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Inhalt

 

SENDBOTE DER APOKALYPSE

GRENZPATROUILLE

FÜHLER DER EWIGKEIT

TOT ODER LEBENDIG

FELDZUG GEGEN UNBEKANNT

EINE NEUE BEDROHUNG

PROJEKT HEIMATSTURM

MASSAKER IN DEN LEICHENMINEN

DAS GESCHENK DER ALIENS

VORSTOSS INS UNBEKANNTE

 

GALAKTISCHE
ABENTEUER

Herausgeber:

ROMANTRUHE-Buchversand

Cover: Shutterstock

Satz und Konvertierung:

DigitalART, Bergheim.

© 2018 Romantruhe.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Personen und Begebenheiten der

Romanhandlung sind frei erfunden;

Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sowie mit tatsächlichen

Ereignissen sind unbeabsichtigt.

Abdruck, auch auszugsweise,

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Zwecke der Veräußerung sind untersagt.

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 Kontakt: info@romantruhe.de

Produced in Germany.

SENDBOTE DER APOKALYPSE

Box 1 – Story 1

Das Aero-Car donnerte mit Vollschub über die Stadt hinweg und stach plötzlich wie ein wütendes Insekt in die Häuserschluchten hinab.

»Erwisch bloß keine Nano-Tubes!«, rutschte Nicoleta Belà unruhig im Co-Piloten-Sessel herum, zog schließlich die Beine an und stützte sich mit den nackten Füßen am Armaturenbrett ab.

»Bin ja nicht lebensmüde, Babe«, steuerte Jericho den Gleiter rasant durch die Außenverstrebungen, die die Metrocitys wie ein Netz aus transparenten Röhren in pyramidaler Form umgaben.

Unwillkürlich zog Nicoleta den Kopf ein, als ein Röhrensegment frontal auf sie zuschoss und über sie hinwegfegte.

»Deine Reflexe scheinen mit zunehmendem Aggressionspotenzial zu steigen«, sagte sie ruhig.

»Ich bin nicht aggressiv.« Jericho wich einer Ampelboje aus, ignorierte den Verkehr von links, rechts und vorne und zog diagonal über die reguläre Flugspur hinweg.

»Wir handeln uns noch richtig Ärger ein!«, maulte Nicoleta. »Ich steh ja auf Action, aber bei dir glaub ich immer, ich muss abkratzen.«

»Der Ärger hat noch nicht mal richtig angefangen. Aber er wird fürchterlich eskalieren, wenn ich diesen Bastard STEALTHER in die Finger kriege!«

Nicoleta schaute auf den Detektor im Armaturenbrett.

»In dem Gewimmel kannst du unmöglich an ihm dranbleiben. Der zeigt uns die lange Nase.«

»Er hat sich rausgewagt, und Beck hat ihn zum Abschuss freigegeben!« Jerichos Miene war grimmige Entschlossenheit. »Selbst wenn der STEALTHER mit dem Teufel verbündet wäre, würde er mir nicht entkommen …!«

Zwei Gleiter wichen dem pfeilschnell heranjagenden Aero-Car aus, verloren die Kontrolle und rauschten in die hundertfünfzigste Etage eines Glasturms. Trümmerstücke und Millionen Splitter wirbelten umher; aus einem der Unfallgleiter stach eine orange-gelbe Lohe empor.

»Scheiße, Jerri! Geht’s etwa wieder los …?« Nicoletas Augen funkelten wild.

»Reg dich ab! Hätten die Schnarchnasen eben besser aufpassen müssen.«

»In zwei Minuten haben wir die komplette Metrocity-Police am Hals!«

Jericho wurde nicht einen Deut langsamer. Und schon gar nicht blieb er auf dem Flight Track. Er hatte nur diesen grünen Punkt auf dem Detektor im Visier, der den flüchtenden STEALTHER markierte.

»Wir haben ’ne Sondergenehmigung, Babe. Keine Panik.«

»Aber keine Genehmigung, die Stadt in Schutt und Asche zu legen!«, fauchte Nicoleta zurück.

»Da ist der Hoschi!«, stieß Jericho hervor. »Dreihundert Meter voraus!«

Noch bevor seine Worte verklungen waren, packte seine Rechte den Justierhebel des integrierten Maschinengewehrs und drückte ab. Das auf Drehlafette montierte MG auf dem Gleiterdach hämmerte seine 12-mm-Salven hinaus. Das Brüllen aus den Doppelläufen war eine grausame Melodie des Todes.

»Du ballerst ja den ganzen Querverkehr ab!«, rief Nicoleta entsetzt und verkrampfte sich ein wenig mehr in ihrem Sitz.

»Kollateralschäden«, erwiderte Jericho gelassen. »Der STEALTHER ist Tausend Bürger wert. Aber ich denke, wir bleiben knapp drunter …«

Wieder heulte das MG auf. Die Leuchtspurmunition raste direkt ins Ziel.

»Treffer, Babe!«, zog Jericho das Aero-Car hart zur Seite, konnte jedoch nicht mehr verhindern, dass er mit der Unterseite das Dach eines anderen Gleiters rammte und einen Bocksprung veranstaltete.

»Metrocity-Police!«, zeigte Nicoleta aufgeregt aus dem Seitenfenster. »Jetzt haben die Burschen uns aber echt am Arsch!«

»Nicht«, kam Jericho kein bisschen ins Schwitzen, »bevor ich den STEALTHER am Arsch habe!«

Eine dritte Salve des Großkalibers jagte dem Flüchtenden hinterher, dessen Gleiter bereits eine Qualmwolke nach sich zog und immer weiter absackte. Die Geschosse schlugen in die Stahlhülle ein und mähten über die Straße, die keine fünfzig Meter mehr unter ihnen war. STEALTHERS Fahrzeug schien kaum mehr kontrollierbar, schoss scheinbar ungebremst dem Asphalt entgegen. Der Pilot fing die Maschine mehrere Meter über den Köpfen der Passanten ab, konnte den Kurs jedoch nicht kontrollieren und trudelte auf die vorausliegende Gebäudefront zu.

»William-Joseph-Simmons-Museum«, murmelte Jericho und stabilisierte das Aero-Car, nachdem die Zündung der Gegenschubdüsen die Ausleger zum Schlenkern gebracht hatte.

»Der scheppert da mitten rein«, nahm Nicoleta die Füße von der Ablage und lehnte sich ein Stück vor.

»Und wir gleich hinterher …«

Berstend krachte der STEALTHER durch das verspiegelte Eingangsportal des Museums. Jericho gab wieder leichten Schub, als der Proximity-Alarm anschlug.

»Bullen!«, biss sich Nicoleta auf die Unterlippe. »Habs doch gesagt, Jerri.«

»Die lassen uns in Ruhe. Beck hält uns den Rücken –«

Dumpf schlug etwas gegen die Außenhülle des Aero-Cars. Bereits eine halbe Sekunde später sank das Energie-Level des Gleiters dramatisch ab.

»Die zapfen uns den Saft ab, Großer!«

»Sackratten sind die helle Freude gegen das Pack! Hab grade noch genug Power, den Kübel zu landen …«

Knapp Hundert Meter vom Museum entfernt setzte Jericho auf. Als er ausstieg, schwebten über ihm drei Polizei-Gleiter, aus denen die Zapferkabel hingen. Klackend lösten sich die Magnetverschlüsse, als die Kabel eingezogen wurden. Die Polizei-Fahrzeuge sanken langsam herab. Jericho beobachtete es missmutig und warf immer mal wieder einen Blick zum Museum herüber. Die Qualmwolke verzog sich allmählich, und Jericho ballte wütend die Finger zu Fäusten, wenn er daran dachte, dass sich der STEALTHER womöglich klammheimlich aus dem Staub machte.

