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F. Scott Fitzgerald

Junger Mann
aus reichem Haus

Drei Erzählungen

Mit einem Vorwort von

John Updike

Aus dem Amerikanischen von

Bettina Abardanell und

Walter Schürenberg

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Auswahl von John Updike

erschien erstmals 2003 bei Hesperus Press Ltd., London,

unter dem Titel ›F. Scott Fitzgerald,

The Rich Boy. Foreword by John Updike‹

Vorwort: Copyright © by John Updike, 2003

Nachweis der einzelnen Geschichten am Schluss des Bandes

Die Übersetzung der Hemingway-Zitate

im Vorwort ist von Annemarie Horschitz-Horst

Die Übersetzung von

›Junger Mann aus reichem Haus‹ und ›Die Hochzeitsparty‹

wurde für diese Ausgabe überarbeitet;

›Die letzte Schöne des Südens‹ wurde bereits für den

2006 bei Diogenes erschienenen Erzählband

Drei Stunden zwischen zwei Flügen neu übersetzt

Umschlagillustration von George Barbier

 

 

 

 

Alle deutschen vorbehalten

Copyright © 2013

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23661 3 (1. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60269 2

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Inhalt

Vorwort  [7]

Deutsch von Bettina Abarbanell

Junger Mann aus reichem Haus  [15]

The Rich Boy, deutsch von Walter Schürenberg

Die Hochzeitsparty  [92]

The Bridal Party, deutsch von Walter Schürenberg

Die letzte Schöne des Südens  [130]

The Last of the Belles, deutsch von Bettina Abarbanell

Nachweis  [165]

[7] Vorwort

Junger Mann aus reichem Haus, eine von Fitzgeralds anspruchsvolleren und tief empfundenen Kurzgeschichten, enthält einen Satz, der zu einem Zwist zwischen dem Autor und seinem formidablen Freund und Rivalen Ernest Hemingway führte. Im August 1936, kurz nachdem Fitzgerald sich in gedruckter Form zur Ebbe seiner Finanzen wie seiner geistigen Verfassung bekannt hatte, veröffentlichte Esquire eine Hemingway-Geschichte, Schnee auf dem Kilimandscharo, in der folgende Passage aus dem autobiografischen Gedankenstrom des Helden vorkommt:

Die Reichen waren fade und tranken zuviel, oder sie spielten zuviel Tricktrack. Sie waren fade, und alle einer wie der andere. Er erinnerte sich an den armen Scott Fitzgerald und seine romantische Ehrfurcht vor ihnen, und wie er einmal eine Geschichte begonnen hatte, die so anfing: »Die Steinreichen sind anders als du und ich.« Und wie [8] jemand zu Scott gesagt hatte: »Jawohl, sie haben mehr Geld.« Aber das fand Scott gar nicht komisch. Er hielt sie für eine besonders glorreiche Menschenart, und als ihm aufging, dass es gar nicht so war, warf ihn das genauso um wie jede andere Sache, die ihn umwarf.

Fitzgerald, der damals in Asheville, North Carolina, lebte, antwortete schnell, mit einem ebenso freundlichen wie unverblümten Brief:

Lieber Ernest,

bitte halte mich aus Deinen Schriften heraus. Wenn ich gelegentlich de profundis zu schreiben beschließe, bedeutet das nicht, dass ich Freunde laut über meinem Leichnam beten hören möchte. Bestimmt war es nett von dir gemeint, aber es hat mir eine schlaflose Nacht bereitet. Und falls Du sie [die Geschichte] in ein Buch aufnimmst, könntest Du bitte meinen Namen streichen?

Als die Geschichte in einer Hemingway-Anthologie erschien, war Fitzgerald in Julian umbenannt worden. Dies geschah auf Betreiben Maxwell Perkins’, des Lektors beider Männer bei Scribners, wie Matthew Bruccoli in seinem Buch F. Scott Fitzgerald: A Life in Letters in einer langen [9] Fußnote berichtet. Bruccoli behauptet, das Objekt der Herabsetzung sei nicht Fitzgerald, sondern Hemingway selbst gewesen, der bei einem Mittagessen mit Perkins und der Kritikerin Mary Colum geprahlt habe: »Ich lerne bald die Reichen kennen«, worauf Mary Colum gesagt habe: »Der einzige Unterschied zwischen den Reichen und anderen Menschen besteht darin, dass die Reichen mehr Geld haben.«

So oder so ist es keine sonderlich schlimme Herabsetzung, und Hemingways eigennützige Wiedergabe lässt den nächsten Satz in Junger Mann aus reichem Haus, der den Unterschied zu erklären beginnt, außer Acht:

Sie besitzen und genießen früh, und das verändert sie, macht sie weich, wo wir hart sind, zynisch, wo wir zuversichtlich sind, und das auf eine Art, die man nur schwer begreift, wenn man nicht selbst im Reichtum geboren ist.

