Cover

Über dieses Buch:

Einen flammensprühenden Phönix kann man als Problem bezeichnen. Eine Armee von Toten, die sich aus den Gräbern erhebt, durchaus auch. Aber damit kommt man schon irgendwie klar. Wenn allerdings ein germanischer Gott beschlossen hat, die Welt ins Chaos zu stürzen, dann ist das kein Problem mehr – das ist eine ausgewachsene Katastrophe. Und um die zu verhindern, müssen die Kriminalkommissarin Rebecca und der OMMYA-Agent René sich auf eine gefahrvolle Reise begeben, die sie weit über die Grenzen der menschlichen Realität hinausführt …

Über den Autor:

Dennis Blesinger wurde 1972 in Hamburg geboren, wo er heute noch lebt. Er hat zwei Studiengänge begonnen und erfolgreich abgebrochen. Nach zwölf Jobs in zehn Jahren, die vom Tankwart bis zum Marine Personnel Assistant reichten, steht für ihn endgültig fest: Seine wahre Leidenschaft ist das Schreiben.

Bei dotbooks erschien seine Urban-Fantasy-Trilogie OMMYA:

OMMYA – Erste Episode: 1000 Welten

OMMYA – Zweite Episode: Sechs Siegel

OMMYA – Dritte Episode: Armageddon

Die Website des Autors: http://dennis-blesinger.npage.de/

Der Autor im Internet: https://www.facebook.com/pages/Dennis-Blesinger-Autorenseite/392658224122548

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Originalausgabe September 2014

Copyright © 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von thinkstock

ISBN 978-3-95520-627-7

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Dennis Blesinger

OMMYA

Dritte Episode: Armageddon

dotbooks.

OMMYA
Was bisher geschah

Bei OMMYA, der Organisation für Magie und Mystische Angelegenheiten, herrscht höchste Alarmstufe.

Nachdem das Buch – ein vor Urzeiten vom nordischen Halbgott Loki verfasstes Werk – erst abhandengekommen und dann wieder sichergestellt werden konnte, macht sich die Erkenntnis breit, dass es vielleicht zu spät sein könnte für Schadensbegrenzung.

Das Kind ist nicht nur in den Brunnen gefallen.

Es ist am Ertrinken.

Nicht nur, dass die Toten wieder herumlaufen, es scheint auch so, als hätte die junge Polizistin Rebecca, als sie eine der Passagen aus dem Buch laut vorgelesen hat, die Siegel fünf, sechs und sieben aus der Bibel gebrochen. Die Apokalypse steht bevor.

Oder vielleicht das altnordische Ragnarök.

Da sind sich die Beteiligten noch nicht so ganz sicher …

Kapitel 1

»Wir sind am Arsch«, sagte Jochen, und niemand hatte dem etwas hinzuzufügen.

Alle blickten sich konsterniert an und suchten vergeblich nach Worten. Schließlich stand René langsam auf und verließ das Büro. Während ihm alle hinterherblickten, erschien Rebecca in der Tür und schoss Blitze aus den Augen. Kurz drehte sie sich zu René um, der gerade um die Ecke verschwand, und richtete ihren Zorn dann auf die schweigende Gruppe.

»Irgendwer kriegt hier gleich richtig Schwierigkeiten!«

Christopher schien sie überhaupt nicht zu bemerken, und Jochen warf ihr einen Blick zu, der klarstellte, dass ihre persönlichen Probleme auf einer langen, langen Liste ganz weit nach unten gerutscht waren.

»Euer Wachtroll!«, rief sie. »Er lässt mich nicht raus! Ich werde gleich richtig unangenehm!«

Auch dieser Ausbruch rechtschaffener Empörung brachte keine Reaktion. Jochen stand auf und ging zum Schreibtisch. Christopher schien seine Umgebung gar nicht wahrzunehmen, während Sahra eine Miene aufgesetzt hatte, die entweder mildes Entsetzen oder schweren Drogenkonsum signalisierte.

»Was ist hier los?«, fragte Rebecca verunsichert.

Jochen fischte eine kleine Plastikkarte aus einer der Schubladen und hielt sie ihr hin.

