

In die Höhle des Kardinals

Der Kampf mit dem Wahnsinnigen

Der letzte Abend in Konstantinopel

VI — KÖNIG

Der letzte Tag

Epilog — 1603

Nachwort

Ausgewählte Quellen

Matthew Reilly

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Dieses Buch ist Cate Paterson, Jane Novak und Tracey Cheetham gewidmet.

VORBEMERKUNG DES AUTORS

Das vorliegende Buch ist ein Produkt der Fantasie. Auch wenn darin Personen und Organisationen vorkommen, die wirklich existiert haben, entspringen ihre Handlungen allein der Vorstellungskraft des Autors.

Darüber hinaus enthält der Roman Szenen gewalttätiger und sexueller Natur. Er ist daher für minderjährige Leser ungeeignet.

Als erstes internationales Schachturnier der Geschichte gilt gemeinhin das Turnier, das 1851 in London ausgetragen wurde und das der Deutsche Adolf Anderssen gewann. 16 Schachspieler aus ganz Europa kamen zusammen, um den besten Spieler der Welt zu bestimmen. (Zuvor hatte es immer nur unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit abgehaltene Zweikämpfe gegeben.)

Doch in der Schachwelt hält sich das hartnäckige Gerücht von einem Turnier, das lange vor dem in London stattgefunden haben soll, nämlich im 16. Jahrhundert in der Stadt Konstantinopel, die heute Istanbul heißt.

Leider existieren keinerlei Aufzeichnungen über dieses Ereignis, und solange keine dokumentierten Belege für das Turnier auftauchen, muss es wohl als dem Reich der Legende zugehörig betrachtet werden.

Aus: A History of Chess, Boris Ivanov (Advantage Press, London 1972)

Prolog — 1603

Meine Königin ist tot. Meine Freundin ist tot. Die Welt ist nicht mehr dieselbe. Sie ist ein Stück dunkler geworden.

Wie sie sich in dieser chaotischen Welt so gut zu behaupten verstand, wird mir immer ein Rätsel bleiben. In einem Leben inmitten eines Hexenkessels aus Höflingen, Bischöfen und Feldherren gelang es ihr immer, ihren Willen durchzusetzen. Oft erreichte sie das durch ihren Charme, häufig durch Gerissenheit und in seltenen Fällen durch die Hinrichtung derer, die sich ihr in den Weg stellten.

Sie hatte ein feines Gespür für ihre Wirkung nach außen. Ich habe keinen Zweifel, dass oft, wenn sie einen armen Teufel in den Tower verdammte, es ebenso sehr des Spektakels wie seiner Verbrechen wegen geschah. Herrscher müssen manchmal unerbittlich sein und Exempel statuieren.

Oft wurde betont, dass ihre außergewöhnliche geistige Regsamkeit das Ergebnis ihrer Erziehung durch den großen Schulmeister Roger Ascham gewesen sei. Da ich selbst oft Zeugin ihrer Unterweisung war, kann ich bestätigen, dass ihr Unterricht den höchsten Ansprüchen genügte.

Als Kind einer Angehörigen ihrer Dienerschaft und von ähnlichem Alter wie sie, war ich die bevorzugte Spielgefährtin der jungen Prinzessin. Später im Leben sollte ich die Stellung ihrer Kammerfrau einnehmen, aber als junges Mädchen war es mir schon dank der räumlichen Nähe gestattet, an einigen ihrer Unterrichtsstunden teilzunehmen und auf diese Weise selbst ein Maß an Bildung zu erwerben, das mir sonst verwehrt geblieben wäre.

Als Elisabeth sieben war, sprach sie fließend Französisch, leidlich Spanisch und konnte Latein und Griechisch sprechen und lesen. Als William Grindal 1544 ihre Erziehung übernahm – unter Aufsicht des großen Ascham –, hatte sie dieser Liste noch Italienisch und Deutsch hinzugefügt. Während Grindal für die alltäglichen Lektionen zuständig war, wachte Ascham immer im Hintergrund als großer Architekt ihrer Gesamtbildung. Er übernahm den Unterricht, wenn wichtige Themen auf dem Lehrplan standen: Sprachen, Mathematik und Geschichte, sowohl alte als auch neue. Als entschiedener Fürsprecher regelmäßiger körperlicher Aktivitäten lehrte er sie sogar das Bogenschießen in den Gärten von Hatfield.

Und – das sollte ich nicht unerwähnt lassen – er brachte der jungen Prinzessin Elisabeth das Schachspielen bei.

Ich sehe sie noch vor mir als 13-Jährige, dicht über das Schachbrett gebeugt, ihr elfenhaftes Sommersprossengesicht von den wilden Locken ihres möhrenfarbenen Haars eingerahmt, den Blick in einem tödlichen Starren auf die Figuren fixiert, verbissen darauf konzentriert, den besten Zug zu finden, während Ascham ihr gegenübersaß, dem Anschein nach vollkommen desinteressiert am Verlauf der Partie, und sie beim Denken beobachtete.

