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Axel T. Paul

Theorie des Geldes zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Berlin
Dieter Thomä, St. Gallen

Junius Verlag GmbH

Stresemannstraße 375

22761 Hamburg

www.junius-verlag.de

© 2017 by Junius Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Florian Zietz

Titelbild: Tetradrachme, Athen

E-Book-Ausgabe September 2019

ISBN 978-3-96060-104-3

Basierend auf Printausgabe

ISBN 978-3-88506-796-2

1. Auflage 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zur Einführung …

… hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Reihe Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vismann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verantwortet wurde.

Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt politik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich produktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kompetent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leisten vermag.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Übersichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netzpublikationen vertraut.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä

Inhalt

Vorwort

I.Ökonomische Geldtheorie

1. Tausch – Handel – Geld

2. Objektive und subjektive Wertlehre

3. Der unwahrscheinliche Tausch

II.Urszenen des Geldes

1. Gabentausch und zeremonielle Gelder

2. Geld und (das Ende der) Gewalt

3. Opfer-Wirtschaft

4. Das Geheimnis der Münze

III. Geld und Finanz

1. Zeit und Geld

2. Die Logik der Finanzmärkte

IV. Geld-Politik

1. Grundzüge und Grundprobleme der gegenwärtigen Geldordnung

2. Privates Geld oder der Bitcoin

3. Vollgeld oder: Souverän ist, wer die Geldschöpfung kontrolliert

4. Zentralbankunabhängigkeit und die Politizität des Geldes

V.Die Gesellschaft des Geldes

1. Entfremdung und Freiheit

2. Geld und funktionale Differenzierung

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Diese Einführung trägt den Titel »Theorie« und nicht, wie im Rahmen dieser Reihe ansonsten üblich, »Theorien des Geldes«, weil ich den Versuch gemacht habe, die tatsächliche Vielfalt an Geldtheorien aus der Perspektive einer zwar ökonomisch aufgeklärten, aber doch primär soziologischen oder besser und präziser institutionalistischen Geldtheorie abzubilden und zu relativieren. Selbstverständlich stehe auch ich auf den Schultern von Anderen; zumindest weiß ich eine lange Tradition von Geldtheoretikern hinter mir, die das meiste, wenn nicht alles dessen, was ich auf den folgenden Seiten präsentiere, so oder so ähnlich auch schon gedacht und geschrieben haben. Gleichwohl oder vielmehr gerade deswegen fiele es mir schwer, diejenigen Autoren zu nennen, denen ich »meine« Einsichten »in der Hauptsache« verdanke; es sind schlicht zu viele. Wer der einen oder anderen Spur nachgehen möchte, kann das tun, indem er (oder sie, versteht sich, hier wie fürderhin) die von mir (wiederholt oder »an den entscheidenden Stellen«) zitierte Literatur konsultiert.

Für die Position, von der aus ich schreibe, beanspruche ich darum keine besondere Originalität, wohl aber eine gewisse Kohärenz, die es mir erlaubt, die vielen natürlich auch in dieser Einführung vorkommenden Theorien des Geldes zu sortieren und zu bewerten. Umreißen lässt sich mein Standort vielleicht damit, dass ich das Geld für eine Institution, das heißt aus einem besonderen Typ von sozialen Beziehungen und ihrer (Ver-)Regelung erwachsenes verdinglichtes Symbol und nicht für ein von individuellen Akteuren zur Optimierung ihrer Tauschchancen erdachtes Werkzeug halte. Dass ich damit auf den Widerspruch der von mir kritisierten (oder übergangenen) Autoren und theoretischen Lager stoßen werde, ist klar, zugleich aber eben auch Sinn und Prinzip der Wissenschaft selbst. Die primären Adressaten dieses Buches sind indes weniger Konkurrenten auf dem Gebiet der Geldtheorie als vielmehr geldtheoretisch oder allgemeiner an Problemen der politischen Ökonomie interessierte sozial-, kultur- oder geisteswissenschaftlich vorgebildete Laien, denen ich plausibel machen möchte, dass und warum das Geld ein »Gegenstand« ist, den allein den Ökonomen und professionellen Anlegern zu überlassen ein intellektuelles Versäumnis und ein politisches Problem wäre.

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der nicht bloß in den Wirtschaftswissenschaften dominanten, sondern in ihren Grundzügen allgemein verbreiteten, schon aus logischen, aber auch aus empirischen Gründen tatsächlich jedoch unhaltbaren Tauschmitteltheorie des Geldes. Konfrontiert wird diese Theorie, die den rational kalkulierenden homo oeconomicus als immer schon gegeben voraussetzt, mit Überlegungen zur Unwahrscheinlichkeit des Tauschs beziehungsweise den Koordinationsproblemen, die überwunden werden müssen, damit so etwas wie ein Markt überhaupt entstehen kann.

Das zweite Kapitel rekapituliert diejenigen »Urszenen« des Geldes, in denen sich die für sein Verständnis grundlegenden Kategorien herausbilden und erstmalig geschichtsmächtig werden. Als wesentlich herausgestellt wird hier die Unterscheidung von Geld als Wertmaßstab, das heißt als »Denkform«, die ökonomischen Wert allererst vorstellbar und zugleich quantitativ vergleichbar macht, und dinglichem, »an sich« wertvollem Geld. Es zeigt sich, dass das Geld nicht-wirtschaftliche Ursprünge hat und zunächst nicht als Tausch-, sondern als Schuldentilgungsmittel fungierte.

Das dritte Kapitel springt von den Anfängen des Geldes in die Finanzwelt der Gegenwart. Erläutert wird zunächst der durch Geld ermöglichte besondere Umgang mit Zeit. Wir stoßen hier auf das strukturelle Problem, dass Geldhalter am Geld einerseits zwar seine generelle Brauchbarkeit schätzen, dieser spezifische »Liquiditätsvorteil« andererseits jedoch nicht von allen Geldhaltern gleichzeitig oder auch nur gleichermaßen in Anspruch genommen werden kann. Gezeigt wird weiterhin, dass die modernen Finanzmärkte, insbesondere Banken und Börsen, das besagte Liquiditätsparadox auf der einen Seite zwar aufzuheben versuchen, es auf der anderen Seite jedoch unweigerlich krisenhaft zuspitzen – so, dass Finanzkrisen geldwirtschaftlich zu einer permanenten Gefahr werden.