»Nehmen Sie die Hände hoch und unterlassen Sie jede verdächtige Bewegung!«, drang es aus den Helmlautsprechern der Metrocity-Cops.

»Ihr habt den Falschen erwischt«, sah Jericho unbeeindruckt in die Mündungen der Schnellfeuergewehre und Maschinenpistolen.

»Die Hände hochnehmen!«, wiederholte einer in scharfem Tonfall.

»Locker bleiben, Jungs«, feixte Nicoleta. »Hat schon alles seine Ordnung.«

»Steigen Sie in den Polizei-Gleiter!«, gebot eine befehlerische Stimme. »Das ist die erste und letzte Aufforderung!«

Jericho schien seine Chancen abzuwägen, ob sein Nano-Panzer zumindest die Hälfte der Schüsse abfing, bevor er die Uniformierten aufmischte. Aber dann musste ihn wohl die flüsternde Stimme der Vernunft umgestimmt und dazu bewegt haben, sein Glück und die Geduld des Regierungsagenten Anthony Beck nicht unnötig herauszufordern.

»Na, dann los«, grinste Jericho und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

 

*

 

Fünfundvierzig Minuten vergingen, bis Jericho und Nicoleta in ihrer Zelle Besuch erhielten. Ein Mann in schwarzem Anzug mit Sonnenbrille wechselte ein paar Worte mit dem Wachoffizier, bevor er sich an die Inhaftierten wandte.

»Sie entwickeln sich mehr und mehr zu einem Sicherheitsrisiko, Mister Blane«, sagte der Mann eindringlich, aber ohne jeden Vorwurf.

»Sie sind nicht Beck«, trat Jericho auf ihn zu und baute seine ein Meter dreiundneunzig vor dem Agenten auf.

»Und Sie sind nicht in der Position, Forderungen zu stellen«, erhielt er gelassen zur Antwort, »geschweige denn, eine drohende Haltung einzunehmen, die mich – nebenbei bemerkt – völlig kalt lässt.«

»Beck hat mich auf den STEALTHER angesetzt!«, vermied Jericho überflüssige Erklärungen. »Und ich bin der Einzige, der ihn kriegen kann! Lassen Sie mich also meinen Job machen, Mister –«

»Stoddard«, sagte der Mann. »Einfach Stoddard.« Der Anflug von etwas, das man als Lächeln hätte interpretieren können, umspielte seine Mundwinkel. »Ich denke nicht, dass Beck Ihnen die Erlaubnis gegeben hat, einen Kleinkrieg zu entfesseln.«

»Er kennt mich, weiß, wie ich drauf bin. Ich beiß mich wie ein Pitbull an einem fest.«

»Aber Sie haben das Bein angehoben und auf die Gesellschaft gepisst, Mister Blane. Der Metrocity-Gouverneur könnte Ihr Verhalten sehr persönlich nehmen …«

»Ich arbeite für die Regierung, nicht für irgendwelche Lackaffen.«

»Wir geben unsere Kompetenzen weiter an den Gouverneur. Ob er Sie rekrutiert oder ein Agent ist von minderer Bedeutung.«

Jericho stieß laut die Luft aus.

»Das Gesabbel geht mir mächtig auf den Geist! Was wird denn jetzt weiter? Wenn der STEALTHER mir wegen so ’ner Scheiße durch die Lappen gegangen ist …!«

»Mister Blane, ich sagte doch bereits, dass Ihre Drohungen auf mich keinen Eindruck machen. Abgesehen davon hat der STEALTHER sich nicht einen Meter aus dem William-Joseph-Simmons-Museum herausbewegt. Die automatischen Sperren, die der Gleitereinschlag aktiviert hat, sind zeitgesteuert. Der STEALTHER hat es bis ins Zentrum des Museums geschafft, bevor alle Barrikaden aktiviert wurden. Nun liegt es an autorisiertem Personal, die Blockaden Stück für Stück abzubauen. Ich schlage Ihnen vor, sich die Sache vor Ort anzusehen. Falls es Ihnen immer noch so wichtig ist, können Sie diesen Terroristen und Großkriminellen im Anschluss daran dingfest machen.«

»Na endlich mal ein brauchbarer Vorschlag von Ihnen, Stoddard«, klopfte ihm Jericho kameradschaftlich auf die Schulter, was bei dem Agenten den Hauch einer säuerlichen Miene nach sich zog. »Schließlich geht’s nicht nur um die Ehre oder den guten Ruf – es geht vor allem um ein beträchtliches Kopfgeld. Und das will ich mir auf Biegen oder Brechen einsacken.«

Jericho winkte Nicoleta heran, die im Schneidersitz auf einer Pritsche gehockt hatte, und wollte sich an Stoddard vorbeischieben. Doch der hielt ihn kurzerhand fest.

»Eine Sache noch, Mister Blane«, sagte er tonlos. »Ich habe Ihren Hals gerade noch aus der Schlinge ziehen können. Aber das wird die große Ausnahme bleiben. Mitarbeiter wie Sie, die unbeherrscht und disziplinlos sind, können wir auf Dauer nicht in unseren Reihen dulden. Das werden Sie sicher verstehen.«

»Klar!«, stieß Jericho den Mann mit einem Zucken seines Oberarms zur Seite. »Weiß doch, dass ihr nach außen immer gut dastehen wollt …«

 

*

 

Ein Löschtrupp hatte den Gleiter des STEALTHERS aus dem Museum gezogen. Der Vorraum war momentan der einzige Bereich, der noch begehbar war. Dahinter begannen die Sperrzonen. Aufgebaut wie eine Zwiebelschale waren die Panzerstahlblockaden sowie die daran gekoppelten energetischen Absperrriegel um das Zentrum des Gebäudes herum aufgebaut. Dies sollte nicht nur die größtmögliche Sicherheit gegen den Diebstahl der Exponate bieten, sondern auch umfassenden Schutz bei Naturkatastrophen. Jedes abgeriegelte Areal war autark und musste separat entsperrt werden. Durch die Zeitschlossschaltung waren aber selbst die Technikexperten zum Warten verurteilt.

»Einer der meistgesuchten Bastarde auf Mutter Erde sitzt gemütlich in einem öffentlichen Gebäude  rum«, meinte Jericho hämisch, »und nicht ein Polypenarsch weit und breit.«

»Die überlassen uns die Drecksarbeit.«

Nici öffnete die Heckablage des Aero-Cars und holte ihre RIMSTONE LUNATIC Maschinenpistole hervor. Dann schnallte sie ihren Waffengürtel mit zwei COLT M2011 G um, zwei schweren, halbautomatischen Pistolen mit kleiner Reichweite, aber enormer Durchschlagskraft. Jericho blieb wie gewöhnlich bei seinem FLUX EP 6000 Schnellfeuergewehr, steckte aber noch zwei Handgranaten ein.

Als sie das Entree des Museums betraten, stießen sie nun doch auf einige Officers der Metrocity-Police.

»Hey, Jungs!«, rief Jericho heiter. »Alles senkrecht?«

»Seien Sie bloß vorsichtig!«, warnte ihn einer. »Mit dem STEALTHER ist nicht zu spaßen! Wenn die letzte Sicherheitsblockade fällt, sollte keiner von uns in der Nähe sein!«

Jericho schüttelte zaghaft den Kopf.

