Inhalt

Aufwärmen

Eine Einleitung

»Das haben wir uns verdient!«

Wer geht überhaupt ins Fitnessstudio?

»Montags ist Brust.«

Die Flucht vor dem inneren Schweinehund

Cheat Day

Auf der Suche nach der glücklichen, schlanken Frau

»Nenn mich Panzerknacker.«

Märchen und Legenden über muskelbepackte Männer

»Die machen alle einen Buckel!«

Vom richtigen und vom richtig falschen Training

Fett siegt immer

Der Mythos vom flachen Bauch

»Leute, die brüllen, trainieren wenigstens.«

Beim Training besser reden, schweigen – oder beten?

»Jetzt hat mein Bein ein Problem, nicht ich.«

Über einen Konflikt, der uns seit Jahrhunderten umtreibt

»Fünf rohe Eier mit Milch und Vanillezucker.«

Anabolika und andere Alltäglichkeiten des modernen Fitnessbetriebs

»Hungern bringt Sie nicht weiter.«

Alles über die optimale Ernährung (oder auch nicht)

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Aufwärmen

Eine Einleitung

Wieso eigentlich der Mai? Zumindest sagt das ein bekanntes Sprich wort, es sei der Mai, der alles neu macht – dabei ist es doch stets der Januar. Pünktlich zum Jahresbeginn wird es voll in den Fitnessstudios, und zwar in allen, ob sie sich nun eher klein und familiär präsentieren oder groß und mehrstöckig. Silvester ist zwar nicht mehr länger der einzige Startschuss zum Massentraining, weil der Sommerurlaub mehr und mehr das Jahr dominiert (und damit der faszinierende Ehrgeiz, »in der Fremde«, wie es manchmal noch heißt, für gänzlich unbekannte Menschen, die man danach nie wiedersehen wird, sportlich und drahtig zu wirken), aber in den ersten Januartagen schleichen immer noch die meisten neuen Gestalten zwischen den Laufbändern und Kursräumen herum.

Auch in dem Fitnessstudio, das ich derzeit besuche, ändern sich dann die Gesprächsinhalte. Die Muffler (»Das ist mir hier zu voll«) zanken sich mit den Zynikern (»Wart doch einfach ein paar Tage«) über den Neujahrsansturm.

Und wie so oft verbirgt sich im Genuschel der Zyniker ein wahrer Kern. Die Anmeldung in einem solchen Studio ist für viele Menschen ein großer Schritt. Und zwar ein derart gewaltiger, dass sie anschließend nie wieder auftauchen. Insofern sind die eindrucksvollen Prozentzahlen, die belegen sollen, dass nunmehr zehn Millionen Deutsche in einem Fitnessstudio trainieren – und auch die Österreicher und die Schweizer den Boom befeuern –, nicht ganz richtig. Die Zahlen an sich sind natürlich nicht falsch, aber sie belegen nur, dass eine Menge Menschen angemeldet sind.

Über dem, was am Tag nach der Anmeldung geschieht, breitet sich der Mantel des Schweigens.

Mir kommt es selbst abstrus vor, dass ich seit nunmehr 25 Jahren Gewichte hebe, mich auf Laufbändern bewege und Liegestütze mache. Mein vollstes Verständnis diesbezüglich für alle Verächter von Fitnesscentern: Es kommt mir lächerlich vor, wenn ich all die dort verbrachten Stunden addiere.

Andererseits bin ich in meinem Umfeld einer der wenigen, die trotz Schreibtisch-Job keinerlei Rückenbeschwerden kennen. Und auch der Rest meines Körpers präsentiert sich in der »zweiten Lebenshälfte« robust und agil. Muskeln sind offensichtlich die Basis für Leistungsfähigkeit und Gesundheit.

Zugegeben – und an dieser Stelle noch einmal vollstes Verständnis für alle Kritiker (gerade zu Jahresbeginn schaukeln sich die Pro- und Contra-Vertreter ja gerne gegenseitig hoch): Es ist schöner, durch einen Wald zu joggen oder Ski zu fahren. Aber in realitas regnet es meistens oder die Dämmerung setzt gerade ein. Und Schnee liegt in unseren Breiten doch sowieso nicht.

Nein, ich kann es drehen und wenden, wie ich will: Diese verdammten Buden haben ihren Zweck. Weil es dort unkompliziert ist, loszulegen.

Und weil sie sich überall anbieten.

Und vor allem: weil sie eine Schule des Lebens sind.