Fitzgerald wollte unbedingt versuchen zu verstehen. Wer heute der Literatur wegen nach St. Paul pilgert, kann noch die bescheidenen Häuser sehen, die seine sich abmühenden, verarmt-adligen Eltern in der Nähe (und nur selten an) der Summit Avenue, der Straße der Reichen des Orts, mieteten. Sein Vater, [10] ein zarter Mann, dem er äußerlich ähnelte, stammte aus einer aristokratischen Familie Marylands, zu der auch Francis Scott Key gehörte, der Autor von The Star-Spangled Banner, doch Edward Fitzgerald mangelte es an Schwung und Vitalität, um ein erfolgreicher Geschäftsmann zu werden. Scotts Mutter Molly, geborene McQuillan, brachte einen strengen irischen Katholizismus und ein bisschen von ihrem Vater, einem eingewanderten Lebensmittelhändler, geerbtes Geld mit in die Ehe, gerade genug, um sich an den Rändern der Respektabilität festklammern und ihren Sohn auf eine Privatschule und nach Princeton schicken zu können. In Princeton verkehrte Fitzgerald mit den Söhnen der Reichen, und seine Kurzgeschichten für The Saturday Evening Post machten ihn eine Zeitlang wohlhabend, doch ihm und seiner ruhelosen Frau Zelda fehlte das Talent, ihr Geld zu vermehren; 1924 schrieb er für die Post einen launigen Essay mit dem Titel Wie man von 36 000 Dollar im Jahr leben kann – das war damals ein Vermögen. Finanzielle Sicherheit blieb für ihn genauso unerreichbar wie seine glamourösen Heldinnen es für seine Helden waren. Jay Gatsby weiß nicht – aber der Leser sieht es –, dass Daisy der schwärmerischen Ergebenheit und dem protzigen, zwielichtigen Anschein von Reichtum, den ihr alter Verehrer sich gibt, stets den [11] zuverlässigen Schutz ihres ungehobelten Ehemanns, der wirklich reich ist, vorziehen wird.

Der andere berühmte Aphorismus aus Junger Mann aus reichem Haus lautet:

Nimm dir nur eine einzelne Person vor – und ehe du dich’s versiehst, hast du einen Typus erschaffen; beginne mit einem Typus, und du wirst sehen, was du erschaffen hast, ist – nichts.

Doch obwohl Fitzgerald Anson Hunter dicht an das Vorbild seines trinkfesten Freundes Ludlow Fowler aus Princetoner Tagen angelehnt hat – »Es ist in starkem Maße die Geschichte Deines Lebens«, schrieb er Fowler 1925 offenherzig, »hier und dort abgemildert und vereinfacht« –, hat der reiche Junge doch auch etwas von der Glätte und Unbestimmtheit eines Typus. Durch das Trinken immer dicker geworden, entwickelt er sich nach dem Scheitern seiner zwei wichtigsten Liebesbeziehungen zu einem Frauenhelden, der zwanghaft jener Schmeichelei hinterherjagt, die sein Gefühl einer ihm angeborenen Überlegenheit dringend braucht. Eben dieses Gefühl führt wohl auch dazu, dass er weder fähig ist, Paula Legendre einen Heiratsantrag zu machen – und stattdessen lieber den Mythos der verlorenen Liebe nährt –, noch seine Romanze mit der [12] sportlichen, nicht ganz so stark idealisierten Dolly Karger zu vollziehen. In seiner privilegierten Eitelkeit hat Anson etwas Keimfreies und tötet damit die harmlose Affäre zwischen seiner Tante Edna und einem jungen Mann ab, der ihm selbst sehr ähnlich ist, nur dass er nicht über die Schlagkraft seines Geldes verfügt.