Das vierte Kapitel erläutert die Grundzüge und Grundprobleme unserer gegenwärtigen Währungsordnung. Es klärt über die weithin private und darum von der öffentlichen Hand nur bedingt steuerbare Geldschöpfung auf und demonstriert damit die Relevanz eines kredit- und nicht tauschbasierten Geldverständnisses auch für heutige Verhältnisse. Der Doppelcharakter des Geldes, sowohl öffentliches Gut als auch privater Eigentumstitel zu sein, beziehungsweise das der Währungsordnung inhärente Problem, Schuldner- und Gläubigerinteressen zum Ausgleich bringen zu müssen, wird am Beispiel der elektronischen Alternativwährung Bitcoin und des »Vollgeld-Reform« genannten Vorschlags zur (Wieder-)Herstellung staatlicher Hoheit über den Geldschöpfungsprozess besprochen. Angesichts der unweigerlichen »Parteilichkeit« des Geldes geht es schließlich um die Möglichkeiten und Grenzen einer Demokratisierung unserer Geldordnung.

Das fünfte im engeren Sinne soziologische Kapitel bespricht die Ambivalenz des Geldes einerseits auf der Ebene der Akteure, andererseits auf der Ebene der Sozialstruktur. Gezeigt wird, dass den moralisch und lebensweltlich abträglichen Effekten des Geldgebrauchs individuelle Freiheitsgewinne gegenüberstehen, auf die zu verzichten kaum jemand bereit sein dürfte. Wie der zweite Teil des Kapitels deutlich macht, ist es allerdings keine Frage der persönlichen Wahl, Geld zu gebrauchen oder nicht. Vielmehr setzt die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft, ihre Gliederung in eigenlogisch geprägte Teilbereiche wie die Wissenschaft, das Recht oder die Partnerschaft, die Existenz und den fortwährenden Einsatz eines gesamtgesellschaftlichen »Steuerungsmediums« Geld voraus. Zugleich jedoch stellen die herausgehobene Stellung des Geldes und allgemeiner die strukturelle Dominanz des Wirtschaftssystems eine Bedrohung der normativen Autonomie der übrigen Bereiche dar.

Die verschiedenen Kapitel des Bandes und auch ihre Unterabschnitte lassen sich einzeln lesen, sie »erzählen« gleichwohl eine kohärente Geschichte, die in Gänze zur Kenntnis zu nehmen die Überlegungen der einzelnen Kapitel vermutlich heller beleuchtet.

Ich danke Franca Fellmann, Malte Flachmeyer, Steffen Herrmann, Magdalena Küng, Matthias Leanza und Cornelius Moriz für ihre aufmerksame Durchsicht des Manuskripts und ihre vielen hilfreichen Kommentare, Matthias Leanza darüber hinaus für die Erstellung des Registers. Widmen möchte ich diesen Band meinem akademischen Lehrer Wolfgang Eßbach, von dem ich gelernt habe, dass gute Soziologie bei aller unvermeidlichen Abstraktion von konkreter Erfahrung immer auch eine Frage der Anschaulichkeit und damit der Darstellung ist. Ob mir dieser Balanceakt zwischen sperriger Begrifflichkeit und Lesbarkeit gelungen ist, mögen die Leser dieses Büchleins selbst entscheiden. Ich hoffe jedenfalls, ihnen eine Handreichung zu bieten, sich im häufig gerade sprachlich verstellten Feld der Geldtheorie besser zurechtzufinden.

Basel, im März 2017

I. Ökonomische Geldtheorie

1. Tausch – Handel – Geld

Ganz gleich, ob man googelt, Leute auf der Straße befragt, Materialien zur ökonomischen Bildung durchsieht oder wissenschaftliche Lehrbücher konsultiert, fast immer lautet die Antwort auf die Frage, was Geld sei: ein Tauschmittel, das den Handel erleichtert. Sucht, liest oder fragt man weiter, werden häufig noch andere Funktionen des Geldes genannt, etwa seine Fähigkeit, Preise auszudrücken, also den Wert verschiedener Waren zu vergleichen, und die Möglichkeit, Kaufkraft vorzuhalten, das heißt auf bequeme Weise Wert(e) aufzubewahren. Tatsächlich erschöpfen diese drei Funktionen des Geldes, den Tausch zu erleichtern, Werte zu vergleichen und Kaufkraft zu speichern, für die meisten Theoretiker das Wesen des Geldes. »Money is what money does« (Hicks 1967, S. 1), lautet ein mittlerweile geflügeltes Wort der Ökonomen. Geld wird damit – auf den ersten Blick zumindest – funktional und nicht substantiell bestimmt. Eine substantielle Definition wäre die Aussage »Geld ist Gold«. Nun wurde zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten in der Regel gewogenes oder gemünztes Gold zwar durchaus als Geld gebraucht, nur folgt daraus nicht, dass nur Gold Geld sein kann. Schon ein Blick in unsere Portemonnaies, in denen sich zumeist silber-, kupfer- oder messingüberzogenes Kleingeld, papierene Geldscheine und verschiedenste Geld- und Kreditkarten befinden, beweist das Gegenteil. Im Laufe der Geschichte haben darüber hinaus die verschiedensten Gegenstände wie Salz, Muscheln oder Rinder Geldfunktionen erfüllt.

Und doch gibt es, wenn man die Antworten auf die Frage, was Geld sei, auch und gerade von Wirtschaftswissenschaftlern durchmustert, zumindest so etwas wie einen Primat der Tauschmittelfunktion. Sehr oft werden die anderen (beiden) Geldfunktionen aus der Tauschmittelfunktion des Geldes hergeleitet: Eben weil ein bestimmtes »Ding« als allgemeines Tauschmittel benutzt wird, ließen sich Preise als Tauschrelationen dieses einen Dings zu allen anderen Gütern ausdrücken und würden damit vergleichbar. Weiterhin sei oder vielmehr werde ein allgemeines Tauschmittel, egal woraus es besteht, schon deshalb wertvoll, wenn ich es, einmal erlöst, nicht sofort wieder ausgeben muss, sondern bis zur nächsten (Tausch-)Gelegenheit vorhalten kann. Die Eigenschaften des oder wenigstens des uns vertrauten Geldes, Werte zu messen und aufzubewahren, wären mithin eine Folge seiner eigentlichen Bestimmung, Tauschmittel zu sein.