Es gibt Soziologen, die behaupten, Sport sei an die Stelle der Religion getreten. Und weil viele Menschen nicht mehr religiös seien, funktioniere der Glaube als Sinnstifter nicht länger. Bei der Optimierung des eigenen Körpers (eine hehre Vorgabe) gehe es daher nicht nur um Schönheit und Fitness, sondern auch darum, sich gut zu fühlen. Ich möchte einmal die Frage außen vor lassen, wieso das Bedürfnis, sich gut zu fühlen, a) unspirituell und b) unsportlich sein soll, aber es steckt ein wahrer Kern in der Behauptung, das Thema Gesundheit und Wohlbefinden hätte kultische Ausmaße angenommen. Im weiteren Verlauf des Buches werde ich auf diesen Aspekt noch einmal zurückkommen, zum Aufwärmen reicht es, anzudeuten, dass sich die wichtigsten Muskeln immer noch zwischen den Ohren befinden. Es sind die Augen und das Hirn.

Ich schaue, ich beobachte. Für mich ist so ein Fitnessstudio näm lich einer der faszinierendsten Orte der Gegenwart. Dort begegnen sich nicht nur drei Generationen, sondern auch unterschiedliche soziale Schichten und Vorstellungen. Aus diesem schier unerschöpflichen Reservoir an Beobachtungen und Reflexionen speist sich vermutlich meine Ausdauer, wieder und wieder dort aufzukreuzen.

Vor allem aber quatsche ich auch während der Trainingseinheiten. Davor, dazwischen, danach. Für die wahren Puristen ist das ein Unding, frei nach dem Motto: Wenn er noch reden kann, dann hat er wohl nicht hart genug trainiert.

Richtig. Wirklich besessen (»bis die Muskeln schreien«) trainiere ich tatsächlich nicht. Dafür bin ich allerdings immer noch dabei. Und das unterscheidet mich maßgeblich von all den selbst ernannten Experten und Motivations-Gurus, die allesamt nach einigen Jahren, mitunter schon nach wenigen Monaten die Flinte ins Korn geworfen haben.

»Mir fehlt die Lust …« – solche Momente kennt sicher jeder.

Gibt es einen Königsweg, den inneren Schweinehund zu besiegen?

Ich bewege mich gern. Das ist vielleicht eine Grundvoraussetzung. Trainieren – in Maßen – ist gesund, davon bin ich ebenfalls überzeugt. Zumindest gesünder, als über Stunden mit Chips vor dem Fernseher zu versumpfen.

Mehr braucht es nicht an Voraussetzungen.

Eines der Ziele dieses Buches besteht vielleicht darin, immer wieder einen simplen Vorsatz zu bestärken: dranzubleiben. Das ist das Einzige, was zählt. Entscheidender als das »große Ziel«, das Motivationstrainer mit pathetischen Gesten herbeihecheln wollen, entscheidender als gewaltige Pläne oder leuchtende Vorbilder. Große Erwartungen führen nämlich letztlich nur dazu, bereits nach einem Monat wieder mit dem Training aufzuhören.

Dabei sind Vorsätze eine spannende Sache, kein Einspruch, Euer Ehren. Das lässt sich vor allem bei Neulingen gut beobachten, wenn sie mit roten Wangen (und oftmals neu gekauften Sport klamotten) zum ersten Mal auf ein Laufband steigen. Diese Freude in den ersten Tagen, die vermutlich eher ungläubiges Staunen über die tatsächliche Umsetzung ihres Vorhabens ist, steckt an, bis sich die Freude, genau wie die Frequenz der Studiobesuche, innerhalb weniger Wochen verringert und letztlich ganz abklingt.

Männer haben diesbezüglich vielleicht einen kleinen Vorteil: Sie machen ohnehin vieles mit sich selbst aus. Frauen wiederum, zumindest ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz von ihnen, sträubt sich dagegen, alleine trainieren zu gehen. Sie mögen lieber mit einer Freundin oder wenigstens einer Nachbarin Neuland betreten. Dabei ist es ungleich schwieriger, den Terminkalender zweier Erwachsener zu koordinieren. Und somit fällt manch edler Vorsatz ins Wasser, nur weil die Freundin nicht mitzieht.

Dabei liegt hier der (Schweine-) Hund begraben: Wer kommt, wer bleibt, braucht bald schon keine Vorsätze mehr. Das Ganze wird nämlich irgendwann zur Routine. Der Trick besteht darin, den Moment der Überwindung in eine Fülle von anderen relevanten Momenten – die Auto- oder Fahrradfahrt zum Studio, die Begrüßung liebenswerter Bekannter, das Plaudern am Tresen – zu verpacken, sodass es ihn – isoliert – gar nicht mehr gibt, es mich also keinerlei Überwindung mehr kostet.

All diese anderen Momente sind mir zur angenehmen Routine geworden. Mein Studio und ich, wir sind mittlerweile zwei alte Freunde.