»Das ist ein einziger Mann«, erklärte er. »Um mich aufzuhalten, bräuchtet ihr schon ’ne kleine Armee. Aber falls der Kerl tatsächlich so ’n harter Knochen ist, bereitet euch lieber schon mal aufs Inferno vor …«

»Ich habe Sie gewarnt.«

»Weißt wohl nicht, wer ich bin, was?«

»Sie ballern wild um sich und genießen Schutz von ganz oben. Das reicht mir, um mich von Ihnen fernzuhalten.«

»Bist ’n cleverer Sternträger. Also, geht mal schön wieder zu Mutti nach Hause und überlasst mir den Männerjob.«

»Und was ist mit der Frau …?« Der Uniformierte deutete auf Nicoleta, die auf den Zehen wippte und recht sorglos wirkte.

»Gehört zu mir, Officer.«

»Bei allem Respekt, Sir, aber sie scheint mir ein wenig … grün

»Mister!«, rief Nicoleta herüber. »Das strafft die Waden!« Sie stellte das Wippen ein und machte einige ungelenke Zielübungen.

»Na«, sagte der Polizist, »Sie müssen wissen, was Sie tun. Man hat uns dringend empfohlen, Ihnen nicht in die Quere zu kommen.«

»Dann pack dein Ränzlein und nimm die anderen Pfadfinder mit«, zeigte Jericho mit seinem Kopf zum Ausgang. »Wie lange dauert’s eigentlich, bis die erste Absperrung aufgeht?«

Der Angesprochene warf ihm ein Funkgerät zu.

»Die Security gibt Ihnen die ungefähren Zeiten durch. Die wissen selbst nicht hundertprozentig, wie lange die Prozedur dauert. Ist wohl für die auch das erste Mal.«

»Allright, Kumpel«, salutierte Jericho leger. »Dann werden wir mal was tun für unser Geld.«

Die Polizisten zogen ab. Der letzte von ihnen drehte sich unter dem Portalkopf noch einmal zu Jericho um.

»Ach so, seien Sie bitte vorsichtig mit dem Funkempfänger. Geht er zu Bruch, muss ich einen hässlichen Haufen an Sozialstunden ableisten.«

»Das Ding ist bei mir so sicher wie in Abrahams Schoß. Kannste mein Wort drauf nehmen.«

Der Officer winkte zum Abschied und ging die Treppen hinunter.

»Du hast nicht wirklich vor, drauf aufzupassen, oder?«, fragte Nicoleta.

Jericho zuckte die Schultern.

»Wenn’s sein muss, schmeiß ich dem STEALTHER das Teil gegen den Kappes, dass es mit seinem ganzen Hirnmatsch auf der anderen Seite wieder rauskommt.«

»Jeder sagt, der Typ ist ’n Killer. Mir wär’s lieber gewesen, wir hätten Verena mitgenommen.«

»Ja, verarsch mich nur weiter. Kannst sie doch kaum vor den Augen sehen.«

»Das meinste nur.«

»Euer Weibergezicke steht mir bis Unterkante Oberlippe.«

»Sie hat’s aber drauf. Und auch noch was in der Birne.«

Jericho warf einen Blick auf das Funkgerät; die Betriebsleuchten brannten, der Kanal war voreingestellt.

»Hast du nicht mal gesagt, die Action und das Geballer würden dich geil machen?«

»Hab ich. Na und?«

»Mich macht’s auch tierisch scharf. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du Bros dabeihaben willst, wenn ichs dir richtig besorge.«

»Steh ich drauf, wenn mir einer beim Ficken zuguckt.«

»Mensch, Nici, wenn’s dich nicht schon gäbe, müsstest du glatt erfunden werden …«

»Achtung Museums-Team!«, schnarrte es aus dem Funkgerät. »Die erste Blockade öffnet sich in drei Minuten!«

»Schon aufgeregt, Jerri?« Nicoleta rieb mit dem kalten Lauf der RIMSTONE LUNATIC über ihren Hals.

»Nicht mehr, als wenn ich mir die Nasenhaare stutze. Außerdem ist der STEALTHER im Kernbereich, hat Stoddard gesagt. Laut Zwiebelschalenmodell sind das insgesamt vier Barrieren.«

»Bin jetzt schon scharf«, hauchte Nicoleta und sah Jericho fordernd an.

»Führ mich bloß nicht in Versuchung, Nici, sonst enden wir beide noch mit ein paar Löchern im Schädel.«

»Als wenn du’s nicht auch wolltest. Der Kleine macht schon einen langen Hals …«

Ein lauter, metallischer Schlag setzte die mechanische Absperrung in Gang, die sich langsam vom Boden zur Decke hin öffnete. Nicoleta und Jericho traten zurück – und konnten sich gerade noch zu Boden werfen, als ihnen ein Kugelhagel entgegenpfiff und eine kreischende Stimme ertönte:

»Ich mach euch alle fertig! Lebend erwischt ihr mich nicht!«

 

*

 

El Charga, Nordafrika, Oktober 2012 – vor 38 Jahren

 

Der Jeep parkte auf dem sandigen Zufahrtsweg der Phosphatminen. Der Fahrer war nach dem Rundgang über das Gelände mit seinem Boss zum Fahrzeug zurückgekehrt und sah einer Kolonne Arbeiter nach, die ihre Pause beendeten und wieder in die Stollen gingen. Nabil Yazdi saß im Wagen und hob nicht einmal den Kopf, sondern starrte nur gebannt auf den Bildschirm seines Laptops.

»Das ist doch nicht zu glauben!«, rief er aus, als würden die Zahlen der Aktienkurse, die er betrachtete, ihn verhöhnen und er seinem Ärger darüber Luft machen. »Der Betrieb läuft wie am Schnürchen, die Nachfrage am Markt ist vorhanden – und trotzdem bricht der Kurs ein …!«

Beinahe Hilfe suchend blickte Nabil Yazdi zu seinem Fahrer hinüber, der sich mit einem bereits feuchten Tuch den Schweiß aus dem Nacken wischte.

»Ist nicht nur bei uns so«, sagte er belegt. »Die brechen überall ein.«

Yazdi war kein Narr. Natürlich hatte er die Tendenzen kontinuierlich verfolgt, aber immer damit gerechnet, dass die globale Lage sich entspannen würde. Bis zuletzt hatte er damit gerechnet. Doch nichts war geschehen, außer, dass der Finanzmarkt stetig angespannter und sensibler reagierte.

»Dynamic Oil, Boston Steel, Western Pacific – die fallen alle ins Bodenlose!« Nabil Yazdi glaubte erst in diesen Sekunden die Tragweite dieser Wahrheit zu erkennen. Und er erschrak bis ins Mark.

»Das Finanzsystem ist ein aufgeblähter Ballon«, fügte der Fahrer hinzu, der sich ansonsten um die internen Angelegenheiten der Minengesellschaft kümmerte. »Billige Kredite, nicht abgesicherte Investitionen; dazu IT-Märkte, die nur Kapital verschlingen, ohne welches zu erwirtschaften. Die Verschuldung der UN sowie der EU-Staaten hat ein geradezu katastrophales Ausmaß angenommen. Die Weltbanken interessiert das nicht – sie wissen, dass die Schulden nie abgezahlt werden können. Ihnen geht es einzig um die Knebelung des Kreditnehmers …«

»Hören Sie doch auf damit! Das hilft mir nun wirklich nicht weiter! Nicht mir und nicht Ihnen! Denn wenn ich den Bach runtergehe, hängen Sie genauso dran! Und auch alle anderen …!«

»Das ist mir bewusst, Mister Yazdi. Aber ich sehe die Konsequenzen als unausweichliches Resultat einer jahrzehntelangen, globalen Misswirtschaft an. Sie hingegen scheinen noch der Hoffnung verfallen zu sein, die Situation würde sich kurzfristig entschärfen.«

Nabil Yazdi klappte den Deckel seines Notebooks zu. Seine Augen starrten glasig ins Leere.

