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Foto: Gudrun Krieger

Doris Mitterbacher a.k.a. Mieze Medusa

lebt in Wien und fährt oft Zug. Aktiv als Slammerin, Rapperin, Autorin und Herausgeberin. Seit acht Jahren Gastgeberin des monatlichen textstrom-Poetry-Slams in Wien. Initiatorin von Ö-Slam, der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaft (gemeinsam mit Markus Köhle). Zahlreiche Auftritte und Veröffentlichungen mit der Band »mieze medusa & tenderboy«. Teil der Lesebühne Dogma. Chronik. Arschtritt. (gemeinsam mit Markus Köhle und Nadja Bucher). www.miezemedusa.com

Bisher erschienen:

Mia Messer. Roman (Milena, 2012)

Mundpropaganda. Slam Poetry erobert die Welt (Milena, 2011)

How I Fucked Jamal (Milena, 2010)

Doppelter Textpresso (Milena, 2009)

Ping Pong Poetry (Milena 2013)

Meine Fußpflegerin stelle Fragen an das Universum (2015)

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nicht für m
nicht wegen m
aber nicht ohne m

Inhalt

Fast schon typisch

Der Abend davor

Ich schwitze öffentlich

Zwischendurch passiert nicht viel

Unter Zugzwang

Ich leite Schritte ein

Pakt mit dem Weib

Grau meliert und gar nicht grummelig

Stop n’ go

Vollstreckbare Rückstände

Salzwasser

Verzichtbares

Was Neues, was Fieses, was Glitzerndes

Wo ist mein Chefsessel?

Seifenblase

Gerne gut

30-mal kauen und versuchen, nicht zu denken

Siehst du mich?

So einfach ist das nicht

Aufstehen, Alltag, aller Tage Abend

Frustbekämpfung mit monetären und anderen Mitteln

Fiese Ilsen-Showdown

Gewitterzone

Milchkaffee mit Latte

Zwischenstand

Nah am Wasser

B sagen

Klabauterfrau

Plan B

Mit wem stiehlst du Pferde?

Auf zur Indikatorwelle

EaEdW (Exil am Ende der Welt)

Null Acht Fünfzehn Null Null Sieben

Home Sick Queen

Am Stand sprinten

Stehversuch und Wassertaufe

Saudade mit Schreikrampf

Die See ist ein Miststück

EaEdW (Einsam am Ende der Welt)

Am Strand sprinten

N.K. nach Hause telefonieren

Im Strandhaus

Lange Leitung

Wilde Ehe

Mieze Medusa NEUER ROMAN!

Mieze Medusa bei MILENA … bester Stoff!

Fast schon typisch

Ich besitze: ein Jeanskleid von Diesel, das die Hüften hochwandert. Der Schnitt, obwohl XL, nimmt keine Rücksicht auf meinen Körper. Alternativ: Der Körper entspricht nicht den gängigen Vorstellungen aufstrebender Jungdesigner. Immerhin denkbar.

Ich besitze: einen Anzug von C & A, ein Überbleibsel der Matura. Wie durch ein Wunder passt er noch und erregt klassisch geschnitten kaum Aufsehen. Kleidung, nie in Mode gewesen, kann nicht unmodisch werden. Nur abgetragen. Was sie nicht wird, da die Trägerin zumeist auf das Tragen verzichtet.

Was ich besitze: einen uralten Palm III, der sich charmant Termine merkt, wenn er ausreichend satt gefressen ist mit Strom.

Geld für noch ein Mal Miete.

Einen MP3-Player, der die Wartezeit aufs Vorstellungsgespräch mit weltfriedenstiftendem Ethnogeschrammel und Delfingestöhne versüßt. Alternativ: Techno oder D’n’B bei sportlicher Runderneuerung der körpereigenen Kurven.

Ein vorlautes Karma und einen Pakt mit dem Donauweib.

Einen Lebenslauf, auf gutes Papier gedruckt.

Einen Armreifen, der glauben macht, man hätte sich mit Bedacht auf unverwechselbare Ich-AG gekleidet. Quasi mit Geschmack, je nach Wertesystem des Gegenübers eventuell mit fragwürdigem.

Was ich außerdem besitze: ein paar Ideen und die Hoffnung auf ein gewogenes Gegenüber. Das Gegenüber besitzt eventuell einen Job für mich.

