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Über dieses Buch:

Karin ist heillos überfordert: Sie arbeitet jeden Tag im Hotel Bernhard und hilft danach noch ihrem Vater auf dem Hof. Diese Doppelbelastung macht Karin immer mehr zu schaffen. Und ihr Bruder Gerd? Er lässt seine Familie im Stich und mit der Arbeit auf dem Hof allein. Er zieht lieber abends im Dorf herum und stiftet zusammen mit seinen Freunden Unruhe. Karin weiß einfach nicht, wie sie ihren Bruder zur Vernunft bringen soll. Doch da hat Hotelerbe Karl eine Idee, wie er das Herz der schönen Karin erobern und die Streitereien mit Gerd beenden kann ...

Über die Autorin:

Christa Moosleitner, geboren 1957, schreibt seit 20 Jahren Romane in den unterschiedlichsten Genres. Sie lebt und arbeitet in Hessen. Bei dotbooks erscheinen ihre folgenden Heimatglück-Romane: „In der Stunde der Gefahr“ / „Ein Sommer in den Bergen“ / „Dunkle Wolken über dem Richterhof“ / „Rückkehr nach Liebenau“ /„Schicksalhafte Entscheidungen“ / „Die Söhne der Familie Stadler“ / „Geh, wohin dein Herz dich führt“/ „Zwei Herzen finden zueinander“. Weitere Heimatglück-Romane folgen.

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Neuausgabe Mai 2014

Dieses Buch erschien bereits 1985 unter dem Titel Sein Herz schlägt für Vroni bei Martin Kelter Verlag (GmbH & Co. ), Hamburg

Copyright © der Originalausgabe 1985 Martin Kelter Verlag (GmbH & Co. ), Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

ISBN 978-3-95520-587-4

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Christa Moosleitner

Zwei Herzen finden zueinander

Ein Heimatglück-Roman

dotbooks.

1

Der ältere grauhaarige Mann lächelte freundlich, als Karin zu ihm an den Tisch kam, um das Geschirr wegzuräumen.

»Es hat mir ausgezeichnet geschmeckt«, sagte der zufriedene Hotelgast. »Wirklich – ich muß die Küche ausdrücklich loben. Wenn das so weitergeht, dann komme ich mit mindestens zehn Kilo Übergewicht nach Hause ...«

Karin Mertens lächelte, als sie die Worte des Mannes vernahm. Über dieses Kompliment freute sie sich natürlich ganz besonders, zumal sie es war, die in dieser Woche verstärkt in der Küche ausgeholfen hatte. Und daß Karin gut kochen konnte, das hatte ihr Frau Bernhard, die Seniorchefin des Hotels, schon mehr als einmal bestätigt.

»Wenn man jeden Mittag so nett und freundlich bedient wird, so fühlt man sich in diesem malerischen Hotel richtig heimisch«, fügte der Mann hinzu und zückte im selben Augenblick sein Portemonnaie. Bevor Karin dazu etwas sagen konnte, hatte er auch schon einen Zehnmarkschein hervorgeholt und legte ihn vor Karin auf den Tisch. »Das ist für Sie«, sagte er dann. »Weil Sie zu jedem Gast nett und höflich sind. Nun schauen Sie mich doch nicht so entgeistert an. Nehmen Sie das Geld – ich freue mich doch über diesen guten Service hier ....«

Karin errötete bei diesen Worten ein wenig und bedankte sich, bevor sie das großzügige Trinkgeld einsteckte. Soviel hatte sie noch nie bekommen.

»Darf ich Ihnen denn noch einen Kaffee bringen?« erkundigte sich Karin bei dem Hotelgast und sah, wie dieser sofort nickte.

»Eine sehr gute Idee«, lobte er Karins Vorschlag. »Das wäre wirklich ein krönender Abschluß für eine fürstliche Mahlzeit. Nun bin ich wirklich in bester Laune für die heutige Tagesfahrt ...«

»Wo soll's denn hingehen?« wollte Karin wissen und bekam wenige Sekunden später bereits die Antwort.