Erstaunlicherweise sind mir in diesen 25 Jahren nicht so sehr die glitzernden Hightech-Fabriken ans Herz gewachsen, sondern eher die kleinen Buden. Es ist zwar beeindruckend, was mittlerweile alles machbar ist, wenn man eigentlich nur nicht weiter zunehmen möchte – es gibt unzählige Kurse, irrsinnig raffinierte Technologien –, aber für mich sind die Menschen, die um mich herum strampeln und schwitzen, das Entscheidende.

Egal, ob teuer oder hochpreisig: Jedes Fitnessstudio ist innen nach dem gleichen Schema aufgebaut. Und zwar weltweit.

Hinter dem Eingang steht irgendwo ein Tresen, ein Empfang, zumeist von einer Praktikantin besetzt, die mehr oder weniger freundlich hochschaut, wenn man sich vor sie stellt. Dahinter öffnet sich eine Halle mit Geräten, daneben meist ein zweiter, ein dritter Raum für diverse Kurse, in denen gerne gebrüllt wird. Manchmal gehört sogar noch ein Schwimmbecken dazu, meist eine Sauna.

Welches Studio das beste ist, bleibt letzten Endes wohl Geschmackssache.

Weil wir die Dinge aber gerne erforscht und analysiert sehen wollen, hat sich auch eine große Warentester-Stiftung einmal der Frage angenommen und sich dabei vor allem auf die sogenannten Discount-Anbieter konzentriert. Früher verband ich mit diesem Ausdruck eher Supermärkte, also Lebensmittel, aber mittlerweile wird er auch auf die Wackel-und-Wipp-Branche angewendet.

Nicht ganz überraschend für mich, schneiden alle Studios im Test schlecht ab, lediglich die Leute vom Kieser Training dürfen aufatmen.

Nicht ganz überraschend (für mich) insofern, dass die Tester bemängeln, bei den Discountern sei kaum persönliche Betreuung zu finden. Sie hätten geschulte Sportler in die Buden geschickt, die sich dort absichtlich blöd benommen und körperliche Beschwerden simuliert hätten. Kaum ein Trainer habe deren absichtliche Fehlhaltungen korrigiert oder auf die geschilderten Beschwerden reagiert. Und dabei benötigten vor allem Anfänger intensive Betreuer, und wer längere Zeit falsch trainiere, also vorgegebene Übungen falsch ausführe, schade seiner Gesundheit, bräbräbrä. Das ist ja alles richtig, aber es wirkt irgendwie auch ein wenig »von oben herab«, von Außenstehenden formuliert; zu theoretisch.

Um es mal überspitzt zu formulieren: Wer sich in einem dieser Billigheimer anmeldet, erwartet gar nichts anderes. »Skandalös« wäre ein solches Verhalten der Trainer in einem der höherpreisigen Studios. Billig ist billig, und deshalb springt dort auch keine Armada an Fachkräften herum, sondern meist ein Allrounder, der gleichzeitig für Empfang, Getränke, Putzwedel, Überwachung und Probetraining zuständig ist.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich unterstütze das nicht. Deshalb trainiere ich auch nicht in solchen Billigbuden. Aber es gibt sie, und es ist nicht ganz fair, sich aus finanziellen Gründen einen Trabbi statt einem Ferrari zu kaufen, um sich späterhin über die fehlende Spritzigkeit des Kleineren zu beklagen.

In diesem Zusammenhang stand auch die obligatorische Kritik daran, dass es keine Einmonatsverträge gibt. Es sei unverantwortlich, dass Neukunden (ein Wort, das ich immer noch nicht benutzen möchte, weil es irgendwie eher nach Kaufhaus klingt) ein Jahr ausharren müssten, bis sie ihren Vertrag wieder kündigen könnten. Für mich klingt dieses Gejammer nach Bewertungen von Menschen, die ohnehin in kein Studio gehen würden, Sport generell nicht mögen oder einen handfesten Vorwand suchen, um gar nicht erst trainieren zu müssen.

Ich wiederhole es lieber noch einmal: Inhaltlich ist die Kritik zutreffend, aber Gewichtung geben ihr nur Menschen, die keinen Bezug zu Bewegung haben.

Etwas Gutes zeigte sich im Test:Nahezu alle Studios befanden sich in großen und hellen Räumen. Und ebenfalls nicht völlig überraschend, präsentierten sich auch die Geräte in einwandfreiem Zustand. (Mal ehrlich, liebe Tester: Habt ihr wirklich erwartet, ein Fitnessstudio zu finden, in dem Kraftsportler sich an Plastiklamellen reiben, die jeden Augenblick auseinanderzubrechen drohen?)