Obgleich eine solche Definition an sich keine Auskunft darüber gibt, wie Geld entstanden ist, wird aus dieser Definition dennoch sehr oft gefolgert, dass sich Geld aus dem Güter- oder Warentausch entwickelt habe. Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. spricht Aristoteles davon, dass das Geld zur Erleichterung des Tauschhandels ersonnen worden sei. Indem Geld als Zwischentauschgut gebraucht werde, in das ein Tauscher seine überschüssigen, über den Eigenbedarf hinausgehenden Güter eintausche, bevor er jenes Zwischentauschgut wiederum für den Erwerb weiterer, eigentlich begehrter Güter verwende, erlaube es einer größeren Anzahl von Menschen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, als wenn diese ihre Güter direkt tauschen würden (Aristoteles 2001, I, 9).1 Allerdings warnt Aristoteles davor, den Gelderwerb als Selbstzweck zu betrachten; dies wäre ein Missbrauch des Geldes. Rund zweitausend Jahre später bei John Locke dient das Geld zwar nach wie vor der Erleichterung des Tauschs, nun allerdings – und das ist ein fundamentaler Wandel – rechtfertigt gerade der Gelderwerb, das heißt hier die Verkäuflichkeit von Eigentum, dessen über den eigenen Bedarf hinausgehende Aneignung (Locke 1689/1977, II, 5; Priddat 2012). Locus classicus auch der historischen oder genetischen Tauschmitteltheorie des Geldes ist jedoch Adam Smiths Wohlstand der Nationen aus dem Jahre 1776, ein Buch, das zugleich als Gründungsschrift der Wirtschaftswissenschaften gilt:

»In den Anfängen der Arbeitsteilung muß der Tausch häufig noch sehr schleppend und stockend vor sich gegangen sein. Nehmen wir an, jemand habe von einer Ware mehr als er selbst braucht, ein anderer dagegen zu wenig davon. Dann würde der erste froh sein, wenn er von dem Überschüssigen etwas abgeben, der zweite etwas davon kaufen könnte. Hat dieser aber gerade nichts zur Hand, was der erste braucht, kann kein Tausch unter ihnen zustande kommen. […] Um nun solche mißlichen Situationen zu vermeiden, mußte eigentlich jeder vernünftige Mensch auf jeder Entwicklungsstufe seit dem Aufkommen der Arbeitsteilung bestrebt gewesen sein, es so einzurichten, daß er ständig außer dem Produkt seiner eigenen Arbeit einen kleinen Vorrat der einen oder anderen Ware bereit hatte, von der er annehmen konnte, daß andere sie im Tausch gegen eigene Erzeugnisse annehmen werden. Vermutlich wurden im Laufe der Zeit die verschiedensten Waren zu diesem Zweck ausgesucht und verwandt. […] Am Ende haben aber dann die Menschen in allen Ländern aus vernünftigen Gründen Metalle als Tauschmittel allen anderen Waren vorgezogen. Metall läßt sich, da es haltbarer als jede andere Ware ist, nicht nur ohne nennenswerten Verlust aufbewahren, es kann auch ohne Schaden beliebig geteilt und leicht wieder eingeschmolzen werden« (Smith 1776/1978, S. 23).

Als weitere Etappen der Geldentwicklung nennt Smith die Standardisierung von Metallstücken und schließlich deren Prägung zu Münzen. Staatliche Banknoten, wie sie in England seinerzeit bereits seit einem Dreivierteljahrhundert in Gebrauch waren (Hutter 1993), erwähnt er allerdings nicht. Seither findet sich diese Urgeschichte des Geldes in ähnlicher Fassung in den allermeisten Einführungen in die Volkswirtschaftslehre. Dass auch Smiths Buch ein normativer, gegen merkantilistische Handelsbeschränkungen gerichteter Text war, ist allgemein bekannt. Und auch die zeitgenössische Ökonomik2 ist keine wertfreie Wissenschaft (ebenso wenig übrigens wie diese Einführung), zumindest insofern sie ihre Darstellung von Wirtschaft und weiterhin von Gesellschaft überhaupt als an der Natur der Dinge oder vielmehr des Menschen orientiert ausgibt. Tatsächlich nämlich geht die »orthodoxe«, das heißt wirtschaftsliberale Ökonomik (und mit ihr die in den Sozialwissenschaften insgesamt bedeutsame Theorie der rationalen Entscheidung) davon aus, dass (Aus-) Tauschbeziehungen zwischen vereinzelten, nutzenorientierten Individuen so etwas wie den sozialen Naturzustand beziehungsweise die natürliche Gesellschaft bilden. Smith selbst (1776/1978, S. 16) spricht von der »natürlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge gegeneinander auszutauschen«. »Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen« (ebd., S. 17). Und Paul Samuelson (1964, S. 73), Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1970, sekundiert zwar überzeichnend, doch ohne Ironie: »Darum sind wir jenen beiden Affenmenschen zu großem Dank verpflichtet, die eines Tages die Entdeckung machten, dass sie sich gegenseitig nützen, wenn jeder jeweils auf etwas verzichtete, um dafür etwas Anderes einzutauschen.«3