Der Abend davor

Ich bin geladen zur Präsentation eines neuen Magazins für Segelsport: windwards, kein ganz mieser Titel für einen Sci-Fi-Seller über sonnenwindereitende Piraten; ein ganz beschissener Name für ein Segelmagazin. Der Name ist von mir.

Die Kreativleitung hatte davor »Steife Brise« und »Fön & Luft« unkommentiert abgelehnt, »Windwissen« hab ich gar nicht mehr vorgeschlagen. Meine freischaffenden grauen Zellen haben noch »Wassertaufe« und »echolot« über den körpereigenen Binnensee geweht. Auf windwards konnten wir uns dann einigen. Jetzt jedenfalls Launchfest mit erstaunlich großem Buffet für ein Segelmagazin in einem Land, das seinen Meerzugang schon vor langer Zeit beim aristokratischen Poker verloren hat.

Ich lege Dieselkleid, Killahturnschuhstiefel und das Armband an. Die bunten Dreads winde ich zu einem Turban, ein Zugeständnis an meine Auftraggeber und die Julihitze. Der Abend verspricht, satt zu machen mit Seelachs, Pinguinfilets und Tangtrüffel. Das hebt meine Laune und ich stecke übermütig eine Plastiknixe in meinen Haarturban. Leider ist nicht mit Stromausfall oder Sicherungsdurchbrand zu rechnen: Die Nixe würde im Dunkeln glänzen und fluoreszieren.

Was ich besitze: jede Menge Tand und Plunder.

Meine gedruckte Einladung reibe ich dem misstrauischen Türsteher unter die Nase. Sein Kollege grinst und sagt: »Danke, Nora«, und bringt mich damit aus dem Takt. Die Einladung ist auf eine vornamenlose Frau Klein zugelassen. Ich fahnde nach der Person unter der Uniform und entdecke Herbert, eine Liebelei, die die erste Nacht nicht überdauert hat. Er zwinkert mir zu. Ich diktiere meinem Kurzzeitgedächtnis, ihm später ein paar Matjes hinauszubringen. Sein fischiges Katerfrühstück war ausschlaggebend für meine Entscheidung, der ersten Nacht keine zweite folgen zu lassen. Ich bin nicht militant vegan, eigentlich bin ich noch nicht einmal Vegetarierin, doch es gibt Grenzen – vor allem beim Frühstück. Aber ich habe nichts gegen Herbert, warum soll er also nicht auch Freude am Buffet haben.

Ich schwebe zum Steg und sehe den Mücken bei ihrer Lebenslust zu. Nach fünf Minuten bin ich ausreichend hypnotisiert und betrete den Festsaal, in dem launige Reden den Abend gestalten sollen. Ich lehne mich zurück und mache meinen Kopf frei. Tiefenentspannung ist gut fürs Karma, Lächeln und große Augen machen gut fürs Geschäft.

Mein Magen knurrt elend. Ich habe noch nichts gegessen heute. Schließlich wurde auf der Einladung das Buffet explizit erwähnt und in meinem Kühlschrank gammeln nur noch zwei Karotten, eine Sellerieknolle und übrig gebliebene Nudeln. – Als Suppe für mein Frühstück morgen, dann ist erst mal nichts zu erwarten, bis sich meine aktuellste Honorarnote als Geld auf meinem Konto niederschlägt. Das kann je nach Zahlungsmoral morgen oder Ende des Monats sein. Ich habe schon alle Kongresse, Lesungen und Vorträge der nächsten Woche im Palm notiert; ein Freund, der einer gewissen Sorte Milchprodukte verkaufstechnisch unter die Arme greift, hat mir den Plan für die nächsten PR-Aktionen verraten. Ich mag Joghurt nicht besonders, aber man muss darauf achten, dass die Ernährung auch in schlimmen Lagen nicht allzu einseitig wird.