Für mich stand übrigens immer ein anderes Kriterium an ers ter Stelle, das vermutlich etwas profan klingt. Mir war wichtig, dass die Bude nicht allzu weit von meiner Wohnung oder meiner Arbeitsstelle entfernt lag. Diese Bedingung zu stellen, hat sich meist als sehr sinnvoll erwiesen.

Ansonsten zählte für mich nur eines: die dort vorherrschende Mentalität.

Was das sein soll?

Es gibt Sportler, die auf einem Freihantelbereich bestehen, es gibt Sportlerinnen, die intensive Bauch-Po-Oberschenkel-Kurse bevorzugen, für andere wiederum gehört eine Sauna zur Grundvoraussetzung, um in ein Studio zu gehen – alles legitim, aber ich möchte: Unterhaltung.

Wenn Sie dieses Buch lesen und mit dem Gedanken spielen, sich in einem Fitnessstudio anzumelden, lege ich Ihnen diesen äußerst unsportlichen Rat ans Herz: Schauen Sie sich in einigen Studios um und fragen Sie sich, ob Sie sich wohlfühlen. Das ist mitunter wichtiger als eine eindrucksvolle Armada an Rennrädern. Der innere Schweinehund will ohnehin nicht strampeln.

Letztlich bleibt trotzdem nur der Körper. Muskeln, Sehnen, Fasern.

Und die Routine.

Aufwärmen, strecken, dehnen.

Für den aufgeklärten Kulturkritiker öffnen sich mit dem lapidaren Sprachgebrauch des Wortes Körper beachtliche Horizonte, denn in der Nachfolge des abendländischen Körper/Geist-Dualismus verfestigte sich die Vorstellung, dass der Geist gewissermaßen über dem Körper throne, um von dort aus Gesellschaft und Kultur zu dirigieren. Der Körper wiederum beherberge Formen der Naturbestimmtheit – in einer Ausprägung als Mann und Frau. Für unser Aufwärmprogramm führt es zu weit, tiefgründiger darüber nachzudenken, inwieweit unser Körper auch ein soziales Gebilde ist, in dem sich gesellschaftliche Vorgänge ausdrücken (später dann mehr dazu). Adorno und Horkheimer postulierten so etwas beispielsweise in der Dialektik der Aufklärung: »Der Körper ist nicht mehr zurückzuverwandeln in den Leib. Er bleibt die Leiche, auch wenn er noch so sehr ertüchtigt wird.«

Selbst der Grundriss eines heutigen Fitnessstudios erinnert in dieser Gestimmtheit an die Fließbandchoreografie einer frühkapitalistischen Produktionsstätte, die immer gleiche Routine im Training an Inszenierungen einer Disziplinargesellschaft im Sinne des französischen Philosophen Michel Foucault. Unter diesem Gesichtspunkt mögen einem die Regelmäßigkeit und der meist identische Ablauf geradezu verdächtig erscheinen. Kulturkritisch betrachtet, drängt sich der Gedanke auf, dass wir »Arbeitssklaven« auch in unserer Freizeit zwanghaft Arbeitsroutinen wiederholen, weil sich diese Muster in unsere Synapsen festgeschrieben haben.

Mit ein wenig Abstand – und etwas weniger philosophisch – betrachtet, denke ich: Na ja, es geht um Muskeln. Und die reagieren nun mal ausschließlich auf kontinuierliche Reize, nicht auf kreativ und sporadisch gesetzte Akzente.

Zudem besteht die größte Kunst darin, in der Wiederholung keine Gleichförmigkeit, in der Routine keine Langeweile aufkommen zu lassen. Die meisten Experten sind ohnehin der Ansicht, es sei eher nachteilig, immer die gleichen Übungen auszuführen. Angeb lich stumpfe der Körper ab, er gewöhne sich an das Programm. Ich weiß das – und trainiere trotzdem nicht mit wöchentlich wechselndem Plan. Im weiteren Verlauf des Buches werde ich auf die Spezialisten (die ich sehr schätze) und ihre Freude an Trainings- und Ernährungsplänen noch eingehen. Aber für mich hat die Routine rund ums Fitnesstraining etwas Beruhigendes. Ich fahre meist um dieselbe Uhrzeit zum Sport, parke meist in derselben Ecke, spreche fast immer mit einigen Vertrauten und ziehe mich dann langsam um. Manchmal kommt es mir vor, als sei ich eben erst hier angekommen.

Dann nehme ich meine Trinkflasche und setze mich auf ein Fahrrad.

Vielleicht ist diese Freude an der Routine auch einer der Gründe, warum ich den inneren Schweinehund nicht erst umständlich bekämpfen muss. Er mag diese Gleichförmigkeit anscheinend genauso wie ich.