Als Kind verlor Bess mehr Spiele, als sie gewann, und nicht wenige im königlichen Haushalt in Hatfield empfanden es als skandalös, dass Ascham fortwährend die Tochter des Königs besiegte, noch dazu häufig vernichtend.

Mehr als einmal warf Bess sich nach einer Schachpartie tränenüberströmt in meine Arme. »Oh Gwinny, Gwinny! Er hat mich schon wieder geschlagen!«

»Er ist ein grausames Ungeheuer«, sagte ich dann tröstend.

»Ja, das ist er, nicht wahr?« Aber dann fasste sie sich wieder. »Eines Tages werde ich ihn schlagen. Ganz sicher werde ich das!« Und natürlich tat sie es am Ende auch.

Der große Lehrer seinerseits entschuldigte sich nie für seine brutale Spielweise, auch nicht, als Bess’ Gouvernante sich in einem Brief an den König darüber beschwerte.

Von einem Abgesandten des Königs darauf angesprochen, rechtfertigte Ascham sich damit, dass man nicht lernen könne, wenn man nicht verliere. Und seine Aufgabe, so sagte er, sei es, dafür zu sorgen, dass die Prinzessin lerne. Der König akzeptierte seine Begründung, und die Niederlagen im Schach durften weitergehen. Als Erwachsene verlor Elisabeth nur selten im Schach, und auf dem weitaus gefährlicheren Schachbrett des Lebens – bei Hofe in London und auf hoher See gegen das Haus Kastilien – verlor sie nie.

Aus dem Schachspiel, so Ascham, könne man vieles lernen: seinen Gegner in Sicherheit zu wiegen, Fallen zu stellen und gestellte Fallen zu entdecken, draufgängerisch zu sein und seine Neigung zum Draufgängertum zu bändigen, naiv zu erscheinen, während man in Wahrheit wachsam sei, die Zukunft viele Züge im Voraus zu berechnen – und die Tatsache, dass Entscheidungen immer Konsequenzen haben.

Ascham war meiner jungen Herrin ein guter Lehrer.

Doch nun habe ich zu meiner tiefsten Erschütterung erfahren, dass Ascham seine wichtigste Lektion möglicherweise nicht in unserem kleinen Schulzimmer in Hertfortshire, sondern weit fort von England erteilte.

Denn in der letzten Woche, als ihre Gesundheit sie im Stich ließ und ans Bett fesselte, rief meine Herrin mich an ihre Seite und befahl dann allen anderen Bediensteten, ihr Schlafgemach zu verlassen.

»Gwinny«, sagte sie. »Meine liebe, teure Gwinny. Jetzt, da das Licht sich trübt und das Ende naht, gibt es etwas, das ich dir zu erzählen wünsche. Es ist eine Geschichte, die ich nun seit beinahe 60 Jahren für mich behalten habe.«

»Ja, Euer Majestät.«

»Bitte nenne mich Bess, so wie früher, als wir Kinder waren.«

»Ja, sicher. Bitte fahrt fort … Bess …« So hatte ich sie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr genannt.

Sie öffnete die Augen und blickte an die Decke. »Viele haben sich über das Leben gewundert, das ich geführt habe, Gwinny: eine Königin, die niemals heiratete oder Erben gebar; eine Frau ohne militärische Ausbildung, die Philipps Armada zurückschlug; eine protestantische Herrscherin, die immer wieder Ignatius von Loyolas katholische Missionare hinrichten ließ und mehr als einmal die Heiratsanträge des russischen Zaren Iwan ausschlug.

Mein Werden zu einer solchen Frau – geschlechtslos und Männern gegenüber distanziert, misstrauisch gegen Höflinge und Botschafter, erbarmungslos im Umgang mit Feinden – ist das Ergebnis einer Vielzahl von Dingen, doch insbesondere eines ganz bestimmten Erlebnisses, eines Erlebnisses aus meiner Jugend, einer Reise, die ich unter absoluter Geheimhaltung unternahm. Es war ein Ereignis, von dem ich niemandem etwas zu sagen wagte, aus Furcht, der Fantasterei beschuldigt zu werden. Dieses Erlebnis ist es, von dem ich dir nun erzählen will.«

Während der nächsten zwei Tage sprach meine Königin und ich hörte zu.

Sie erzählte mir von einem Ereignis in ihrer Jugend, während des Herbstes 1546, als Hertfordshire von einem plötzlichen Ausbruch der Pest heimgesucht wurde und Roger Ascham sie für einen Zeitraum von drei Monaten aus Hatfield House fortbrachte.

Ich kann mich noch sehr lebhaft an die Zeit erinnern, und zwar aus mehreren Gründen.