»Sie meinen«, fragte er seinen Fahrer, ohne ihn anzusehen, »wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht?«

»Geld hat dafür gesorgt, dass es Klassenunterschiede gibt, Menschen zweiter Wahl und solche, die alles und noch viel mehr besitzen. Nicht umsonst gehört 1 Prozent der Weltbevölkerung 99 Prozent ihres Vermögens. Der Rest verteilt sich auf jene, die ein bisschen haben und eine steigende Zahl, die gar nichts hat. Kredite sind Zahlen auf dem Papier oder digitale Kolonnen in einem zentralen Rechensystem. Geld ist nicht mehr greifbar, nicht mehr begreifbar. Es ist eine Illusion. Und auf dieser Illusion ist unsere vollständige Gesellschaft errichtet, Mister Yazdi …«

»Aber es muss einen Ausweg geben aus dieser Misere …« Nabil Yazdi warf den Laptop auf die Rückbank. »Was ist mit der Weltwirtschaftskrise in den 1920ern? Oder der Ölkrise in den 1970ern? Waren unfreundliche Zeiten, und doch haben wir sie schadlos überstanden.«

»Schadlos trifft es nicht ganz.« Der Fahrer setzte sich wieder ans Steuer; die Schirmmütze zog er tief in die Stirn. »Das Fundament für den heutigen Zusammenbruch wurde bereits damals gelegt. Die Weltwirtschaftskrise war eine Grippe-Infektion – was uns nun bevorsteht, ist ein vollständiger Kollaps. Einer, von dem wir uns nicht so schnell erholen werden.«

»Exitus?«, kam es fragend und zögerlich über Yazdis Lippen.

»Den sehe ich nicht zwangsläufig. Aber ein langes Koma …«

»Anscheinend haben Sie sich viele Gedanken zur gegenwärtigen Lage gemacht.«

Der Fahrer nickte.

»Bereits vor zwanzig Jahren. Dinge wie diese geschehen nicht über Nacht; sie kündigen sich immens lange an. Aber keiner will die Vorzeichen sehen …«

»Natürlich nicht!«, gab Nabil Yazdi zu. »Krankheitssymptome werden solange ignoriert, bis man bettlägerig ist.«

»Genau das ist der Punkt.« Der Fahrer startete den Motor. »Jeder weiß um die Verklappung in den Ozeanen, den Raubbau an den Urwäldern, das Ozonloch, die Ausrottung tierischer Spezies – aber alle denken, die Natur wird’s schon richten. Aber irgendwann kann auch sie nicht mehr. Irgendwann schwappt der Zivilisationsmüll über und ersäuft die Menschheit …«

»Sie denken, wir bekommen nun von allen Seiten Kontra?«

»Wir haben nach allen Seiten ausgeteilt. Jetzt wird sich zeigen, ob wir das Echo vertragen können …«

Nabil Yazdi lockerte seine Verkrampfung ein wenig, als der Jeep anfuhr.

»Wird meiner Familie nicht gefallen, sich plötzlich einschränken zu müssen.« Er setzte ein gekünsteltes Lächeln auf.

»Umdenken scheint mir ein angebrachteres Verb. Vorrangig wird es nicht darum gehen, mit weniger auszukommen, sondern ohne das, was uns zukünftig fehlen wird, zu überleben.«

»Reden Sie von Geld …?«

»Nein, Mister Yazdi!«, wurde die Stimme des Fahrers schärfer. »Ich rede von Nahrung! Begreifen Sie denn immer noch nicht den Zusammenhang? Wenn das Geld nichts mehr wert ist, woher wollen Sie dann Lebensmittel bekommen, wenn Sie sie nicht selbst erzeugen, einen Acker bestellen oder etwas Vergleichbares tun …?«

»Ich …«, begann Yazdi stockend, »habe nie eine derartige Möglichkeit in Betracht gezogen …«

»Weil Sie zu beschäftigt waren mit Ihren Marktanalysen, mit dem Auffinden von Gründen für diverse Schwankungen und glaubwürdigen Erklärungen für desaströse Einbrüche.«

»Was hätte ich denn tun sollen …?« Ratlos breitete er die Hände aus.

»Nichts«, antwortete der Fahrer, »Ihre Realität war zu weit fort von jener, in der ein Planet verzweifelt nach Atem ringt. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass die Natur in den Griff bekommt, was wir verbockt haben. Allerdings geht die Zeche zu unseren Lasten. Und es bleibt nur zu hoffen, dass nachfolgende Generationen nicht wieder dieselben Fehler begehen.«

»Was … bleibt uns dann noch zu tun?«

»Schmeißen Sie Ihren Laptop auf den Müll, sichern Sie sich Silber und Gold. Und gegebenenfalls ein Grundstück mit fruchtbarer Erde.«

»Aber wenn der Kurs sich nicht erholt«, war Nabil Yazdis Stimme brüchig und kraftlos, »bin ich morgen schon ruiniert. Meine ganze Familie wird das sein. Mein Sohn Shamir wird mich verachten …«

Der Fahrer konnte nicht umhin, leise aufzulachen.

»Verachtung«, sagte er, »ist das geringste Übel, mit dem Sie sich herumschlagen müssen, Mister Yazdi …«

 

*

 

Zweihundert Kilometer durch brütende Hitze und kochenden Sand nach Luxor, und von dort aus mit dem Flugzeug nach Kairo – Nabil Yazdi hatte die Strapazen der letzten Stunden noch deutlich in Erinnerung.

Alles umsonst, konnte er die trüben Gedanken nicht aus seinem Kopf vertreiben. Er regulierte die Klimaanlage in seinem Büro und starrte aus dem gläsernen Turm, dessen oberste Etage für seine Firma reserviert war, auf den Verkehr in der Innenstadt hinab.

Wie klein und unbedeutend alles wirkt. Yazdis Züge umspielte ein mildes Lächeln. Ich könnte eine Bombe hinabwerfen und würde lediglich eine bunte Explosion erleben und nicht die grausamen Verstümmelungen der Menschen, die aus der Entfernung nur winzige Punkte sind …

Seufzend wandte er sich ab. Unwillkürlich richteten seine Augen sich auf den Monitor, auf dem den ganzen Morgen über Balken- und Kurvendiagramme zu sehen waren.

Es gibt keine Hoffnung, brannte sich sein Blick auf dem Bildschirm fest. Dabei war es ihm kein Trost, nicht alleine betroffen zu sein, sondern als kleiner Teil eines gigantischen Finanzkollapses in Erscheinung zu treten. Nicht nur die Industrie wurde in die Knie gezwungen – die Banken waren bereits vorher kurzatmig geworden. Und nun taten sie ihren letzten Seufzer. Was folgte, würde ein auf allen gesellschaftlichen Ebenen eintretender Verfall sein, der den Zusammenbruch der sozialen Systeme zur Folge hatte und über kurz oder lang in der totalen Anarchie enden musste.

Die Resultate waren wenig erstrebenswert, wie Nabil Yazdi zugeben musste. Nicht für ihn, nicht für seine Frau und auch nicht für seinen Sohn. Yazdi war überzeugt davon, mit der Schuld des Versagens nicht leben zu können, sich dieser Schmach nicht aussetzen zu wollen. Denn schließlich war er den Erfolg gewöhnt, stand über den Problemen der gewöhnlichen Leute und hatte dies zu jeder passenden Gelegenheit zum Ausdruck gebracht.

