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Redaktion: Milena Verlag

INHALT

c/o

Vorwort

Aga Folie

Schrankwechsel

Susanne Hochreiter

An jedem Tag

Verena Lechner

Open up your closet

Ulrike Lunacek

Von Hendlhaxn und Einbettzimmern

Silvia Markart

… what about laying in the sand watching the dolphins at point dume, Malibu one day?

Brigitte Menne

Der Innenhof. (Ein Prosa-Mosaik in 33 Voluten)

Mirjam Müntefering

… I’m about ready to take the whole world all inside …

Regina Nössler

Die Klassenfahrt

Helga Pankratz

Sagen wir »du«

Petra Paul

Zwilling

K. P.

Leichen pflastern ihren Weg. Ein lesbisches Märchen

Claudia Rath

Ein ganz offenes Haus …

Karin Rick

Help-TV

Ariane Rüdiger

Ein sehr spezielles Plätzchen

Marlen Schachinger

Zwischen-Welten

Christina Schlemmer

Von Gulaschflecken und gletscherweißen Kacheln

Hannelore M. Schneider

Geleuchtet / Gelitten / Geleuchtet

Jutta Sommerbauer

Prawda

Corinna Waffender

Vaterpost

Astrid Zach

Die Verspätung

Die Autorinnen

VORWORT

c/o

Endlich hat es sein Coming-out! »c/o – storys« – ein Lesben-Lesebuch – mit Beiträgen von 20 Autorinnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. 20 Storys, biographische und fiktive, witzige und ermutigende, aber auch ernste und traurige.

Mit der Ausschreibung wollten wir möglichst viele Autorinnen erreichen, vor allem auch jene, die bislang mit ihren Texten noch nicht »herausgekommen« sind. Das ist gelungen, und wir freuen uns, in diesem Band eine Vielfalt an »c/o-Werken« präsentieren zu können. Es sind sehr unterschiedliche Geschichten, zu denen sich die Autorinnen inspirieren liessen.

20 Einblicke in lesbische Leben. 20 Ausschnitte aus lesbischen Leben. 20 verschiedene Zugänge zu lesbischen Leben. Vom Versuchen und Gelingen und vom Scheitern.

Von den frühen 70er Jahren bis ins angebrochene dritte Jahrtausend. Was sich verändert hat, oder aber nicht. Wie es weiter geht. Von Ängsten und Erfolgen. Von der Aufregung der Anfänge, des Kennenlernens, vom Glück, wenn die Liebe zu einer anderen Frau erwidert wird, vom Stolz (und auch von den Anstrengungen, derer es bedarf,) lesbisch zu sein! Die Geschichten handeln auch von den Schwierigkeiten des Rauskommens bei den Nächsten, bei Mutter, Vater, Geschwistern, Freundinnen und Freuden, oder gar dem Ehemann! oder Geliebten, – frau wird ja nicht lesbisch geboren. Oder lehnt den Begriff lesbisch für sich ab. Von dem Prozeß des Selber-Draufkommens, von den inneren Kämpfen, andere davon in Kenntnis zu setzen, von der Stärke, mit den Reaktionen anderer fertig zu werden. Oder von der riesengroßen Erleichterung und Freude, wenn das Coming-out (als Lesbe oder bisexueller Frau) nicht nur Rauskommen, sondern vielmehr Ankommen bedeutet und dementsprechend freudige Begrüßung findet.

Euch und uns wünschen wir, dass dieses Buch viele Leserinnen (und Leser) erreicht. Dass es nicht nur ermutigend ist, sondern auch hoffentlich bewusstseinserweiternd und antidiskriminierend wirkt. Und dass es den Blick bezüglich nicht-heteronormativer Lebensweisen schärft.

Wir danken allen, die uns nach unserer Ausschreibung ihre Texte geschickt oder uns Auszüge aus ihren Romanen für diese Anthologie zur Verfügung gestellt haben.

Über Anregungen sowie Vorschläge für weitere Publikationen in diesem Sinne würden wir uns freuen!

Die Herausgeberinnen aus dem Milena Verlag, Karin Ballauff, Lika Trinkl

Wien, im August 2004

Schrankwechsel

Aga Folie

c/o

»In meinem Schlafzimmer steht ein Schrank. Es ist ein richtig großer, so wie man vielleicht gleich ein Bild davon hat, wenn man das Wort hört: ein schlichter, alter, heller Eichenholzschrank mit Messingknäufen. Auf vier kurzen Beinen steht er fest am Boden und blickt mich einäugig an. Das Auge ist der Spiegel an der linken Tür.