Den Markt, das heißt einen »Schattenmarkt«, auf dem die Einzelnen sich (zueinander) verhalten, als wären sie auf einem Markt, auch wenn das, was sie voneinander wollen, noch keine Preise hat, gibt es dieser Anthropologie zufolge mithin immer schon. Und das Geld ist diejenige Erfindung – eine Erfindung, auf welche die »vernünftigen« Akteure früher oder später stoßen mussten –, welche den Schattenmarkt und die nur erst dyadisch-zufälligen, für Dritte undurchsichtigen Tauschrelationen sichtbar macht. Der allgemeine Tausch, das heißt der Austausch von Gütern, ja der Handel, der im Grunde immer schon stattfindet, wird durch das Geld bloß erleichtert, weil einer der beiden Tauscher nur noch Geld und nicht ein von der Gegenseite konkret begehrtes Gut besitzen muss, damit getauscht werden kann. Zugleich wird der Handel »ökonomisiert«, weil aufgrund eines nun gleichen Wertstandards die Güterpreise verglichen und der aus Warte der Individuen für sie jeweils günstigste »Deal« vollzogen werden können. Das Geld löst mithin das von William Jevons so genannte Problem der »doppelten Koinzidenz der Wünsche«, dass ein tauschwilliger Akteur »Ego« ohne Geld nicht nur einen Tauschpartner »Alter« finden muss, der nicht bloß anzubieten hat, was Ego begehrt, sondern der seinerseits genau das haben möchte, was Ego ihm anbietet, und beide zudem nicht nur über die »richtigen« Waren, sondern auch über die genau »richtigen« Mengen derselben verfügen.

Eine kanonische, aus orthodoxer Warte bis heute im Grunde nur in Nuancen veränderte Formulierung hat diese Tauschmitteltheorie des Geldes bei Carl Menger (1892) gefunden. Betont werden hier der Besitzindividualismus, die Selbstverständlichkeit, ja die Universalität des (Waren-)Tauschs, die praktischen Schwierigkeiten desselben, die Unausweichlichkeit der »Geld-Lösung« und die Evolution des Geld-»Mediums« von der marktgängigsten Ware über die Edelmetalle und ihre Standardisierung hin zum an sich annähernd wertlosen, wohl aber Werte repräsentierenden, zumeist staatlich kontrollierten Wertzeichen. Der Staat oder eine sonstige außer oder über dem Markt stehende Instanz kommt in dieser Erzählung, wenn überhaupt, nur nachträglich ins Spiel. Das Geld gilt vielmehr als ein »spontanes Ergebnis« (ebd., S. 250) der Interaktionen der Marktteilnehmer.

Das Problem an dieser Geschichte ist: Sie ist falsch, und zwar aus konzeptionellen wie empirischen Gründen. Dagegen, dass Geld, wie von Menger angenommen, aus der marktgängigsten Ware hervorgeht, spricht allein schon die Überlegung, dass es auf überschaubaren Märkten mit einer beschränkten Anzahl von Marktteilnehmern und Gütern überhaupt keines Zwischentauschgutes bedarf und das Problem der doppelten Koinzidenz der Wünsche anstatt durch Geld ebenso durch »Anschreiben« gelöst werden kann. Auf großen, unüberschaubaren Märkten hingegen wäre die marktgängigste Ware gar nicht als solche auszumachen. Schon bei nur hundert Waren gibt es 4950 mögliche Tauschrelationen. Dass sich unter diesen Bedingungen eine Ware zwanglos als Geld durchsetzt, ist außerordentlich unwahrscheinlich.

Aus Geschichte und Ethnologie sind zudem keine Gesellschaften bekannt, die in nennenswertem Umfang, etwa gar in für die Reproduktion des jeweiligen Gemeinwesens wesentlichem Maße geldlosen Warentausch betrieben hätten. Zwar wurde auch in einfachen und früheren Gesellschaften getauscht, nur eben nicht beziehungsweise nur in eingeschränkter Form gehandelt (Dalton 1982; Humphrey 1985). Das gilt insbesondere für Wildbeutergesellschaften und das heißt die für die mit Abstand längste Zeit der menschlichen Geschichte typische Gesellschaftsform. Die »natürliche Gesellschaft«, insofern es sie überhaupt gab, war auf jeden Fall keine Gesellschaft der Krämer. Und auch nach der Entwicklung des Ackerbaus und selbst der Entstehung von Städten wurde der Markt nicht ohne Weiteres zur zentralen Versorgungsinstanz oder gar zum wichtigsten Koordinationsprinzip der jeweiligen Gesellschaft.

Ausgetauscht wurden – wie im nächsten Kapitel noch ausführlich zu zeigen – in marktlosen Gesellschaften (und werden auch bei uns noch) zeremonielle Gaben, die, nur weil es sich um Gaben und nicht Waren handelt, freilich nicht wertlos sein müssen. Auch Gaben werden erwidert, nur eben nicht gegeneinander eingetauscht. Ein derartiger Gabentausch dient nicht der Versorgung mit Gütern, an die anders nicht heranzukommen wäre, sondern dem Aufbau oder der Bestätigung von (Gruppen-)Beziehungen oder auch der (Status-)Konkurrenz. Wenn gleichwohl Dinge des alltäglichen Bedarfs den Besitzer wechseln, »Konsumgüter« wie Hirsebier oder »Investitionsgüter« wie Saatgut, dann werden diese in aller Regel nicht mit anderen Waren bezahlt, sondern verliehen oder auch verschenkt. Eine solche Gemeinschaft ist nicht notwendig und faktisch nur selten eine Gemeinschaft der Gleichen, kein kommunistisches Paradies, sondern häufig von Rivalitäten und Besitzungleichheit geprägt. Verschuldung kann auch und gerade in diesen Gemeinwesen zu Abhängigkeit oder gar Knechtschaft führen. Nur ist der Gütertausch in ihnen kein Mittel, Schuldverhältnisse gar nicht erst entstehen zu lassen. Handel innerhalb kleinerer Gemeinwesen ist zudem kaum notwendig. Jeder Einzelne war Mitglied eines größeren Haushalts, und die meisten Haushalte waren autark beziehungsweise produzierten dasselbe wie die übrigen Wirtschaftseinheiten. Ein Austausch von Arbeitsprodukten wäre darum wirtschaftlich unsinnig gewesen.

