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Foto: Lukas Beck

ELISABETH HELLMICH

geboren 1930 in Hamburg,
1956 Heirat, seit 1980 verwitwet, 3 Kinder, 8 Enkelkinder.
16 Jahre ausschließlich Haus- und Familienarbeit,
1990/91 Studium der Ernährungswissenschaften,
1991/92 Beginn des Soziologiestudiums mit
Fächerkombination Frauenforschung, Sozialgeschichte,
Soziolinguistik. Jänner 2002 Diplomprüfung.
Mai 2006 Promotion. Gründungsmitglied des
sozial-integrativen Vereins »Gemeinschaft B.R.O.T.«
Mitarbeit in feministischen, kirchlichen und sozialpolitischen Gruppen. Lebt in Wien.

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

© Milena Verlag 2007

In memoriam
Gerburg Treusch-Dieter
und
Evi Krobath

Vor – Bild

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Quelle: Der Standard

Vor - Wort

»Die oberste, unsere Wahl und Neigung leitende Rücksicht ist das A l t e r. Im Ganzen lassen wir es gelten von den Jahren der eintretenden bis zu denen der aufhörenden Menstruation, geben jedoch der Periode vom achtzehnten bis achtundzwanzigsten Jahre entschieden den Vorzug. Außerhalb jener Jahre hingegen kann kein Weib uns reizen: ein altes, d.h. nicht mehr menstruirtes Weib erregt unsern Abscheu. Jugend ohne Schönheit hat immer noch Reiz; Schönheit ohne Jugend keinen. – Offenbar ist die hiebei uns unbewußt leitende Absicht die Möglichkeit der Zeugung überhaupt: daher verliert jedes Individuum an Reiz für das andere Geschlecht in dem Maaße, als es sich von der zur Zeugung oder zur Empfängniß tauglichsten Periode entfernt.«

Arthur Schopenhauer, Metaphysik der Geschlechtsliebe, 607f

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Ausgangsüberlegungen

Persönliche Positionierung

Fragestellungen

Theoretische und methodische Positionierung

Zentrale Begriffe

Alter

Feminismus

Patriarchat

Sexismus

Androzentrismus

Geschlecht

Geschlechtergerechtigkeit

Vorannahmen

2. Alter und Geschlecht

Mythos Alter: Zwischen Kompetenzen und Defiziten

Altersfeindlichkeit und/oder Ageismus

Alter und Frau – zwei Mythen?

Das Alter ist weiblich. Ist das Alter weiblich?

Die (Alters-)Armut ist weiblich

»Ich bin eine alte Frau.«

Nur Senioren? Sprache als Ausschlussverfahren

Vorsicht! Gefährliche Kreuzung!

Zusammenfassung

3. Alte Frau im Bild (Teil 1)

Von guten und von bösen alten Frauen

»Ein Handy für die Oma!«

4. Alte Frau im Bild (Teil 2)

Warum gerade Karikaturen?

Karikaturen: Ein eigenes Genre zwischen Kunst und Journalismus

Zu Methode und Durchführung der Bildanalysen

Auswahl der Karikaturbeispiele

Ergebnisse der Bildanalysen

K1 »Frauenpension«

K2 »Euthanasie«

K3 »Demokratie«

K4 »Die jungen Alten«

K5 »Aktives Alter«

Schlussdiskussion Karikaturen

Botschaften der Bilder im Hinblick auf das Thema »Frau und Alter«

Die Darstellung alter Frauen in Verbindung mit aktuellen sozialen und politischen Themen

Zusammenfassung »Alte Frau im Bild« (Teil 1 und Teil 2)

5. Feministisch alt werden? (Teil 1)

Die Interviews

Alter – Frau – Gesellschaft

Alter – Frau – individuell

Ich bin (k)eine Feministin

Geschlechtergerechte Sprache

Resümee Feminismus

Generationen

Alte Frauen im Feminismus

Zusammenfassung

Schlussdiskussion Interviews

6. Feministisch alt werden? (Teil 2)

Feministische Zeitschriften

Auswahl und Eingrenzungen

Ablauf der Untersuchung

Zusammenfassungen

Thema Frau und Alter: Vorkommen und Schwerpunkte

Zielgruppen

Buchrezensionen bzw. Buchhinweise

Bildmaterial

Klischees, Abwertungen alter Frauen und dgl.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Methodische Reflexion

