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Schreibe 100 Mal: »Ich darf nicht …«

Norbert Golluch

Norbert Golluch

Schreibe 100 Mal: »Ich darf nicht …«

Als Lehrer noch Schulmeister und Schüler Lausbuben waren

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Originalausgabe

2. Auflage 2020

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Ulrike Reinen

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagabbildung: Shutterstock/Everett Collection; Shutterstock/Tueris

Satz: bären buchsatz, Berlin

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print: 978-3-7423-1108-5

ISBN E-Book (PDF): 978-3-7453-0747-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0748-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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Inhalt

Eine Reise durch die gefühlte Schulgeschichte

Die Anfänge: Klosterschulen, Scholaren und Schulmeister

Vielleicht die ersten Lehrer

Was ging den Rittersmann die Schule an?

Hurra, keine Schule: Das finstere Mittelalter

Was Mädchen alles lernen mussten

Unterricht auf Reisen: fahrende Scholaren

Konkurrenz formiert sich: die Stadtschulen

Trocken, keusch und schlecht bezahlt: der Schulmeister

Eines ist genug: das Schulbuch

Nach Adam Riese …

Mittelalterliche Zustände

Dicke Luft, eiskalt

Lateinschulen

Alles Versager! Lehrer in der Gesellschaft

Zu schwach zum Pflügen: Qualifikationen

Das arme Schulmeisterlein

Der Horror in Zahlen: Schulnoten

Kopfgesteuert?

Einführung der Schulpflicht – und wie es weiterging

Geh ich hin oder nicht? – Schulpflicht

Das erste Abitur

Unterrichtsvorbereitung: vielfältige Aufgaben

Lesen und Schreiben

Die gegliederte Welt der Schulen entsteht

Die Volks- und Dorfschule

Das Gymnasium

Privatlehrer und Gouvernante

Neue Schulformen und -reformen

Der Schulranzen – und was drin war

Von Kreide, Schiefer und Gänsekielen

Tintenkiller: das Ende der Sorgfalt

Englisch lernen: das Komplettpaket

Vom Zappelphilipp zu ADHS

»Du, Frollein …«

In Reih und Glied

Der Schulweg ohne Schulbus

Die Sensation: motorisiert zur Schule

Draußen spielen

Pfuschen

Wie man den Umgang mit Gewalt lernte

Milch oder Kakao? Frühstück in der Schule

Unerwartete Vergnügungen: Spirit-Carbon

Wie viele passen rein?

Abenteuer in den Pausen

Mädchen und Jungen – in einer Klasse?

Nix Florenz: im Frühtau zu Berge!

Chlorophytum muss mit: Ferienbeginn

Was tun, wenn der Ofen qualmt? – Schule im Winter

Kreuz oder Adolf? Was an der Wand hing

Schule in der DDR: Fahnenappell und Disziplin

Wilde Bilderwelten am Kartenhalter

Skelettiert und ausgestopft

Schulfächer: Von experimenteller Physik bis zum Action-Painting

Die Unterrichtsfächer

Biologie

Chemie

Physik

SoWi

Die Sprachen

Schulsport

Religion

Kunst

Große Kunst für eine Mark

Deutsch

Mathematik

Explosives Engagement

Das Komaaroma

Germanistische Feldforschungen

Nostalgisches: Streiche, Stilblüten und Strafarbeiten

Schwamm auf dem Stuhl und Zettel an der Jacke

Und jeder weiß, wer gemeint ist …

Setzen wir ihnen doch ein Standbild! – Lehrertypen

Lehrer mit Macke: wertvolles Schülerwissen

Sportunterricht: Stehen wie die Bäume!

Die Namen der Klassen am Gymnasium

Tom Hü

Der Schieler

Er hat geheiratet!

Die Eiserne Lady

Fleißkärtchen: die positive Verstärkung

Schreibe 100 Mal: »Ich darf nicht …«

Der hilflose Lehrer

Der Hausmeister: Respektsperson und Schülerschreck

Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss …

Nostalgie auf Zelluloid: Schulfilme und ihre Helden

Wenn man richtig darüber nachdenkt, war es lustig

Die Errungenschaften der modernen Pädagogik

250000 v. Chr. bis heute

Eine Reise durch die gefühlte Schulgeschichte

Wer hier eine umfassende historische Abhandlung, sozusagen eine Geschichte der schulischen Erziehung, erwartet, wird vielleicht enttäuscht werden. Hier geht es um die innere Schule, um kollektive Vorstellungen und das persönliche Erleben von Lehrern und Unterricht, um die leuchtenden Glücksmomente und wilde Abenteuer im ganz individuellen Spielfilm »Die Rüpel aus der letzten Reihe«, aber auch um die schattenhaft eingebrannten Spuren traumatischer Erlebnisse in Verbindung mit Lehrern und Lernen, heute geeignet für ein unterhaltsames Horrorvideo »Die Schule des Schreckens«. Deshalb finden sich hier weder stichhaltige chronologische Abläufe noch präzise Zeit- und Ortsangaben zum Thema Schule.