»Nach Fulda«, klärte sie der Grauhaarige dann auf. »Eine Besichtigung des Doms und der Altstadt stehen auf dem Programm. Sowas kann ich mir doch nicht entgehen lassen.«

»Ganz bestimmt nicht«, fügte Karin rasch hinzu und wandte sich dann ab. Schließlich sollte der spendable Gast nicht allzu lange auf seinen Kaffee warten. Deshalb ging sie gleich hinüber zur Theke, wo Klaus Bernhard, der einzige Sohn der Familie, emsig zugange war, Gläser zu spülen. Natürlich hatte er Karins Schritte gehört und hob jetzt den Kopf, grinste ihr verschwörerisch zu.

»Hat er wieder ein Schwätzchen mit dir gehalten, der gute Herr Schuster?« wollte Klaus wissen. »Er ist ja jedesmal ganz aus dem Häuschen, wenn du ihn bedienst. Kein Wunder, denn so ein hübsches Mädchen bekommt man nicht alle Tage zu sehen.«

Jetzt wich Karin seinen Blicken aus. Weil sie mit so einer Bemerkung jetzt nicht gerechnet hatte. Hastig versuchte sie, ihre wachsende Unsicherheit zu überspielen, die sich des öfteren einstellte, wenn sie sich in Klaus' Nähe aufhielt. Kein Wunder, denn Klaus war ja auch ein gutaussehender Bursche. Statt dessen zog sie nun den Zehnmarkschein hervor und zeigte ihn Klaus.

»Schau dir das mal an«, meinte sie dann. »Ist das nicht ein fürstliches Trinkgeld? Soviel auf einmal! Ich wußte gar nicht, was ich sagen sollte, als ich ...«

»Freu dich doch einfach darüber«, schlug ihr Klaus unvermittelt vor und stellte die Gläser beiseite. »Du hast es ja auch verdient. Seit du bei uns bist und aushilfst, sind die Gäste mehr als zufrieden.« Er bemerkte, daß Karin etwas verlegen wurde und fuhr deshalb rasch fort. »Ich wollte dir das nur sagen, damit du weißt, wie sehr meine Eltern und ich uns an dich gewöhnt haben ...«

»Danke«, meinte sie und erinnerte sich jetzt wieder daran, daß Herr Schuster ja seinen Kaffee noch nicht bekommen hatte. Das kam ihr gerade recht, um von diesem Thema abzulenken. Weil es ihr schon fast peinlich war, daß die Bernhards so gut von ihr sprachen. Dabei tat sie doch nur ihre Pflicht!

»Noch einen Kaffee für Herrn Schuster«, sagte sie dann zu Klaus, und der mußte einsehen, daß Karin nicht weiter darüber reden wollte. Eigentlich schade, dachte er im stillen, während er die Kaffeemaschine betätigte und eine saubere Tasse mit dem aromatisch duftenden Gebräu füllte. Weil er liebend gerne mit Karin noch über ganz andere Dinge gesprochen hätte. Denn er fand das blonde schlanke Mädchen mehr als sympathisch. Karin besaß eine Natürlichkeit, die man heutzutage kaum noch fand. Ein Grund mehr für Klaus, daß er sich irgendwie zu ihr hingezogen fühlte.

Zwar hatte er schon des öfteren versucht, das Karin zu zeigen, aber sie hatte sich ihm gegenüber immer sehr reserviert verhalten. Die beiden waren zwar per du, wie es unter jungen Leuten ihres Alters selbstverständlich war, aber das war auch schon alles. Ob sie in ihm vielleicht doch nur den Sohn des Chefs sah, dem man Respekt erweisen mußte?

Nun ja, sagte er im stillen zu sich, während er die Kaffeetasse auf Karins Tablett stellte. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden. Trotzdem ertappte er sich immer wieder dabei, daß er Karin hinterherschaute. Wie auch jetzt, als Karin zu Herrn Schusters Tisch ging, um ihm den Kaffee zu servieren. Und dabei hatte sie natürlich wieder freundliche Worte für den Hotelgast übrig.