»Hier«, meinte er abwesend. »Das ist Ihr Ausweis. Zeigen Sie den vor, dann lässt Honk Sie raus. Und tun Sie sich einen Gefallen, und nennen Sie ihn nicht Troll. Da reagiert er allergisch drauf.«

Unschlüssig nahm Rebecca die kleine weiße Karte entgegen, während Jochen sich an ihr vorbeischob. Ein Blick darauf zeigte ein großes rotes B, sonst nichts. Kein Magnetstreifen, kein Chip, kein gar nichts. Während sie darüber nachdachte, ob das B für Besucher oder Bekloppte stand, drehte sich Jochen noch einmal zu ihr um.

»Und was Ihre Frage angeht«, meinte er mit einem Blick auf Hansen. »Die Welt wird untergehen. In 16 bis 20 Stunden. Und offen gestanden, gehen uns ein bisschen die Ideen aus.«

Rebecca konnte immer noch keine versteckte Kamera entdecken oder einen anderen Hinweis darauf, dass man sie gerade auf den Arm nahm. Die Situation hatte etwas Ernstes, wenn nicht sogar Krisenhaftes an sich.

»Wo ist er hin?«, fragte sie, während sie die Karte einsteckte. Jetzt, wo sie die Möglichkeit dazu hatte, konnte sie immer noch entscheiden, wann sie dieses Irrenhaus verließ.

»René? Nachdenken, so wie ich ihn kenne. Wahrscheinlich im Lager.«

»Nachdenken? Ich glaub, ich steh im Wald!«

Sie war entschlossen, für die Ereignisse der vergangenen 24 Stunden eine Erklärung zu erhalten, die weder die Worte »Apokalypse«, »Magie«, »Loki« oder einen anderen Mumpitz enthielt, drehte sich um und marschierte in die Richtung, in die René verschwunden war. Dabei ignorierte sie bewusst die drei lächelnd umherblickenden Personen, die in der Zentrale standen und den Eindruck machten, auf irgendetwas zu warten. Ebenso entging ihr der Blick, den Jochen ihr hinterherwarf, und das dazugehörige Schmunzeln, das sich auf seinem Gesicht breitmachte.

Mehrere Treppen und einige Minuten später war sie im Lager angekommen und sich ihrer Emotionen nicht ganz sicher. Aber wütend, das war sie definitiv.

Die ganze Sache war einfach zu lächerlich, je länger sie darüber nachdachte. Irgendjemand nahm sie hier gerade kolossal auf den Arm! Dieser Typ hatte sie durch die halbe Stadt geschleift, sie mehreren traumatischen Erlebnissen ausgesetzt, sich nicht mal ordentlich entschuldigt, um sich dann einfach zu verkrümeln und sie sitzenzulassen. Wenn sie ihn fand, würde sie ihm die Leviten lesen!

Aber erst mal hatte sie sich verlaufen, und sie wusste nicht, was sie von diesem Ort halten sollte. Ein Lager im klassischen Sinne war es jedenfalls nicht. Lager hatten eng und vollgestopft zu sein. Kisten wären übereinandergestapelt, in mehreren Etagen, und der Raum zwischen den einzelnen Stapeln würde normalerweise gerade einmal ausreichen, um zu zweit nebeneinanderzugehen.

Aber das hier … Je länger sie durch die Gänge wanderte, desto mehr kam ihr dieser Ort wie ein Museum vor. Alle paar Meter war eine Kiste, ein Regal, ein Schrank oder auch eine Vitrine zu sehen, wobei zwischen den einzelnen Gegenständen große Abstände lagen. Manche dieser Regale waren gefüllt mit Gläsern, manche mit Amuletten. Dann wieder war ein markiertes Feld reserviert für ein einzelnes Objekt, manchmal eine kleine und reichverzierte hölzerne Kiste, manchmal ein einfacher irdener Krug. Jedes Stück dieser Ausstellung war gut ausgeleuchtet und von einer breiten roten Linie umgeben, die klarmachte, dass sie nicht übertreten werden durfte.