Ich entdecke den Zuständigen für meine Honorarnote schräg hinter mir. Der Sessel neben Herrn Stromer ist leer und ich überlege, ob ich mich zu ihm setzen soll. Zu viel des Guten verkehrt sich immer ins Gegenteil, also bleibe ich auf meinem Randsessel ein paar Reihen vor ihm. Ich entschließe mich zu einem sanften Lächeln in seine Richtung und versuche, mit einfachen Meditationsübungen sein Karma für mich zu gewinnen. Fünf Minuten später drehe ich mich um, er ist eingeschlafen. Mein Magen knurrt schon wieder. Um nicht durch subkutane Geräusche aufzufallen, schleiche ich mich aus dem Festsaal. Suche das Klo und trinke Wasser, bis mein Magen gurgelt. Gern würde ich mein heißes Gesicht unters Wasser halten, aber Mascaraaugenringe und verschmiertes Rouge sind dem Gesamteindruck abträglich.

Mein Karma meldet sich zu Wort und protestiert vehement gegen das künstliche Errichten einer Fassade zwischen mir und der Außenwelt. Wenn du müde und hungrig bist, so mein Karma, dürfen das auch alle wissen. Ich verbiete meinem Karma den Mund. Mein Karma verwehrt sich gegen diesen Befehlston. Ich verlege mich auf Betteln und verspreche Besserung und Ausgleichendes: Unter dem Jeanskleid trage ich einen Bikini. Auf dem Heimweg werde ich in einem Nebenast der Alten Donau das Donauweib verehren und mein Karma mit den Mücken tanzen lassen, ganz ohne Fassade und in Einklang mit mir, der Natur und was sonst noch so in der Gegend herumhängt. Dass sich mein Karma jetzt mit einem Hund, der kurz von der Leine gelassen wird, verglichen fühlt, war keine Absicht. Dass es beleidigt schweigt, ist mir nur recht.

Zurück im Saal gibt es immer noch Reden. Das Mikro kann über die Unruhe nicht mehr hinwegtäuschen, aber keiner traut dem Redner ausreichend Flexibilität zu, sein Vom-Blatt-Gelesenes abzukürzen. In Buffetnähe zuckt eine junge Frau mit ihren Achseln. Ich muss grinsen, sie trägt einen hautengen Dieselanzug aus der gleichen Kollektion wie mein Kleid. Immerhin hat sie offene Sandalen gewählt und mausgraue, asymmetrisch kurz geschnittene Haare anstelle meiner bunten Dreads. Sie fängt meinen Blick auf. Ich lächle, aber die Wirkung verpufft. Die Frau scheint den Auftrag zur Einzigartigkeit eine Spur ernster zu nehmen als ich. Wahrscheinlich ist sie Art-Director kurz vor der Anstellung.

Endlich eröffnet sich das Buffet. Ich stopfe Lachs in mich hinein, wegen der Omega-3-Dinger. Ich lege gegrilltes Zanderfilet nach, das ich mit genug Zitronensaft beträufle, um meinen Vitamin-C-Tagesbedarf zu decken. Ich trinke Weißwein, weil er zum Fisch passt. Ich esse die Salatdekoration, weil ich Salat mag. Leider bin ich kein Kamel und muss bei diesen Gelegenheiten aufpassen, dass ich nicht zu viel esse und gleich wieder aufs Klo rennen muss. Das hilft zwar beim Dünnbleiben, aber nicht beim Sattwerden.

»Passen Sie auf, sonst platzt das Kleid«, spuckt eine Stimme hinter mir auf meinen Teller. Ich drehe mich um, es ist der Dieselanzug.

»Schöner Anzug«, keife ich zurück. Ich gehöre nicht der Schule an, die aus religiösen Gründen stoisch die andere Wange hinhält. Aus diesem Verein bin ich schon lange ausgetreten. Außerdem ist mein Innenleben gerade mit dem Verdauen des Zanderfilets beschäftigt und ruft mich nicht zu Friede, Freude, Eierkuchen auf. Mein Gegenüber stellt die lackierten Zehennägel neben meine Stiefel. Ihre Oberschenkel kommen in diesem Winkel gut zur Geltung. Ich platziere meinen Teller auf dem Buffet, um meine Hände für die Verteidigung frei zu haben. Als der Angriff ausbleibt, greife ich nach einem Glas Wein und drücke es ihr in die Hand.

Friedensangebot.

Sie lädt sich eine beachtliche Portion Matjes auf einen Teller und grinst mir zu. Vielleicht hatte auch sie eine Liebelei mit Herbert, dem Türsteher, und will ihm aus nostalgischen Gründen Gutes tun. Aber nein, sie setzt sich auf einen der Sessel und stellt den Teller auf die Schenkel. Ich reiche ihr eine Serviette. Es schadet nicht, den Art-Director kurz vor der fixen Anstellung zu kennen. Außerdem ist sie ungefähr in meinem Alter und kein Mann, der seine Augen nicht von meinem Dekolleté wegkriegt.