Im Inneren hängen Herrenanzüge. Sie gehören aber nicht mir, auch wenn ich manchmal wünschte, ich wäre einer, der sie tragen könnte. Sie gehören meinem Mann. Der existiert real und die Anzüge passen nur ihm. Mir nicht.

Bei der Frau, die ich liebe, steht auch ein Schrank im Schlafzimmer. Es ist aber einer aus einem modernen Möbelhaus, Vollholz und ebenfalls mit Anzügen gefüllt. Sie wünscht sich nicht, sie tragen zu können. Sie gehören ihrem Mann, mit dem sie das Schlafzimmer teilt, seit dreißig Jahren. Ich teile meines nie, schon zu Beginn der Ehe nicht. Manchmal teilte ich kurzfristig das Bett, aber seit einigen Jahren nicht mehr. Es wäre unerträglich und es ist unpassend.

R., ihr Anzugträger, darf es aber nicht wissen, dass wir einander lieben. Kaum jemand von ihren Bekannten darf es wissen.

D., mein Anzugträger, weiß es, und es ist ihm egal. Mir ist nicht egal, dass er noch immer in meiner Wohnung haust. Es sei schön hier und wir hätten es damals so vereinbart, dass er nach der Heirat zu mir in die kleine Stadt zöge. Wo er jetzt hin solle, fragt er mich. Ich weiß keine Antwort, im Moment.

M. und ich wissen uns auch keinen Rat, wie wir endlich zueinander kommen können. Wir reden und reden. Die Kolleginnen und Kollegen in der Schule wissen vage, dass ich sie liebe und sie mich. Aber es gibt auch ihre Mutter, der davor graust und deren Herz aussetzen wird, was schon einmal passiert ist. Wegen mir nämlich, sagt sie.

M. lügt den ganzen Tag, die ganze Nacht und am nächsten Tag wieder. Ich muss mitlügen, zumindest vor den Kindern, und will das überhaupt nicht. Sie hat im Frühjahr mit einer Therapie begonnen. Jetzt weint sie sehr oft und kann es noch weniger denn je sagen. Ich eile zwischen Flucht und Mitleid, Wut und Schmerz hin und her, und je nach Tag oder Nacht ist das eine oder andere stärker. Aber es reißt nie ab.

Morgen gehe ich mit drei anderen Frauen wandern. Zwei von ihnen waren mal ein Paar, die Dritte war kurzfristig mit mir eines, als ich versuchte, nicht mehr M., sondern Ch. zu lieben. Das war falsch, und so sind wir einfach vier Lesben, die wandern gehen. Sonntags, wenn andere lügen und am Tisch die gute Gattin mimen. Diesen Sonntag ist M. bei ihrer Mutter zum Essen. R. ist auch dabei und man redet über dies und das. Dass niemand irgendein Anzeichen bei M. erkennt, macht mich wütend, denn sie bleibt bei denen, die nicht sehen und nicht hören. Und die schon gar nicht fühlen. Wollen. Sie wollen einfach nicht, und daher spüren sie nichts. Und sie bleibt Mutter und gute Gattin.

Dann weint sie, wenn wir darüber reden und ich sie küsse und dabei ihre müden Augen berühre, sie schnäuzt sich und seufzt. Dann zieht sie sich aus, ich auch, und wir steigen neben meinem Schrank in mein buntes Bett. Zunächst still und dann laut, aber nie gleichmäßig. Ich genieße es und will nicht darauf verzichten. Aber es dauert schon zu lange, das Warten, sage ich am Telefon, wenn sie wieder im Haus, wo ihr Schrank steht, in der Küche sitzt und Mathematikhausübungen korrigiert. Abends. Ich korrigiere meine Hefte in der Schule, damit ich abends Zeit habe. Wozu? Um mit M. zu telefonieren, wenn nicht gerade R. in die Küche kommt und sie dann sofort das Thema wechselt, sich unverbindlich freundlich mit mir unterhält. Verlässt er den Raum, können wir weiter reden, über Dinge, die wir aber nicht lösen können. Manchmal weint sie dann, oder ich weine, und die Sache geht mit uns schlafen und sitzt morgens auf der Bettdecke, hämisch grinsend: Eine Aufgabe, die zu lösen uns unlösbar scheint.