Zum einen schlug die Pest 1546 besonders grausam zu. Die Flucht vor dieser gefürchteten Seuche war für königliche Nachkommen durchaus üblich – einen jungen Erben vom Ausbruchsort einer Krankheit zu entfernen, war der beste Weg, eine Unterbrechung der königlichen Blutlinie zu vermeiden –, und in jenem Jahr flohen viele Bewohner Hertfordshires aus dem Bezirk.

Zweitens war es für Elisabeth selbst eine besonders gefährliche Zeit. Obwohl ihr durch das Thronfolgegesetz von 1543 wieder der Platz in der Thronfolge zuerkannt worden war, stand sie 1546, im Alter von 13 Jahren, nur an dritter Stelle hinter ihrem jüngeren Halbbruder Edward, damals neun Jahre alt, und ihrer älteren Halbschwester Mary, damals 30. Dennoch stellte ihre bloße Existenz für die Thronansprüche beider eine Gefahr dar, und sie schwebte in der durchaus realistischen Gefahr, im Dunkel der Nacht verschleppt und einem blutigen Ende im Tower zugeführt zu werden – einem Ende, das man bequem der Pest zuschreiben konnte.

Der dritte und letzte Grund sagt vielleicht mehr über mich als über meine Herrin aus. Ich erinnere mich auch deshalb so gut an jene Zeit, weil Elisabeth, als sie in den Osten ging, sich dafür entschied, mich nicht mitzunehmen.

Stattdessen wurde sie von einem anderen jungen Mitglied unseres Haushalts begleitet, einem lebensfrohen älteren Mädchen namens Elsie Fitzgerald, das, wie ich eingestehen muss, weit hübscher und weltgewandter war als ich.

Nach ihrer Abreise weinte ich tagelang. Und ich verbrachte jenen Herbst elend und allein bei Verwandten in Sussex, sicher vor der Pest, aber schmerzlich die Gesellschaft meiner Freundin vermissend.

Als meine Herrin ihre Erzählung beendet hatte, war ich sprachlos vor Schrecken und Entsetzen.

In den Jahren nach jenem verlorenen Herbst 1546 hatte sie immer behauptet, ihre Reise sei vollkommen ereignislos verlaufen, nur eine langweilige Exkursion auf den Kontinent mit Ascham. Auch wenn sie allem Anschein nach ostwärts gereist waren, um sich irgendein Schachturnier anzusehen, hatte Elisabeth nach ihrer Rückkehr nie über Schach oder ein solches Turnier gesprochen, und ihre Freundschaft mit Elsie war nie wieder so wie zuvor.

Nachdem ich ihren Bericht gehört habe, weiß ich auch warum.

Ihre Reise war alles andere als ereignislos verlaufen.

Ascham hatte sie nicht nur tief in den Osten mitgenommen – über die Grenzen der Christenheit hinaus ins Herz der moslemischen Länder, in die gewaltige Stadt Konstantinopel –, er hatte die zukünftige Königin auch vielen schrecklichen Gefahren ausgesetzt, während die beiden einem bemerkenswerten Ereignis beiwohnten, das nie Eingang in die Geschichtsschreibung fand.

Als sie ihre Erzählung beendet hatte, lehnte meine Königin sich in ihre Kissen zurück und schloss die Augen. »Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich jemandem von damals berichten soll, aber nun sind alle anderen Beteiligten tot, und ich werde es auch bald sein. Wenn es dir beliebt, Gwinny, so schreibe meine Worte nieder, damit andere erfahren mögen, wodurch eine Königin wie ich geformt wird.«

Und so mache ich dies zu meiner Aufgabe, meiner letzten Aufgabe für meine Königin: ihre genauen Worte niederzuschreiben und Euch, geneigtem Leser, die wundersamen Dinge – die schrecklichen Dinge, die entsetzlichen Dinge – zu schildern, deren Zeugin sie im Laufe jener geheimen Reise im Jahre 1546 wurde.

1546

I — TURM

Im modernen Schach werden die Türme häufig als Burgen oder Festungen dargestellt, welche die vier Ecken des Brettes bewachen, doch das war nicht immer so.

Tatsächlich waren die Türme ursprünglich Streitwagen – im Persischen als ruhk bezeichnet, was heute noch im englischen Wort für den Turm, »rook«, anklingt. Die Bauern waren Fußsoldaten, die Läufer Elefanten, die Springer berittene Soldaten, und an den Rändern des Brettes eilten die schnellen und tödlichen Streitwagen auf und ab.

Doch als die Zeiten sich wandelten und das Spiel sich von Persien nach Europa ausbreitete, spiegelten die Schachfiguren immer mehr die gesellschaftliche Hierarchie des mittelalterlichen Westeuropa wider. Und so wurde aus dem Streitwagen eine Burg. Sie war noch immer eine mächtige Figur, die in einem einzigen Zug das gesamte Brett überqueren und ganze Feldreihen beherrschen konnte, aber der ursprüngliche Grund für die Flinkheit dieser Figur war verloren gegangen.