Ein paar Sätze und gekaute Repliken später beginne ich mich zu amüsieren. In meinem Magen rollt der Fisch hin und her. Ich hole mir ein paar Petersilkartoffeln und einen Schnaps zur Beruhigung.

Sie heißt Britta. Sie ist die Tochter von irgendwem. Ihre Augen sind grün. Sie isst wie ein Scheunendrescher. Ich mag das.

Wir nehmen unsere Gläser und eine Flasche Wein mit nach draußen. Die Mücken umschwirren die Gäste und treiben sie der Reihe nach zurück ins Haus. Mich lassen sie in Ruhe, ich habe einen Pakt mit dem Donauweib oder einfach zu viel Fisch im Blut. Britta hat ein gutes Gelsenmittel. Ihre Lippen schimmern im Mondlicht, eine Gelse schwirrt an ihren Augen vorbei, und ich falle tiefer in meine Trance, aus der mich das Buffet nur kurz geweckt hat. Mein voller Bauch drückt den Trägheitslevel nach oben. Sie nimmt meine Hand, ich bin ein bisschen erstaunt und relativ erfreut. Sie zieht mich an sich und riecht an meinem Hals, presst ihre Lippen auf mein Kinn. Ich bin relativ erstaunt und nur noch ein bisschen erfreut. Überfallsartige Berührungen verwirren mich. Wenn ich verwirrt bin, schlage ich um mich. Spontane Fast-schon-Liebhaber holen sich so üblicherweise ein blaues Auge. Aber ich mag Britta, ich will ihr kein Veilchen verpassen. Mit Mühe halte ich meine Abwehrreflexe unter Kontrolle, verweigere mir das Zerkratzen ihrer Haut und die anschließende Flucht.

Ihre Finger fahren meinen Haarturban entlang, streichen über meine Arme, meinen Arsch und folgen dem Saum meines Kleides. Sie schieben es hoch. Mir gelingt kein Wort. Ich versuche, meine neue Freundin wegzuschieben, ohne sie vor den Kopf zu stoßen oder gegen ihren Bauch zu schlagen. Ich will ihr nicht zu nahe treten, sie mir offensichtlich schon.

Die Tür zur Veranda wird mit Schwung aufgeschoben, Britta drängt sich enger an mich. Das Geländer presst sich gegen meine Wirbelsäule, ich bekomme kaum noch Luft. Meine Arme rudern hilflos. Es gibt Leute, die behaupten, Sauerstoffmangel verstärke den Orgasmus. Mich befremden solche Praktiken. Der Druck auf Brustkorb und mit Fisch gefüllten Bauch tut absolut nichts für meine Libido.

»Ach du«, flüstert Britta resigniert und lehnt sich neben mich, zündet sich eine Zigarette an. »Britta«, empört sich eine erwachsene, um nicht zu sagen väterliche Stimme.

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Die Frau wird zur Salzsäule, nach einer Schrecksekunde erwacht sie und schiebt sich schützend vor mich. Das finde ich süß, fürchte mich aber nicht. Was habe ich schon zu verlieren? In meiner Branche gehört variable Sexualität fast schon zum guten Ton. Britta geht auf die Stimme zu, packt am Arm oder wird am Arm gepackt und verlässt die Veranda. Ich habe mal wieder überhaupt keine Ahnung, was passiert ist. In meinem Magen rollt ein unheilvolles Gemisch aus Wein und Fisch hin und her. Ich will mich setzen und gehe hinein.

Der für meine Honorarnote zuständige Herr Stromer steht in der Nähe des Buffets. Von Britta gibt es keine Spur. Ich gehe zu ihm hinüber. Vielleicht kann ich ja durch kurzen Smalltalk die Abwicklung der Bezahlung beschleunigen und so erneut die Zahlungsfähigkeit erreichen. Wenn nicht, kann ich ein paar Matjes auf einen Teller schaufeln und zu Herbert gehen.