Fitzgerald beobachtete ganz genau, wie Geld funktioniert. Anson, zunächst ein dynamischer, jovialer und gerissener Mitarbeiter eines Brokerhauses, nimmt rührenderweise den »unscharfen Pessimismus eines Mannes von vierzig Jahren« an und wird von seiner Firma gezwungen, Urlaub zu machen, weil er »bei jeder geschäftlichen Transaktion, an der er beteiligt war, wie ein Hemmschuh wirkte«. Die Hochzeitsparty porträtiert in der Person Hamilton Rutherfords einen schwungvolleren und erfolgreicheren Typus, der, kaum dass er bei einem Börseneinbruch bankrottgeht, einen Fünfzigtausend-Dollar-Job angeboten bekommt: »Er hat’s eben in sich – dieser Junge… Schon in einem Jahr wird er wieder zu den Millionären gehören.« Außerdem bekommt er das Mädchen. Für Fitzgerald signalisiert Geld pralle Lebenskraft; sexueller Erfolg ist Teil dieser Romantik. Ihm selbst allerdings schien letzterer nicht dazu angetan, gefeiert zu werden; das hatte für ihn etwas Ordinäres an sich.

[13] Seine typischen Helden beklagen den Verlust ihrer wahren Liebe, der sie oft in der berauschenden Magnolien- und Mondscheinatmosphäre des Südens begegnen, wie sie Die letzte Schöne des Südens heraufbeschwört. In seinem eigenen Leben bekam Fitzgerald das Mädchen – die aufsehenerregende, bildschöne Zelda aus Montgomery, Alabama –, und für eine Weile waren sie das Paar des Jazz Age schlechthin. Dann aber wurde sie zu einer psychisch labilen Last, und die Schwierigkeiten und Enttäuschungen, die einem blühen, wenn man nach Gutdünken über das Objekt seiner Liebe verfügen kann, trotzten selbst Fitzgeralds zuverlässigen und filigranen Beschreibungskünsten. Zärtlich ist die Nacht versucht seine heikle Lage zu umfassen und kann doch, bei allem Bemühen um Vollendung, kein wirklich gelungener Roman genannt werden; der Stoff wird nicht bewältigt, im Gegensatz zum Großen Gatsby, wo diese Aufgabe durch die Figur des beobachtenden Erzählers so wunderbar gelöst ist. Junger Mann aus reichem Haus war eines der wenigen Werke, die in den hektischen anderthalb Jahren zwischen April 1925 und Dezember 1926 entstanden, als Scott und Zelda, nach der Fertigstellung des Gatsby, in Frankreich lebten. Wir spüren darin bei aller ernsthaften, nachdenklichen Sorgfalt, dass es Fitzgerald, dem die Sätze einst so sagenhaft leicht aus der Feder [14] geflossen waren, zunehmend schwerfiel zu schreiben – sein feines Gespür für die romantische Trägheit und Illusion mit seinem hellsichtigen, vorurteilslosen Realismus in Einklang zu bringen.

John Updike, 2003

[15] Junger Mann aus reichem Haus

I

Beginne mit einer einzelnen Person – und ehe du dich’s versiehst, hast du einen Typus erschaffen; beginne mit einem Typus, und du wirst sehen, was du erschaffen hast, ist – nichts. Das kommt daher, dass wir alle sonderbare Käuze sind und dass sich hinter unseren Mienen und Reden viel mehr verbirgt, als wir eingestehen möchten, sogar mehr, als wir selber ahnen. Wenn ich höre, dass jemand sich als einen »normalen, offenen und ehrlichen Kerl« bezeichnet, bin ich ziemlich sicher, dass er an irgendeiner eindeutigen, vielleicht schrecklichen Störung leidet, die er verheimlichen möchte, und seine Behauptung, ganz normal, offen und ehrlich zu sein, ist nur seine Art, sich das einzureden.

Es gibt keine Typen, nur Individuen. Da gibt es einen reichen jungen Mann, und von ihm handelt diese Geschichte, nicht von seinesgleichen. Unter Menschen seines Schlages habe ich jahrelang gelebt, aber dieser ist mein Freund gewesen. Wenn ich übrigens von seinesgleichen erzählen wollte, müsste [16] ich erst einmal gegen all die Lügen zu Felde ziehen, die die Armen über die Reichen und die Reichen über sich selbst verbreiten – und das ist ein solches Lügengewebe, dass wir uns, wann immer wir an ein Buch über die Reichen geraten, instinktiv auf etwas ganz Unwirkliches gefasst machen. Selbst kluge Erzähler, die mit Leidenschaft das Leben schildern, haben aus der Welt der reichen Leute etwas gemacht, was es gar nicht gibt: ein Märchenland.

