Udo Herrmann

VON NICHTS
KOMMT NIEMAND

Mit talentiertem Nachwuchs
die Zukunft im Handwerk meistern

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtliche Differenzierung in den Formulierungen verzichtet. Wir bitten, sämtliche Bezeichnungen (z. B. Handwerker, Unternehmer etc.) im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter zu interpretieren und anzuwenden.

1. Auflage 2016

© 2016 by Holzmann Medien GmbH & Co. KG, 86825 Bad Wörishofen

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Bildquelle/​Umschlag: © auremar@fotolia.com
Lektorat: Achim Sacher, Holzmann Medien | Buchverlag
Herstellung/​Satz: Markus Kratofil, Holzmann Medien | Buchverlag
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

Artikel-Nr. 1550.01

ISBN ePub: 978 - 3 - 7783 - 1039 - 7

Geleitwort

Mehr als je zuvor bietet eine Berufsausbildung eine hervorragende Grundlage für die Karriere. Im Handwerk sind die Möglichkeiten besonders vielfältig, die Bandbreite reicht vom kreativen Kunsthandwerk bis zur handwerklichen Fertigung und Installation mit neuesten digitalen Technologien. Und während die Industrie die Umsetzung der „Produktion-4.0“ als Zukunftsvision entwirft, sind viele mittelständische Handwerksbetriebe schon längst darin angekommen. Das Handwerk kann neue Anforderungen in der Fertigung, in der Installation und in der Arbeitsorganisation oft innovativer und flexibler umsetzen als schwerfällige Großkonzerne.

Um dies leisten zu können, brauchen moderne Handwerksbetriebe gut qualifizierte und hoch motivierte Fachkräfte, und das beginnt mit den Auszubildenden. Hier sieht sich das Handwerk nicht nur in Konkurrenz zu Ausbildungsangeboten in Industrie, Handel und Dienstleistungen. Weil immer mehr Jugendliche die Schule mit dem Abitur abschließen, steht das Handwerk zusätzlich im Wettbewerb mit den Hochschulen. Hier gilt es, den leistungsstarken Schulabsolventen die guten Karriereperspektiven nach einer beruflichen Ausbildung deutlich zu machen. Es lohnt sich aber auch, bisher verborgene Talente zu entdecken. Aus meiner Arbeit für zwei Stipendienprogramme für berufliche Talente kenne ich inzwischen Hunderte Beispiele, wie aus oft mäßigen Schülern tolle Azubis wurden und später besonders engagierte und kompetente Fachkräfte.

Zu den Gradmessern für einen attraktiven Beruf zählen bei den meisten die Verdienstmöglichkeiten, aber für viele genauso die berufliche Sicherheit. Hier braucht sich das Handwerk nicht zu verstecken. Während sich viele Jungakademiker nach dem Studienabschluss jahrelang in schlecht bezahlten und befristeten Jobs über Wasser halten müssen, sind Fachkräfte mit Handwerksausbildung gefragt und verdienen oft mehr als Studienabsolventen.

Geld ist aber nicht alles. Für immer mehr junge Berufstätige ist es wichtig, bei der Arbeit Ideen einbringen zu können. Wer bei der Entwicklung von Lösungen mitgestalten kann, ist bereit, Höchstleistungen zu bringen. Das vorliegende Buch bietet hierfür zahlreiche Beispiele.

Ein weiteres Thema, das der Autor anspricht, ist die Weiterbildung. Vorausschauende Handwerksbetriebe unterstützen die weitere Qualifizierung der Mitarbeiter, das zahlt sich mit zusätzlichem Know-how für den Betrieb schnell aus.

Die Förderung von Weiterbildung ist auch ein Anliegen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das dafür gleich mehrere Instrumente entwickelt hat. Eine Förderung für anspruchsvolle (und kostspielige) Lehrgänge bietet das Programm mit der langen offiziellen Bezeichnung „Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz“ – besser bekannt unter der Bezeichnung „Meister-BAföG“ (http://www.meister-bafoeg.info/​). Die Vorbereitungslehrgänge zur Meisterprüfung sind dabei die Klassiker. Das Meister-BAföG ist eine Mischung aus Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, und einem zinsgünstigen Darlehen. Bei bestandener Prüfung werden zusätzlich 25-Prozent des Darlehens erlassen.