Herr Stromer schaut mich nachdenklich an. Mein Kleid kommt mir sehr kurz vor, vielleicht hat Britta es eine Spur nach oben geschoben. Ich verziehe meinen Mund und hoffe, er deutet ein Lächeln an. Begrüße den Mann, stelle ein paar Fragen, erzähle eine kurze Anekdote, gratuliere zum erfolgreichen windwards-Launch. Er wirkt verwundert und vielleicht einen Hauch irritiert. Hinter seiner Stirn scheint es zu arbeiten und schließlich fallen zwei Euro oder drei.

»Was sind Ihre weiteren Pläne, Frau Klein, sind Sie in die Weiterführung von windwards eingebunden?«, fragt er. Ich antworte vage. Es gibt noch keine konkreten Anfragen, der Kontostand lässt aber derartiges sehr wünschenswert erscheinen.

»Einen schönen Kopfschmuck haben Sie da. Die Nixe leuchtet im Dunkeln, nicht wahr?«

Ich bestätige verdutzt.

»Ich muss meine Tochter nach Hause begleiten, sie leidet unter Kopfschmerzen, hat vielleicht eine Kleinigkeit zu viel getrunken. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.«

Er grinst schmutzig und geht zum Ausgang, fängt Britta ab, die wohl vom Klo kommt. Ihre Augen wirken glasig. Herr Stromer greift nach ihrem Ellbogen. Er greift sehr fest zu. Eine unglückliche Verkettung von Umständen konstituiert sich vor meinen Augen. Ich packe mir ein bisschen Fisch in meine Handtasche und gehe dem Donauweib mein Leid klagen.

Ich schwitze öffentlich

Ich sitze in der U-Bahn und vermeide den Blick nach unten. Kinnabwärts befindet sich eine Fremde: ein Rock im zartesten aller knalligen Rots, ein schlichtes T-Shirt im angepasstesten aller politischen Lilas. Die Schuhe sind, grundsolide, nicht der Rede wert. Nach dem gestrigen Debakel bin ich auf der Suche nach weiteren Standbeinen.

Ich bin also auf Jobsuche.

Da trifft es sich gut, dass eine Firma, bei der ich mich nur aus Jux beworben habe und um herauszufinden, wie die Aktie momentan steht – meine Aktie, meine ich –, sich tatsächlich zurükkgemeldet hat. Ich bin vorgeladen. Ich bin frisch geduscht und mit dezentem Parfum und einer professionellen Bewerbungsmappe bewaffnet. Abgesehen davon schwitze ich hochsommerlich und weiß nicht, wie lange ich noch bis zum Zielort brauche. Mein Vorstellungsgespräch beginnt jetzt. Leider kann ich nicht anrufen und mich für meine Verspätung entschuldigen, mein Handybetreiber sah sich aufgrund meiner Zahlungssäumigkeit in seiner Kooperationsbereitschaft provoziert.

Ich verlasse die U-Bahn und finde ermutigend schnell die Bushaltestelle der Vorortelinie, die mich tiefer in den mir unbekannten Stadtteil bringen soll. Der Bus wird in zwei Minuten kommen, das gibt mir Zeit, um auf dem Plan die Lage auszuloten. Den Straßennamen weiß ich, die Hausnummer auch. Ich verschwende keinen Gedanken an mein Dilemma: Die Wahrheit ist, ich weiß nicht mehr, für welchen Job ich mich beworben habe. Beim Abschicken der Bewerbung war es mir nicht besonders ernst mit meiner Jobsuche. Jetzt hat mich der Ernst des Lebens von hinten überholt. Ich würde fast alles machen. Ich habe Hunger.

Der Zuständigen für Human Resources kann man keine Verärgerung über 35 Minuten Verspätung anmerken. Sie hat entweder ein gutes Pokerface oder ist das Warten gewöhnt. Die Firma ist wirklich weit draußen. Was seinen Durchmesser betrifft, ist Wien auf jeden Fall großstadttauglich.

Geschäftig befüllt sie ein Datenblatt mit Informationen über mich. Ich beschließe, im Gespräch nicht allzu sehr auf Pünktlichkeit als Kernkompetenz zu bestehen. Die Frage nach meinen Vorstellungen und Ambitionen beantworte ich ausweichend. Es wäre alles in allem doch eine Hilfe zu wissen, für welche Position in welchem Arbeitsbereich ich mich so gerne zur Verfügung stellen würde.