Schlussdiskussion feministische Zeitschriften

7. Wo steht der Feminismus heute?

Resümee zu »Feministisch alt werden?«

Rückblick und Ausblick

Postskriptum

Literatur

Anhang

Danksagungen

Einleitung

Am Beginn stand die eigene Betroffenheit. Das Soziologiestudium hatte mich genaues Hinschauen gelehrt. Eines Tages, beim Anblick einer Pharma-Werbung, kam es zu einer Art »Initialzündung«. Ich habe die Abbildung einer (nicht wirklich) alten Frau und den dazugehörigen Text als Zumutung, als Frechheit empfunden (siehe Abb. unten). Ich war empört und verletzt. Und wusste plötzlich: Das ist kein Einzelfall. Ich hatte bis dahin schon viele mehr oder weniger befremdliche Darstellungen alter Frauen gesehen, sie aber nicht wirklich »wahr-genommen«. Nun habe ich mich gefragt: Sieht so das Bild alter Frauen aus? Und: Ich bin ja selber eine alte Frau. Was machen solche Klischees, Abwertungen, Unterstellungen mit mir? Wie kann ich darauf reagieren? Wie kommt es zu diesem diskriminierenden Umgang mit einer gar nicht kleinen Gruppe der Bevölkerung? Mein Interesse, meine Aufmerksamkeit waren geweckt. Doch wer teilte dieses Anliegen, diese Betroffenheit?

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All diese offenen Fragen haben mich schließlich zum Thema meiner Dissertation geführt. Sie ließen mich meinen Forschungsschwerpunkt herausarbeiten, eine Art »Gretchenfrage«: Wie hält es »der« Feminismus mit »den« alten Frauen?

Das Ergebnis liegt nun als Buch vor. Damit möchte ich jedoch nicht nur die »scientific community« ansprechen. Ich stelle mir vor – und wünsche es mir sehr –, dass der Kreis der Interessierten weit darüber hinausgeht. Und so habe ich die Dissertation mit einem doppelten Ziel überarbeitet: Der Text möge auch ohne spezifische Fachkenntnisse gut lesbar sein, und der Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit soll dabei gewahrt bleiben. Die Überarbeitung hat sich vor allem auf die genaue Darstellung der empirischen Untersuchungen bezogen. Dort habe ich stark gekürzt, mich auf die Wiedergabe der Ergebnisse und das Aufzeigen von deren »Pointen« konzentriert. Was dabei ausgespart wurde, kann in der Dissertation nachgelesen werden.

Thematisch ist die Arbeit in zwei Teile gegliedert. Zunächst geht es darum, den aktuellen gesellschaftlichen und soziologischen Altersdiskurs darzustellen. Danach arbeite ich die besondere Bedeutung von Alter(n) für Frauen heraus. Damit wird die Basis bzw. eine Vergleichsmöglichkeit für die zentrale Frage meiner Arbeit geschaffen: Werden alte Frauen und deren Lebensumstände im Kontext des Feminismus anders – positiver? realistischer? kritischer? – wahrgenommen als in der Gegenwartsgesellschaft allgemein? Gibt es so etwas wie »feministisch alt werden«?

Die Ausgangsüberlegungen in Abschnitt 1 enthalten meine persönliche und theoretisch-methodische Positionierung. Darauf folgen die Diskussion der für meine Fragestellungen zentralen Begriffe sowie die Formulierung meiner Vorannahmen.

Die Abschnitte 2 und 3 umfassen den theoretischen Hauptteil dieser Arbeit. Unter 2 wird das Thema »Alter(n)« zunächst allgemein besprochen. Dabei werden unterschiedliche Alters-Konzepte vorgestellt und diskutiert. Weiters wird der Begriff »Ageism« eingeführt. Danach rückt die Realität von Alter(n) für Frauen in den Mittelpunkt. Die Bedeutung von mehrfachen Diskriminierungen wird durch das Bild der »Gefährlichen Kreuzung« veranschaulicht. Diese Metapher bildet das für die weiteren Untersuchungen wesentliche theoretische Modell.

In Abschnitt 3 setze ich mich mit überlieferten »Bildern« alter Frauen bzw. mit den dabei transportierten Klischees und (Stereo-) Typen auseinander. Anschließend folgt eine Untersuchung aktueller Darstellungen von alten Frauen in Printmedien.