An Berufseinsteiger, die nach dem Ausbildungsabschluss noch mehr lernen wollen, richtet sich das Weiterbildungsstipendium (www.weiterbildungsstipendium.de). Bewerben können sich junge Menschen unter 25 Jahren, die einen besonders guten Ausbildungsabschluss und/​oder einer Platzierung unter den ersten drei bei einem beruflichen Leistungswettbewerb vorweisen können. Bundesweit profitieren jährlich rund 6.000 berufliche Talente von dieser Förderung. Für die Handwerksberufe werden die Weiterbildungsstipendien von den Handwerkskammern vergeben.

Eine Ausbildung im Handwerk eröffnet inzwischen auch den Zugang zu einem Hochschulstudium – auch ohne Abitur. Handwerksmeister können dabei oft ihre vorhandenen Qualifikationen anrechnen lassen. Auch für diese Zielgruppe gibt es eine Förderung: Das Aufstiegsstipendium unterstützt Fachkräfte mit Berufsausbildung und mehrjähriger Praxiserfahrung bei einem Erststudium (www.aufstiegsstipendium.de). Die Besonderheiten: Das Aufstiegsstipendium ist auch für ein berufsbegleitendes Studium möglich, zudem können sich auch Fachkräfte im Alter von über 30 Jahren bewerben.

Neue Aufgaben und neue Technik sind auch für das Handwerk eine ständige Herausforderung. Das lebenslange Lernen wird in Zukunft eine Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg sein. Es lohnt sich daher für Betriebsinhaber, für sich und die Mitarbeiter eine Weiterbildungsstrategie zu entwickeln und dabei auch die Fördermöglichkeiten im Blick zu haben. Dann ist das Handwerk für die „Produktion-4.0“ gut gewappnet.

Andreas van Nahl

(Andreas van Nahl ist Referent bei der Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung)

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Geleitwort

1.Wir würden gerne – aber es geht nicht!