Ein Computer lässt sich mit einem Fragebogen füttern, der scheinbar irgendetwas über mich, meine Persönlichkeit und meine versteckten und unterdrückten Tendenzen weiß. Er spuckt ein Profil aus, in dem ich mich nicht wirklich wiedererkenne. Der Computer hält mich für eine Pedantin ohne Fantasie und Teamgeist. Mein Karma zeigt dem Computer in schneller Folge einen Vogel und den Stinkefinger. Ich muss lachen, bin aber gar nicht so empört. Ich habe momentan den Verdacht, dass eine Pedantin bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.

Die Zuständige für Human Resources grinst mich von der Seite an. Sie kann Gedanken lesen. Sie scheint mich außerdem zu mögen. Einen Job hat sie deshalb noch nicht für mich.

Ich übersetze mir ihre neutral bedauernde Absage: Keine Dreadlocks bitte, und gedecktes Rot ist immer noch kein Dunkelblau. Es könnte aber auch heißen: Solange Sie selbst nicht wissen, was Sie wollen, kann ich nichts für Sie tun. Oder: Kommen Sie das nächste Mal doch bitte pünktlich.

Ich verlasse das Büro und konsultiere meinen Palm für Plan B. Meine Verspätung rächt sich gleich noch einmal: Ich werde es zur nächsten Joghurtausgabe nicht mehr schaffen. Der Tag kotzt mich an. Ich überdenke die Lage und rette mich zu einem Altarm. Donauweib, ich komm, dir huldigen!

Schon wieder. Vielleicht kann ich ein paar Algen schlucken, soll ja gesund sein.

Zwischendurch passiert nicht viel

Brittas Vater scheint wirklich böse zu sein. Das Geld kommt und kommt nicht an.

Bankomaten ignorieren meine Karte nicht einmal mehr, sondern fangen schon zu lachen an, wenn ich nur an ihnen vorbeigehe.

Ich habe Herrn Stromer zwei E-Mails geschickt, er hat sie nicht beantwortet. Ich habe ihn schriftlich gemahnt und ihm eine letzte Frist gestellt; ich weiß, dass er zahlen wird.

Er will mich ärgern, aber er will keinen Ärger. Er nützt jeden Spielraum und jede Verzögerungstaktik aus, bevor er zahlt. Man küsst nicht die Tochter vom Chef. Das hat mir mein Vater eingebläut und der sollte es wissen, er wurde vom Familienunternehmen kusswendend als Geisel genommen und hat schließlich die Tochter des Chefs geheiratet. Geschichte wiederholt sich, nur Familienunternehmen gibt’s kaum noch.

Erzählen werde ich meinem Vater nichts von meiner Misere. Ich will ihn nicht unnötig schockieren, er leidet schon genug unter meinen Haaren und meiner Kleidung, die ihm entweder zu bunt, zu kurz und zu nuttig oder zu schlampig und zu weit ist. Wenn ich die Cheftochter in einen Chefsohn umdichte, verliert die Anekdote deutlich an Glaubwürdigkeit. Der Gedanke verbessert meine Laune überhaupt nicht. Ich beschließe, möglichst bald einen Sohn zu gebären und ihn in Sachen ausgleichender Gerechtigkeit in eine Klosterschule zu schicken und auf intaktem Schließmuskel bis zur Ehe zu bestehen.

Nachdem ich mir Kaffee gekocht und meine Mails gecheckt habe, verwerfe ich diese Maßnahme als übertrieben. Schließlich wäre ich dann Mutter und das ist trotz oder wegen der konservativen Regierung kein leichter, und vor allem ein schlecht bezahlter Job. Immerhin versteckt sich eine gute Nachricht zwischen Spam und Belanglosem.

Herr Zach, ein früherer Kunde, wünscht sich eine vorsichtige Adaption seines Logos, der Homepage und diverser Drucksorten. Das momentane Design ist ihm zu wenig ausgereift. Kein Wunder, er hat es ausgesucht. Mein knurrender Magen macht erst einen Luftsprung, dann erinnert er sich an die endlosen Treffen mit dem unentschlossenen Firmenchef und zieht sich sauer zusammen. Ich rülpse. Danach krame ich die alten Entwürfe heraus und fühle mich sofort bestätigt.