Gelegentlich möchte ich sagen, dass M. meine Lebensgefährtin ist. Einfach so würde ich es sagen mögen. Aber einmal geht es nicht, weil es nicht stimmt und ein andermal kann ich es nicht sagen, weil es mir peinlich ist, wenn es mein Gegenüber irritiert. M. ist doch eine Frau und das ist ja eigenartig, dass eine die Lebensgefährtin einer Frau ist. Gut, dass sie nicht wissen, dass ich manchmal eine Anzugträgerin sein möchte. Das wäre noch irritierender.«

Ich drücke die Pausentaste meines kleinen Walkmans und blicke A. erwartungsvoll an. Sie hat aufgehört zu reden und einfach versonnen vor sich hin geschaut, also habe ich die Pausentaste gedrückt. Ein so langes Schweigen aufzunehmen würde mich zu viel Zeit bei der Abschrift kosten, denn schließlich muss ich noch zwölf weitere Interviews niederschreiben, um dann herauszufinden, worin sie sich unterscheiden und welches Leben der 13 Frauen ich bestimmt nicht führen wollte. Moment, denke ich, das ist unerheblich. So einfach mit meinen eigenen Wünschen zu vergleichen. Was ist es eigentlich, das mich dazu gebracht hatte, Frauen zu fragen? Ich wollte es herausfinden, auf wissenschaftlicher Basis, damit es mehr Gewicht hat. Aber was? Dass es stimmt, dass eine, die eine Frau liebt, heute genauso darunter leiden muss wie Stephen bei Marguerite Radclyffe Hall damals? Dass zwar nicht mehr alle Liebesgeschichten ohne Happyend sind? Dass Anzugtragen jetzt wieder in Ordnung ist, weil nicht mehr zu vergleichen, denn jetzt kennzeichnet es eine ad absurdum-Führung der Geschlechter, ein Hinters-Licht-Führen aller biologistischer Denkansätze? Queertheory – das war, was sich geändert hat? Ich drifte ab.

A. seufzt und nimmt einen Schluck Wasser, trocknet die Lippen mit ihrem Taschentuch, das sie zuvor benützt hat, weil sie einfach weinen musste. Weil nichts mehr geht, weil M. wie ein sich tot stellender Käfer am Rücken liegt, die Augen fest geschlossen hält und ohne zu atmen starr die Beinchen von sich streckt. Dünne, krumme Beinchen, weit ab in die Höhe ragen sie aus dem roten Panzer mit den schwarzen Punkten.

»Sie ist ein Marienkäferl, kein Schusterkäfer, der zwar die gleiche Farbe, aber ein zackiges Muster hat und der an Baumstämmen Haufen bildet, ekelige schwarz-rote Krabbelhaufen. So ein Frauenkäferl ist allein und zart und breitet die Flügel aus, wenn es an der Fingerspitze angelangt ist, um abzuheben. Ja, so ein Käfer ist M., ein Naturwesen, das sommers alltäglich auftaucht, orange in der Sonne leuchtet und das ich auf meiner Hand tragen kann. Aber ich kann sie nicht angreifen, denn ich würde sie zerquetschen, ich muss sie fliegen lassen, damit sie wiederkommen kann. Und das macht mich traurig, dass sie nicht greifbar ist, und wenn man ihr zu nahe kommt, stellt sie sich tot.«

An dieser Stelle hatte A. plötzlich zu weinen begonnen, was mir ein wenig peinlich war, obwohl ich bei der Einschulung gelernt hatte, dass Interviews bisweilen in die Tiefe gehen können und dass die Befragten im Gespräch alles neuerlich durchmachen würden. Ich hatte das Gefühl, mich wissentlich in eine voyeuristische Position zu begeben, die ich sonst nicht einnehme.

Ich frage A., wie sie es sähe – sei nicht doch leichter, »es« heute zu sagen als vor zwanzig Jahren? Nein, sei es nicht, denn damals war sie zwar jung, aber zuwenig selbstbewusst. Sie sei nicht eine von denen gewesen, die sich im Schrank verkriechen, aber sie habe es damals nicht wirklich gewusst. »Nicht Fisch, nicht Fleisch, einfach unklar war es mir. Ich war unpolitisch und ständig darauf bedacht, irgendwie durchzukommen, dabei witzig und außergewöhnlich zu sein. Aber völlig unpolitisch. Mal mehr lesbisch, mal mehr hetero, je nach Lust und Laune. An dem einen Tag wollte ich ein Freak sein, am nächsten Tag plante ich das Leben als gediegene Gattin an der Seite eines gediegenen Akademikers in meiner Kleinstadt. Am übernächsten Tag stand ich dann vor der Haustür einer wunderschönen Frau, die ich noch am Abend meines Gattinnenlebens bei einem Pizzaessen kennen gelernt hatte, klingelte vergebens und setzte mich auf die Stufen, um auf sie zu warten, egal, wann sie kommen würde. Sie kam und es war ihr peinlich, da sie ihren Lebensgefährten erwartete, der aber nichts wissen durfte. Ich solle jetzt gehen, aber am Nachmittag des nächsten Tages sei sie allein. Also beschloss ich, bis dahin lesbisch zu bleiben und pünktlich wieder zu kommen. Sie war damals so alt wie meine Mutter, und als ich am folgenden Tag um drei auf ihrem Sofa lag, gingen mir grässliche Gedanken an Sex mit der eigenen Mutter durch den Kopf und ich verließ sie eilig. Aber erst nachdem sie vorher schnell gekommen war, durch ihre eigene Hand, übrigens.«