»Einen schönen Tag noch, Herr Schuster«, wünschte sie ihm, bevor sie hinüber zu den anderen Tischen ging, weil die Gäste ebenfalls zahlen wollten. Draußen auf dem Parkplatz wartete nämlich schon der Bus, der eine kleine Reisegruppe zu einer abwechslungsreichen Besichtigungsfahrt in die nahegelegene Bischofsstadt Fulda bringen sollte. Hans Bernhard, der Seniorchef, organisierte solche Fahrten in Zusammenarbeit mit einem ortsansässigen Busunternehmer. Schließlich wollte er seinen zahlenden Gästen für die Dauer ihres Urlaubs im Hotel eine Menge bieten. Und dazu eröffneten sich im Ferienparadies Rhön geradezu ungeahnte Möglichkeiten. Das hatte mit dazu beigetragen, daß das Hotel am Fuße des Kreuzberges mittlerweile etliche Stammgäste beherbergte, die jeden Sommer hierherkamen. Weil sie eben wußten, was Hans Bernhard seinen Gästen bot.

An all das dachte Karin jetzt, während sie der Gruppe hinterherschaute, die jetzt gerade in den Bus stieg. Wenige Minuten später startete der Bus los in Richtung Fulda, fuhr die gut ausgebaute Straße hinunter und würde in einer guten Stunde das Ausflugsziel erreicht haben.

Sicherlich würden die Touristen einen schönen Tag erleben, denn es herrschte heute ein sprichwörtliches Bilderbuchwetter.. Kein einziges Wölkchen hatte sich heute am Himmel gezeigt, und die sommerlichen Temperaturen luden ohnehin ein, viel Zeit im Freien zu verbringen. Deswegen waren heute mittag auch zahlreiche Ausflügler ins Hotel gekommen, die hier zu Mittag aßen. Schließlich war der Kreuzberg in dieser Region das bekannteste Ausflugsziel, und diese Tatsache ließ das Hotel der Familie Bernhard zu einer gutbesuchten Stätte werden ...

Seufzend wandte sich Karin ab und ging wieder zurück in die Küche, wo Frau Bernhard und zwei weitere Bedienstete schon emsig am Geschirrspülen waren. Schließlich würden schon bald – eben zur Kaffeezeit, die nächsten Gäste kommen, und bis dahin mußte alles gerichtet sein.

»Kann ich heute zeitig Feierabend machen, Frau Bernhard?« erkundigte sich Karin dann bei ihrer Chefin, nachdem sie sich eine Schürze umgebunden und an die Spüle gestellt hatte. »Ich möchte meinem Vater noch ein wenig auf dem Hof helfen ...«

»Karin, über deinen Fleiß und deinen Arbeitswillen kann ich wirklich nur staunen«, erwiderte Margot Bernhard daraufhin. »Ich wünschte, du könntest jeden Tag hier bei uns mithelfen. So ein tüchtiges Mädchen wie dich haben wir noch nie hier gehabt.«

Insbesondere Frau Bernhards letzte Bemerkung galt Monika Dillinger, einer fünfundzwanzigjährigen Studentin, die auch drei Tage in der Woche im Hotel aushalf. Allerdings tat sie längst nicht soviel wie Karin, so daß sie sich von Frau Bernhard schon des öfteren Kritik an ihrer oberflächlichen Arbeitsweise hatte anhören müssen. Genauso wie jetzt, als sie zusammen mit Karin in der Küche stand, ab er einfach so tat, als wenn sie diese Bemerkung überhört hätte.

»Selbstverständlich kannst du zeitig gehen, Kind«, fuhr Margot Bernhard dann fort. »Wenn du das möchtest, kannst du sogar eine Stunde früher nach Hause.«