Und doch bleibt der Turm bzw. die Burg ein exzellentes Beispiel für Schachfiguren, welche die mittelalterliche Gesellschaft widerspiegeln, denn so mancher König jener Zeit wurde nach der Stärke und Erhabenheit seiner Burgen beurteilt.

Aus: Chess in the Middle Ages, Tel Jackson (W. M. Lawry & Co., London 1992)

Ich danke Gott, dass er mich mit solcherlei Fähigkeiten gesegnet hat, dass ich, müsste ich in meinem Unterkleide aus dem Land fliehen, an jedem Ort der Christenheit leben könnte.

– Königin Elisabeth I.

England, September 1546

Ich wohnte auf Hatfield House in Hertfordshire, als die Einladung am Hof in London ankam. Einen Tag später wurde sie nach Hatfield weitergeleitet, begleitet von einer charakteristisch knappen Nachricht meines Vaters an Mr. Ascham.

Die Einladung war eine staunenswerte Kuriosität.

Gedruckt war sie auf edelstem Papier, einem kräftigen Karton mit goldenen Rändern. Mit leuchtend goldener Tinte (und auf Englisch) stand darauf geschrieben:

SEINE ERHABENSTE MAJESTÄT

SULEIMAN DER PRÄCHTIGE,

KALIF DER SÖHNE UND TÖCHTER ALLAHS,

SULTAN DER LÄNDER DER OSMANEN,

HERRSCHER ÜBER DIE REICHE DER RÖMER,

DER PERSER UND DER ARABER,

HELD DER GANZEN WELT,

STOLZ DER GLORREICHEN KAABA

UND DER ERLEUCHTETEN MEDINA,

DES EDLEN JERUSALEM UND

DES THRONES VON ÄGYPTEN,

HERRSCHER UND GEBIETER ÜBER ALLE LÄNDEREIEN,

SO WEIT SEIN AUGE REICHT,

ERBIETET EUCH SEINE WÄRMSTEN GRÜSSE.

ALS HOCHVEREHRTER KÖNIG VON ENGALAND

SEID IHR EINGELADEN, EUREN BESTEN SPIELER

JENES SPIELES, DAS BEKANNT IST ALS SHATRANJ, LUDOS SCACORUM, ESCHECS, SCACCHI, SZACHY, CHESS ODER SCHACH, ZUR TEILNAHME AN EINEM TURNIER ZU ENTSENDEN, UM DEN MEISTER DER BEKANNTEN WELT ZU ERMITTELN.

Ich schnaubte verächtlich. »Für einen großen Sultan und Herrscher und Gebieter über alle Ländereien, so weit sein Auge reicht, ist sein Englisch bejammernswert schlecht. Er kann nicht einmal England richtig schreiben.«

Mr. Ascham blickte von dem Einladungsschreiben auf. »Ist das so? Sag mir, Bess, sprichst du seine Sprache? Sprichst du Arabisch oder Türkisch-Arabisch?«

»Ihr wisst, dass ich es nicht tue.«

»Dann spricht er, so bejammernswert schlecht sein Englisch auch sein mag, doch immerhin deine Sprache, während du die seine nicht beherrschst. So wie ich es sehe, verleiht ihm das einen beträchtlichen Vorteil dir gegenüber. Denke immer erst nach, bevor du jemanden kritisierst, und kritisiere niemals jemanden ungerechtfertigterweise für seine Bemühungen bei etwas, das du noch nicht einmal versucht hast.«

Ich sah meinen Lehrer finster an, aber es war unmöglich, ihm böse zu sein, selbst wenn er mich zurechtwies. Er hatte so eine gewisse Art – wie er auftrat, wie er sprach, wie er mich belehrte: sanft, aber nachdrücklich.

Mr. Roger Ascham war damals 31, und in jenen Tagen – lange bevor er The Schoolmaster schrieb, das Werk, für das er nach seinem Tode zu Recht berühmt wurde – war er bereits einer der angesehensten Lehrer in Cambridge für klassisches Griechisch und Latein.

Und dennoch – wenn ich ihm eines hätte wünschen können, dann eine ansprechendere äußere Erscheinung. Er war von durchschnittlicher Statur und durchschnittlicher Größe und in einer Welt reicher, schneidiger Jünglinge mit breiten Schultern, kantigen Gesichtern und dem herrischen Auftreten geerbten Wohlstands wirkte er dadurch unweigerlich klein, weich und harmlos. Er hatte eine große, runde Nase, braune Hundeaugen und etwas zu große Ohren, die sich unter einem Wuschelkopf aus dichtem braunem Haar versteckten. Ich hörte einmal, wie jemand sagte, dass kürzlich bei einem Ball nicht eine einzige der anwesenden jungen Damen seine höfliche Einladung zum Tanz angenommen habe. Ich weinte für ihn, als ich das hörte. Wenn diese törichten Damen nur wüssten, was ihnen entging!