Da ist dieses Gefühl der angenehmen Schwere nach dem Training, die eine Form des Einverständnisses nach sich zieht, die von Sorgen und Problemen befreit. Und ich weiß, dass ich mich besser fühle am nächsten Tag – womit ich vor allem meinen Rücken meine.

Was dieses Buch Ihnen also nicht bieten kann, ist eine Garantie dafür, »zehn Kilo in zwei Tagen« abzunehmen oder »fitter und gesünder« auszusehen. Diese Kirmesklopper finden Sie in jeder Zeitschrift, meist sogar schon vorne, auf dem Titelbild. Und wenn die angepriesenen Methoden funktionieren würden, müsste man die Beiträge vermutlich nicht unentwegt wiederholen.

Warum habe ich damals überhaupt mit dem Training angefangen?

Wahrscheinlich aus demselben Grund, der inzwischen zehn Millionen Deutsche und vergleichsweise viele Österreicher und Schweizer antreibt: Ich war unzufrieden.

Ich war nicht zu dick, sondern eher zu schmächtig. Bei durchschnittlicher Körpergröße. Und irgendwann hat mich der Spruch, das sei alles nicht so wichtig, nicht mehr überzeugt. Ich konnte mir noch so sehr vorbeten, es gäbe wichtigere Dinge im Leben – »Ja, du bist gesund« –, aber ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Bis ich zum ersten Mal eine Hantel in der Hand hielt.

Und heute? Ist mir mein äußeres Erscheinungsbild egal.

Im Grunde geht es mir gerade nicht um das sogenannte Optimieren, obwohl es ein willkommener Nebeneffekt ist. (Ich habe dennoch einen leichten Bauch, kümmere mich aber nicht darum.) Entscheidend ist, dass ich mich mit meinem Körper versöhnt habe. Und das ist wahrscheinlich die wichtigste Lektion, die jeder lernen wird, der durchhält: den eigenen Körper anzunehmen.

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»Das haben wir uns verdient!«

Wer geht überhaupt ins Fitnessstudio?

Til Schweiger ist in meinem Alter.

So viel zur (einzeiligen) Einordnung des Phänomens, das mich angetrieben hat, schwitzend die Republik zu durchstreifen. Denn Til trainiert. Und zwar völlig selbstverständlich. Was er auch gerne und oft zeigt. Til Schweiger aber ist in einem Alter, in dem die Generationen vor uns sich allmählich Gedanken über Testamente, den Altersruhesitz und die Kosten einer Erdbestattung gemacht haben – und weniger darüber, welches junge Fotomodel das hart erarbeitete Sixpack streicheln darf.

Es ist eine paradoxe Situation:

Einerseits verfetten die Deutschen (wie alle Menschen der westlichen Welt) zunehmend – andererseits waren noch nie so viele in einem Fitnessstudio angemeldet.

Einerseits bewegen wir uns im Alltag alle zu wenig – andererseits wollten noch nie so viele Vierzigjährige bei einem Triathlon starten.

Til Schweiger trainiert. Was also ist los in diesem Land?

Ich bin kein Leistungssportler, keine Angst, aber ich trainiere seit 25 Jahren. Ich bin kein Experte für die besten Trainingsprogramme oder die effektivsten »Skills«, aber ich halte den »inneren Schweinehund« seit 25 Jahren auf Abstand. Im Laufe dieses Vierteljahrhunderts habe ich so manches kommen und vor allem gehen sehen, von Anabolika bis Zumba. Ich war in den edelsten Klubs und in Ghetto-Buden. Und in heißen Ländern mit Klimaanlage (was nicht unbedingt zu empfehlen ist).

Im letzten Jahr bin ich sogar einmal quer durch die Republik gereist, durch Metropolen und bis in die Provinz, um ein wenig mehr über das Phänomen zu erfahren. Und Fragen zu stellen.

Ich fange, eher wahllos, in einer typischen mitteldeutschen Kleinstadt an, um erst einmal das »Normale« zu erleben. 30 000 Einwohner.

Hier treffe ich Matthes, Geschäftsführer einer Einzelhandelskette, alleinstehend, keine Kinder. Ein schlanker, kahl rasierter Mann, der mir dadurch auffällt, dass er verstohlen wie ein Grundschüler (in Anzug und Krawatte) vor dem Studio eine Zigarette raucht. Und dabei in seinem Portemonnaie wühlt, das irrsinnig dick ist. Wie ich später erfahre, sammelt Matthes seit Jahren kuriose Zeitungsmeldungen und trägt all diese Schnipsel zusammengepappt in seiner Börse.