Wenn gehandelt wird, dann zunächst an den Rändern der Gemeinschaften. Der natürliche Handelspartner, das sind die Fremden, nicht nur weil sie möglicherweise über seltene und seltsame Dinge verfügen, die man selber gerne hätte oder ausprobieren würde, sondern auch und vor allem, weil mit ihnen zu handeln – zumindest dann, wenn sie der eigenen Gruppe möglicherweise überlegen sind – besser ist, als mit ihnen zu kämpfen. Der primitive Handel ist ein Handel zwischen verschiedenen Gruppen und seinerseits ein Substitut für gewaltsame Konflikte (Lévi-Strauss 1943). Und weil der Handel eine gefährliche Angelegenheit ist, weil der Tausch mit den Fremden sich als Täuschung entpuppen könnte, ist es notwendig, ihn besonderen Vorsichtsmaßregeln zu unterwerfen, etwa den Zugang zu Marktplätzen auf bestimmte Personen zu beschränken, auf diesen das Tragen von Waffen zu untersagen, Streitschlichter zu bestellen und Maßeinheiten zu etablieren. All dies setzt indes eine im weiteren Sinne politische Ordnung voraus. Darüber hinaus entwickelten sich aus dem Außenhandel heraus sehr wohl Tausch- und Zahlungsmittel, die schließlich auch innerhalb der über den Außenhandel verbundenen Gemeinwesen Verwendung fanden (Polanyi 1979, S. 217–236, 284–299). Das ist jedoch ein ganz anderer Entwicklungspfad, als vom Mythos des ursprünglichen Warentauschs unterstellt. Eine – »vernünftige« Individuen vorausgesetzt – nahezu zwangsläufige Evolution des Geldes aus den Widrigkeiten des Tauschhandels heraus sowie die anschließende Rationalisierung der Formen des Tauschmittels Geld von halbwegs homogenen, zählbaren Waren wie zum Beispiel Salz über halt- und teilbare Edelmetalle hin zu geprägten Münzen und mit Zahlen bedruckten Scheinen sowie anderen Geldsymbolen gab es jedenfalls nicht. Damit ist nicht gesagt, dass einmal eingeführtes Geld nicht auch als Tauschmittel fungiert. Die für die orthodoxe Ökonomik logisch wie historisch primäre Tauschmittelfunktion des Geldes stand jedoch nicht am Anfang der Geschichte des Geldes.

Warum aber hält sich dieser Mythos bis heute, wenn er offenkundig falsch ist? Wenigstens drei Gründe lassen sich ausmachen: Erstens stützt er die bestehende Wirtschaftsordnung. Tatsächlich erzählt er nicht von unvordenklichen Zeiten, sondern verklärt den Status quo. Vorausgesetzt werden selbstbestimmte und selbstsüchtige Individuen, das Privateigentum und der Markt. Alle drei Institutionen haben indes ebenso eine Geschichte wie das Geld und sind nicht immer schon gegeben. Sie zu naturalisieren heißt, sie in einem fundamentalen Sinne zu legitimieren, wenn nicht als Natur der Legitimationsbedürftigkeit zu entziehen. Das Geld als spontanen Fund der auf einem zunächst geldlosen Markt agierenden homines oeconomici zu interpretieren naturalisiert noch das Geld selbst. Es erscheint als ursprünglich und damit im Grunde apolitisches Medium, dessen sich der Staat oder andere kollektive Akteure im Laufe der Geschichte erst sekundär bemächtigt haben. Nun steht außer Frage, dass Herrscher und Regierungen das Geld in der Geschichte immer wieder für ihre partikularen Interessen missbraucht haben. Nur folgt daraus nicht, dass ein vordergründig apolitisches Geld, wie es heute in den meisten der hochentwickelten kapitalistischen Länder von »politisch unabhängigen« Zentralbanken administriert wird (vgl. Kap. IV/4), nicht seinerseits besondere Interessen bedient. Der Mythos eines politisch an sich neutralen Geldes hat den Effekt, eine solche Nach-Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen. Man muss ihn deshalb jedoch nicht für eine bewusst lancierte Falschinformation halten. Dass bereits und gerade der dem Schacher feindlich gesonnene Aristoteles ihn erzählt, dürfte beweisen, dass er keine bloße Machination der monetär Privilegierten sein kann. Doch warum sollten die Anhänger einer liberalen Wirtschaftsordnung den Geldmythos als Mythos entlarven, wenn er ihre normativen Vorstellungen transportiert?

Zweitens gibt es wie im Bereich der technologischen Entwicklung so auch auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts Pfadabhängigkeiten. Einmal getroffene Entscheidungen oder Grundannahmen lassen sich nicht mehr ohne Weiteres revidieren, wenn ein ganzes, wie im Falle der heutigen Ökonomik weitgehend kanonisiertes Theoriegebäude auf diesen aufruht. Wie die wissenschaftsgeschichtliche Forschung selbst für die harten Naturwissenschaften nachgewiesen hat, ist Erkenntnisfortschritt nicht die stückweise Anhäufung von immer mehr Wissen, sondern die Systematisierung von Einzelbeobachtungen und -erklärungen zu sogenannten Paradigmen (Kuhn 1973). Ein wissenschaftliches Paradigma ist so etwas wie eine Grammatik des Denkmöglichen. Was in diese Grammatik nicht integriert werden kann, wird als Ausnahme oder Abweichung deklariert oder gar nicht erst wahrgenommen. Nur wenn die den Grundannahmen eines Paradigmas widersprechenden Befunde überhandnehmen oder auch nicht-wissenschaftliche Faktoren eine Neuausrichtung des wissenschaftlichen Weltbilds opportun erscheinen lassen, kann es zur Ablösung des alten durch ein neues Paradigma kommen. Und für die orthodoxe, »neoklassische« Ökonomik gilt,4 dass sie im Kern als a-soziale Theorie der Tauschwirtschaft, genauer, als Theorie des rationalen und das heißt hier des stets nach einem Vorteil suchenden (Aus-)Tauschs voneinander isolierter Individuen konzipiert ist. Für die Institution des Geldes ist in diesem Paradigma, wie von den redlichen Vertretern desselben durchaus eingeräumt (z.B. Hahn 1984, S. 162), im Grunde kein Platz. Unsere, das heißt die moderne kapitalistische Ökonomie nicht als Markt-, sondern als Geldwirtschaft zu konzipieren hieße, gegen die Orthodoxie aufzubegehren und ist zumindest für Wirtschaftswissenschaftler waghalsig und wenig erfolgversprechend.