Wie würde er im Angesicht all dieser Fakten dastehen …?

Der unscheinbare Sechsschüsser, den er aus der obersten Schublade seines Schreibtischs hervorholte, war mehr ein Symbol der Sicherheit gewesen, als dass er je hätte zum Einsatz kommen sollen. Und wenn, dann ganz sicher gegen einen Kriminellen und nicht –

Nabil Yazdis Finger zitterten nur leicht, als sie den Revolver ergriffen und vorsichtig anhoben. Er hatte fast kein Gewicht. Kaum vorstellbar, dass er in der Lage war, ein Leben auszulöschen.

Ein Leben, dachte Yazdi, das keinen Wert mehr hat.

Er klappte die Trommel auf und sah sechs Patronen in den Kammern. Kurz darauf ließ er sie wieder zuschnappen und wiegte den kühlen Stahl in der Hand.

Die Entscheidung war noch nicht gefallen. Nabil Yazdi überlegte, aus seinem Fenster in den Abgrund zu springen. Doch irgendwie hatte er davor noch mehr Angst, als sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Der lange Sturz nach unten. Die Erkenntnis, lieber doch nicht aus dem Leben scheiden zu wollen und das grausame Fazit, es nicht mehr ändern zu können.

Die Kugel würde alles rasch und konsequent erledigen. Nicht einfach durch die Schläfe geschossen – das konnte er durchaus überleben. Nein, er würde sich den Lauf in den Mund schieben und sich das Gehirn aus dem Hinterkopf blasen.

Ein Sekundenbruchteil Angst und Anspannung.

Und sofort danach die himmlische Erlösung. Auf ewig.

Aber wenn er zu lange zögerte, würde er es sich anders überlegen. Er kannte sich genau.

Deshalb musste er jetzt handeln. Ohne nachzudenken. Und ohne der leisen Hoffnung Gewicht zu verleihen, nach einer anderen – einer besseren – Lösung zu suchen.

Eine Eisenklammer schien sich um seine Brust zu legen, als er den Lauf der Waffe in die Mundhöhle einführte.

Nicht weich werden!, stachelte er sich selbst an. Kein Rückzieher mehr …!

Der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Nabil Yazdi fühlte keine Angst mehr, nur übermenschliche Erleichterung.

Das trockene Bellen des Schusses mischte sich mit dem Summen der Gegensprechanlage, über die sich Yazdis Sekretärin meldete.

»Sir, Ihre Frau und Ihr Sohn befinden sich im Vorzimmer. Darf ich Sie Ihnen hereinschicken?«

Außer einem Knacken in der Leitung bekam die Frau keine Antwort.

»Entschuldigen Sie bitte die Störung, Sir. Ich hätte nur gerne gewusst, ob Sie Ihre Frau und Ihren Sohn empfangen möchten.«

Eine halbe Minute später wurde die Tür zu Yazdis Büro von außen geöffnet.

Weitere drei Sekunden vergingen, da brach seine Sekretärin mit einem erschütternden Aufschrei ohnmächtig zusammen.

 

*

 

Vier Wochen waren seit der Beerdigung von Nabil Yazdi vergangen; eine Woche, seit die Regale der Supermärkte nicht mehr aufgefüllt worden waren.

Nach dem Tod seines Vaters hatte Shamir sich mehr bei seinen Freunden als zu Hause aufgehalten. Er trieb sich oft auf der Straße herum, und seit einige Banken geschlossen hatten, das Geld knapp wurde und die Lebensmittelvorräte schrumpften, geriet er auch in die Gesellschaft von Leuten, die nicht seinem gewöhnlichen Umgang entsprachen und tunlichst das Licht des Tages mieden.

»Du kannst bei uns bleiben, wenn du willst.«

Der Jugendliche, der dem 13-jährigen Shamir gegenüber auf einer schulterhohen, baufälligen Mauer saß, breitete eine Hand auffordernd aus.

»Ich kann meine Mutter nicht alleine lassen«, meinte Shamir abwehrend. »Seit Vaters … Tod geht sie kaum noch aus dem Haus. Sie ist blass und krank. Sie braucht mich.«

»Du siehst sie doch kaum. Hängst nur bei uns ab.«

Die anderen Jungs lachten. Sie waren durchweg drei, vier Jahre älter als Shamir.

»Das versteht ihr nicht«, sagte er laut, um das Lachen zu übertönen. »Auch wenn sie mir auf den Nerv geht, ist sie trotzdem meine Mutter.«

»Mal sehen, ob sie dir noch so wichtig ist, wenn der Krieg erst losgeht.« Der Jugendliche auf der Mauer, Basra, schaute in die Runde und bekräftigte mit einem Nicken die Ernsthaftigkeit seiner Aussage.

»Wieso denn Krieg?«, fragte Shamir.

Basra machte große Augen und schüttelte den Kopf.

»Na, du bist drollig! Siehst du nicht, was um uns herum passiert? Nicht mehr lange, und wir bekämpfen uns gegenseitig, um was zu fressen zu bekommen.«

»Wird schon nicht so schlimm werden.« Shamir sah in die Gesichter der größeren Jungen seiner Clique. Sie schienen jedoch nicht viel um seine Meinung zu geben.

»Kannst mal mit in den Untergrund kommen und dir anhören, was Shobab Taur zu sagen hat. Der Mann weiß, was läuft. Der organisiert dir, was du brauchst. Der kennt alles und jeden. Und er hat einiges zu erzählen über die verfluchten Jordanier und das Dreckspack von Israeliten.«

»Vater hat gesagt, die alten Geschichten sollen ruhen.«

»Irgendjemand«, fuhr ihm Basra dazwischen, »wird sie wieder ausgraben. Die Zeit ist günstig, einen Hinterhalt zu planen …«

Shamir Yazdi gefiel Basras Reden nicht gerade.

»Du plapperst doch bloß nach, was dieser ominöse Shobab Taur euch verklickert hat.«

»Mir brauchst du nicht zu glauben, Shamir«, ließ Basra dem Jüngeren die Frechheit durchgehen, »doch wenn du ihn nur einmal ge–«

Mitten durchs Wort schnitt grell das Heulen einer Sirene. Basra sprang von der Mauer herunter; die Blicke der Gruppe waren auf ihn gerichtet.

»Raketen!«, zischte er nach kurzem Überlegen. »Die Schweine greifen an! So wie Shobab Taur es beschrieben hat!«

»Es ist nichts zu sehen«, suchten Shamirs Augen den Himmel ab, der strahlend blau und wolkenlos war.

»Und wir sollten nicht warten, bis sich das ändert!«, drängte Basra. »Wir gehen in den Untergrund! Dort wird uns nichts geschehen!«

»Ich muss nach Hause!«, rief Shamir. »Mutter braucht mich!«

»Vergiss sie! Wenn du gehst, stirbst du mit ihr!«

Zwei schwelende Pünktchen zeigten sich am Horizont.

»Sind sie das?«, deutete Shamir mit dem Finger voraus und schluckte hart.

Basra ergriff seinen Oberarm.

»Komm mit oder bleib hier! Meine Jungs und ich gehen jetzt runter.«

Shamir Yazdi hatte niemals zuvor Raketen gesehen. Irgendwie wirkten sie völlig ungefährlich, wie winzige Spielzeuge, die einfach so auf die Erde fallen würden, wenn ihre Batterien verbraucht waren. Doch da war auch eine warnende Stimme in ihm, die ihn antrieb, sich Basras Clique anzuschließen.