»Danke, Frau Bernhard«, erwiderte Karin, weil sie sich über das Entgegenkommen sehr freute. Denn unten in Oberbach auf dem Hof ihres Vaters gab es wirklich jede Menge zu tun. Vor allen Dingen deswegen, weil ihr Vater mit der ganzen Arbeit schlichtweg alleingelassen wurde. Denn Gerd, ihr jüngerer Bruder, hatte bis heute kein großes Interesse am heimatlichen Hof gezeigt. Statt dessen widmete er sich lieber seinen sogenannten Freunden, mit denen er manchmal tagelang herumzog, ohne nachts nach Hause zu kommen. Daß sich die Eltern und Karin deswegen große Sorgen machten, war ganz verständlich. Denn Gerd hatte schon mehrfach anklingen lassen, daß er lieber heute als morgen von hier wegziehen wollte. Am liebsten nach Frankfurt, in die Stadt seiner heimlichen Wünsche, wo er glaubte, seine eigenen Vorstellungen gut verwirklichen zu können. Gar manche schlaflosen Nächte hatten Gerds Eltern und Karins deswegen schon durchstehen müssen. Trotz guten Zuredens hatte sich Gerd bisher äußerst dickköpfig gezeigt, und es wurde von Tag zu Tag immer schlimmer mit ihm. Ganz klar, daß sich Karin deswegen Sorgen machte, denn sie hing sehr an Gerd und wußte, was das bedeutete, wenn er dem heimatlichen Hof den Rücken kehrte ...

Ihre Gedanken brachen urplötzlich ab, als sie plötzlich Frau Bernhards Stimme hinter sich hörte.

»Bist du in Gedanken, Karin?« wurde sie dann gefragt. »Du hörst ja gar nicht, daß ich dich gerade etwas gefragt habe.«

»Entschuldigung, Frau Bernhard«, antwortete Karin hastig und versuchte zu vermeiden, daß eine leichte Röte ihr hübsches Gesicht überzog. Was ihr aber nicht ganz gelang.

»Ich sag ja, du arbeitest einfach zuviel«, fügte Frau Bernhard dann hinzu. »Und deswegen ist es wohl am vernünftigsten, wenn du jetzt schon nach Hause gehst. Du bekommst frei heute nachmittag, denn deinen Teil hast du schon geleistet. Mach dir ein paar schöne Stunden bei diesem herrlichen Wetter, Mädchen -- und morgen kommst du dann ausgeruht wieder. Einverstanden?«

Mit soviel Entgegenkommen hatte Karin nun wirklich nicht gerechnet. So eine verständnisvolle Chefin wie Frau Bernhard war ihr bislang noch nicht begegnet.

»Das ist nett von Ihnen«, bedankte sie sich. »Aber nur, wenn heute nachmittag wirklich ...«

»Das bißchen Arbeit werden wir auch ohne dich schaffen«, unterbrach sie Frau Bernhard. »Mach dir darüber keine Gedanken, Kind. Das meiste haben wir ja schon hinter uns. Hans und Klaus packen ordentlich mit zu, und dann geht alles wie am Schnürchen. Wenn du möchtest, dann rede ich kurz mit Klaus. Er fährt dich sicherlich gern hinüber nach Oberbach und ...«

»Das ist doch nicht nötig, Frau Bernhard«, unterbrach sie Karin eine winzige Spur zu hastig und wich dabei den Blicken ihrer Chefin aus. »Ich hab doch mein Fahrrad dabei, und die paar Kilometer bis nach Hause sind doch überhaupt kein Problem. Erst recht nicht bei dem schönen Wetter heute.«

»Es war ja auch nur ein gutgemeinter Vorschlag, Kind«, sagte Frau Bernhard daraufhin. »Gut, dann fahr am besten jetzt gleich los und ruh dich noch ein bißchen aus heute – versprichst du mir das?«

»Ich verspreche es«, lächelte Karin abschließend und verließ dann die Küche. Natürlich spürte sie die neidischen Blicke von Monika in ihrem Rücken, aber daraus machte sie sich nichts. Statt dessen war sie sichtlich erleichtert darüber, daß sie heute früher nach Hause gehen und somit dem Vater noch eine Zeit lang auf dem Hof helfen konnte. Gewiß würde er sich darüber freuen, denn er war auch nicht mehr der Jüngste. Und die Arbeit wurde mit den Jahren bestimmt nicht leichter.

Sie war so in Gedanken versunken, daß sie beinahe draußen auf dem Flur mit Klaus zusammengestoßen wäre, der gerade um die Ecke kam. Im letzten Moment konnte sie ihm noch ausweichen.