Die folgenden Abschnitte behandeln empirische Arbeiten. Zunächst sind es Bildanalysen, die sich mit Karikaturen alter Frauen auseinandersetzen (Abschnitt 4). Darauf folgt die Auswertung von Interviews mit Frauen im Alter von 56 bis 73 Jahren (Abschnitt 5) sowie die Analyse feministischer Zeitschriften (Abschnitt 6). Diesen Abschnitten sind kurze theoretische Einführungen in das jeweilige Untersuchungsgebiet vorangestellt.

Unter Punkt 7 findet sich zunächst ein Exkurs zur Frage nach dem aktuellen Standpunkt und Stellenwert des Feminismus. Vor diesem Hintergrund wird anschließend das Ergebnis meiner Untersuchungen mit meiner Forschungsfrage bzw. meinen Vorannahmen konfrontiert. Ein kurzer Rückblick und Ausblick stellt meine Arbeit in den Zusammenhang aktueller gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Entwicklungen.

1. Ausgangsüberlegungen

Persönliche Positionierung

In dieser Arbeit führe ich zwei Forschungsbereiche zusammen: die Alterssoziologie und die Soziologie der Geschlechterdifferenz. Meinen Untersuchungen liegt ein feministisch geleitetes Erkenntnisinteresse zu Grunde. Eine solche feministische Positionierung verstehe ich in Anlehnung an Christa Rohde-Dachser 1997, 561 wie folgt:

imageMeine Position ist feministisch, insofern sie gesellschaftliche Phänomene prinzipiell unter der Perspektive der Geschlechterverhältnisse betrachtet und die Geschlechterdifferenz auch dort ausdrücklich thematisiert, wo es sich nach allgemein üblicher Sprachregelung um (scheinbar) geschlechtsneutrale Bereiche handelt.

imageMeine Position ist feministisch, weil ich sie auf Grund persönlicher Erfahrung aus einer bewusst frauenzentrierten Sicht einnehme.

imageMeine Position ist feministisch, weil sie die Konstruktion der Geschlechterverhältnisse in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen, insbesondere in der Sprache, in den Medien und in der Wissenschaft ideologiekritisch durchleuchtet, d.h. auf offenen und latenten Androzentrismus und/oder Sexismus hin untersucht.

Auch meiner Beschäftigung mit dem Thema »Alter« liegen eigene Erfahrungen zu Grunde. Als nicht mehr ältere, sondern als tatsächlich alte Frau nehme ich den gesellschaftlichen, vor allem auch über die Medien vermittelten Diskurs zu Fragen des Alter(n)s und den Folgen der größer werdenden Zahl alter Menschen sehr persönlich. Die Auswirkungen erlebe ich gewissermaßen ständig am eigenen Leib und in meiner Geldtasche.

Zu meiner persönlichen Ausgangslage gehört auch die Tatsache, dass ich einer Generation angehöre, welche die NS-Zeit, den zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit bewusst erlebt hat. Für den Aufbruch der 1968er Generation war ich (Geburtsjahrgang 1930) allerdings bereits zu alt. Ein Slogan damals lautete: »Traue keinem (!) über dreißig!« Die Gedanken der Frauenbewegung, des Feminismus haben mir erst wesentlich später den Anstoß gegeben, mein Leben als Frau zu überdenken und so gut wie möglich neu auszurichten.

Meine Generationszugehörigkeit ist im Rahmen dieser Arbeit insbesondere dort zu bedenken, wo es um die Deutung von Symbolen, von Metaphern, um unterschwellige Bedeutungen und um die Auflösung von sprachlichen und optischen »Codes« geht. Der Grundbestand an kulturellem Grundwissen, welcher eine wesentliche Basis für das gemeinsame symbolische System einer Gesellschaft darstellt, hat sich in den Jahrzehnten meines Lebens in Vielem verändert. Dies hat sich beispielsweise bei der Durchführung von Bild-Text-Analysen gezeigt. Im Abschnitt 4 werden Karikaturen untersucht, auf denen alte Frauen dargestellt sind. Nicht alle meine Assoziationen und Deutungen werden für jüngere Menschen nachvollziehbar sein. Daher war es auch wichtig, dass junge Kolleginnen meine Analysen kontrollierten. Sie haben mich auf manches Nicht-Wissen in Bezug auf aktuelle Kontexte aufmerksam gemacht und entsprechende Ergänzungen eingebracht. Andererseits: Meine Betroffenheit durch die Aussagen dieser Bilder konnten sie zum Teil erst nach entsprechenden Erklärungen verstehen.