Lassen Sie mich von den wahrhaft reichen Leuten erzählen. Das sind keine Menschen wie Sie oder ich. Sie besitzen und genießen früh, und das verändert sie, macht sie weich, wo wir hart sind, zynisch, wo wir zuversichtlich sind, und das auf eine Art, die man nur schwer begreift, wenn man nicht selbst im Reichtum geboren ist. Sie halten sich aus tiefster Überzeugung für etwas Besseres als wir, weil wir erst einmal für uns selbst entdecken mussten, wie man sich im Leben einrichten und schadlos halten kann. Sie mögen noch so tief in unsere Welt einsteigen oder gar unter uns hinabsinken, so glauben sie dennoch, etwas Besseres zu sein als wir. Sie sind eben anders. Ich kann den jungen Anson Hunter nur auf eine einzige Art beschreiben: indem ich ihn wie einen Fremden betrachte und stur an diesem Blickpunkt festhalte. Wenn ich mich auch nur eine Sekunde lang in ihn versetze, bin ich verloren und hätte weiter nichts zu bieten als billiges Kino.

[17] II

Anson war das älteste von sechs Kindern, die sich später ein Vermögen von fünfzehn Millionen Dollar zu teilen haben würden, und erreichte das Alter der Vernunft von, sagen wir, sieben Jahren zu Anfang dieses Jahrhunderts, als verwegene junge Damen schon mit »Elektromobilen« über die Fifth Avenue fuhren. In jenen Tagen hatten er und sein Bruder ein englisches Kinderfräulein, das so klar und deutlich sprach, dass die beiden Jungen sich ebenso zu sprechen angewöhnten wie sie – ihre Wörter und Sätze kamen klar und deutlich heraus, nicht so breiig wie bei uns. Sie sprachen nicht gerade wie kleine Engländer, aber sie eigneten sich einen Akzent an, der für vornehme Leute in New York City typisch ist.

Im Sommer brachte man die sechs Kinder aus dem Haus in der 71st Street auf einen großen Landsitz im nördlichen Connecticut. Der Ort war nicht sehr mondän – Ansons Vater wollte die Kinder so lange wie möglich von dieser Seite des Lebens fernhalten. Dieser Mann war seiner Klasse, aus der sich die bessere New Yorker Gesellschaft zusammensetzte, ein wenig überlegen und auch seiner Zeit voraus, jener Goldenen Ära mit ihrem Snobismus und ihrer vulgären Äußerlichkeit. Er wollte seinen [18] Söhnen ein zielstrebiges Wesen und feste Grundsätze vermitteln und rechtschaffene und erfolgreiche Männer aus ihnen machen. Bis die beiden Ältesten auf die Schule kamen, hatten er und seine Frau immer ein Auge auf sie, soweit sie dazu in der Lage waren; aber in einem großen Haushalt ist das schwierig – wie viel einfacher war das doch in einem jener kleinen oder mittelgroßen Häuser, wo ich meine Jugend verbrachte und nie außer Reichweite der mütterlichen Stimme, ihres Lobs und ihres Tadels, war. Immer spürte ich ihre Gegenwart.

Anson empfand seine Überlegenheit zum ersten Mal angesichts jener typisch amerikanischen, halb missgünstigen Ehrerbietung, die man ihm in dem Dorf in Connecticut zollte. Die Eltern der Jungen, mit denen er spielte, erkundigten sich stets nach seinen Eltern und waren ziemlich aufgeregt, wenn ihre Kinder zu den Hunters eingeladen wurden. Anson nahm das als naturgegeben hin, und er hegte zeitlebens eine Art Ungeduld allen Gruppen gegenüber, bei denen er nicht – durch Vermögen, Rang oder Stellung – im Mittelpunkt stand. Er verschmähte es, mit anderen Jungen um den Vorrang zu kämpfen; er erwartete, dass man ihm den freiwillig einräumte, und wenn nicht, zog er sich in seine Familie zurück. Seine Familie genügte ihm, denn im Osten gewährt Geld immer noch so etwas wie feudale [19] Macht und bildet Clans, während es bei den Emporkömmlingen im Westen die Familien eher in verschiedene Interessengruppen aufspaltet.