Darüber hinaus herrschte in dem Gewölbe fast völlige Stille. Manchmal dachte Rebecca, ein Geräusch oder das Echo einer Stimme gehört zu haben, aber als sie sich darauf konzentrierte, war es wieder still um sie herum. Ja, Gewölbe war eine treffende Bezeichnung, dachte sie, während sie um eine weitere Kurve bog. Die Decke war mindestens zehn Meter über ihrem Kopf, und die Wände waren aus unbehauenem Stein. In einiger Entfernung glaubte sie, die Treppe zu sehen, die sie herabgestiegen war. In der anderen Richtung war mit etwas Phantasie das Ende der Höhle zu erahnen. Die Entfernung bis dahin konnte sie nicht einmal abschätzen. Sie war kein Experte für diese Dinge, aber sie war sich einigermaßen sicher, dass Höhlen dieser Größenordnung unter der Stadt nichts zu suchen hatten.

Wie um ihre Gedanken zu bestätigen, stand da plötzlich ein Schiff. Allein auf weiter Flur – mindestens zehn Meter trennten es in jeder Richtung von den nächsten Objekten – stand es da, ruhig und still. Keine Segel waren zu sehen, der Mast ragte verwaist in Richtung Decke. Je länger sie dastand und das Schiff – nein, es war ein Langboot, wie es die Wikinger benutzt hatten – betrachtete, desto mehr hatte sie das Gefühl, aus den Augenwinkeln heraus Bewegungen zu sehen. Menschen liefen über das Deck, hissten geisterhafte Segel, riefen sich Anweisungen zu, Gischt peitschte über die Reling …

Sie blinzelte. Kein Ton war zu hören, keine Bewegung zu erkennen. Das Schiff stand einfach nur still und bewegungslos da. Und dennoch ging von dem Langboot eine Kraft aus, die weite Reisen versprach. Reisen, die über die Grenzen dessen hinausgingen, was –

»Das würde ich nicht tun.«

Rebecca fuhr herum. Während dieser Bewegung bemerkte sie, dass ihr rechter Fuß in der Luft hing und sie drauf und dran gewesen war, die rote Linie zu überschreiten, die in sehr großzügigem Abstand um das Schiff gezogen war. Sie ließ den Fuß sinken, wenige Zentimeter außerhalb der Umrandung.

»Der Letzte, der dieses Schiff betreten hat, wird immer noch vermisst«, meinte René ruhig und zog sie sanft, aber bestimmt von der roten Linie weg. Rebecca brauchte einen Augenblick, bevor sie realisierte, was gerade geschehen war. Dann erkannte sie René, und der Ärger, mit dem sie hierher aufgebrochen war, kehrte zurück.

»Was ist das?«, verlangte sie zu wissen.

»Nagelfar.«

»Was?«

»Nagelfar«, wiederholte René, während er sie einige Meter weiter von dem Boot wegführte. »Das Schiff der Toten. Nordische Mythologie.«

Sie schaute zurück zu dem Langboot, das jetzt von einem nebligen Schleier umgeben war. Sie drehte sich um und folgte René, der einige Meter weiter an einem überdimensionalen Käfig zum Stehen kam und einem sehr kleinen und offensichtlich gerade geschlüpften Vogel etwas zu essen hinhielt. Rebeccas Meinung nach handelte es sich um einen sehr hässlichen Vogel. Das Knallrot und Orange des verklebten Federkleids war reichlich schrill.

Sie sah sich um. Außer dem Schiff und dem irgendwie deplaziert wirkenden Vogelkäfig befand sich einige Meter weiter ein unscheinbares Gestell, auf dem mehrere Schwerter standen, manche mit Scheide, manche ohne. Dem Gestell gegenüber stand ein massiver Granitblock, aus dem das Heft eines weiteren Schwertes ragte. Daneben stand ein Paar Stiefel. An einem von ihnen klebte ein Foto.

Bevor sie sich die Sache näher anschauen konnte, lenkte das Krächzen des kleinen Vogels ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Weile beobachtete sie René dabei, wie er dem Tier einen Leckerbissen nach dem anderen reichte, die das Wesen hastig hinunterschlang. Sie suchte nach Worten, die ihre Verwirrung und all die Fragen, die ihr durch den Kopf gingen, ausdrücken konnten, und rieb sich müde die Augen.