Ich schreibe dieses Buch also mit den persönlichen Erfahrungen einer alten Frau, welche einem privilegierten weißen, westlichen, bildungsbürgerlichen Milieu entstammt und sowohl als Feministin wie auch als Studierende zu den »spät Berufenen« gehört.

Fragestellungen

Am Beginn meiner Arbeit stand die folgende Ausgangsthese:

Alte Frauen sind in der Gegenwartsgesellschaft weitgehend unsichtbar oder werden in klischeehafter, nicht realitätsgerechter und oft abwertender Weise dargestellt.

Das Ziel meiner Forschung war die Klärung der nachstehenden Fragen:

Wie werden alte Frauen in feministisch geprägten Zusammenhängen wahrgenommen und dargestellt?

Werden ihre Lebensrealitäten und speziellen Probleme angemessen und differenziert behandelt?

Finden alte Frauen im Rahmen feministischen Engagements so etwas wie eine »Lobby«, etwa vergleichbar dem Eintreten für lesbisch orientierte Frauen?

Zeigt sich also im feministischen Bereich ein Unterschied gegenüber der allgemein wahrnehmbaren Alter(n)s-Diskussion in der westlichen Gegenwartsgesellschaft?

Theoretische und methodische Positionierung

Mit meinem Forschungsansatz bewege ich mich im Rahmen des Paradigmas der verstehenden Soziologie sowie der Methodologie der qualitativen Sozialforschung. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet eine von mir wahrgenommene gesellschaftliche Problemstellung, nämlich das Verhältnis zwischen den sozial relevanten Phänomenen Alter, (weibliches) Geschlecht sowie Feminismus (vgl. Andreas Witzel 1982, 67).

An meine Fragestellungen bin ich mit unterschiedlichen empirischen Verfahren herangegangen. Es handelt sich um Bildanalysen (Abschnitt 4), Interviews (Abschnitt 5) und die Untersuchung von Zeitschriften (Abschnitt 6). Ohne vorherige Festlegung auf eine bestimmte Anzahl hat sich in jedem der drei genannten Bereiche die Bearbeitung von fünf Einzelfällen ergeben. Nach Vorliegen der Ergebnisse war jeweils eine »Sättigung« im Hinblick auf die inhaltliche Ebene erreicht, die für meine Untersuchungen relevanten Felder und Themen waren abgedeckt (vgl. Barney G. Glaser, Anselm L. Strauss, 1998, 117ff).

Zentrale Begriffe

Ausgehend von den oben angeführten Fragestellungen lassen sich die zentralen Begriffe meiner Arbeit festhalten. Es sind dies Alter, Feminismus, Frau bzw. (weibliches) Geschlecht sowie Geschlechtergerechtigkeit. Alle diese Themen werden sowohl in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit als auch im wissenschaftlichen Diskurs vielfältig und oft gegensätzlich diskutiert. Daher halte ich zu Beginn meiner Arbeit eine zumindest vorläufige Einkreisung dieser Begriffe für notwendig.

imageALTER

»Das Alter gibt es nicht.« (Annette Niederfranke 1999a, 7)

»Alter ist heute … eines der meist besprochenen Themen.« (Gerd Göckenjan 2000, 9)

»Der Altersdiskurs ist ein Moraldiskurs.« (ebd. 25)

»Alter ist nicht allein das Ergebnis eines physischen Prozesses, sondern auch das Ergebnis eines kulturellen Konstruktionsprozesses. (…) Einen allgemeinen Begriff des Alters zu unterstellen, erscheint nicht sinnvoll.« (Christoph Wulf 1996, 42f)

Diese wenigen Sätze – aus den jeweiligen Zusammenhängen gerissen – deuten an, wie unterschiedlich die Zugänge zum Thema »Alter« sind und wie umfangreich dieser Begriff diskutiert werden kann und muss. Im Sinne einer ersten Klärung fasse ich zunächst einige wichtige Bestimmungen, Einteilungen bzw. verschiedene Zugangsweisen (auf Menschen bezogen) zusammen.