A. kichert verlegen und ich werde rot. Meine Güte, auch auf das sollte ich vorbereitet sein und nicht so blöde erröten, nur weil meine Interviewpartnerin selbstvergessen Intimes von sich gibt. »Was war in der Zeit zwischen zwanzig und dreißig? Noch immer nicht im Klaren, ob oder ob nicht?«, frage ich eilig und stelle fest, dass mir das L-Wort verdammt schwer über die Lippen kommt. Immer noch, oder besser: immer wieder einmal verkrampfe ich mich dabei. Lesbisch. Manchmal klingt es pathologisch, dann wieder so kämpferisch, so leichthin tapfer, aber nie entspannt, nie wie »katholisch« oder »musikalisch«.

»Aber Sie haben mich gefragt, ob es heute leichter ist, sich als Lesbe zu outen?«, fährt A. fort.

Schon wieder hat sie mich erwischt. Dabei erwischt, wie ich Eigenes einbringe, meine Betroffenheit zu verdecken versuche, um mir Blöße zu ersparen. Sie erinnert mich an meine Frage, und als fragende Wissenschaftlerin stehe ich doch über den Dingen. Sollte ich wohl. Und mich nicht an Eigenes, an Ähnliches, an ähnlich Schweres erinnert fühlen. Nein, ich bin hier, bei meiner Interviewpartnerin – und lasse mein unvollständiges Puzzle draußen. Im Auto, mit dem ich hergekommen bin. Bei dem an der Heckscheibe ein unübersehbar großer Rainbow-Sticker klebt. Da bin ich mutig.

Und doch: Genauso wenig wie mir lesbisch empathisch über die Lippen kommt, genauso wenig bleibe ich cool, wenn sie mir etwas über die Geilheit einer ihrer Geliebten schildert.

»Also, ich muss einfach sagen, dass ich heute, mir … also, ich habe mir da einen eigenen Schrank zurechtgezimmert: Er heißt Ehe und darin hocke ich fest. Es ist lähmend, denn ich weiß, dass ich festgefahren bin. Und es gelingt mir keine Entgleisung. Aus den Schienen, die mich magnetisch festhalten. Ich besitze also diesen Anzugsschrank und der steht in meinem Eheschrank in meinem Lebensschrank. Wie diese russischen Holzpuppen, Puppe in Puppe in Puppe. Manchmal«, sie lacht nachdenklich, »manchmal verlasse ich den Schrank und gestatte mir Ausflüge in die andere Welt. Nicht, dass ich das geheim hielte, nein, das nicht. Meine Familie und viele meiner Freundinnen und Freunde wissen, dass ich manchmal nach Wien fahre, ins Frauencafe gehe oder im Orlando zu Abend esse – in die Szene sozusagen. Mit irgendeiner netten Frau, selten aber mit M., denn es tut eigentlich bloß weh, wenn ich daran denke, sie danach R. wieder ausliefern zu müssen. So kommt es mir vor, vielleicht ist es nicht so. Ich bin eifersüchtig, wenn ich weiß, dass sie sich dann zu ihm ins Bett legt und nicht zu mir. Schlichtweg eifersüchtig.«

»Haben Sie nie mit ihr darüber gesprochen, wie es wäre, wenn sie sich zu Ihnen beiden bekennen würde?«, frage ich sie schnell. Das brennt mir auf der Zunge. Wie kann eine Frau wie diese hier, eine wirklich … Nein, aus, stopp, kein Urteil über ihr Aussehen, ihre Ausstrahlung. Sie ist das Subjekt meiner Untersuchung, nicht meines Begehrens. Also, wie kann man sich das so lange bieten lassen, ohne sich dabei entwürdigt zu fühlen?