Im weiteren Umfeld gibt es laut Matthes ein Studio für Frauen, eins, das »eher esoterisch angehaucht« ist, mit Yoga und Yin Yang, ein gehobenes in einem Hotel – allerdings »mehr Reha«, für Leute, die sich nicht so quälen wollen – und dann noch »eine Ranzbude«.

Interessanterweise ist keine Filiale einer Kette darunter, zumindest aktuell nicht mehr. Gerade auch im Fitnessbereich vollzieht sich in den letzten Jahren gemeinhin eine Umwälzung im wahrsten Sinn des Wortes, bei der finanzstarke Discountketten alles plattwalzen, was bei drei nicht auf den Bäumen ist. Allerdings existieren auch Kleinstudios, wie hier, in der Mitte des Landes, die sich mutig dagegen wehren.

Matthes hat noch etwas vergessen: »Ach ja, und ganz neu: Cross-Fit. Trainieren wie Tiere im Wald.« Dabei sitzen wir den ganzen Tag vor dem Computer … »Das ist im Industriegebiet«, nuschelt er mehr zu sich selbst, »sieht aus wie eine Fabrikhalle. Aber ich war schon zweimal da und finde nicht mal den Eingang. Da hängt irgendwo oben ein Schild drüber, aber keine Öffnungszeiten, nirgendwo ein Klingelschild. Keine Ahnung, ob sich das lange hält.«

»Warum hast du eigentlich überhaupt mit so was angefangen?«, formuliere ich ausweichend, denn mit der Bezeichnung beginnt es meistens schon: Die einen sagen Gym, andere Muckibude oder Fitnessstudio. Oder »Eisen biegen«. Manche nennen auch einfach nur den Namen des Ladens. Oder sagen schlicht: Sport.

»Zu Beginn mehr aus Alibi-Gründen«, erwidert Matthes und schaut an die Decke, »ich weiß gar nicht mehr genau, weshalb. Midlife-Crisis vielleicht. Jetzt kommt das Alter, wo du einrostest, dachte ich. Mit 45 Jahren.«

Rost ist vermutlich der Motivationsklassiker: Alle wollen schlank, sportlich – und jung sein (oder zumindest so aussehen).

Wer gut aussieht, heißt es, habe mehr Chancen im Leben. Zumindest wird diese Gleichung seit den 1970er-Jahren immer wieder neu bestätigt. Allerdings hat es dabei eine interessante Verschiebung gegeben. In den 1970er-Jahren erwartete sich eine deutliche Mehrheit durch besseres Aussehen nämlich noch bessereChancen im Privatleben – seit Beginn des neuen Jahrtausends aber misst die Mehrheit gutem Aussehen für den Beruf eine größere Bedeutung zu.

Sport als Mittel, sein Leben scheinbar selbst bestimmen zu können? Wir haben uns im Griff, theoretisch zumindest, und damit auch das Leben.

»Glaubst du, dass schlanke Menschen glücklicher sind?«, hake ich bei Matthes nach. »Und schlanke Menschen Karriere machen?«

Matthes verzieht den Mund zu einer skeptischen Welle. »Puh …«

Ich habe eine stattliche Liste an Eigenschaften zusammengetragen, die quer durch alle Bevölkerungsschichten und Generationen mit körperlicher Attraktivität verbunden werden: glücklich, begehrt, erfolgreich und charmant zu sein. (Die Nennung »Charme« habe ich dabei nie richtig verstanden.)

Voller Energie und Durchsetzungskraft, selbstbestimmt leben zu können (Wir summen alle mit: »Ich will so bleiben, wie ich bin«). Aber das alles erreichen wir nicht einfach dadurch, dass wir nur so rumstehen. Es muss erarbeitet werden. Hart erarbeitet.

Mittlerweile scheint die Sonne durch die geöffnete Tür, beinahe wie gepresst, auf den Tresen konzentriert, der durch die Beleuchtung noch mehr wie eine Kommandozentrale wirkt. Irgendetwas funktioniert dort heute nicht mit der Technik. Die Mitgliedsausweise lassen sich nicht elektronisch lesen.

»Obwohl …«, setzt Matthes noch einmal an, »der Hauptgrund, weshalb ich hier angefangen habe, ist der, dass man keine sozialen Kontakte pflegen muss. Ich arbeite im Einzelhandel, da muss ich zehn Stunden täglich labern. Wenn ich dann anschließend noch in einem Sportverein quatschen müsste, würde ich Amok laufen. Außerdem muss man in einem Verein feste Zeiten und Termine einhalten.«

In dieser typischen Kleinststadt wie auch überall sonst in Deutschland, so weit kann ich vorgreifen, sehe ich Jung und Alt beinahe paritätisch vertreten. Drei Generationen vereint, zumindest in den größeren Studios. In den Billigketten überwiegt eher eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen, denen die dortige Anonymität, sprich die Abwesenheit von Personal gefällt. Überall finde ich Menschen unterschiedlichster Nationalitäten vor, eine Vielfalt wie in kaum einer anderen deutschen Institution, und auch darunter wieder unterschiedliche Altersklassen und Schichten – und es funktioniert.