Alter ist zunächst eine Angabe in Zahlen. Insofern wird auch vom numerischen, vom kalendarischen oder chronologischen Alter gesprochen. Dazu kommt der Begriff des biologischen Alters. Er bezeichnet den jeweiligen Grad des körperlich-seelischen Entwicklungsstandes. Das soziale Alter hingegen spricht von gesellschaftlichen Übereinkünften bezüglich der Bezeichnung und Bewertung verschiedener aufeinander folgender Lebensphasen. All dies kann auf die gesamte menschliche Lebensspanne bezogen werden. Auch die Erfahrung, für etwas »zu jung« oder »zu alt« zu sein, ist in nahezu jedem Alter möglich.

Anders stellt sich die Situation dar, wenn nicht vom Alter, sondern vom Altern die Rede ist. Hier kommen unterschiedlich bezeichnete Gruppen wie die »Alternden«, die »Älteren« oder auch die »SeniorInnen«, die »GreisInnen«, die »Hochaltrigen« und die »Langlebigen« ins Blickfeld. Nicht alle Menschen altern zu allen Zeiten auf gleiche Weise. Die Grundlage für den Ablauf des Alterns bilden biologische Alternsmuster. Sie werden variiert durch den Prozess des individuellen Alterns. Genetische Grundlagen bestimmen ihn ebenso wie die jeweilige Lebensführung. Diese wiederum ist wesentlich beeinflusst von sozialen Komponenten. Weiters wirken sich auf das Alt-Werden von Menschen auch Effekte der jeweiligen Generationen und Epochen aus. Jede Generation altert anders (nach Leopold Rosenmayr 2002).

»In unseren Gesellschaften ist die Zeit die zentrale Bedingung des Lebens.« (Wulf 1996, 50). Und im Mittelpunkt des Alterns steht gerade die Zeit. Darüber hinaus verbindet und trennt sie die verschiedenen Generationen (ebd. 43). Mit dem Begriff »Generation« ist nur einer der vielen sozialen Bezüge benannt, die vom Thema Alter(n) betroffen sind, und zugleich auch einer der zentralen Punkte. In ihm bündeln sich Fragen der Solidarität und der Konkurrenz, der Veränderung und der Kontinuität, Politisches und Privates. Auch Göckenjans Hinweis auf einen »Moraldiskurs« bezieht sich auf Fragen der Generationen (s.o.).

Die folgenden Aussagen umreißen einige Zugänge, die für meine Arbeit von besonderer Bedeutung sind: »Altern ist schon seinem allgemeinen Ablauf nach kein rein biologischer, aber auch kein rein psychologischer Prozess; es ist (…) daneben auch sozial und kulturell beeinflusst. Alter ist primär eine ›soziale Kategorie‹ …« (Niederfranke 1999b, 16), »›Alter‹ ist eine zentrale Kategorie in der Bewertung von Situationen, Menschen und Ereignissen. Diese Kategorie erhält jedoch ihre jeweilige Bedeutung erst durch eben diese Situationen, Menschen und Ereignisse« (ebd. 15). Die wesentliche Bedeutung dieser Aussage liegt im Hinweis auf die Selbstreflexivität und die Vielschichtigkeit der sozialen Kategorie »Alter«. Eine weitere Variation dieses Ansatzes: Es erscheint »angemessen, statt von der ›Lebensphase Alter‹ besser von den Lebensphasen im Alter und von unterschiedlichen Lebenslagen und Lebenswelten im Alter zu sprechen. Im Grunde bestimmen physische, psychische, soziale und gesellschaftliche Alternsprozesse diese Lebensphase; statt vom kalendarischen Alter ist vom konstitutionellen Alter auszugehen.« (Gertrude Backes/Wolfgang Clemens 1998, 307).

Wer derzeit über das Alter, über das Altern redet oder schreibt, liegt »im Trend«. »Was ist Altern heute? Und was begründet die aktuelle Bedeutung und Popularität der Thematik? Wirklich neu ist die Tatsache, dass heute die Mehrzahl der Menschen in den westlichen Industrieländern die ihr biologisch zur Verfügung stehende Lebenszeit auch tatsächlich weitgehend ausschöpft und hochbetagt stirbt.« (Niederfranke 1999a, 7). Alter(n) weist also neue Aspekte auf. Sofern diese als problematisch wahrgenommen werden und zu sozialen Spannungen führen, handelt es sich um Probleme, die von der Gesellschaft selbst bzw. von gesellschaftlichen Entwicklungen hervorgebracht sind. Generationenvertrag, Generationenkonflikte, Finanzierung der Pensionen, Fragen der Betreuung alter Menschen sind nur einige der aktuellen Themen, welche in Politik und Medien, aber auch in privaten Zusammenhängen immer wieder aufgegriffen und abgehandelt werden.