Den besten Entwurf hat Herr Zach damals abgelehnt, nun ja, das ist weder selten noch bemerkenswert. Es ist aber auch mein Vorteil: Ich bin mir sicher, dass er sich bewusst an nichts mehr erinnern kann, unbewusst wird ihm das Logo vertraut erscheinen. Er wird es mögen. Es ist gut, Himmelherrgott.

Mein Karma verweist darauf, dass ich weder auf Himmel noch auf Herrgott bauen kann. Die Versicherungspolizze hast du gekündigt, mault es. Ich vereinbare einen Termin Anfang nächster Woche. Herr Zach soll nicht denken, ich hätte sonst nichts zu tun.

Danach kontaktiere ich die Agentur, die mir gelegentlich kleinere Aufträge vermittelt – leider ohne Erfolg. Auch auf den Karriereseiten der Tageszeitungen herrscht Flaute. Vor der ganz großen Demütigung mache ich mir einen frischen Kaffee.

Kribbelig von meinen viel zu hohen Koffeinwerten durchsuche ich die Jobseiten der Hochschülerschaft nach schnellen schmerzlosen Studentenjobs. Nein, ich studiere nicht mehr. Ja, ich bin schon voll berufstätig. Nein, ich habe keinen Spaß daran, neue, junge Menschen kennenzulernen. Ja, ich brauche Geld, so dringend. Für Flyerverteilen und Spendenkeilen bin ich trotz allem nicht verzweifelt genug.

Ich entscheide mich für die einen Hauch mehr Glamour versprechende Variante und werde zum Mystery Shopper.

Ich rufe die angegebene Nummer an und werde sofort akzeptiert. Die Firma mailt mir den Vertrag, ich male im Photoshop drei Kreuze über die Linie meines Namens und returniere das rechtlich sicherlich bindende Schriftstück. Sie schicken mir einen Link mit Arbeitsanweisungen und ich verbringe den Rest des Nachmittags damit, Hochglanzbroschüren für Büromöbel zu bestellen. Mehr darf ich nicht sagen, habe ich mich doch mit drei Kreuzen zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet.

Als ich anfange, ob der einfallslosen Websites zu gähnen, beende ich meinen Arbeitstag und enthaare gründlich meine Beine, trage Nagellack auf, ziehe irgendetwas an und fahre ins Zentrum.

Ich liebe die Luft, die durch meine glatten, schnell tretenden Beine verdrängt und aus der Ruhe gebracht wird. Im Zentrum hänge ich mein Rad an einer Laterne an und besetze den öffentlichen Raum, der sich mir in Form von ultracoolen, DJ-beschallten Sitzmöbeln unter die Nase reibt. Ich höre den Touristen und den Wiener Hipsters bei ihrem Geplänkel zu und zum ersten Mal seit Tagen überhaupt nicht auf die Selbstgespräche meines Karmas. Gelegentlich nehme ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche. Aber nicht zu oft, ich will meinen Platz hier nicht aufgeben, denn es ist ein gutes Stück bis zur Schlange vor dem nächsten Klo.

Unter Zugzwang

Aus dem Papierwulst Werbungen, die ich sofort ins Altpapier schmeiße, und Rechnungen, die ich unbeachtet auf den anderen Altpapierhaufen auf den Küchentisch lege, zupfe ich eine ziemlich abgegriffene Postkarte. Meine Mutter sucht sich selbst und zerrt, seit sie das Familienunternehmen an den Meistbietenden verkauft hat, meinen Vater mit sich rund um die Welt. Die Postkarte zeigt auf der Vorderseite eine peruanische Pyramide oder jedenfalls eine Art dreieckigen Turm und teilt mir auf der Rückseite mit, dass meine Eltern sich vom Strand von Hawaii fernhalten und das touristisch weniger vereinnahmte Hinterland inspizieren. Das Essen sei gut, das Wetter sowieso und ob bei mir eh alles in Ordnung sei. Mein Vater ist wahrscheinlich der einzige Mensch weltweit, der Second-Hand-Postkarten zum Kilopreis im Internet kauft und mit auf seine Reisen nimmt. Die Postkarten von den tatsächlichen Reiseorten, erklärt er gern und wortreich, brauche er selbst, die klebe er später malins Fotoalbum. So erspare er sich das ständige Knipsen, das finde er respektlos. Außerdem mache das schon meine Mutter.