»K-Kannst du mir mal erklären, was hier vor sich geht?«

René wandte sich um und schaute sie halb belustigt, halb resigniert an. »Oh. Äh. Die Welt geht unter. In 16 bis 20 Stunden.«

Rebecca spürte, wie ein Teil der Wut, die sie vorhin verspürt hatte, zurückkehrte. Aber bevor sie ihn anblaffen konnte, blickte er sehr nachdenklich drein.

»Hm. Wie erkläre ich das am besten?«, überlegte er laut. »Wir sind nicht allein. Weder auf dieser Welt noch in diesem Universum, noch ist dies das einzige Universum, das existiert.«

Rebecca wollte ein ungläubiges Schnauben von sich geben, stattdessen wartete sie darauf, dass er fortfuhr. Vielleicht würde ja irgendetwas von dem, was er sagte, Sinn ergeben.

»Es existieren andere Welten, andere Ebenen, Dimensionen, Sphären, was auch immer. Und ebenso existieren auch alle Geschichten, alle Mythen, alle Märchen, alle noch so ausgefallenen Ideen und Personen irgendwo. Wenn die Naturgesetze dieser Welt, dieser Ebene, die Ereignisse einer Geschichte nicht zulassen, dann finden sie eben dort statt, wo sie passieren können. In einer anderen Dimension.« René breitete in der riesigen Höhle die Arme aus. »Dieser Ort hier fungiert als ein natürlicher Nexus, ein Schnittpunkt zwischen den Welten. Wir haben ihn nicht gebaut, wir haben ihn nur irgendwann gefunden, festgestellt, was es damit auf sich hat, und verwalten ihn seitdem.«

Er schüttelte den Kopf und wünschte sich, er wäre imstande, es besser zu erklären. Aber niemand bei OMMYA war wirklich dazu in der Lage. »Wenn man über diesen Ort zu genau nachdenkt, kriegt man Kopfschmerzen«, meinte er kopfschüttelnd. »Ich persönlich stelle mir dieses ganze Gefüge mit seinen vielen einzelnen Welten und Ebenen als eine Art WG vor. Jeder hat sein eigenes Zimmer und … das hier ist der Flur. Du weißt schon. Das Erste, was man tut, wenn man nach Hause kommt, ist, seine Sachen im Flur fallen zu lassen, und dann vergisst man sie da, und wir haben sie hier an der Backe. Das Problem ist, dass niemand so intelligent ist, ein Etikett auf die Sachen zu kleben, also müssen wir bei den meisten erst einmal herausfinden, worum es sich dabei handelt und wem sie gehören.« Er zeigte auf die verschiedenen Objekte, die sie umgaben. »Und solange niemand kommt und sie abholt, passen wir auf, dass keiner damit Blödsinn anstellt.«

Eine Weile herrschte Stille. Dann blickte sich Rebecca um, ging langsam zu dem großen Felsblock und stellte sich daneben.

»Und das ist dann wahrscheinlich Excalibur?«, fragte sie und tätschelte den großen Felsen.

»Genau das, ja.« Er stand abwartend da und musterte sie.

»Aus Avalon.«

»Ja. Und falls du es wissen willst«, René orientierte sich kurz und deutete dann an ihr vorbei den Gang hinunter. »Der Übergang nach Avalon befindet sich etwa 100 Meter in diese Richtung auf der linken Seite. Ich empfehle ausdrücklich, ihn nicht zu benutzen. Das Raum-Zeit-Verhältnis zwischen Avalon und unserer Ebene ist in den letzten Jahrhunderten extrem auseinandergedriftet.«

Diese Auskunft trug nicht dazu bei, dass Rebeccas Laune sich besserte. Mit einem grimmigen Nicken wandte sie sich von dem Steinblock ab und trat an das Regal mit den Schwertern. Wahllos zeigte sie auf eines in einer schweren mattsilbernen Scheide.

»Und das hier?«, fragte sie mit gekünstelter Neugier. »Das ist das Schwert von Grayskull, nehme ich an.«

»Nicht anfassen!«

Der Befehl war über Renés Lippen gekommen, noch bevor sie den Arm richtig ausgestreckt hatte. Irgendetwas daran durchbrach für eine Sekunde ihre Aufmüpfigkeit. Es war nicht so sehr der Befehl an sich, sondern der warnende Tonfall, der sie die Hand zurückziehen ließ. Ein Krächzen, gegen das Fingernägel auf einer Schiefertafel geradezu melodisch klangen, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Käfig mit dem Vogel.