1.1 Viele Aufträge, wenig Fachkräfte

1.2 Erschreckende Zahlen

1.3 Fachkräftemangel haben diejenigen, die weitermachen wie bisher

2. Hände weg – den will ich!

2.1 Warten reicht nicht mehr

2.2 Der Kampf um die Talente

3. Zwei linke Hände

3.1 Bleibende Werte mit eigenen Händen schaffen

3.2 Handwerk durch Frauen stärken

3.3 Immigranten machen das deutsche Handwerk vielfältiger

3.4 Von Lebens- und Berufserfahrung profitieren

3.5 Nachwuchs mit handwerklicher Begabung finden

4. Darauf habe ich Bock!

4.1 Attraktive Stellenanzeigen im richtigen Stil

4.2 Außergewöhnliche Maßnahmen, die ankommen

4.3 Teamplayer findet man im Sport!

4.4 Der neue Job – nur wenige Touchs entfernt

4.5 Aktiv sein auf allen Kanälen!

4.6 Du bist der/die Beste – zeig es uns!

4.7 Die Besten wollen zu den Besten

5. Hier gehörst du hin (Ein Fisch am Angelhaken)

5.1 Beim Vorstellungsgespräch Lust auf den Job machen

5.2 Begeisterung entfachen für Beruf und Betrieb

5.3 Der Edelstein bleibt im Sieb

6. Brems- oder Gaspedal – beides gleichzeitig geht nicht!

6.1 Gemeinsam Ziele erreichen

6.2 Das Navigationssystem im Handwerksbetrieb

6.3 Auf der Spur bleiben

6.4 Das Rennen gewinnen

7. Eine gute Verbindung

7.1 Viele Mittel für dauerhaften Halt!

7.2 Gute Bedingungen für mehr Festigkeit

7.3 Gute Stabilität auch bei Belastungen

7.4 Leicht lösbare Verbindungen

7.5 Binden, ohne zu fesseln

8. Meister fallen nicht vom Himmel

8.1 Mach keine Sprüche!

8.2 Nicht alle Veränderungen sind Verbesserungen

8.3 Unzufriedene Mitarbeiter werden leicht zu Wettbewerbern

8.4 Potenziale erkennen und gezielt fördern

8.5 So werden die Guten noch besser!

8.6 Man lernt nie aus

8.7 Ein System von gestern für Talente von morgen?

8.8 Weiterbildung online, zu jeder Zeit, an jedem Ort

9. Im Handwerk macht der richtige Ton die Musik

9.1 Ohne Dirigent fehlt die Harmonie

9.2 Wann auch Fachkräfte ein Notenblatt brauchen

9.3 Nur mit vielen Proben gelingt ein gutes Konzert

10. Der Fanclub einer starken Mannschaft

10.1 Wie ein Team aus Kunden Fans macht

10.2 Echte Fans verzeihen auch Niederlagen

10.3 Wann ist eigentlich das Spiel gewonnen?

10.4 Gemeinsam Erfolge feiern

11. Film ab! Science Fiction im Handwerk

11.1 Gestern, heute, morgen

11.2 Perspektivenwechsel – der Blick vom Standpunkt des Gegenübers

11.3 Kamera läuft – die Zukunft wird abgedreht

11.4 Der Film „Zukunft im Handwerk“ – Du bist der Regisseur!

Der Autor

Danksagung

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

1. Wir würden gerne –
aber es geht nicht!

Auf dem Schreibtisch stapeln sich die Aufträge. So einen Auftragseingang hatten wir noch nie. Ständig läutet das Telefon. „Wann soll es gemacht werden? Oh, schon in 3 Monaten – tut mir leid, da sind wir schon ausgebucht. Wir sollen mehr Leute einstellen? Würden wir gerne, wir suchen ständig, aber wir finden keine geeigneten Fachkräfte in unserem Handwerk. Was sollen wir denn machen?“

Solche Telefonate finden heute immer mehr in den Büros der Handwerksunternehmer statt. Auf der einen Seite steigen die Wünsche nach guter Handwerksleistung, auf der anderen Seite gibt es immer weniger Fachkräfte, die diese Wünsche erfüllen können. Hinzu kommt noch, dass die Erwartung an die handwerkliche Qualität in den letzten Jahren extrem zugenommen hat. Dabei ist nicht nur der Anspruch an die eigentliche Leistungserbringung gestiegen, sondern auch alles, was damit verbunden ist.

Außer Handskizzen werden aufwendige 3-D-Planungen und Visualisierungen gefordert, wenn z. B. Innenräume neu möbliert werden sollen. In manchen Ausbaugewerken ist das vielfältige Warenangebot, das auf dem Markt verfügbar ist, kaum noch zu überschauen.

Hier muss eine Auswahl getroffen werden, die dann übersichtlich und ansprechend in Ausstellungen präsentiert werden soll. Ist dann das Wunschprodukt gefunden, wird ein schnelles Angebot erwartet. Als Zeitmaßstab wird hier der Internethandel herangezogen, wo man noch am selben Tag, sei es am Wochenende, in der Urlaubszeit oder am Feiertag, eine Auftragsbestätigung im Mailpostfach hat. Leider wird oft nicht verstanden, dass viele Handwerker Unikate produzieren, bei denen aufwendig gerechnet oder Sonderteile beim Vorlieferanten angefragt werden müssen. Auf der Baustelle muss auch alles perfekt laufen. Selbstverständlich müssen Termine genau eingehalten werden. Kein Staubkorn darf nach Abschluss der Arbeiten zu finden sein. Alle Dokumente von Angebot über Auftragsbestätigung, Abnahmeprotokoll, Aufmaß, Regiebericht, Baustellentagebuch, Abrechnung, Pflegeeinweisung und, und, und müssen transparent, korrekt und zusätzlich noch ansprechend gestaltet sein. Gerade im Lebensmittelhandwerk setzt der Kunde noch weitere Dinge voraus. Hygiene, Sauberkeit, übersichtliches Warenangebot mit großer Auswahl, gepflegtes Äußeres der Mitarbeiter und ein freundliches Lächeln hinter den Theken. Diese kurze Aufzählung ist nur ein Teil der Kundenerwartung. Zudem kommt, dass gesetzliche Vorgaben und Vorschriften enorm zugenommen haben. Auch sie müssen bei der täglichen Arbeit berücksichtigt und eingehalten werden. Eine Aufzählung der bürokratischen Hürden, die derzeit auf dem gesamten Handwerk lasten, würde vermutlich den Rahmen dieses Buches sprengen. Will man Kunden und Gesetzgeber gerecht werden, so schafft man das nur mit gut ausgebildeten Fachkräften, die auch bereit sind, ihre Grundausbildung ständig zu erweitern. Dies gilt sowohl für die fachliche Qualifikation als auch für die Anpassung an Veränderungen in der Gesellschaft. Ein Beispiel: Haben wir vor 10 Jahren noch mit Metermaßstab und Schreibblock aufgemessen, so sind wir heute mit Lasermessgerät und Smartphone auf Baustellen unterwegs, wo direkt im Foto einer App die Maße abgespeichert werden.