Doch während ich deswegen Tränen für ihn vergoss, schien es ihn selbst nicht zu kümmern. Er war mehr an der Kunst des Lernens interessiert, und dieser Leidenschaft folgte er mit einer wahrhaft verbissenen Hingabe. In der Tat legte er eine intensive Konzentration bei fast allem, was er tat, an den Tag, ob es nun die Ausübung seiner geliebten Bogenschießkunst war, die Diskussion staatlicher Angelegenheiten, das Lesen eines Buches oder mein Unterricht. Das Lernen war, soweit es Roger Ascham betraf, die edelste aller Betätigungen und obendrein eine aktive.

Er war, schlicht gesagt, der neugierigste Mensch, der mir je begegnet ist.

Mr. Ascham verfügte über alle möglichen Arten obskuren Wissens, von Theorien über die uralten Steinkreise auf der Ebene von Salisbury bis hin zu den neuesten wissenschaftlichen Methoden der Medizin und Mathematik. Und was er nicht wusste, bemühte er sich herauszufinden. Ob es der zu Besuch weilende Hofastronom war, der Leibarzt des Königs oder ein reisender Kesselflicker, der ein Wunderheilmittel verkaufte – Mr. Ascham stellte sie immer mit kniffligen Fragen auf die Probe, indem er etwa den Hofastronomen fragte, ob an Amerigo Vespuccis Behauptung, man könne mittels des Mondes und des Mars den Längengrad berechnen, etwas dran sei, oder den Leibarzt meines Vaters, warum bestimmte Pflanzen bestimmte Arten von Hautausschlägen hervorriefen, oder den Kesselflicker, ob er wisse, dass er ein Quacksalber sei.

So umfassend war Mr. Aschams Wissen auf einer solchen Vielzahl von Gebieten, dass es während seiner Zeit in Cambridge nicht selten vorkam, dass Professoren anderer Disziplinen ihn in seinen Räumen aufsuchten, um sich mit ihm über Fragen ihres eigenen Spezialgebiets auszutauschen.

Denn in einer Welt, in der die Menschen glaubten, eine höhere Weisheit in Gott oder der Bibel zu finden, verneigte sich mein geliebter Lehrer vor den Zwillingsaltären des Wissens und der Logik. »Alles«, sagte er einmal zu mir, »geschieht aus einem logischen Grund, seien es das Abwärtsfließen von Wasser, das Entstehen von Krankheiten oder die Handlungen der Menschen. Wir müssen diesen Grund nur finden. Die Aneignung von Wissen, die reine Freude daran, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist das größte Geschenk im Leben.«

In einem auch in weiteren Kreisen bekannt gewordenen Fall, als ein Knabe aus der hiesigen Gegend, der zu schweren Anfällen mit Schaum vor dem Mund neigte, starb und der Abt des örtlichen Klosters die Teufelsbesessenheit des Jungen dafür verantwortlich machte, verlangte Mr. Ascham das Gehirn des Jungen zu sehen. Ganz recht, sein Gehirn! Der Schädel des Toten wurde geöffnet, und tatsächlich fand Mr. Ascham einen weißen Fremdkörper von der Größe eines Apfels im Gehirn des Unglücklichen. In Anspielung auf dieses Geschehnis sagte Mr. Ascham später zu mir: »Bevor wir dem Übernatürlichen die Schuld geben, Bess, sollten wir es zunächst mit allen natürlichen Erklärungen versuchen.« Der Abt sprach danach ein Jahr lang nicht mehr mit ihm. Nicht jeder teilte Mr. Aschams Freude daran, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Und dann, auf dem Höhepunkt seiner Universitätslaufbahn, kam er, um mich zu unterrichten, mich, ein Kind, die Dritte in der Thronfolge. Selbst mir in meinem zarten Alter war klar, dass der bemerkenswerte Mr. Roger Ascham bei Weitem überqualifiziert war, um als Lehrer für ein 13-jähriges Mädchen zu dienen, selbst wenn sie eine Prinzessin war. Ich fragte mich, warum er es tat. Was sah er in mir, das sonst niemand sah?

Jedenfalls war dieser kurze Wortwechsel zwischen uns über die Englischkenntnisse des Sultans nicht ungewöhnlich. Ich hatte unrecht und er hatte recht – wieder einmal.

Wir wandten unsere Aufmerksamkeit wieder der Einladung zu. Der Text verriet noch, dass das Turnier in einem Monat in der Hauptstadt des Sultans, der uralten Stadt Konstantinopel, stattfinden sollte.

Begleitet wurde die Einladung von einer Nachricht meines Vaters, adressiert an Mr. Ascham.

Ascham,

soweit ich weiß, war Euer Kollege Mr. Gilbert Giles der beste Schachspieler in Cambridge. Erkundigt Euch bitte, ob das noch der Fall ist, und wenn dem so ist, so schickt ihn sofort zu mir. Nichts Geringeres als der Ruf des corpus christianum erfordert unseren besten Mann bei diesem Turnier.