Vor den Steppern, Laufbändern und Fahrrädern sind, jeweils etwas oberhalb der Augenhöhe, Flachbildschirme montiert, und meistens laufen dort TV-Soaps, in denen junge, hübsche Menschen durch ein mutmaßlich kompliziertes Leben schwimmen wie Zierfische in einem Aquarium.

»Zuerst war ich in der Ranzbude«, sagt Matthes, »ein, zwei Mal die Woche, aber ich bin da nicht angekommen. Ein Studio für Türsteher, richtige Bodybuilder, die Duschen nicht so sauber, viele Freihanteln. Fast ausschließlich Männer da; die vier, fünf Frauen waren allesamt Freundinnen der Türsteher. Das alte Klischee. Eingeschworene Klientel.«

Interessanterweise hält sich diese Vorstellung eines »typischen« Studios hartnäckig, dabei wird es zunehmend schwieriger, ein solches Etablissement überhaupt noch zu finden. Wenn es in einer Reportage darum geht, die alten Haudegen aus dem Milieu zu porträtieren, bleibt es beim klassischen Motiv von Boxsack, Hantelbank, Tätowierungen, doch mit dem allgemeinen Trend in der Gesellschaft hat es nicht mehr viel zu tun. Es ist Nostalgie, Fitness-Folklore, wenn man so will.

»Ohne Plan war das alles am Anfang«, erzählt Matthes. »Mal bin ich hingegangen, dann wieder nicht, dann eine Weile häufiger, danach ein halbes Jahr lang gar nicht mehr. Damals gab es im Einzelhandel noch geregelte Öffnungszeiten, das heißt, freitags war mein freier Tag und samstags hatte ich ab dreizehn Uhr frei: Ab ins Studio!, sag ich nur. Und sonntags! Nach dem Training bin ich noch in die Sauna gefahren. Fünf Jahre später öffnete einige Straßen weiter ein neues Studio, da gingen dann eher normale Leute hin und ich habe richtig angefangen. Seitdem trainiere ich viermal die Woche – und zwar hart.«

»Was heißt das: hart?«, frage ich und muss seltsamerweise an den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama denken, der sich bei Auslandsbesuchen, etwa in Berlin, wie selbstverständlich beim Fitnesstraining fotografieren ließ.

»Bis zur Erschöpfung. So etwa eine Stunde lang. Ich informier mich im Internet, seh mir Videos an und schaue mir bei einigen Leuten im Studio, die auch hart trainieren, was ab. Aber es muss Spaß machen.«

Muskelgruppe für Muskelgruppe, sagt er. Ein Bauchmuskelbesessener, mit Mitte fünfzig. Die Arbeitskollegen machten sich zwischenzeitlich Sorgen, weil er in ihren Augen immer nur dünner und dünner wurde – aber er wollte das Fett loswerden. Bis er einen Punkt erreicht hatte, an dem er kapitulieren musste.

»Der Bauch verschwindet in meinem Alter nicht mehr vollständig. Außerdem hätte ich dafür auch meine Ernährung umstellen müssen.«

»Interessant«, unterbreche ich ihn. »Du hast das Training professionalisiert – aber deinen Ernährungsstil komplett beibehalten?«

»Ich weiß. Jeder, der intensiv trainiert, sagt: Dreißig Prozent Training, siebzig Prozent Ernährung. Das ist mir aber zu kompliziert mit meinem Job. Zu Beginn habe ich nicht mal Eiweiß-Shakes getrunken. Ich mache es auch jetzt nur unregelmäßig, und wenn, dann bloß aus Spaß. Ich kriege auch Magenprobleme davon.«

»Trainierst du Beine?« (Ein heikler Punkt bei Männern. Wir werden noch darauf zurückkommen müssen.)

»Nee, gar nicht«, antwortet er und grinst verlegen. »Ich weiß, Beine: ganz wichtig. Aber ich hab keine Lust, auch wenn ich es selbst schon bei mir sehe: breiter Oberkörper und dann so schmale Beinchen. Wenn ich einen Bürojob hätte, würde ich es machen. Aber ich bin zehn Stunden am Tag auf den Beinen, ich will da nichts machen. Wenn du die Beine wirklich trainierst, kannst du am Tag danach nicht laufen. Das kann ich mir nicht erlauben.«

Fast jeder achte Deutsche geht mittlerweile ins Fitnessstudio. Einer von zehn Schweizern besitzt ein Abonnement. Nur Österreich hinkt ein wenig hinterher. »Trainingsrückstand«, heißt es diesbezüglich in der Wirtschaftspresse, wobei auch dort die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder gestiegen ist. (Bemerkenswert ist vielleicht der Umstand, dass sich die Hälfte aller Studios allein in Wien und Niederösterreich befindet.)