Screenshot www.handwerkerradar.de

Auch aus Kundensicht hat sich durch die Technik die Wahl des „passenden“ Handwerkers komplett verändert. Auf Webseiten, in Apps oder in sozialen Netzwerken wird nach dem richtigen Profi für die eigenen Wünsche gesucht. Zur Erfüllung der gestiegenen Kundenerwartung und allem, was damit verbunden ist, den gestiegenen bürokratischen Aufgaben und dem Schritthalten mit technischen Neuerungen, kommt jetzt noch eine weitere Herausforderung auf den Handwerksunternehmer zu: Fachkräfte finden, wertschätzend führen und für die Ansprüche des Marktes formen. Qualität gibt es nur mit Qualifikation!

1.1 Viele Aufträge, wenig Fachkräfte

Kürzlich habe ich mir einen TED-Vortrag im Netz angeschaut. In 12 Minuten verdeutlicht Rainer Strack (weiterführende Informationen zur Person am Ende des Kapitels) das ganze Dilemma, in dem wir stecken.

Bevor ich dieses Referat gesehen habe, dachte ich mir, es wird schlimm. Nun weiß ich, es wird noch viel schlimmer. Ein paar Zahlen aus den Studien, die bei TED.com zu sehen sind. In Deutschland droht bis zum Jahre 2030 eine Lücke von 10 Millionen Erwerbstätigen. Die Auswirkung dieser Entwicklung wird für das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Nation bedrohlich.

Umsatzeinbußen bzw. nicht realisierte Umsätze mittelständischer Unternehmen aufgrund von Fachkräftemangel (in Mio. Euro)

Quelle: Ernst & Young

1.2 Erschreckende Zahlen

Eine Hochrechnung des Beratungsunternehmens Ernst & Young (Quelle: www.wdt.de/​wirtschaft) geht davon aus, dass schon jetzt über 30 Milliarden Euro Umsatz in mittelständischen Unternehmen nicht erzielt werden, da hierfür die Fachkräfte fehlen. „Wenn 2030 die Babyboomer in Rente gehen, werden wir vor einer globalen Talentknappheit stehen.“ Im Ausbauhandwerk gibt es eine aktuelle Umfrage: Stellt der Fachkräftemangel in den kommenden 12 Monaten ein Risiko für Ihren Betrieb dar? Hier haben 51 % mit „Ja“ geantwortet.

Spüren Sie in Ihrem Unternehmen bereits den Fachkräftemangel?

Quelle: FW Köln (Consult GmbH)

Ich frage mich, was kommt dann erst nach diesen 12 Monaten? Ein existenzielles Risiko für alle Handwerksbetriebe in Deutschland? Die Auswirkungen sind schon jetzt erschreckend. Strack macht deutlich, dass jedes Land und jedes Unternehmen eine neue Personalstrategie benötigt. Da im Handwerk eine weitere Technisierung schnell an Grenzen stoßen wird, bleibt nur, in das – im Handwerk unersetzliche – Kapital Mitarbeiter zu investieren. In der Industrie können voraussichtlich einige Prozesse, an denen heute Menschen beteiligt sind, durch den Einsatz von weiteren Robotern automatisiert werden. Im Handwerk geht das nicht – zum Glück! Ich bin überzeugt davon, dass aus diesem Grund die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber dem herstellenden und dienstleistenden Handwerk massiv zunehmen wird. Wir können sehr gespannt darauf sein, welche Auswirkungen das auf die Preise für Handwerksleistungen haben wird. Sicher ist, dass diejenigen Handwerksfirmen, die über ein gutes (Mitarbeiter-)Team verfügen, vor riesigen Chancen stehen.

Bis 2030 ist es nicht mehr lange. Darum gilt es, ab sofort die richtigen Weichen für die vielversprechende Zukunft des Handwerks zu stellen.