Er benötigte kaum mehr als ein paar Sekunden, um der inneren Stimme nachzugeben …

 

*

 

Das Schrillen der Sirenen war abgeebbt. Dafür war Shamir seinen Freunden tiefer und tiefer in Bereiche unterhalb der Stadt gefolgt, die er nicht kannte und von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass sie existieren. Er hatte Mühe, mit Basra Schritt zu halten, denn der legte ein geradezu halsbrecherisches Tempo vor und rannte mit traumwandlerischer Sicherheit durch die düsteren Katakomben. Und als sie eine Schar finsterer Gestalten erreichten, die sich in einer mit Kisten und Gerümpel vollgestopften Halle befanden, verstummte auch der Alarm. Shamir Yazdi merkte es jedoch erst wesentlich später, denn seine Gefühlswelt übermannte ihn in einer Mischung aus ängstlicher Zurückhaltung und unerklärlicher Faszination.

»Wen bringst du uns da, Basra?«, grollte eine Stimme in ägyptisch-arabischem Dialekt.

»Einen Freund!«, beeilte sich der Angesprochene zu versichern. »Ich konnte ihn doch nicht zurücklassen, als die Sirenen ertönten.«

Ein Mann mittlerer Größe trat zwischen den Versammelten hervor. Er wollte in seinem dunklen Anzug nicht recht zum Rest der Horde passen, die ausnahmslos in Militäruniformen steckte.

»Du weißt, wir müssen aufpassen«, sagte er streng.

»Ich heiße Shamir!«, ging der 13-Jährige dazwischen. »Bitte sagen Sie mir, was die Raketen zu bedeuten haben! Was geschieht denn bloß dort draußen …?«

»Du hast Glück, dass du zu uns gestoßen bist. Mein Name ist Shobab Taur. Vermutlich hat Basra dir von mir erzählt.« Er wartete die Antwort nicht ab. »Vor ein paar Wochen erst ist das Finanzsystem eingebrochen wie eine von Termiten ausgehöhlte Holzhütte –«

»Ich weiß«, unterbrach Shamir. »Mein Vater hat sich deswegen getötet.«

»Heute geht es nicht mehr um finanzielle Absicherung«, fuhr Shobab Taur ungerührt fort, »sondern ums nackte Überleben. Es geht um Äcker, Vieh, Grund und Boden, Wasser, Seewege, Zufahrtsstraßen, Grenzsicherung und Machtansprüche. Die Zeiten zivilisierter Auseinandersetzung sind vorbei. Ab jetzt gilt das Faustrecht der Steppe! Die Raketen sind nur ein Rasseln mit dem Säbel, sollen warnen vor gefährlicheren Waffen und letztendlich nur einschüchtern. Dennoch wird das Giftgas eine Menge Todesopfer fordern …«

»Meine Mutter ist da draußen!«, stand Shamir das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Schon wandte er sich herum, um loszurennen, wurde jedoch von Basra festgehalten.

»Du bringst dich nur selber um, Shamir! Lass es sein! In ein paar Tagen kannst du wieder nach draußen.«

»In ein paar Tagen erst …?«

»Hör auf Basra, junger Freund«, ertönte Taurs sonores Organ. »Wenn die Welt noch deine Nachkommen sehen soll, tust du, was er dir sagt.«

 

*

 

Am dritten Tag seines unfreiwilligen Aufenthalts hielt Shamir es nicht mehr aus.

»Ich muss sofort hier raus!«, stieß er Basra an, der neben ihm auf einer zerschlissenen Unterlage schlief und schlaftrunken hochschreckte.

»Bist du bescheuert?«, kniff er die müden Augen auf und zu. »Das ist zu gefährlich! Warte noch bis morgen.«

»Ich gehe hoch!«, war Shamir entschlossen, schlug die dünne Decke zurück und sprang auf die Füße. »Ich werde noch verrückt, wenn ich nicht bald erfahre, wie es meiner Mutter geht!« Der 13-Jährige zog sein T-Shirt, Hose und Schuhe an. »Außerdem wird sie krank vor Sorge sein.«

»Warte, verdammt!«, zischte Basra unterdrückt. »Ich komme mit dir.«

»Ehrlich?«, freute sich Shamir. »Du bist ein guter Freund …«

»Einer muss doch aufpassen, dass dir nichts passiert.«

Basra hatte in seinen Kleidern geschlafen, zupfte ein wenig an ihnen herum und wischte sich mit Spucke durch die Haare.

»Ich sage schnell Shobab Bescheid. Wir können nicht kommen und gehen, wie wir wollen. Ist schließlich kein Ferienlager.«

Basra verschwand in den hinteren Bereichen der unterirdischen Anlage und kam nach zwei Minuten schon wieder angelaufen.

»Er lässt uns gehen«, sagte Basra. »Sie werden uns allerdings scannen, wenn wir zurückkehren. Und falls wir irgendetwas mitbringen, schickt er uns in die Wüste.«

»Was sollten wir denn mitbringen?«, fragte Shamir ahnungslos.

»Taur vermutet nur einen Giftgasanschlag. Es könnten aber durchaus biologische Kampfstoffe sein, die über Kairo abgeworfen wurden. Im Falle einer Verseuchung haben wir keinen Zutritt mehr zu den Katakomben.«

»Okay, das sehe ich ein. Aber das gilt nur für mich. Du kannst dir dieses Schicksal ersparen.«

»Glaubst du, ich bin nicht neugierig? Ich will auch wissen, was geschehen ist und ob Kairo noch steht.« Er klopfte Shamir aufmunternd auf die Schulter und ging los. Vorbei an den Wachposten, die ungebetene Gäste abfangen sollten, ging es an die Oberfläche. Nach den Stunden und Tagen im Dämmerlicht unter der Erde, stach das Sonnenlicht den Jungen grell und beißend in die Augen.

»Sieht ziemlich ausgestorben aus«, murmelte Shamir bang.

»Es ist frühmorgens«, erwiderte Basra. »Sieh mal da hinten! Da sind Militärlaster!«

»Und komische Typen in schneeweißen Anzügen«, blinzelte Shamir voraus.

»Stehen beim Feldlazarett rum.« Nagende Ungewissheit stieg in Basra auf. »Bete, dass da nicht doch Viren und Krankheitserreger vom Himmel gefallen sind …«

»Dann gibt’s kein Zurück, oder?«

»Kein Zurück«, wiederholte Basra und fragte sich, ob seinem jüngeren Freund wirklich bewusst war, was das bedeutete. »Halten wir uns von denen fern«, sagte er und setzte gleich eine Frage nach: »Wo wohnst du?«

»Innenstadt«, sagte Shamir einsilbig und konnte seinen Blick nicht von den Gestalten in den weißen Anzügen lösen. Er glaubte sogar, Atemmasken zu erkennen.

»Das sind fast fünf Kilometer!«, staunte Basra. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass heute ein Bus fährt.«

»Sonst gehe ich auch zu Fuß. Du musst nicht mitkommen, Basra.«

»Willst du mir das noch öfter sagen? Dann fange ich nämlich mit einer Strichliste an.«

»War nicht so gemeint.«

»Das will ich hoffen.« Basra drückte den 13-Jährigen ein Stück weit in die Knie, damit er nicht so hoch aufragte. Gemeinsam schlichen sie vom Zugang der Katakomben fort zu ein paar verlassenen Häusern und hinüber auf den Sandstreifen neben der Hauptverkehrsstraße.

Eine knappe Stunde waren sie unterwegs, hatten sich an patrouillierenden Militäreinheiten vorbeigeschmuggelt und unbehelligt das Haus der Yazdis erreicht.