In diesem Kino gibt es keinen historischen Spielfilm, keine Dokumentation »Schule, damals und heute«, vielmehr Schnappschüsse aus Klassen- und Lehrerzimmern und vom Schulhof, Porträts von Paukern, Pädagogen und Pennälern, dem Rektor und dem Hausmeister. Collagen, geklebt aus Papierkorbschnipseln und den Dingen, die noch ganz unten im Tornister eines Schülers zu finden waren, der aber eine Fünf oder Sechs in Ordnung hatte.

Es gilt die Atmosphäre einzufangen, die Gefühle, Gerüche und Geräusche wiederzubeleben, die wir alle aus der Schule mitgenommen haben. Einige davon teilt jeder von uns mit den Menschen seiner Generation, ganz einfach deshalb, weil sie ebenfalls Schüler waren. Andere Erlebnisse sind Unikate, individuelle Höhepunkte, an die sich zu erinnern dieses Buch vielleicht auch helfen kann.

Die Tatsache, dass jeder Mensch in seinem Lebenslauf mit Schule zu tun hat, hinterlässt nicht nur Spuren in Form von Zeugnissen und anwendbarem Wissen, sondern prägt sich in vielfältiger Weise einem menschlichen Charakter ein, denn jeder von uns durchläuft gleichzeitig die Schule des Lebens. Die hat zwar kein eigenes Schulgebäude, ist aber immer noch präsent in unseren Köpfen …

Die Anfänge: Klosterschulen, Scholaren und Schulmeister

ca. 250000 v. Chr.

Vielleicht die ersten Lehrer

In vorunterrichtlichen Zeiten war es in der Urhorde auf der Jagd gern gepflegter Brauch, dass der stärkste, mutigste und dümmste Mann in der Gruppe den Höhlenbär oder das Mammut als Erster attackiert. Dieser Usus führte auf selektivem Wege zu einem deutlichen Anstieg der durchschnittlichen Gruppenintelligenz, trug aber beachtlich zu ihrer körperlichen Schwächung als Ganzes bei. Vermutlich war es der schwächste, aber intelligenteste Jäger, der irgendwann diesen Zusammenhang begriff und dem stärksten, aber dümmsten Jagdgefährten in den Arm fiel und ihn mit einem eindeutigen »Ö-ö!« und ebensolchen Gesten davon abhielt, den lebensgefährlichen Primärangriff zu führen. Das hatte doppelte Konsequenzen: Der zweitstärkste, aber nicht weniger dumme Jäger nahm – vermutlich begeistert – die Rolle des ersten ein und geriet so auf die Speisekarte eines ziemlich unbezwingbaren Raubtieres – ein Gewinn für die Kampfkraft der Horde als Ganzes, denn der Erstplatzierte in puncto Stärke blieb ihr erhalten, und zugleich der Beginn des Weges zu einem Gleichgewicht zwischen Keule und Hirn.

Außerdem war der Beruf des Lehrers geboren. Doch weder ahnte dieser körperlich schwache, aber intelligente Urmensch etwas von seiner exponierten Rolle noch war er Mitglied im Verband Bildung und Erziehung (VBE) oder in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), von einer Entlohnung für seine Tätigkeit nach A9 ganz zu schweigen. Auch gestaltete sich sein Lehrplan noch sehr einfach und er hatte – außerhalb der Jagdsaison – sehr viel Freizeit, ähnlich den späteren französischen Sommerferien.

Nun könnte der Eindruck entstanden sein, dass Urpädagogik Männersache war. Dagegen spricht aber das Wissen, dass auch Urfrauen an den Jagdzügen teilnahmen. Aber wegen der Unterschiede zwischen den Geschlechtern ist es kaum anzunehmen, dass sich Frauen bei der Jagd vordrängten. Das hormongesteuerte Intelligenzdefizit zwischen den Geschlechtern bestand schon zu dieser frühen Periode. Testosteron erhöht nicht gerade das Denkvermögen.

Die erste Lehrerin wird ihr Talent womöglich bei der Pilzsuche oder beim Kosten unbekannter Pflanzen entdeckt haben, hier weniger durch die Verhinderung gefährlicher Aktivitäten als durch »Learning by doing«. Wenn sie es war, die den Kochlöffel in der Hand hielt, durfte immer das gierigste und doofste Gruppenmitglied lernen, dass Gefräßigkeit nicht unbedingt zu jedem Zeitpunkt ein Vorteil ist. Möglicherweise liegt hier auch die Wurzel des kriminalistischen Phänomens, dass über neunzig Prozent aller Giftmörder Frauen sind. Untersuchungen über den Anteil an Lehrerinnen unter den Täterinnen stehen noch aus.