Stellt der Fachkräftemangel in den kommenden zwölf Monaten ein Risiko für Ihre Unternehmen dar? (Anteile der zustimmenden Unternehmen nach Branchen)

Quelle: DIHK

1.3 Fachkräftemangel haben diejenigen, die weitermachen wie bisher

Viele Unternehmer, die einen klassischen Handwerksbetrieb leiten, sind sich noch nicht ganz bewusst, wie schnell sich derzeit der Wandel vollzieht. Die wenigen geeigneten Bewerber, die es jetzt noch gibt, suchen sich den Betrieb aus, in dem sie arbeiten möchten.

Vor wenigen Jahren war das noch umgekehrt. Da konnte man aus zahlreichen Bewerbern den passenden wählen und einstellen. Noch ist das Handwerk nicht gewohnt, sich um Nachwuchs kümmern zu müssen. Dr. Christian Wenzler, Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes Schreinerhandwerk Bayern, hat das auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Fachkräftemangel so formuliert: „Das Handwerk hat eine dramatische Umstrukturierung im technischen Bereich erlebt. Jetzt findet diese Umstrukturierung auf dem Fachkräftemarkt statt. Wir sind mittlerweile hochtechnisiert, und hochqualifizierte Arbeitnehmer arbeiten im Schreinerhandwerk mit modernsten CNC-Maschinen. Aber die meisten Menschen haben noch das Pumuckl-Image im Kopf. Ich sehe im Handwerk große Probleme beim Thema ‚Image‘. Handwerker? Mein Kind soll es einmal besser haben! Diese Denkweisen sind für das Handwerk in Zeiten des Fachkräftemangels tödlich. Wir können nicht mehr weitermachen wie bisher. Wer seine Stellenanzeigen formuliert wie bisher, wer unvorbereitet in Vorstellungsgespräche geht oder wer es nicht schafft, Verantwortung auf Mitarbeiter zu übertragen, wird bald ein Schild an die Werkstatttüre hängen müssen: ‚Heute wegen gestern geschlossen.‘“

Info zur Person Prof . Dr . Rainer Strack

Rainer Strack ist Senior Partner und Managing Director im Düsseldorfer Büro der Boston Consulting Group. Er leitet die Praxisgruppe Organisation, Change Management und Human Resources (HR) in Deutschland und Europa und das HR Topic weltweit. Seit 2008 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten/​Herdecke.

Prof. Dr. Rainer Strack hat es mit seinem Vortrag zur globalen Entwicklung der Arbeitskräfte auf die renommierte Internetplattform TED.com geschafft. Bei einer Konferenz TED@BCG der Boston Consulting Group mit mehr als 450 Teilnehmern in Berlin im Oktober 2014 stellte er klar: „Wenn 2030 die Babyboomer in Rente gehen, werden wir vor einer globalen Talentknappheit stehen.“ Strack analysierte die 15 größten Volkswirtschaften weltweit – auch drei der vier BRIC-Länder, nämlich Brasilien, Russland und China, sind von diesem demografischen Wandel betroffen. Außerdem werden in dem Vortrag die Auswirkungen von Technologie und Robotern beschrieben. „Wenn Talente die knappe Ressource sind, muss man dieses Talent viel besser verstehen.“ So fokussiert der zweite Teil des Vortrags auf eine aktuelle Studie zu den Vorlieben von 200.000 Jobsuchenden weltweit. Abschließend wird sehr plakativ dargestellt, dass jedes Unternehmen, aber auch jedes Land eine Personal-Strategie benötigt.

Rainer Strack ist damit einer der ganz wenigen Deutschen, die bei TED. com überhaupt aufgenommen wurden. Und sein Vortrag wurde bereits mehr als 340.000-mal aufgerufen. Er ist zwölf Minuten lang und laut TED ein „data-filled and quite charming talk“ (Quelle: www.uni-wh.de).

2. Hände weg – den will ich!

In vielen Städten und Gemeinden unseres Landes werden mittlerweile Ausbildungsmessen veranstaltet. Wo man früher seinem potenziellen Kunden das Waren- und Dienstleistungsangebot präsentiert hat, buhlen die Betriebe heute um Auszubildende. Längst haben mittelständische Unternehmen und größere Handwerksbetriebe erkannt, dass sie nur an geeigneten Nachwuchs kommen, wenn sie selbst aktiv werden. Die mittleren und kleinen Betriebe stehen dabei massiv im Wettbewerb mit der Industrie. Dort arbeiten ganze Abteilungen daran, Schulabgänger für sich zu gewinnen. Mit durchgestylten Hochglanzbroschüren, Kampagnen in Tageszeitungen, Zeitschriften und Radio werden Ausbildungsplätze schmackhaft gemacht.