»Sie hat Angst, große Angst vor Liebesentzug. Davor, dass sich ihre Familie spalten würde, dass sie sie damit zerstört. Etwas, was in ihren Kreisen heilig ist, übermächtig, erdrückend wichtig und unauflösbar. Etwas, was unsere Liebe aber auflöst. Das ist M. und mir zwar mittlerweile bewusst und deshalb haben wir nicht aufgehört, darum zu kämpfen. Aber sie fürchtet sich vor der Verachtung, mit der sie rechnet. Woher sollte sie es auch anders wissen? Sie liest ja keine Bücher über uns, sieht keine Filme, in denen wir vorkommen könnten, als glückliche lesbische Paare. Sie hat keine Role-Models. Wie auch, wenn sie immer unter Kontrolle ist? Unter dieser verdammten heterozentrierten Kontrolle – auch wenn ich mich frage, ob sie sich einfach kontrollieren lässt, aus Bequemlichkeit …«

Wütend bricht A. ab. Ich sehe, dass sie wieder mit den Tränen kämpft und spüre diese gewaltige Kraft, die uns zeigt, welchen Platz wir finden sollen, welchen Platz wir zugewiesen bekommen haben. Sie hat Recht: Es ist so schön unspießig für die Leute, Lesben oder Schwule im Freundeskreis zu haben. Man deutet uns sowieso an, wo wir zu stehen haben, und wir wissen auch, wo sie ihren überdimensional riesigen Platz in Anspruch nehmen. Den Normplatz, den wir ungern betreten. Zum einen, weil wir uns dort nicht wohl fühlen, zum anderen, weil er eben besetzt ist. Kein Territorium kreuzt das andere, auch wenn Heten auf unsere Feste gehen. Aus Solidarität? Aus neugieriger Offenheit? Auch wenn Lesben ihre Partys besuchen, an ihren Tischen zum Abendessen eingeladen sind. Aus Mangel an Abwechslung? Aus verzweifelter Offenheit? Ich lache leise in mich hinein, A. schaut mich verwundert an. Ich erkläre ihr kurz meine Gedanken und sie nickt nachdenklich dazu.

»Nicht selten würde ich am liebsten alles laut herausschreien. Hier geht es nicht darum, die Geliebte einer verheirateten Person zu sein. So im klassischen Hetero-Sinn, Sie wissen schon: die ewige Geliebte, die am Wochenende und zu den Feiertagen allein zu Hause sitzt und daran denken muss, wie der Begehrte Familie lebt.

Nein, da ist noch etwas anderes: M. spielt Heterofrau und das ist Verrat. Ich fühle mich verraten, und ich fühle sie verraten. An eine Macht, die keine Lesben sehen will. Die sie zwar duldet, wenn sie uns dann doch erkannt hat, aber nicht unter sich haben möchte. Die uns zu erdrücken scheint und keine Kraft lässt, zueinander zu stehen – schon gar nicht zu unserer Lebensvariante. Und das wiegt für mich unglaublich schwer.«

»Und wie lange geht das nun schon so?«

»Seit zwölf Jahren!« Ich starre sie an. So lange? So lange lässt sich eine das bieten? Was muss es sein, dass sie das durchgehalten hat? Es ist mir unangenehm, diese Frage zu stellen. Es scheint mir doch zu intim, aber ich bin schrecklich neugierig. »Warum haben Sie es nicht eher aufgegeben? Gibt es keine andere? Eine, die Sie nicht quält?« Das hätte ich nicht sagen sollen. A. zieht die Augenbrauen hoch und blickt mich unmerklich geringschätzig an. Sie sucht nicht einmal nach einer Erklärung, sondern macht eine wegwerfende Handbewegung. Was verstehen Sie davon? Soll es wohl heißen.

»Ich habe mich mit der einen oder anderen Frauen verabredet, die ich durch das Internet kennen gelernt hatte. Die waren sehr nett. Zunächst hatte ich Angst, es wäre irgendwie gefährlich, Sie wissen schon, irgend so eine Verrückte würde sich melden, käme in meine Wohnung und … ach, was weiß ich, alles Unsinn. Alle drei stellten sich als Frauen heraus, die auch suchten. Und die auch etwas Wichtiges verloren hatten, wichtige Menschen. Alle drei hatten eine große Liebe und mussten sie aufgeben. Meistens waren es Hetero-Frauen, die Unerreichbaren …«