Als Anson mit achtzehn nach New Haven ging, war er groß und stämmig, hatte einen reinen Teint und eine gesunde Gesichtsfarbe noch von seinem geordneten Schulleben her. Sein Haar war strohblond und von komischer Widerborstigkeit, seine Nase ragte spitz vor – zwei Gründe, weshalb man ihn nicht hübsch nennen konnte, aber er hatte einen selbstsicheren Charme und etwas Stolzes in seinem ganzen Auftreten. Wer ihm von den oberen Zehntausend auf der Straße begegnete, merkte instinktiv, dass dies ein junger Mann aus reichem Hause war, der eine der besten Schulen besucht hatte. Dennoch verhinderte gerade seine Überlegenheit, dass er auf dem College beliebt war. Man hielt seine souveräne Art für egozentrisch, und seine Abneigung, sich mit der nötigen Ehrfurcht den Traditionen von Yale zu widmen, ließ die ehrfürchtigen Studenten als minderwertig erscheinen. So wurde, schon lange vor dem Examen, New York sein eigentliches Lebenszentrum.

New York war seine Heimat. Dort war sein Haus mit den »Dienstboten, wie man sie heute überhaupt nicht mehr bekommt«, und seine Familie, in der er durch seine immer gute Laune und eine [20] gewisse Leichtigkeit, mit den Dingen fertigzuwerden, alsbald zum Mittelpunkt wurde; dort fanden die Debütantenbälle statt, und dort gab es die gepflegte Männergesellschaft der Clubs und gelegentliche Exzesse mit Revuegirls, auf die man in New Haven allenfalls vom fünften Rang einen Blick erhaschen konnte. Seine Ambitionen hielten sich ganz im Rahmen des Üblichen – und dazu gehörte auch das unbescholtene weibliche Wesen, das er eines Tages heiraten würde; aber sie unterschieden sich von den Ambitionen der meisten jungen Männer durch das Fehlen jener gewissen Vernebelung, die man je nachdem als »Idealismus« oder »Illusionen« zu bezeichnen pflegt. Anson ging ganz auf in der Welt der Hochfinanz und der äußersten Extravaganzen, mit ihren Ehescheidungen und Ausschweifungen, ihrem Snobismus und ihren Privilegien. Das Leben der meisten von uns endet mit einem Kompromiss – seins begann mit einem Kompromiss.

Wir trafen uns zum ersten Mal im Spätsommer 1917, als er gerade Yale absolviert hatte und, wie wir alle, in die systematische Massenhysterie des Krieges geriet. Er tauchte in seiner blaugrauen Marineflieger-Uniform in Pensacola auf, wo in den Hotels die Orchester I’m Sorry, Dear spielten und wir jungen Offiziere mit den Mädchen tanzten. Jeder mochte ihn gern, und obwohl er ordentlich [21] becherte und kein besonders guter Pilot war, behandelten ihn sogar die Ausbildungsoffiziere mit einem gewissen Respekt. Er führte immer lange Gespräche mit ihnen, stets in seinem bestimmten und selbstbewussten Ton, und diese Gespräche pflegten damit zu enden, dass er sich oder, noch öfter, einen anderen Offizier geschickt vor irgendwelchen Unannehmlichkeiten bewahrte. Er war gesellig, zotig und hartnäckig hinter seinem Vergnügen her, so dass wir alle überrascht waren, als er sich in ein zurückhaltendes und recht anständiges Mädchen verliebte.

Sie hieß Paula Legendre und war eine dunkelhaarige, ernste Schönheit irgendwo aus Kalifornien. Ihre Familie wohnte im Winter unmittelbar vor der Stadt, und Paula war trotz ihrer Steifheit enorm beliebt. Es gibt eine Kategorie von Männern, deren Selbstherrlichkeit keinen Humor bei einer Frau verträgt. Anson aber gehörte nicht zu ihnen, und daher begriff ich nicht, wie ihre – man muss schon sagen – »Geradheit« auf sein scharfes und etwas bissiges Wesen anziehend wirken konnte.

Wie dem auch sei – sie verliebten sich ineinander, wobei sie tonangebend war. Er erschien nicht mehr zum Aperitif in der De-Soto-Bar, und wann immer man sie zusammen sah, waren sie in ein langes, ernsthaftes Zwiegespräch vertieft, das sich [22]