»Wohnst ganz schön feudal«, gab Basra einen Kommentar ab.

»Vater hatte genügend Geld.« Shamir winkte ab. »Riecht’s hier nicht seltsam?«

»Weiß nicht. Kann Einbildung sein. Weil du wegen dem vermeintlichen Giftgasanschlag erwartest, dass es anders riecht als sonst.«

»Ist kaum was los in der Gegend«, wunderte sich Shamir. »Kein Militär …«

»Vielleicht hat’s den Zentrumsbereich nicht erwischt«, meinte Basra. »Ist doch ein gutes Omen.«

»Ja, da hast du recht.« Die Hoffnung, seine Mutter unversehrt vorzufinden, gab Shamir neuen Auftrieb. Er klingelte an der Haustür. Als niemand öffnete, holte er seinen Schlüssel hervor und schloss auf.

»Sie ist bestimmt unterwegs, neue Vorräte beschaffen«, war sich Shamir sicher. »Kriegst sie sonst kaum vor die Tür.«

Basra war leidlich angetan von der teuren Einrichtung und der hellen, freundlichen Gestaltung.

»Mutter! Ich bin da!«, rief Shamir.

»Ich seh mich mal im Wohnzimmer um«, schlug Basra vor, während sein 13-jähriger Freund die Stufen ins Obergeschoss hochlief. Bald schon kam er unverrichteter Dinge wieder herunter und traf auf einen Basra, der deutlich reserviert und sogar ein bisschen bleich aussah.

»Geht’s dir gut?«, erkundigte sich Shamir. »Mann, hoffentlich ist nicht wirklich dieser Dreck in der Luft, von dem du erzählt hast.«

»Hauen wir ab!«, sagte Basra schwer atmend und setzte zum Gehen an. Aber genau in diesem Moment wurde Shamir stutzig.

»Was hast du im Wohnzimmer gesehen? Ist meine Mutter da drin?« Er wollte an Basra vorbeistürzen, doch der stellte sich ihm wie ein Fels in den Weg.

»Bleib besser draußen. Kein Spruch, Kumpel. Ist echt klüger.«

»Lass mich los!«, fauchte Shamir seinen älteren Freund an. Er wusste nicht, was ihn erwartete, doch ihm war klar, dass etwas nicht stimmte.

Widerwillig gab Basra den Weg frei.

Im Wohnzimmer lag immer noch jener Geruch, den Shamir beim Eintreten flüchtig bemerkt hatte.

»Äthylalkohol«, sagte Basra schwach.

Shamir verhielt im Schritt, als er die leblose Gestalt seiner Mutter im Fernsehsessel erblickte. Neben ihr auf dem Tisch lag eine umgestürzte Flasche. Sie war ausgelaufen; das meiste war auf den Teppichboden geplätschert, der sich dunkel verfärbt hatte und eingetrocknete Ränder aufwies.

»Wieso … hat sie … das getan …?«, stammelte Shamir.

Basra trat an ihn heran. Erneut überkam ihn würgendes Unwohlsein, wenn er auf die zerschnittenen Pulsadern der Frau starrte und das ganze Blut, das in die hellen Polster eingezogen war.

»Sie hat’s nicht mehr ausgehalten«, meinte Basra rau. »Erst der Tod deines Vaters, dann der Raketenangriff …«

»Ihr wäre gar nichts geschehen!« Shamir ballte die Hände zu Fäusten. »Dem ganzen Viertel ist nichts geschehen …!«

»Das wissen wir doch gar nicht …«

»Sie hat sich einfach davongestohlen. Hat mich im Stich gelassen …«

»Mag sein, dass es besser so war.«

»Was soll daran besser sein?«, fuhr Shamir seinen Freund an. »Meine Mutter ist tot! Sie hat sich genau wie mein Vater das Leben genommen! Aber mich haben sie zurückgelassen! Ohne nachzudenken … ohne ein Wort der Entschuldigung …«

»Du hast uns«, wollte Basra ihn aufmuntern. »Wir sind auch eine Familie. Deine Familie. Und niemand wird dich jemals wieder im Stich lassen.«

Schweigend verließen sie das Haus und machten sich auf den Weg zu den Katakomben, die Shamirs neue Heimat werden würden.

Als sie ankamen, waren auch die leisen Tränen des 13-Jährigen versiegt …

 

*

 

William-Joseph-Simmons-Museum – Gegenwart

 

Noch im Fallen entsicherte Nicoleta ihre RIMSTONE und zog den Stecher durch. Jericho lag auf dem Bauch, die Rechte vorgestreckt und die FLUX im Anschlag.

»Welcher Haufen Hundescheiße, der gerade sein Todesurteil gesprochen hat, ballert da auf uns?« Jericho hatte zwar den Finger am Abzug, drückte aber noch nicht ab. Für einen Moment hatte er geglaubt, es mit dem STEALTHER zu tun zu haben, doch laut Aussage von Stoddard befand der sich im Kernbereich des Museums und hatte sich praktisch selbst auf Eis gelegt. Auch er musste warten, bis alle Sperren deaktiviert waren.

»Versucht nur, mich zu holen!«, hörten sie die Fistelstimme quieken und Schritte sich rasch entfernen. »Ich hab doch gesagt, dass ihr mich nicht lebend bekommt!«

»Keiner will das, Sackfresse!«, rief Jericho zurück. Noch wenige Sekunden, und er konnte unter der hochgleitenden Sicherheitswand hindurchlaufen.

»Wer zum Geier ist das?«, setzte sich Nici auf und blickte kopfschüttelnd zu Jericho herüber. »Der hat ja mehr Angst als Vaterlandsliebe.«

»Hat sich anscheinend ein Besucher nach der regulären Öffnungszeit einschließen lassen«, vermutete Jericho. »Wollte den Schuppen wohl heimlich ausräumen. Aber die Dumpfbacke hat nicht dran gedacht, dass das hier kein Reformhaus ist.«

»Los!«, scheuchte Nicoleta ihren Freund. »Hängen wir uns an den Spinner dran! Ist vielleicht ’ne Belohnung drin.«

Gleichzeitig sprangen sie auf und huschten geduckt unter der Blockade hindurch. Der Raum, in den sie schlüpften, war angefüllt mit gläsernen Säulen auf Granitsockeln, in denen seltene Exponate präsentiert wurden. Es gab eine Menge Möglichkeiten, sich neugierigen Blicken zu entziehen und überraschend wieder aufzutauchen.

»Lass deinen kleinen Bastardarsch sehen«, rief Jericho in den Ausstellungsraum, »bevor ich dir den Schädel abreiße und ihn dir zwischen die Backen stopfe!«

»Du bist kein Bulle!«, krakeelte es ihm aus unbestimmter Richtung entgegen. »Was willst du von mir?«

»Was will der Elefant im Porzellanladen?«, fragte Jericho zurück und gab selbst die Antwort: »Gar nichts natürlich! Er ist ihm nur im Weg.«

»Heißt das, ihr seid gar nicht hinter mir her?«

Jericho und Nicoleta hielten sich stets in Deckung, waren aber einer Meinung, dass der Kerl keine Bedrohung darstellte.