A. lacht – ich weiß, wovon sie spricht. Die hatten wir wohl alle mal, stimme ich ihr zu. Das Schlimmste war immer, wenn sich die andere in Sicherheit wog, eine liebe Freundin zu haben, während du ihr gestehen musstest oder wolltest, sie als Geliebte zu begehren. Eine schreckliche Situation, denn du konntest nie wissen, was du damit aufs Spiel setzen würdest. Eine gute Freundschaft zerstören? Eine Frau fürs Leben gewinnen? Zusehen müssen, wie sie sich mit Ekel abwenden würde? So wurden Horrorszenarien oder Traumbilder entworfen, die aber nie eintrafen. Schließlich waren wir ja alle erwachsen, zivilisiert, gebildet und tolerant. Diesen Frauen gelingt es dann auch gut, dir klar zu machen, dass es keinen Sinn ergibt, dass man einander doch schätze und gute Freundinnen bleiben wolle. Sicher, ganz einfach, gute Freundinnen: Jedes Mal wenn du die andere aus Versehen berührt hast, bist du gestorben. So einfach war das.

»Ich habe ein paar Mal hin und her gemailt und dann einen Treffpunkt vereinbart. Einmal im Frauenzimmer, einmal im Café Berg und einmal bei mir zu Hause. Es war immer nett, ein wenig angespannt, und wir haben sehr viel geredet. Aus Verlegenheit und weil wir uns ganz toll verkaufen wollten. Eindruck machen, was sonst, denn ich fürchte, dass es so einfach nicht klappt. Du stehst vor deinem Date, siehst keinerlei Nähe zu deiner Illusion, bist mit völlig neuen Wesenszügen, Gesten und Gerüchen konfrontiert und fragst dich: Wozu eigentlich? Ich habe doch schon eine gefunden, die riecht, wie ich es liebe, die spricht, die denkt, die lacht und weint, wie ich es mag und wie ich es gewöhnt bin. Dann kommt der Moment, wo ich der fremden Frau doch eine Chance gebe und mich dabei selbst für schrecklich wählerisch und voreingenommen halte. Dann passiert es, dass ich es zulasse, geküsst zu werden. Oder ich gehe in die Offensive, überwinde mich und steige in ein fremdes Bett. Sicher nicht in mein eigenes mit einer anderen als M., niemals!« »Durch das Internet ist es wohl leichter geworden, Kontakte zu knüpfen?«

»Ja, aber was nützt es? Natürlich ist es leichter, weil ich nicht Gefahr laufe, eine Heterofrau anzuflirten oder überhaupt anzusprechen – mit der Absicht, nicht bloß die beste Freundin zu werden: Hier geht es um eine lesbische Beziehung, eine Partnerinnenschaft, eine Lebensgemeinschaft vielleicht. Aber der virtuelle Raum riecht nicht, er zwinkert nicht, er hebt keine Hand, zuckt nicht mit der Schulter und fährt sich nicht übers Gesicht. Er zeigt Augenfarbe, Haarfarbe, Größe, Gewicht, Nikotingewohnheiten, politische und sexuelle Vorlieben, Bildungsgrad und Wohnort. Du kannst Häufigkeiten daraus errechnen: Wie viele SM-Lesben, die Grünwählerinnen sind und Matura haben, rauchen in welchem Alter? Oder ob lesbische Kellnerinnen eher Countrymusik dem Hip-Hop vorziehen, wenn sie mit der neuen Flamme im Auto sitzen und quatschen.«

Jetzt muss ich lachen. Diesen Hinweis, in Kontaktanzeigen nach lesbischen Lebensgewohnheiten zu suchen, finde ich originell. A. sieht auf ihre Armbanduhr, ich tue dasselbe und stelle fest: Wir haben mehr als eineinhalb Stunden geredet, es dürfte also genug zu sein.

»Würden Sie mir noch kurz erzählen, was passierte, wenn Sie sich doch einmal geoutet haben? Wie dann ein Gegenüber reagiert hat? Wann war das zuletzt?«