Allerdings: »Der Altersdiskurs ist ein Moraldiskurs. Formuliert werden Codes der Alterserwartungen, in denen … Alter immer wieder konstruiert, Verpflichtungen erinnert, Erwartungen modifiziert, kontinuierlich Zeitdeutungen produziert werden.« (Göckenjan 2000, 25).

Hier versuche ich eine erste Zusammenfassung:

Alter ist eine Zahlenangabe.

Alter ist ein physisch-psychischer Prozess.

Alter ist eine soziale Kategorie.

Alter wird konstruiert und konstituiert.

Alter ist ein Moraldiskurs.

Diese Aufstellung ist sehr fragmentarisch, beispielsweise enthält sie keine Hinweise auf historische Entwicklungen. Die Unabgeschlossenheit gerade des Alter(n)s-Diskurses wird im Verlauf dieser Arbeit immer wieder deutlich werden. Im Hinblick auf meine Fragestellungen werden jene Bereiche, die die Bedeutung von Alter/n für Frauen betreffen, breiter diskutiert als andere Aspekte.

imageFEMINISMUS

Da ich bei meiner Forschungsarbeit von einem feministischen Blickwinkel ausgehe, müssen auch der Begriff des Feminismus sowie zusätzlich einige zentrale »Vokabeln« des feministischen Diskurses näher bestimmt werden.

Feminismus ist einerseits die politische Theorie der (zweiten) Frauenbewegung, andererseits bezeichnet das Wort sowohl die »praktische« als auch die theoretische Seite der zweiten Frauenbewegung (nach Herta Nagl-Docekal, 1998).

Eine andere Formulierung: »Feminismus und Frauenbewegung ist kein Synonym. Feminismus ist die Erkenntnis, die Frauenbewegung wird von Feministinnen getragen.« (Eva Geber 2002).

Cornelia Klinger stellt fest, dass »sich der Feminismus bis heute im Wesentlichen in einer Einheit sowohl mit anderen Emanzipationstheorien als auch mit anderen Befreiungstheorien begreift (…) Und doch sind Einheit und Übereinstimmung des Feminismus mit anderen Befreiungsbewegungen bzw. ihren Theorien außerordentlich problematisch.« Klinger verortet die Entstehung des »neuen Feminismus« in der Tatsache, dass im Rahmen der anderen sozialen Bewegungen die »Frauenfrage« weder »hinreichend reflektiert noch praktisch gelöst worden« ist. In der »Ungebrochenheit patriarchaler Denk- und Verhaltensweisen« sieht die Autorin den »Kristallisationspunkt (…) von dem her nicht nur die zweite Frauenbewegung als autonome soziale Bewegung ihren Ausgang genommen hat«, sondern auch eine »eigenständige feministische Theorie.« (Klinger 1991).

Festzuhalten ist noch die Tatsache, dass es »den« Feminismus nicht gibt. Die zweite Frauenbewegung hat sich in den mehr als drei Jahrzehnten seit ihrer Entstehung in unterschiedlichen Kontexten stark verändert und ausdifferenziert. Ein wesentlicher Punkt ist die Frage von Differenz und/oder Gleichheit (in Bezug auf Frauen und Männer). Diese beiden theoretischen Ansätze werden teils als Gegensätze gesehen, teils auch miteinander verbunden. Weiters ist zu bedenken, dass feministische Theorie und Praxis sich zunächst in privilegierten westlichen Milieus entwickelt haben. In anderen regionalen, sozialen oder ethnischen Lebenszusammenhängen stellen Frauen häufig andere Fragen, setzen andere Prioritäten und entwickeln eigene Strategien.

Im Anschluss an die Diskussion von »Feminismus« muss auf einige weitere Begriffe näher eingegangen werden.

imagePATRIARCHAT

In der traditionellen Bedeutung wird damit eine Gesellschaftsform bezeichnet, in der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie innehat und in der die männliche Linie bei Erbfolge und sozialer Stellung ausschlaggebend ist (vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch. Mannheim 1982, 572).