Große Investition für ein motiviertes Team | Foto: Udo Herrmann

Bei uns im Ort ist ein Sanitärgroßhandel mit 210 Mitarbeitern ansässig. Dieser hat ein neues Betriebsgebäude errichtet. Während der Bauphase war dort ein Großflächenplakat mit der Aufschrift „Wir bauen für unsere Mitarbeiter“ zu sehen. Das Unternehmen hat ca. 6 Mio. Euro investiert, um seinen Mitarbeitern ein angenehmes Arbeitsumfeld zu bieten. Sie können den Gymnastikraum nutzen, in dem an manchen Tagen auch kostenlose Rückenschulungen angeboten werden. Fitnessgeräte und Leihfahrräder stehen bereit für die sportliche Betätigung in den Pausen oder vor und nach der Arbeitszeit. Tischkicker, Tischtennisplatten und Billard fördern den Teamgeist. In der Cafeteria werden gesunde Gerichte zubereitet. Wer danach müde ist, tankt seinen Körper im eigens eingerichteten Ruheraum beim Power-Napping auf. Stell dir vor, ein Bewerber kommt zu dir und hat vorher bei dem beschriebenen Unternehmen einen Rundgang mit dem Personalchef gemacht. Ich glaube, dann musst du als Chef eines kleinen Handwerkbetriebes ziemlich überzeugende Argumente in der Schublade haben, um diesen potenziellen Mitarbeiter für dich zu gewinnen. Mittlerweile sind die Mitarbeiter in das Gebäude eingezogen. Überall, wo sich Jugendliche treffen, sprechen sie über diesen Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern so vieles bietet. Auf der Facebook-Seite des Unternehmens wird seit der Einweihung ständig positiv über die Arbeitsplätze berichtet. Für neue Bewerber steht ein Prospekt mit Infos zum Download auf der Webseite bereit. Beide Plattformen sind für die Zielgruppe Jugend ansprechend gestaltet. Das gilt sowohl für die dort gezeigten Bilder als auch für die überlegt formulierten Texte. Die Terminvereinbarung für ein Vorstellungsgespräch ist für die Interessierten nur einen Mausklick entfernt.

Weiteres Beispiel: Im Nachbarort stellt eine Patisserie in handwerklicher Qualität süße Desserts mit über 70 Mitarbeitern her. Diese hat einen besonderen Raum eingerichtet und beschreibt ihn in ihrem Web-Blog mit folgenden Worten: „Je besser die Ausbildung, desto höher die Kompetenz, desto höher die Motivation, desto größer unser aller Erfolg.“ Wir wissen alle, was gerne einmal zu kurz kommt, z. B. Neues sehen, auf neue Ideen kommen, überlegen, experimentieren, über Dinge nachdenken, die nicht in zwei Wochen wichtig sind, sondern vielleicht in zwei Jahren. Wir wissen, dass solche Sachen entscheidend sind. Wir müssen ihnen Raum geben. Im wörtlichen Sinne: die Patisserie-Lehrwerkstatt, ein Raum zum Zaubern, Experimentieren und Lernen. Wer bekommt bei so einem emotionalen Text nicht Lust, diesen Raum anzuschauen?

Praxistipp

Biete etwas für Jugendliche, das es in anderen Handwerksbetrieben nicht gibt.

Beispiel: Leihfahrrad oder Billardtisch. Als persönliches Geschenk kommt ein Gehörschutz mit eingebautem Radio gut an!

Eine Werkstatt zum Zaubern, Experimentieren und Lernen | Foto: Udo Herrmann

2.1 Warten reicht nicht mehr

Zu Beginn dieses Kapitels habe ich die Ausbildungsmesse genannt. Mein Freund ist Firmengründer und Geschäftsführer der Firma Procase. Er ist Jahrgang 1968 und hat im Alter von 19 Jahren alleine begonnen, mobile Transportgehäuse für Musikequipment herzustellen. Mittlerweile beschäftigt sein Unternehmen 55 Mitarbeiter an zwei Produktionsstandorten, davon sind 10 in der Ausbildung. Der Altersdurchschnitt des ganzen Teams beträgt 32 Jahre.

Jugend wirbt Jugend auf Ausbildungsmesse | Foto: T. Schweighart