»Nur nicht so stürmisch, junge Frau«, scherzte er und grinste amüsiert. »Hast es ja auf einmal mächtig eilig, Karin.«

»Das hat auch einen guten Grund«, erwiderte Karin. »Ich habe nämlich gerade von deiner Mutter für den Rest des Tages frei bekommen.«

»Willst du wirklich schon nach Hause?« fragte sie Klaus mit sichtlichem Bedauern in der Stimme. »Warum bleibst du nicht noch ein wenig? Nachher hätte ich auch ein bißchen Zeit übrig, und da könnten wir doch vielleicht noch einen kleinen Spaziergang unternehmen. Natürlich nur, wenn du Zeit übrig hast und ...«

»Es geht heute wirklich nicht, Klaus«, unterbrach sie ihn, als ihr klar wurde, worauf Klaus Bemerkungen hinauszielten, »Deine Mutter hat mir deswegen freigegeben, weil sie weiß, wieviel es um diese Jahreszeit auf einem Bauernhof zu tun gibt. Und da möchte ich meinen Vater nicht allein lassen.«

»Ich denke, du hast noch einen Bruder«, sagte Klaus, weil er sich so schnell noch nicht geschlagen geben wollte. »Wenn der ordentlich mit anpackt, dann dürften er und dein Vater es doch bestimmt schaffen, oder?«

Ein plötzlicher Schatten überzog Karins Gesicht, als sie ihn so reden hörte. Natürlich konnte Klaus nicht wissen, was er mit dieser Bemerkung anrichtete. Denn Karin wußte nur zu gut, wie es wirklich um Gerd bestellt war.

»Trotzdem«, sagte sie und bemühte sich, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. »Ich habe meinem Vater versprochen, daß ich ihm helfe, wenn es meine Zeit übrig läßt. Und deine Mutter hat nichts dagegen, daß ich deswegen heute etwas früher gehe. Bitte, Klaus«, richtete sie dann das Wort wieder an ihn. »Sei so gut und laß mich gehen. Wir können uns ja ein anderes mal über deinen Vorschlag unterhalten.«

»Dann werde ich dich aber bestimmt daran erinnern«, sagte der Hotelierssohn. »Ich vergesse das nicht, Karin.«

»Sollst du ja auch nicht«, meinte sie knapp und verabschiedete sich anschließend mit einem flüchtigen Nicken von ihm. Klaus wurde zusehends hartnäckiger, und das Verwirrende daran war die Tatsache, daß Karin das noch nicht einmal unangenehm war. Unter anderen Umständen hätte sie seine Einladung zum Spazierengehen ganz gewiß nicht abgelehnt. Aber in der augenblicklichen Situation konnte und durfte sie ihren Vater nicht im Stich lassen. Deshalb hatte sie es auch sehr eilig, hinaus ins Freie zu gehen, zu ihrem Fahrrad, das sie an einem Seiteneingang abgestellt hatte. Sekunden später trat sie dann in die Pedale und fuhr los in Richtung Oberbach. Und zurück blieb ein ziemlich ratloser Klaus Bernhard, der Karin so lange hinterherblickte, bis sie mit dem Fahrrad hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war.

2

Ein Bus mit Frankfurter Kennzeichen kam Karin entgegen, noch bevor das Berghotel zwischen den Bäumen ihren Blicken entschwunden war. Nur wenige Minuten später sah Karin drei weitere Busse, alle voll besetzt mit Touristen, die den Kreuzberg zum Reiseziel hatten. Seit der Wiedervereinigung wuchs auch die Zahl der Touristen aus den östlichen Bundesländern. Das hatte mit dazu beigetragen, daß sich das ehemalige Grenzgebiet der osthessischen Rhön allmählich zu einem begehrten Reiseziel für West und Ost entwickelt hatte,

Der laue Sommerwind fuhr durch Karins blonde Haare, während sie weiter bergab fuhr. Oberbach, ihr kleines Heimatdörfchen, lag noch nicht einmal sechs Kilometer entfernt vom Kreuzberg. Also eine Strecke, die sie ganz bequem in einer halben Stunde zurücklegen konnte.