Heutige (feministische) Definitionen setzen darüber hinaus andere Schwerpunkte. In diesem Zusammenhang bezeichnet dieser Begriff zunächst die Herrschaft von Männern über Frauen (und Kinder). Weiters dient er als umfassende Bezeichnung von Gesellschaften, die durch das Zusammenwirken von Rassismus, Klassismus, Sexismus, Militarismus, Naturausbeutung und durch weitere Gewaltaspekte gekennzeichnet sind.

»Patriarchat« war und ist ein zentraler Kampfbegriff der zweiten Frauenbewegung. Zahlreiche patriarchale Strukturen und Verhaltensweisen bestehen bis heute weiter, die Kritik daran ist bisher nicht überflüssig geworden. Allerdings wird der Begriff manchmal wenig differenziert verwendet. Leicht wird übersehen, dass Frauen häufig ebenfalls Vertreterinnen »des Patriarchats« sind und – in unterschiedlichen Zusammenhängen – nicht nur zu dessen Opfern, sondern auch zu dessen Nutznießerinnen und Unterstützerinnen gehören.

imageSEXISMUS

Der Begriff ist dem des Rassismus nachgebildet. Er meint die Diskriminierung und Unterdrückung auf Grund des Geschlechts. Ursprünglich auf Missachtung und Unterdrückung von Frauen durch Männer angewendet, wurde seine Bedeutung unterdessen erweitert auf die Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung (z. T. nach Annemarie Lissner et al., Freiburg 1988).

Der Ausdruck »sexistisch« kann sich (beispielsweise) beziehen

imageauf das Festlegen von Menschen auf biologistisch begründete Geschlechtsrollen;

imageauf ein methodisches Vorgehen, das Frauen unsichtbar macht (etwa durch Sprache), ihre Lebensrealität(en) verschleiert, ihre Leistungen oder ihre Probleme missachtet;

imageauf die herabwürdigende Darstellung von Frauen in den Medien, in Witzen und dergleichen;

imageauf die Umdeutung von Täter- und Opfer-Rollen, beispielsweise bei Vergewaltigungsprozessen.

Sexismus zu überwinden würde bedeuten, dass Frauen und Männer sich jenseits von Geschlechterstereotypen als Individuen begegnen können. Das setzt voraus, dass Sexismus-Analysen von Frauen Beachtung finden.

Von Sexismus zu unterscheiden, doch mit ihm verbunden ist

imageANDROZENTRISMUS

Der Begriff bezeichnet eine Haltung der Männerzentriertheit, welche den Mann/das Männliche zur Norm, zum Maßstab erhebt. Der Mann ist von daher das Maß, die Verkörperung alles Menschlichen. Die Frau/das Weibliche ist dem gegenüber das »Andere«, die Abweichung von der Norm. Frauen bzw. Weiblichkeit werden nur in Bezug auf männliche Normen und Maßstäbe definiert. Ein deutliches Beispiel dafür: Frauen werden häufig in grammatikalisch männlichen Ausdrücken »mitgemeint«. Wenn Frauen ausdrücklich bezeichnet werden sollen, so müssen die Wörter dafür (von Ausnahmen abgesehen) aus der männlichen Form abgeleitet werden, z. B. Lehrer – Lehrerin. Androzentrismus wird jedoch auch wirksam in der kulturellen Überlieferung, etwa bei der Geschichtsschreibung. Ebenso zeigt er sich bei der »Geschlechterblindheit« von Gesetzestexten, in der Definition von »Arbeit« ausschließlich als Erwerbsarbeit und in vielen anderen Bereichen gesellschaftlichen Lebens.

Aus dem bislang Angeführten ergibt sich die Notwendigkeit der Bestimmung eines weiteren Begriffes, nämlich

imageGESCHLECHT

Bei der Diskussion des Begriffes »Geschlecht« hat sich die Unterscheidung von »Sex« und »Gender« weitgehend durchgesetzt. Die deutschen Bezeichnungen »biologisches Geschlecht« und »soziales Geschlecht« entsprechen dem nicht in vollem Umfang. Trotz mancher Einwände ist jedoch das Begriffspaar »sex/gender« ein »geeignetes Instrument, um herauszuarbeiten, daß gesellschaftliche Normen von leiblichen Bedingungen zu unterscheiden sind, auch wenn sie buchstäblich einverleibt sind« (Nagl-Docekal 1999, 67).