Doch selbst im Verbund mit den liberal-normativen Gründen dürfte die epistemologische Schwerkraft des orthodoxen Paradigmas das soziale Fortleben des Tauschgeldmythos nicht hinreichend erklären. Es ist vielmehr zu vermuten, dass dessen weite Verbreitung weitere Gründe im gewöhnlichen Umgang mit und Verständnis von Geld selber hat. Tatsächlich wird Geld von den meisten lebensweltlich mit dem dinglichen Bargeld, den Scheinen und Münzen in unseren Taschen, identifiziert, auch wenn erstens heute fast jeder von uns die eine oder andere Geldkarte mit sich führt und zweitens das allermeiste des überhaupt vorhandenen Geldes nicht mehr in Form von Bargeld, sondern in Form von Sicht- und Termineinlagen oder sonstigen Verrechnungsbeständen existiert.5 Inwiefern ein schriftlicher Kontoeintrag oder eine binär codierte Information auf einem elektronischen Speichermedium ein Tauschmittel sein soll, ist freilich nicht ohne Weiteres ersichtlich. Auf jeden Fall sind monetäre Informationen, genau genommen schon unsere Geldscheine und aus billigen Metalllegierungen bestehenden Münzen an sich keine materiellen Werte, sondern lediglich Repräsentanten von Wert. Aber sind sie dann überhaupt noch ein Tauschmittel? Grundsätzlicher gefragt: Muss Geld selbst wertvoll sein, um den Tausch zu vermitteln? Unser naives Alltagsbewusstsein scheint diese Frage zu bejahen. Geld erscheint diesem als etwas Substantielles, nicht nur als Inbegriff, sondern buchstäblich als Verkörperung von Reichtum. Geld zumindest ursprünglich, wenn nicht an sich, als Tauschmittel aufzufassen wäre, wenn diese Beobachtung zutrifft, in letzter Instanz nicht liberaler Ideologie oder epistemologischen Blockaden der Wissenschaft zuzuschreiben, sondern einem starken Bedürfnis, vielleicht sogar einem anthropologisch-kognitiven Zwang, das Geld, das im Übrigen selbst als Tauschmittel nicht nur Werte transportiert, sondern wie punktuell auch immer soziale Beziehungen herstellt, in einem ersten »naiven« Zugriff nicht als soziale Institution zu begreifen, sondern als a-soziales Ding misszuverstehen. Selbst Aristoteles dürfte Opfer dieses Missverständnisses gewesen sein.

Den Substantialismus (in diesem Falle) des Geldes zu überwinden ist offenbar kein leichtes Geschäft. Die Ökonomik selbst hat, als sie sich noch für Werttheorie interessierte, lange mit diesem Problem gerungen.

2. Objektive und subjektive Wertlehre

Die »natürliche« Gesellschaft (nicht unbedingt die Naturgesellschaft, die Gemeinschaften der Frühmenschen, wohl aber die Gesellschaft, wie sie sich den Vorstellungen der liberalen Ökonomik nach typischer-, wenn nicht gar notwendigerweise entwickelt, wenn der Entfaltung der menschlichen Eigenschaften und Neigungen keine äußeren, etwa geographischen oder inneren, wie zum Beispiel politischen, Hindernisse entgegenstehen) ist eine Tausch- oder gar Marktgesellschaft avant la lettre. Die Menschen, die diese natürliche Marktgesellschaft bevölkern, sind prinzipiell autonome, vereinzelte oder vielleicht noch zu ihrerseits autonomen und vereinzelten Familien zusammengefasste Individuen, die alle danach trachten, sich nicht allein mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, sondern sich materiell besserzustellen. Sie verfügen allesamt nicht nur über je eigene Talente, sondern ebenso über eine gewisse Grundausstattung mit Ressourcen, die sie individuell nutzen und über die sie individuell verfügen können. Schon aufgrund dieser natürlichen Unterschiede, aber auch und insbesondere wegen der damit verbundenen Vorteile, entwickeln sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung und als deren notwendiges Gegenstück der zunächst noch geldlose Güter- oder Warentausch. Die Beziehungen der Individuen oder Haushalte zueinander werden sicherlich auch durch Freundschaft, Sitte und Religion und später dann rechtliche Regeln und politische Institutionen gerahmt; im Kern jedoch sind diese Beziehungen indirekte oder »halbierte« Tauschbeziehungen, insofern ihr Gehalt, ihr Sinn und Zweck, nicht in der Herstellung und in der Pflege der Beziehungen als solcher liegt oder sich auf den jeweiligen Tauschpartner, sondern vielmehr und eigentlich nur auf den Tauschgegenstand oder die Ware richtet. Die natürliche Gesellschaft der liberalen Ökonomik ist mithin eine Gesellschaft der isolierten Warenbesitzer.

Der naheliegende und richtige Einwand, dass es eine solche Gesellschaft historisch nie gegeben hat und selbst heute nicht gibt, ist für die orthodoxe ökonomische Theorie kein Argument, sie nicht gleichwohl als Modell zu verwenden, erstens weil etliche der modernen Gesellschaften zweifellos von Märkten dominiert sind und immer neue, ehedem marktferne Lebensbereiche (wie zum Beispiel die Partnersuche) marktförmig organisiert werden (vgl. Sandel 2012) und zweitens weil Modelle oder Idealtypen nicht verworfen werden müssen, weil sie die Wirklichkeit nicht getreu abbilden, sondern ganz im Gegenteil das Augenmerk auf je besondere, idealisierte Aspekte der Wirklichkeit zu legen und das heißt nicht zuletzt die Entwicklung(slogik) zu rekonstruieren erlauben, der eine Institution wie der Markt folgt oder zum Zwecke seiner Perfektionierung zu folgen hätte (Weber 1904/1988). Und tatsächlich besteht das Geschäft der Ökonomik und nicht erst in jüngerer Zeit auch das namhafter Vertreter der Soziologie sowie der Sozialwissenschaften insgesamt in der Konzeptionalisierung und Erklärung der sozialen Wirklichkeit durch instrumentellen oder »rationalen« Tausch (Robbins 1931/1984; Homans 1961; Becker 1976; Coleman 1994).