»Und was ist das da? Die goldene Gans?«

»Das ist ein Phönix.«

»Ah«, meinte sie und konnte sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. »Was ist mit dem gestiefelten Kater? Läuft der hier auch irgendwo rum?«

René hatte offenbar beschlossen, dass er die Faxen dicke hatte. Er kam auf sie zugestürmt, und Rebecca ahnte, dass sie es übertrieben hatte. Sie hatte sich schon gefragt, ob sie ihn überhaupt jemals aus der Reserve locken konnte. Seine stoische Art und die Tatsache, dass er mit ihr redete, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank, brachten sie zunehmend auf die Palme. Aber die Zielstrebigkeit, mit der er jetzt auf sie zukam, ließ sie zurückschrecken. Bevor sie etwas sagen konnte, war er bei ihr und hatte sie am Arm gepackt. Ohne in der Bewegung innezuhalten, zog er sie mit sich den Gang hinunter.

»Hey! Nicht angrapschen!«, protestierte sie halbherzig, während sie versuchte herauszufinden, wo er sie hinführte. »Was –«

»Ich entschuldige mich jetzt schon dafür«, sein Blick war starr nach vorne gerichtet, während er sie weiterschleifte, »aber wir haben keine Zeit für den üblichen Rundgang. Also werden wir in deinem Fall mal die Holzhammermethode anwenden.«

Mit einem humorlosen Grinsen ließ er sie los und verschwand hinter einem Regal. Rebecca blieb verwirrt stehen und schaute sich um. Einige Schritte von ihr entfernt befand sich eine Tür. Sie war klein, etwa von der Größe, wie man sie in alten Wohnungen fand, die über eine Speisekammer in der Küche verfügten. Die Tür war weiß, und ein merkwürdiges Schimmern ging von ihr aus. Das und die Tatsache, dass sie mitten in der Luft hing, waren in der Tat ungewöhnlich. Rebeccas Nervosität wuchs. Wo –

In diesem Augenblick tauchte René wieder auf, in der einen Hand einen alten Putzeimer mit einem Handtuch. Ohne ein Wort kam er auf sie zu, packte sie erneut am Arm und dirigierte sie genau vor die Tür. Dann blickte er sie an und meinte ausdruckslos: »Ich will dir einfach mal was zeigen.«

Dann trat er neben die Tür und öffnete sie, den Blick fest auf Rebecca gerichtet.

Eine Bewegung ließ sie zur offenen Tür schauen. Wie in Trance heftete sich ihr Blick auf das, was dahinter war. Anfangs hatte sie Probleme zu erkennen, was genau diese merkwürdigen Bewegungen und Umrisse bedeuten sollten. Mit jeder Sekunde begann ihr Gehirn, die Bilder mit Bedeutungen zu füllen. Anfangs konnte sie nicht glauben, was sie da sah. Es konnte nicht sein. Und dennoch … Unfähig, den Blick abzuwenden, ergriff sie langsam eine tiefe Panik. Urinstinkte – sorgsam unter Verschluss gehalten durch Sozialisation und das Wissen, dass Alpträume Alpträume waren und Monster, Schatten und die darin hausenden Schrecken verschwanden, sobald das Licht anging – erwachten zum Leben und schrien jeder Faser ihres Körpers zu, sich umzudrehen und wegzulaufen. In einem inneren Kampf zwischen Unglauben und nackter Panik gefangen, der über alles hinausging, was sie jemals erlebt hatte, stand sie wie festgenagelt da, den Blick in verständnislosem Entsetzen auf das gerichtet, das sich ihr darbot. Ihr Atem ging stoßweise, und kalter Angstschweiß stand ihr auf der Stirn.

René stand ruhig da, den Türgriff fest in der Hand und den Blick auf Rebecca gerichtet. Er wusste, was sie sah und was sie durchmachte. Als er sie stöhnen hörte und die ersten unkontrollierten Zuckungen sah, kam er zu dem Schluss, dass es genug war, und schloss die Tür, ohne dabei den Blick von ihr abzuwenden.