Heinrich, Rex

Übrigens meine Anerkennung zu Euren Bemühungen in der Angelegenheit von Cumberlands Sohn. Sie blieben nicht unbemerkt.

In jenen Tagen stand mehr als nur der Ruf der Christenheit auf dem Spiel: Der moslemische Sultan bedrohte die Christenheit auch in militärischer Hinsicht.

Seine Herrschaft erstreckte sich von Persien im Osten bis nach Algier im Südwesten und hatte kürzlich sogar die Donau überschritten. Vor acht Jahren, im Jahre 1538, hatte die Flotte des Sultans unter der Führung des brillanten Barbarossa etwas bislang Undenkbares geschafft: Sie hatte bei Preveza eine europäische Flotte besiegt – eine »christliche Allianz«, die von Papst Paul III. höchstselbst zusammengerufen worden war. Über 40 Schiffe gingen verloren, mehr als 3000 Gefangene und – nachdem man 300.000 Golddukaten Entschädigung an den osmanischen Sultan gezahlt hatte – auch ein großer Teil des europäischen Stolzes.

Und dann hatte Suleimans Armee die Stadt Buda eingenommen und stand nun vor den Toren Wiens. Suleimans nächster europäischer Nachbar, Erzherzog Ferdinand von Österreich, soll vor Wut getobt haben, als er vom Eindringen des Sultans in seine Gebiete erfuhr, aber außer dass er noch mehr Spione ausschickte, um über die Bewegungen der moslemischen Armeen informiert zu sein, konnte Ferdinand nicht viel unternehmen. Suleimans Imperium war doppelt so groß wie die ganze Christenheit zusammen, und es wurde jeden Tag größer.

Aber mindestens ebenso beeindruckend war der Sultan selbst. Es hieß, Suleiman sei ein weiser und geschickter Herrscher und spreche nicht weniger als fünf Sprachen. Er sei ein begabter Poet und ein Förderer der Künste, ein gerissener Stratege, und anders als sein erbitterter Feind Erzherzog Ferdinand und viele andere europäische Monarchen werde er aufrichtig von seinem Volk geliebt.

Mehr als einmal hatte mein Lehrer mir gesagt, dass sich, während die Königshäuser von England, Frankreich und Spanien untereinander um die Vorherrschaft stritten, ein großer drohender Schatten im Osten erhob. Wenn man nichts dagegen unternahm, mochten unsere königlichen Familien eines Tages von ihrem Gezänk aufblicken und feststellen, dass sie unversehens einem moslemischen Lehnsherrn Tribut zahlten.

Die nicht offen ausgesprochene Herausforderung in diesem vergoldeten Einladungsschreiben war der unausweichliche Wettstreit zwischen den Religionen, den dieses Turnier darstellen würde. Genau wie er es bei Preveza getan hatte, forderte Suleiman einen Kampf zwischen seinem Gott und unserem heraus, und bei Preveza hatte seiner gewonnen.

»Sir, ist dieser Mr. Giles immer noch der beste Schachspieler Englands?«, fragte ich.

»Und ob er das ist«, antwortete mein Lehrer. »Ich spiele regelmäßig gegen ihn. Er schlägt mich in neun von zehn Partien, aber gelegentlich schaffe ich es, ihm ein Schnippchen zu schlagen.«

»Das klingt genau wie unsere Bilanz.«

Mr. Ascham lächelte mich an. »Ja, aber ich habe das Gefühl, dass diese Bilanz sich schon bald umkehren wird. Giles hingegen wird immer stärker sein als ich. Aber das hier …« Er hielt die Einladung hoch. »… das hier ist etwas Bedeutsames. Giles wird begeistert sein, dem Ruf des Königs zu folgen.«

Und Mr. Giles war begeistert.

Mr. Ascham schickte ihn zu meinem Vater, der (wieder einmal charakteristisch für ihn) einen Beweis für Mr. Giles’ Fähigkeiten verlangte: ein Spiel gegen meinen Vater persönlich. Natürlich verlor Mr. Giles diese Partie.

Wie jeder in England war Mr. Giles nicht gerade erpicht darauf, einen König zu besiegen, der nicht nur zwei seiner Ehefrauen hatte enthaupten lassen (von denen eine meine Mutter war), sondern auch Thomas Cromwell, weil dieser ihn mit einer von ihnen zusammengebracht hatte. Es war gar nicht so unüblich, dass Leute, die meinen Vater in anderen Spielen schlugen, als aufgespießte Köpfe über der London Bridge endeten.

Zu meiner Überraschung jedoch soll mein Vater nach dem Gewinn dieser Partie verärgert ausgerufen haben: »Spielt nicht absichtlich schwach gegen mich, Giles! Ich brauche als Repräsentanten Englands und der Überlegenheit Christi und des christlichen Glaubens bei diesem Turnier keinen Speichellecker. Ich brauche einen Schachspieler!«

Sie spielten noch einmal und Mr. Giles schlug meinen Vater in neun Zügen.