»Wieso sollte es jemand auf dich abgesehen haben, Einstein? Weiß doch keiner, dass du hier bist. Oder lässt du dir die Post schon nachsenden?«

»Hör auf, so zu reden!«, quäkte es. »Das macht mich nervös! Woher sollte ich wissen, dass der Bau besser bewacht wird als die Eier vom Großwesir?«

»Dir ist wohl als Kind laufend der Fön ins Badewasser gefallen!«, rief Jericho in den Raum hinein. »Bevor man ’nen Bruch macht, legt man sich ’n paar Tage vorher auf die Lauer. Aber mir geht das Geplauder jetzt echt auf die Harnröhre …«

Jericho hielt das FLUX EP 6000 am ausgestreckten Arm und feuerte in die kuppelförmige Zwischendecke. Das Spezialplastik spritzte unter den Einschlägen umher. Tausende sirrende Schrapnelle jagten durch die Ausstellung, bis eine schlaksige Gestalt hinter einer der Säulen aufsprang und demonstrativ ihr Gewehr zu Boden warf.

»Aufhören!«, kreischte ein Mann in bodenlangem Mantel. »Ich komm ja schon raus, verflucht!«

»Ist glatt ’n Magazin bei draufgegangen, Pisser«, murrte Jericho und legte seine Waffe über die Schulter. Nicoleta hatte sich dem Kerl bereits von der Seite genähert, ließ ihre Maschinenpistole aber gleich wieder sinken.

»’n Mudder«, sagte sie abfällig. »Von wegen Belohnung! Da müssen wir noch die Entsorgung berappen.«

»Was treibste denn hier, Pissnelke?«, wollte Jericho wissen. »Sind die Mülltonnen zu früh geleert worden …?«

»Gibt nix zu erben im Zivilisationssumpf«, knurrte der Mudder, nur um gleich darauf wieder in sein fiependes Schrillen zu verfallen. »Wollte bloß ein paar Kleinigkeiten mitgehen lassen. Teile, die ich unterm Mantel rausgetragen hätte.«

»Ich dachte, ihr seid Schaben und keine diebischen Elstern.«

»Man muss sehen, wo man bleibt.«

»Haste auch ’nen Namen? Ist nur wegen der Beschriftung von deinem Grabstein.«

Der Mudder holte einmal tief Luft.

»Mike«, sagte er kaum hörbar.

»Mudder Mike«, sprach Jericho es fast schon salbungsvoll aus. »Kriegste von mir in Stein gemeißelt. Und wenn ich meine scharfe Freundin so anschaue, weiß ich auch schon, womit ichs graviere …«

»Warst du nicht eben zu beschäftigt für ’ne Nummer?«, fragte Nicoleta misstrauisch.

»Wenn komplette Menschen sich ändern können, warum dann nicht auch ’ne Meinung?«

Nici schürzte die Lippen und verengte die Augen.

»Muss immer alles so laufen, wie du gerade willst, nicht wahr? Sonst ist der Herr beleidigt.«

»Von wegen!«, widersprach Jericho. »Weißt doch, wie gern ich in dein Feuchtbiotop vorstoße.«

»Halt!«, fuhr Mudder Mike plötzlich dazwischen. »An dieser Stelle würd’ ich mich gerne ausklinken. Mit Ehestreit hab ich nämlich nichts am Hut. Nett, euch kennen gelernt zu haben …«

»Wo willste denn hin, Schrumpfkopf?« Jericho hob eine Braue und blies sich eine weiße Strähne aus dem Gesicht. »Draußen warten tonnenweise Polypen. Denen willste doch nicht etwa in die Arme laufen, oder?«

»Denen tisch ich ’ne Geschichte auf. Wirst schon sehen.« Er sah in Jerichos Augen, senkte betroffen den Blick und sah ängstlich wieder auf. »Wo … wo soll ich sonst hin?«

»Kannst mit uns kommen«, zwinkerte ihm Nicoleta zu. »Wir holen ’nen echt fiesen Bastard raus. Müsstest ihm eigentlich über den Weg gelaufen sein. Aber wenn die Cops sehen, dass du bei uns bist, lassen sie dich sowieso laufen. Können ganz gut mit denen.«

Der Mudder dachte kurz nach.

»Warum gehen wir nicht jetzt eben nach draußen und klären das? Hält euch auch nicht lange auf. Danach seht ihr mich nie wieder.«

»Ich bin mehr für Nicis Idee«, steckte Jericho dem Mudder die Mündung des FLUX’ ins Nasenloch. »Wäre schön, wenn du dich ebenfalls dafür begeistern könntest …«

»Kein Problem«, näselte Mike, versuchte langsam und vorsichtig in die Knie zu gehen, ohne sich den Nasenflügel einzureißen, und tastete auf dem Boden nach seiner MP.

»Bist ’n komischer Vogel, Mike«, grinste Jericho und zog den Mudder mit leichtem Druck seines Gewehrs wieder nach oben. »Die Flinte lassen wir mal liegen, ja? Du rotzt mir ’n bisschen verschwenderisch damit rum. Wie ’n Grippekranker mit Sprühstuhl.«

»Fühl mich aber total nackt ohne das Ding …«

»Ja«, zog Jericho dem Mudder das FLUX aus dem Nasenloch, »das Gefühl kenne ich gut. Heißt aber nicht, dass ich ’nem abgerissenen Müllfresser ’ne automatische Waffe anvertraue. Normalerweise habt ihr doch nur Eisenstangen, Messer und Glasscherben.«

»Einer von uns hat ’ne Kiste mit Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden«, erklärte Mudder Mike. »Hat man sich erst mal an das Zeug gewöhnt, will man’s nicht wieder hergeben.«

»Seid auf den Geschmack gekommen, was? Macht jetzt einen auf dicke Hose.«

»Jetzt hör mal zu«, wollte Mike das Thema wechseln und legte Jericho vertraulich eine Hand auf die Schulter, »ihr habt doch nichts davon, wenn ihr mich mitschleift. Bin doch eher wie ’ne Bremse und halte euch auf. Ihr wollt doch ’nen fetten Fisch angeln – da bin ich euch nur im Weg.«

»Nur weil ich mit dir rede, Fettface«, knurrte Jericho und bog mit der Linken Mikes Finger um, die noch immer auf seiner Schulter lagen, »bedeutet das nicht, dass wir Kumpels sind. Und nicht mal denen erlaube ich, mich zu begrapschen …«

»Schon gut!«, ächzte Mike und röchelte, während Jericho seine Finger wie in einer Stahlzwinge quetschte und verbog und seinen Arm dabei unnatürlich verdrehte. »Hab schon verstanden! Du bist der Boss! Läuft alles so, wie du es willst …!«

Nicoleta nickte anerkennend.

»Echt vernünftig, der Typ. Hätt’ ich nicht gedacht.«

»Aber was unternehmen wir weiter?«, massierte Mudder Mike seinen Arm und verfiel wieder in sein schrilles Fiepen. »Kriegt ihr die Sperren auf?«

»Ist nicht unser Bier«, belehrte ihn Jericho und holte den kleinen Funkempfänger hervor. »Ein Haufen heller Köpfe ist damit beschäftigt, die Absperrungen zu entsichern. Drei haben wir noch vor uns …«

Er drückte den Sendeknopf und hielt das Gerät an den Mund.

»Wie sieht’s aus, Hoschis? Wann können wir weiter?«

»Mister Blane?«, knackte es in dem Lautsprecher. »Haben Sie eben ein Silvesterfeuerwerk gezündet? Was in drei Teufels Namen veranstalten Sie da eigentlich?«

»Stoddard!«, freute sich Jericho. »Ist ’n wirklich schönes Museum. Hätte ich mir früher schon mal ansehen sollen.«

»Was treiben Sie denn bloß? Keine Ausflüchte jetzt!«

»’n winziger Waffentest. Ist auch nur ’n bisschen Mörtel von der Decke gerieselt.«