Wer allerdings glaubt, dass der institutionalisierte Lehrerberuf bereits in der Steinzeit seinen Anfang nahm, der irrt. In Verkennung der Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung deutete man den Erfolg frühen erzieherischen Tuns als übermenschliche Begabung und machte aus derartig begünstigten Wesen keine Lehramtsanwärter, sondern Zauberer, Schamanen oder Priester – Berufe, die sich bis in die Neuzeit gerettet haben und die erstaunlicherweise immer noch auf demselben intellektuellen Niveau funktionieren. Nein, bis zum öffentlich bestallten und bezahlten Pädagogen dauerte es noch einige Jahrtausende. Es mangelte ohnehin an Schulgebäuden, die vorhandenen Ressourcen hätten allenfalls für eine fußkalte Klassenhöhle ausgereicht. Außerdem fehlte es im Großen und Ganzen an Unterrichtsinhalten. Schreiben lernen ohne Schrift? Mathematik, wenn man nur bis fünf zählen kann? Ohne jetzt unsere Vorfahren schlecht machen zu wollen: Es dauerte noch eine Weile …

Wagen wir einen Zeitsprung.

12. Dezember 589

Was ging den Rittersmann die Schule an?

Mammut und Höhlenbär waren längst ausgestorben, auf die Berge baute man Burgen und die Männer trugen Gewänder aus Blech. Das Leben der Rittersleute stellte ganz besondere Anforderungen an die Schule.

Während die Klosterschulen eine auf der Schrift basierende Unterrichtsform praktizierten, brauchten diejenigen, die Ritter werden wollten – die Knappen –, handfeste Unterweisung, nämlich eine praxisorientierte, nicht schriftliche Ausbildung – allzu viel Schriftkram hatte so ein Ritter nicht zu erledigen. Der Unterricht war geprägt durch die »Septem Probitates«, die »Sieben Tüchtigkeiten«, die zum Können jeden Ritters gehören sollten: Reiten, Schwimmen, Bogenschießen, Fechten, Jagen, Schachspielen und Verseschmieden. Mit Musik, Dichtung und fremden Sprachen hingegen wurden die adligen Damen an den Ritterhöfen beschäftigt, welche wohl auch die Kinder unterwiesen.

1. Oktober 902

Hurra, keine Schule: Das finstere Mittelalter

Mit diesem Ausruf hätten um das Jahr 900 n. Chr. die meisten aller Kinder und Jugendlichen jeden Morgen den Tag begrüßen können – hätte es überhaupt schon eine Schule für sie gegeben oder hätten sie zumindest geahnt, dass es einmal so etwas wie die Schulpflicht geben würde. Schule? Nein danke, erst in ein paar Hundert Jahren! Zur Schule gingen nämlich nur die Reichen und Privilegierten, Fürstenkinder und Königssöhne, vielleicht hin und wieder einmal ein Bauern- oder Bürgersohn, dessen aufgeweckter Blick ihn von den Kühen auf der Weide unterschied. Doch, die Schlauen erkennt man am Blick, was auch heute noch Lehrer aus sehr ländlichen Gebieten bestätigen können.

Die Kirche hatte die Bildung der privilegierten Söhne fest in ihrer Hand: Diese Schüler konnten eine Klosterschule besuchen oder eine Dom- oder Pfarreischule. Als Klerikerschmieden lieferten sie eine Ausbildung zum Mönch oder Priester, schließlich brauchte das kirchliche System keine Intelligenzbestien, sondern Nachwuchs. Der Lehrplan war mit dem einer heutigen Schule nicht zu vergleichen, Latein stand ganz vorn im Stundenplan, es folgten Lesen und Schreiben. Wer die Grundlagen beherrschte, konnte weiterführendes Wissen erwerben, zusammengefasst unter dem Begriff »Septem Artes liberales«, die »Sieben freien Künste«: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie und Musik. Im siebten Fach Astronomie konnte man den Umfang seiner Irrtümer erheblich erhöhen und lernen, dass die Erde im Zentrum des Universums steht und vermutlich eine Scheibe ist.

Des Weiteren wurde alles eingeübt und auswendig gelernt, was zur Kirche und zum Glauben gehörte und nicht schnell genug in irgendeiner Bibliothek verschwand und vergessen wurde …

15. Mai 1005

Was Mädchen alles lernen mussten