Eine Besonderheit einer derartigen Tauschgesellschaft und sicherlich ein wesentlicher Aspekt der von ihr ausgehenden Faszination liegt in ihrer Friedfertigkeit (Hirschman 1982, S. 1464–1466). Der Besitzwechsel von Gütern erfolgt, wenn auch preislich konditioniert, das heißt an die Auf- oder Herausgabe eines Gegengutes gebunden, so doch freiwillig. Nicht die gewaltsame Inbesitznahme, der Raub, der heimliche Diebstahl oder auch das zumindest vordergründig uneigennützige Geschenk, sondern der Austausch oder, nach Einführung des Geldes, der Kauf bilden den typischen Transaktionsmodus. Zugleich jedoch ist dieser – was leicht übersehen wird – spezifische und außerordentlich voraussetzungsvolle und damit unwahrscheinliche Transaktionsmodus in der ökonomischen Theorie zugleich der einzige oder wenigstens der einzig relevante soziale Interaktionsmodus. Die Individuen oder Subjekte treten zueinander allein durch die Vermittlung von (warenförmigen Tausch-)Objekten oder Dienstleistungen, das heißt zu Quasi-Objekten zugerichteten Handlungen, in Beziehung. Sie interessieren sich nicht füreinander, sondern zunächst einmal und vor allem für die Welt der Dinge. Diese sind es, die den sozialen Zusammenhalt stiften.

Wie aber vollbringen die Dinge diese Leistung? Ist es nicht ebenso wahrscheinlich und zum Beispiel bei streitenden Kindern, gleichrangigen Erben oder scheidenden (Ehe-)Partnern (sofern diese heute tatsächlich noch in derart archaischen Verhältnissen wie einer Gütergemeinschaft leben) immer wieder zu beobachten, dass um Güter heftig gestritten wird? Sind konkurrierende Besitzansprüche und damit, unter Abwesenheit einer Schlichterinstanz, anarchische, latent gewalttätige Verhältnisse nicht sehr viel plausibler als der friedliche – fast ist man geneigt zu sagen: autistische – Tausch? Die zeitgenössische Ökonomik befasst sich nicht mehr mit solchen Fragen. Und auch ein Adam Smith, dessen neben dem Wohlstand der Nationen zweites Hauptwerk nicht von ungefähr eine Theorie der ethischen Gefühle enthält, setzt, wie gesehen, Menschen im Grunde mit Händlern gleich. Allerdings befassten sich die klassischen Ökonomen, das heißt Smith, David Ricardo und allen voran Marx wie auch die Gründerfiguren der neoklassischen Ökonomik Léon Walras, William Jevons und Carl Menger anders als die meisten ihrer heutigen Nachfahren noch mit dem Problem des ökonomischen Werts.6 (Ihre Werttheorie vertritt gewissermaßen ihre fehlende Geldtheorie. Die zeitgenössische Ökonomik hingegen behandelt sowohl Wert- als auch Geldfragen stiefmütterlich.) Und der Wert ist diejenige Kategorie, welche den ökonomischen, den freiwilligen, friedlichen und gerechten Tausch trägt; er ist es, der den Waren- als Äquivalententausch, als Austausch zwar verschiedenartiger, dafür jedoch gleichwertiger Dinge von den roheren und edleren, ungleichgewichtigen, asymmetrischen Formen des Tausches, dem Raub oder dem Geschenk, abhebt. Dass auf dem Markt gleiche Werte ausgetauscht werden, ist die Begründung für dessen friedensstiftende Kraft – und zugleich für die Zweitrangigkeit und zumindest theoretische Bedeutungslosigkeit des Geldes.

Was aber ist, was erzeugt einen Wert? Für die klassische Ökonomik ist es die Arbeit, für die neoklassische der Nutzen. Diese Differenz ist es, welche die beiden Schulen scheidet. Auch wenn der Nutzen von einzelnen Autoren bereits vor der Neoklassik als Wertquelle genannt worden ist, so wie es umgekehrt auch heute noch Arbeitswerttheoretiker gibt, ist die Begründung der Ökonomik als Theorie des Austauschs von Nutzwerten das Verdienst beziehungsweise der eigentliche Gehalt der neoklassischen Revolution. Man bezeichnet die Wertlehre der Klassik auch als objektiv, da ihre Vertreter die Werte auf eine objektive Größe, nämlich die in ihnen verkörperte menschliche Arbeit zurückführen. Die Wertlehre der Neoklassik hingegen gilt als subjektiv, da Werte für diese Ausdruck der je individuellen Nutzenschätzung der Tauschakteure und damit im Grunde disparate psychische Entitäten sind. Wir werden sehen, dass dieser Gegensatz so einfach nicht ist, dass Klassik und Neoklassik vielmehr beide eine Objektivität der Werte unterstellen und, da sie den Markt, so erstaunlich es klingt, im Prinzip subjektlos konzipieren, auch unterstellen müssen. Und wo es keiner Subjekte bedarf, die handeln, feilschen und »ihren Schnitt« machen wollen, bedarf es auch keines Geldes, auf das sie es abgesehen haben könnten.