Von da an ging alles sehr schnell.

Ein kleiner Trupp wurde für die Reise quer durch die Christenwelt zusammengestellt, mit Wagen, Pferden und Wachleuten.

Doch gerade als Mr. Giles Hertfordshire verlassen wollte, suchte ein schrecklicher Pestausbruch die Region heim.

Mein Halbbruder Edward, der Thronerbe, wurde schleunigst in Sicherheit gebracht. Meine Schwester Mary folgte kurz darauf.

Mich betrachtete man offensichtlich als nicht so wertvoll; niemand legte einen sonderlichen Eifer an den Tag, meine Abreise aus Hatfield House zu arrangieren, daher setzte ich unverändert meine Studien mit Elsie und mit dir, meiner lieben Freundin Gwinny Stubbes, fort.

Und dann gab es eines Tages einige Unruhe im Nebenzimmer.

Wir saßen in meinem Studierzimmer und lasen Livius’ Bericht über den jüdischen Massenselbstmord in Masada. Elsie, die ein paar Jahre älter war als wir, saß in der Ecke vor ihrem Spiegel und bürstete sich müßig das Haar. Oh, erinnerst du dich an sie, Gwinny? Ich erinnere mich noch gut. Mit ihren 17 Jahren war sie eine echte Schönheit, und sie hatte die gertenschlanke Figur der guten Tänzerin, die sie auch war. Mit ihrer schmalen Taille und ihrem kecken Busen, mit ihren prächtigen blonden Haaren, die wie ein Wasserfall über ihre Schultern fielen, zog sie den Blick jedes vorbeigehenden Gentlemans auf sich.

Mit dem sorglosen Selbstvertrauen, wie es vielen schönen Menschen zu eigen ist, war sie davon überzeugt, dass ihre Schönheit allein schon ausreichen würde, um ihr einen Gemahl von angemessenem Stand zu verschaffen, und hielt es daher nicht für nötig zu lernen – sie verbrachte mehr Zeit vor ihrem Spiegel als über ihren Büchern, und ich muss gestehen, dass ich in dieser Hinsicht ein bisschen neidisch auf sie war. Ich musste viele langweilige Unterrichtsstunden über mich ergehen lassen, dabei war ich von königlichem Blut. (Außerdem war ich, das sollte ich noch hinzufügen, eifersüchtig auf ihre Weiblichkeit, denn mich selbst fand ich hässlich wie eine Vogelscheuche: Ich schien nur aus knorrigen Knien und knochigen Beinen zu bestehen, mit einer Brust so flach wie die eines Knaben und einem grässlichen Schopf aus lockigem erdbeerrotem Haar, das ich hasste.) Die meiste Zeit betete ich Elsie an, bezaubert von ihrer Anmut, begeistert von ihrer Schönheit und eingeschüchtert von ihrer welterfahrenen 17-jährigen Weisheit.

Während wir also solcherart beschäftigt waren, vernahm ich die erwähnte Unruhe: Meine Gouvernante Miss Katherine Ashley erhob im Nebenzimmer ihre Stimme.

»Ihr werdet nichts dergleichen tun, Mr. Ascham!« Es musste etwas Ernstes sein; Mr. Ascham nannte sie ihn nur, wenn sie verärgert über ihn war.

»Aber eine solche Gelegenheit, ihre Bildung zu erweitern, wird sie nie wieder …«

»Sie ist erst 13 Jahre alt …«

»Sie ist die hellste 13-Jährige, die ich je unterrichtet habe, und an Reife ihrem Alter weit voraus. Grindal ist meiner Meinung.«

»Sie ist ein Kind, Roger.«

»Das denkt der König nicht. Letzten Monat, als man ihn informierte, dass Bess ihre erste Blutung hatte, sagte König Heinrich: ›Wenn sie alt genug ist, um zu bluten, ist sie auch alt genug, um zum Wohle Englands verheiratet zu werden. Töchter müssen doch für etwas gut sein.‹« Ja, das klang nach meinem Vater.

»Ich weiß nicht«, meinte Miss Katherine. »Das Reich der Moslems ist bestimmt ein gefährlicher Ort für sie …«

Mr. Ascham senkte die Stimme, aber ich konnte ihn trotzdem noch verstehen. »London ist ein gefährlicher Ort für sie, Kat. Die Zeiten sind unruhig. Der König wird von Tag zu Tag kränker und launischer, und der Hof ist in seiner Loyalität zwischen Edward und Mary gespalten. Unsere Elisabeth hat den schwächsten Anspruch auf den Thron, und dennoch bedroht ihre Anwesenheit in England die Ansprüche ihrer beiden Geschwister. Ihr wisst selbst, wie oft konkurrierende Erben auf mysteriöse Weise während Seuchenausbrüchen sterben …«

Hinter dem Türrahmen, an dem ich heimlich lauschte, schnappte ich leise nach Luft.