A. denkt kurz nach, ich blicke sie gespannt an. »Ja, jetzt fällt mir etwas ein: Vor etwa zwei Jahren, da kam in einem Gespräch irgendwie heraus, dass ich eigentlich nur noch am Papier mit D. verheiratet bin. Weil es auffiel, dass ich immer allein und ohne Mann unterwegs war, Entscheidungen eigenständig traf, und eigentlich D. nie um irgendetwas fragte, so wie es andere Ehefrauen tun. Und als ich dann sagte, dass ich eigentlich schon immer lieber mit Frauen zusammen war und auch zusammengelebt hatte, blieb der anderen der Mund offen und sie rief: >Jetzt kenn ich auch eine! Nein, mein Gott, so was, jetzt haben wir so eine in der Familie!< Neckisch drohte sie mir dabei mit dem Zeigefinger, als sei ich ein schlimmes Mädchen. Ich denke, sie betet heimlich für mich, ich möge zurückfinden … Ein anderes Mal fragte mich ein junger Mann, der mit seiner Freundin an meinem Tisch saß und erfuhr, dass ich lesbisch bin, ob das bei mir auch so sei, dass mich die nackten Frauen der Palmers-Werbung erregten. Ich dachte, er würde mir gleich kumpelhaft auf die Schulter klopfen und >Ja, ja, wir Jungs!< beipflichten. Verstehen Sie? Und da fragen Sie mich, ob sich etwas geändert hat? Es ist nicht mehr strafbar, wenigstens das, aber es ist noch immer anrüchig und seltsam, so, dass es ein bisschen Gänsehaut verursacht, weil es neu und aufregend ist, ein wenig grauslich und geil zugleich. Mir ist – bis auf eine Ausnahme – noch keine begegnet, die so darauf reagierte, als hätte ich erzählt, dass ich mir eine neue Tagescreme in der Apotheke gekauft habe. Na ja, das ist vielleicht überzeichnet, denn schließlich betrifft es meinen Alltag – verschoben aus der heterozentrierten Perspektive in eine unbekannte Zone. Ich sehe förmlich, wie es den anderen durch den Kopf schießt, dass sie jetzt bloß keine verräterischen Gesichtsentgleisungen haben, keine falschen Worte sagen dürfen. Und das passiert meistens denen, die sich für politisch links und weltbürgerlich halten. Schlichtere Gemüter kreischen auf oder schlucken erst einmal, bevor sie mich ratlos ansehen. Das mag ich lieber, damit kann ich umgehen. Da weiß ich wenigstens, wo ich ansetzen muss. Aber diese political correctness, die sich manche überstülpen, entlarvt sie früher oder später doch. Dafür haben wir einen Spezialsensor, stimmt’s?«

Wie A. darauf kommt, dass ich diesen auch besitze, ist mir rätselhaft – oder sie hat ihn gerade ausgefahren und mich abgetastet.

»Auch dann, wenn es als Thema – unter intellektuellen Frauen – ausgeklammert wird: Bei den Vorbereitungen zum Frauenvolksbegehren berührte das Wort lesbisch ähnlich unangenehm wie obdachlos. Schließlich seien das Minderheitenangelegenheiten, hieß es. So wie etwa Migrantinnen – und das Volksbegehren sei eben für alle Frauen. Ich bin nicht alle Frauen, ich lebe ein anderes Modell, eines das kaum vorkommt im Alltag, aber«, A. seufzt, »das sind zwei verschiedene Dinge, Frauen- und Lesbenpolitik.«

Ich stimme ihr zu. Wir wissen beide, dass sie doch zusammengehören.

Ich drücke die Stopp-Taste, atme tief aus, strecke mich auf dem bequemen Fauteuil aus, ehe ich mich aufrichte, um den Abschluss zu signalisieren. »Danke vielmals für die Zeit, es war sehr persönlich, nicht wahr? Sie wissen ja, es bleibt vertraulich, ich werde die Personennamen ändern und es vielleicht mehr anonymisieren, wenn es Ihnen recht ist?«

»Das ist schon okay so, es ist Zeit, dass alles rauskommt. Ich muss mich endlich scheiden lassen – es wissen ja sowieso fast alle, dass meine Ehe mit D. eine Farce ist. Ich muss aus dem Schrank – komisch, wie dieses Möbel zu mir passt, wenn man meine Geschichte kennt. Out of the closet habe ich irgendwo gelesen, es hätte mir schon damals auffallen müssen.«

A. lächelt und schaut mich verschmitzt an. Ich umarme sie zum Abschied, wahrscheinlich aus Vertrautheit, die im Verlauf des Interviews entstanden ist und weil ihre Geschichte auch meine sein könnte. Dann packe ich meine Unterlagen zusammen, laufe die Treppen hinunter -und fühle mich irgendwie befreit, auch wenn nicht ich es war, die da so viel Persönliches von sich gegeben hat.

Ich freue mich auf die Abschrift und starte den Motor, als mein Handy läutet.