In ihrem Kern vorgebildet ist die objektive (Arbeits-)Wertlehre wiederum bei Smith. Dieser unterscheidet zunächst den Gebrauchswert und den Tauschwert einer Sache. Der eine sei Ausdruck ihrer Nützlichkeit, der andere Ausdruck ihrer Fähigkeit, im Tausch ein anderes Gut erwerben zu können, ihre Kaufkraft, wenn man so will. Smith interessiert sich allein für den Tauschwert oder genauer für das richtige Maß für diesen Tauschwert, das heißt für die Frage, »worin der reale Preis aller Güter besteht« (Smith 1776/1978, S. 27). Da Reichtum, so sein zentraler Gedanke, sich daran bemesse, über wie viel über den eigenen Bedarf hinausgehende Arbeit jemand verfüge, sei Arbeit »das wahre oder tatsächliche Maß für den Tauschwert aller Güter« (ebd., S. 28). Dieses zentrale Axiom ist freilich alles anderes als evident. So wird, einmal abgesehen davon, dass Menschen, wenn sie denn tauschen, nicht notwendigerweise Arbeitsleistungen oder -produkte tauschen, bekanntlich längst nicht alle Arbeit nachgefragt. Arbeit als solche erzeugt mithin nicht zwangsläufig Werte. Auch die Annahme, dass Menschen Eigentümer ihrer Arbeitsprodukte seien, erscheint uns vielleicht zwar wünschenswert, ist aber alles andere als selbstverständlich. Das gilt für Arbeitnehmer in modernen Rechtsstaaten nicht minder als für die rechtlich und politisch Unfreien früherer Gesellschaften. Gleichwohl kann man Smith darin folgen, dass mit zunehmender Arbeitsteilung zunehmend eigene Arbeitsprodukte an Dritte veräußert und fremde Arbeitsprodukte von diesen bezogen werden müssen. Wenn dieser Austausch, so notwendig er ist, sich im Prinzip freiwillig, auf Basis einer wechselseitigen Einigung oder mehr noch aufgrund eines Einverständnisses vollzieht, dann Smith zufolge deshalb, weil die Tauscher gleiche Arbeitsmengen tauschen.

»Auf der untersten Entwicklungsstufe eines Landes […] ist das Verhältnis zwischen den Mengen Arbeit, die man einsetzen muß, um einzelne Gegenstände zu erlangen, offenbar der einzige Anhaltspunkt, um eine Regel für deren gegenseitigen Austausch ableiten zu können. Bedarf es beispielsweise in einem Jägervolk gewöhnlich doppelt so vieler Arbeit, einen Biber zu töten, als einen Hirsch zu erlegen, sollte natürlich im Tausch ein Biber zwei Hirsche wert sein. Es ist dann nur selbstverständlich, daß der übliche Ertrag der Arbeit von zwei Tagen oder zwei Stunden doppelt soviel wert sein sollte als der übliche eines Tages oder einer Stunde« (ebd., S. 42).

Eine Regel, mit deren Hilfe abzuschätzen ist, in welchen Proportionen Arbeitsprodukte getauscht werden sollen, ist natürlich etwas Anderes als die ontologische Aussage, dass alle Tauschwerte auf menschliche Arbeit reduziert werden können. Doch offenbar ist Smith der Ansicht, dass die Menschen bereits oder vielmehr gerade in wirtschaftlich wenig entwickelten Verhältnissen sehr leicht erkennen, dass die Arbeit die Quelle aller Werte sei, und darum auf die Regel verfallen, sich beim Austausch ihrer Produkte an den in diesen enthaltenen Arbeitsquanta als Quasipreisen zu orientieren. Er räumt ein, dass eine solche Abschätzung in ökonomisch entwickelteren Verhältnissen nicht immer einfach ist (ebd., S. 29), sei es, weil die Produktionsprozesse vielgliedrig und verschachtelt sind und von den Käufern eines Produkts zumeist gar nicht überschaut werden können, sei es, weil unterschiedliche Qualitäten von Arbeit, körperliche und geistige, anstrengende und leichte, voraussetzungsvolle und repetitive Tätigkeiten, miteinander verglichen und vor allem – im Prinzip geldlos! – verrechnet werden müssen. Diese Unwägbarkeiten und selbst strukturelle Faktoren wie die natürlich auch Smith schon bekannten Schwankungen im Angebot oder in der Nachfrage eines Produkts oder die Existenz von Monopolen führten zwar dazu, dass der tatsächliche Marktpreis einer Ware von ihrem wahren oder natürlichen Preis abweiche (ebd., S. 48–56), der Umstand jedoch, dass die Arbeit die eigentliche Quelle sei, aus welcher alle wirtschaftlichen Werte entspringen, führe dazu, dass der Marktpreis einer Ware sich unweigerlich seinem wahren Arbeitswert anpasse. Bereits bei Smith gibt es also so etwas wie die Vorstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts, vor allem aber – und das ist entscheidend – die Annahme, dass es Regeln oder gar Gesetze gebe, nach denen der Tausch sich letztlich unabhängig von den konkreten Wünschen und vor allem unabhängig von den stets möglichen »Preisirrtümern« der Tauschakteure vollziehe. Regulativ der Marktprozesse sei der objektive Wert der Waren.

Weiterentwickelt findet sich die Arbeitswerttheorie bei Ricardo und Marx. Schumpeter (1954/2009, S. 770) zufolge ist Marxens Arbeitswerttheorie »vielleicht die einzige, die jemals gründlich durchkonstruiert wurde«. Auch wenn die etlichen Regalmeter Text, die ihrer Exegese gewidmet worden sind, Zweifel daran aufkommen lassen, ob die Konstruktion tragfähig ist, steht außer Frage, dass Marx ausspricht und mit der ihm eigenen Konsequenz durchdekliniert, was es heißt, den Tausch – der an sich für ihn übrigens ebenso wenig ein Problem oder auch nur ein interessantes Phänomen darstellt wie für Smith oder die Ökonomik überhaupt – an eine objektive Wertlehre zu heften. Auf die Frage, was die Gleichung »1 Quarter Weizen = a Ztr. Eisen« bedeute, antwortet er, »daß ein Gemeinsames von derselben Größe in zwei verschiedenen Dingen existiert« (Marx 1867/1982, S. 51). Dieses Gemeinsame sei keine natürliche, den Dingen als solchen zukommende Eigenschaft, sondern, wie er der »Erfahrung«, wenn auch nicht einer wenig, sondern ganz im Gegenteil »vollständig entwickelten Warenproduktion« entnehmen zu können meint (ebd., S. 89), »abstrakt menschliche Arbeit« (ebd., S. 52). Zwar gehe konkret menschliche Arbeit in die Erzeugung einer jeden Ware ein, das ihnen Gemeinsame sei jedoch nicht, Produkt dieser oder jener speziellen Tätigkeit zu sein, sondern der Umstand, dass die »wertbildende Substanz« Arbeit als solche in einem »gesellschaftlich durchschnittlichen« Umfang in sie eingeflossen sei (ebd., S. 53).

Schleier