Miss Katherine schwieg für einen langen Moment.

»Sie wird auf der Reise gut behütet werden«, fuhr Mr. Ascham fort. »Der König stellt uns sechs seiner besten Soldaten als Eskorte zur Verfügung.«

»Es ist nicht nur ihre körperliche Sicherheit, die mir Sorgen bereitet. Ihre Moral muss auch beschützt werden. Sie wird eine Anstandsdame benötigen«, sagte Miss Katherine naserümpfend. »Es ist schon skandalös genug, dass sie mit zwei unverheirateten Männern wie Euch und Mr. Giles reisen soll – aber auch noch Soldaten!«

»Nun gut, wie wäre es dann mit Euch und John?«

»Seid nicht töricht. Ich bin viel zu alt und viel zu dick, um eine solche Reise zu unternehmen.« Miss Katherine war, das muss man zugeben, eine recht stämmige Person. Sie hatte erst im letzten Jahr im fortgeschrittenen Alter von 40 Jahren den freundlichen John Ashley geheiratet (obwohl sie immer noch wollte, dass ich sie als Miss ansprach, weil es sie, wie sie meinte, jünger machte).

»Gut, dann …«, überlegte Mr. Ascham.

»Eine verantwortungsbewusste Anstandsdame, Roger, verheiratet oder zumindest verlobt. Eine Person, die ein moralisches Beispiel für Elisabeth sein kann. Nicht irgendeine dumme Metze, die in Versuchung gerät, in einem exotischen Land umherzustreunen oder sich auf der Reise dorthin mit den Soldaten einzulassen – wartet, ich weiß jemanden! Primrose Ponsonby und ihr Gemahl Llewellyn!«

Mein Lehrer stöhnte leise. »Die Ponsonbys …«

»Sie sind vorbildliche Christen«, beharrte Miss Katherine, »tragischerweise kinderlos, aber immer bereit, dem König zu Diensten zu sein. Wenn sie Euch begleiten, Roger, werden meine Sorgen zumindest zum Teil beschwichtigt sein.«

»Nun gut, dann sei es so.«

Einen Moment später betraten die beiden unser Studierzimmer.

Mr. Ascham nickte mir zu. »Was meinst du, Bess, da wir diesen Ort ohnehin verlassen müssen – hättest du Lust, auf ein Abenteuer auszuziehen?«

»Wohin, Sir?«, fragte ich, Unwissenheit heuchelnd.

»Du weißt genau, wohin, junge Lady. Du hast hinter der Tür gelauscht.« Er lächelte. »Du musst lernen, leiser nach Luft zu schnappen, wenn du eine Meisterspionin werden willst, meine Kleine. Wir fahren zum Schachturnier in Konstantinopel. Um zuzusehen, wie Mr. Giles sich schlägt.«

Mit einem strahlenden Lächeln sprang ich auf. »Was für eine prächtige Idee! Dürfen Gwinny und Elsie auch mitkommen? Bitte!«

Mr. Ascham runzelte die Stirn und warf Miss Katherine einen Seitenblick zu. »Ich fürchte, ich beuge schon zu viele Regeln, indem ich dich mitnehme, meine junge Prinzessin. Es wäre von deiner Anstandsdame zu viel verlangt, drei von euch zu hüten, aber zwei sollten akzeptabel sein. Du darfst eine Freundin mitnehmen.«

Ich zögerte und sah meine beiden Freundinnen an. Da warst du, Gwinny, schüchtern und brav, ein Mauerblümchen, wie es im Buche stand, und schautest mich mit stiller Hoffnung an, während Elsies gesamtes Wesen vor Aufregung erstrahlte – ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Fäuste in erregter Vorfreude geballt. Sie liebte romantische Geschichten über verwegene Prinzen in funkelnden Palästen. Mit einer Reise in eine exotische Stadt fern im Osten würde ein Traum für sie in Erfüllung gehen. Ich genoss ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, und das gefiel mir.

»Ich nehme Elsie mit!«, rief ich, und Elsie quiekte und warf begeistert ihre Arme um mich. Während sie mich beinahe erdrückte, muss ich gestehen, dass ich nicht bemerkte, wie du enttäuscht den Kopf senktest.

Wenn man jung ist, macht man Fehler. Das gehört nun einmal dazu. Und im Hinblick auf die furchtbaren Dinge, die sich in Byzanz ereigneten, war diese Wahl vielleicht ein Fehler.

Aber andererseits, wenn ich die aufrichtige und dauerhafte Freundschaft bedenke, die sich im Laufe unseres Lebens zwischen uns entwickelt hat, Gwinny – und glaube mir, Königinnen brauchen aufrichtige Freunde –, dann ist ein Teil von mir froh über diesen Fehler, denn indem ich mich für Elsie entschied, ersparte ich dir die zerrüttende Erfahrung, persönlich die Ereignisse mitzuerleben, deren Zeuge ich am Hofe des moslemischen Sultans wurde.