»Übrigens, ich habe vergessen Sie zu fragen, ob Sie nicht vielleicht Lust haben, mit mir am Samstag in dieses Lokal im sechsten Bezirk zu gehen, da gibt es irgendein Event von Frauen für Frauen und«, sie zögert, »ich gehe so ungern allein in ein Lokal, diese bohrenden Blicke nach Frischfleisch, Sie wissen schon, die verkrampfen mich, ich brauche Geleitschutz. Lust?«

»Mmhm, warum nicht, ich kann eine Pause bei meiner Arbeit gut gebrauchen. Fein. Wann? Um sieben im Orlando? Noch eine Frage: Würden Sie zu M. stehen, ganz offen, wenn es anders käme, wenn sich alles änderte?«

»Ja, bestimmt: Out of the closet – und weg damit, ab in den Sperrmüll. Jeder einzelne.«

Wir waren uns einig. Ich fuhr los.

An jedem Tag

Susanne Hochreiter

c/o

dritte klasse. alle lieben männer. burschen. buben. erzählen, schwärmen, träumen, kritzeln ihre wünsche in die schulhefte, schreiben sich namen auf die haut, hoffen auf das wochenende. im freibad. wenn er wieder da ist. lachen über seine ungelenkheit, seine derbheit, seine dummheit. preisen sein lächeln, seine stärke, seine trinkfestigkeit. hoffen auf seine zärtlichkeit. lieben seine dunklen augen, sein moped, seine zigaretten. ich hatte keinen solchen schwarm vorzuweisen und teilte keines dieser gefühle. oder richtiger: ich teilte die gefühle, aber nicht bezogen auf einen jungen. ich interessierte mich einfach nicht für buben, burschen, männer. das war durchaus unüblich. es schien mir eine persönliche besonderheit zu sein. keine, die mich grundsätzlich bekümmerte, aber definitiv zu einer außenseiterin machte, ohne dass es die außenseite gemerkt hätte. ich war gut im geheim halten. sie hätten mich ausgelacht, hätten sich geekelt. was weiß ich. was kann eine schon wissen. dreizehn ist ein anstrengendes alter. ich war verliebt in eine klassenkollegin. sie wusste nichts davon und hat es nie erfahren. ich habe mich nicht verraten. habe ihren namen in meinem kopf aufgeschrieben, meine wünsche dem kissen anvertraut, in chiffren geschwärmt. meine lieben hatten lange zeit männliche pseudonyme.

ich dachte, ich bin allein auf der welt. zuerst. dann las ich im »stern« über die »daughters of bilitis«. eine neue welt tat sich auf. leider in amerika. ich wollte auswandern. bis ich das nötige alter und kleingeld dafür zusammenhaben würde, sollte ich ein hoch-empfindliches sensorium für lesbische splitter, fetzen, unter- und zwischentöne oder auch nur möglichkeiten und phantasien entwickeln. wenn eine frau einer anderen in einem film nur eine zehntelsekunde länger als üblich in die augen sah, war das eine offenbarung. selbst wenn sie im film schwestern waren.

anfang der 80er gefiel mir ein jüngling gut. ich schien gerettet. er war älter, trug eine lederjacke, fuhr eine vespa und hieß schorsch. ein guter name, ein gutes herzeigeobjekt. er hatte eine freundin. zum glück. ein jahr später saß einer im kino neben mir und legte seine schwitzende hand auf meinen oberschenkel. ich sah ihn ärgerlich-ratlos an und fragte ihn, ob sich seine hand nicht verirrt hätte. auf dem falco-konzert küsste mich einer mit dauerwelle. es war aufregend. ich sah ihn nie wieder. auch ein glück.

verliebt war ich immer noch in sie. in einer ausdauer und treue, wie es nur für die nichtgelebten lieben möglich ist. ungetrübt von realität. mit momenten unsagbaren glücks. nach dem turnen und duschen durfte ich einmal ihren rücken eincremen. ich kann mich bis heute daran erinnern. einmal hat sie mich mitten im klassenzimmer umarmt. ich war sehr cool trotz meiner gesundheitsschuhe. im mozartgeburtshaus lehnte sie sich während der clavichordvorführung an mich. ich spürte sie die ganze zeit und wünschte, mozart hätte ein längeres stück komponiert. und einmal hat sie ihre lippen an meine hand gelegt.

in tunesien hatte ich eine vision. die umstände, die mich mit meinen eltern mitte der 80er in einen ferienclub auf djerba führten, sind mir nicht mehr bekannt. ich erinnere mich an wenig. an die weiten, weißen hosen der kellner und an den köstlichsten pfeffer-minztee aller zeiten. an den abenden, nach dem essen, saßen die leute in den freiluftcafés, -bars und -lounges. lächelten, nippten, lehnten, schnippten, murmelten, kicherten.