Der Fitnessbereich boomt also unaufhaltsam. Erstmals zählen hiesige Studios mehr als zehn Millionen Mitglieder. Weltweit setzt die Branche 81 Milliarden US-Dollar um, in Deutschland 4,7 Milliarden Euro.

In den über 8000 Fitnessbetrieben in Deutschland arbeiten weit über 200 000 Menschen. Der durchschnittliche Besucher eines Fitnessstudios ist dabei weiblich und 41,9 Jahre alt, was erst einmal überrascht, denn das Klientelklischee bleibt, wie gesagt, unverändert: tätowierter Zuhälter, Ende zwanzig, vor Männlichkeit strotzend. Auch bei den von vielen Studiobesitzern anvisierten »Zielgruppen« handelt es sich, wie ich später erfahre, vor allem um Frauen – und Senioren: Diese sind eher bereit, einen höheren Mitgliedsbeitrag zu zahlen, wenn sie dafür umworben werden.

Nach weiteren Statistiken, die ich auftun konnte, trainiert jeder zehnte Deutsche weniger als einmal in der Woche, und »rund« vierzehn Prozent (da blieben mir die Feinheiten vorenthalten) sind nur maximal einmal in der Woche körperlich aktiv. Wahrscheinlich ist es angebracht, diese Klientel gleich zu der großen Gruppe zu addieren, in der jeder Zweite über vierzehn Jahren überhaupt keinen Sport betreibt. Fast ausgewogen dabei: Männer und Frauen. Nur in der Gruppe der kompletten Sportverweigerer sind die Männer um einige Prozentpunkte stärker als die Frauen vertreten.

Zurück zu Matthes. Interessant ist, er spielt jede Woche Lotto, aber sein Traum nach einem Millionengewinn wäre nicht, beispielsweise in die Südsee auszuwandern (»viel zu langweilig«), sondern ein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen. Er hat sich das schon ausgerechnet. »Eine Million für Notfälle, und eine Million in ein schönes Studio investieren. Wenn es nicht klappt, hab ich immer noch die andere Million.« Auf seiner Festplatte findet sich ein ganzer Ordner mit Verlinkungen zu Spezialisten für den Studiobau, Umkleidekabinen, Getränkeautomaten und die Inneneinrichtung. Außerdem würde er gleich mehrere Trainer einstellen, die er permanent zu Fortbildungen schicken würde. »Es fehlt nur noch das Geld.«

Da er vielleicht noch eine Weile auf die Erfüllung seines Traums warten muss, hat er sich zwischenzeitlich eine sogenannte Hex-Bar gekauft, eine Hantelstange von ungefähr einem Meter Breite, mit einem Sechseck in der Mitte, in das man sich hineinstellt, um beispielsweise das Kreuzheben zu verbessern. Dieses Gerät hat er ins Studio geschleppt und darf es »mit offizieller Genehmigung« in einem speziellen Schrank verstauen und für sein individuelles Training nutzen.

Die wenigen Menschen, mit denen er hier spricht, sind annähernd in seinem Alter. Darunter ist auch »Heinz«, 67 Jahre alt, Rentner und muskelbepackt. Heinz ist jeden Tag im Studio anzutreffen, allerdings meist morgens, Rentner eben. Genau wie Matthes hat auch Heinz erst mit Ende vierzig begonnen. »Den sehe ich aber nur an meinem freien Tag«, erklärt Matthes, »sonntags oder wenn ich Urlaub habe.« Heinz sei ihm deshalb angenehm, weil der auch nicht viel reden wolle. Fürs Reden müsse man schließlich keinen Mitgliedsbeitrag bezahlen. Morgens findet man überall ein anderes Publikum. Quer durch Deutschland vor allem die Rentner, in Großstädten aber auch motivierte Jungspunde, die um sechs Uhr, noch vor der Arbeit, ihren Körper »auf Touren bringen« wollen. Ich habe auch Gastronomen und Türsteher gesehen, nach ihrer Schicht. In diesen Berufsgruppen ist man frühmorgens eher aufgekratzt, eher unwillig zu schlafen.

Hier, in der Mitte Deutschlands, stehen Heinz und seine Kumpels etwas entfernt von uns vor einem Laufband, das offensichtlich nicht funktioniert.

»Da ist nur ein Riemen verdreht«, sagt Heinz.