Die Drei Fragezeichen
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Kelch des Schicksals

erzählt von Kari Erlhoff

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2020, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-15799-2

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Milch, Blut und Eiscreme

»Onkel Titus! Ich –« Weiter kam Justus Jonas nicht. Die Flasche schlug auf dem Boden auf. Es war eine gewöhnliche Plastikflasche mit Reinigungsmittel. Der blaue Deckel zerbrach beim Aufprall. Justus konnte gerade noch zur Seite springen. Weiße Flüssigkeit spritzte auf. Im Gang des Supermarktes breitete sich sofort ein beißender Geruch aus.

»’tschuldigung«, murmelte ein Mann mit Sonnenbrille. Auf seinem Arm stapelten sich bereits eine Milchpackung, ein Tablettenröhrchen und mehrere Chipstüten. Der Mann versuchte, seine Einkäufe wieder ins Gleichgewicht zu bringen, aber die Tabletten rutschten ihm nun ebenso aus den Händen wie zuvor das Reinigungsmittel. Das Röhrchen fiel auf den Boden, rollte davon und blieb vor einer Kühltruhe liegen. Der Mann stöhnte kurz auf, doch dann schlurfte er davon. Dabei wurden seine Schritte immer schneller.

»Halt, warten Sie!«, rief Justus’ Freund Peter Shaw. »Sie haben etwas vergessen.« Doch der Mann steuerte hastig den Ausgang an.

»He«, rief ihm die Kassiererin hinterher. »Soll ich jetzt die Sauerei allein wegmachen? Und bitte erst zahlen!«

»Ich habe nichts gekauft«, beteuerte der Mann, während er ins Freie stürzte und dabei die Chipstüten von sich warf.

»Das gibt Hausverbot!«, verkündete die Verkäuferin genervt. Doch da schloss sich bereits die Tür hinter dem Mann.

»Was hatte der denn?«, fragte Bob Andrews, der dritte Detektiv der drei ???, verwundert.

Justus sah seinen Onkel an. »Er hat die Flasche in dem Moment fallen gelassen, als ich dich gerufen habe.«

Peter nickte. »Stimmt. Er hat Sie kurz angestarrt, Mr Jonas. Und schon rutschte ihm das Ding aus den Händen.«

Nervös rückte Onkel Titus seine Mütze zurecht. Darauf stand in roten Buchstaben »Gebrauchtwarencenter T. Jonas«. Die Mütze hatte Justus seinem Onkel zum letzten Geburtstag geschenkt und der trug sie seitdem bei seinen Trödel-Touren durch Kalifornien. So wie auch heute.

»Seltsam«, fand Bob. Mit spitzen Fingern hob er die tropfende Flasche auf. Ein Aufkleber warb damit, dass »Clean Xtreme mit dem Power-Enzym« selbst hartnäckige Eiweißflecken entfernen konnte – zum Beispiel von Milch, Blut oder Eiscreme.

Die blonde Frau hinter der Kasse stand auf. Langsam griff sie nach einer Rolle Haushaltspapier. »Unmöglich! Der Typ betritt diesen Laden nicht mehr!«

»Kennen Sie ihn?«, wollte Justus wissen. Die Wahrscheinlichkeit war hoch. Carmine Falls, der Ort, in dem sie sich befanden, war winzig – ein verschlafenes Nest, das kaum mehr als tausend Einwohner haben mochte.

»Seine Frau hat mal hier gejobbt«, erklärte die Kassiererin, während sie langsam in die Knie ging und halbherzig mit einem Tuch im Reinigungsmittel herumtupfte. »Aber Jolene hat schlampig gearbeitet und im Lager geraucht. Da hat der Chef sie rausgeworfen.«

»Und der Mann?«, fragte Bob, der noch immer die Flasche mit dem Clean Xtreme in den Fingern hielt.

»Das war Perceval Abernathy«, murmelte die Kassiererin. Sie wischte angewidert in der Lache herum. »Der ist auch nicht besser als seine Frau. Die Abernathys machen nur Ärger.« Damit stapfte sie davon, um einen besseren Lappen zu holen.

Bob sah nachdenklich zum Ausgang. Der Mann war inzwischen über alle Berge. »Mr Abernathy scheint sich vor deinem Onkel erschreckt zu haben«, sagte er schließlich zu Justus. »Vielleicht hat er ihn mit jemandem verwechselt.«

Onkel Titus schüttelte missmutig den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er mich verwechselt hat.« Dann fügte er leise hinzu: »Er hat mich erkannt.«

Die drei ??? halfen Onkel Titus, die Einkaufstüten im Lastwagen zu verstauen. Justus versuchte dabei, das Thema Perceval Abernathy anzusprechen, doch sein Onkel blockte ab.

»Ich muss heute noch nach Salinas und eine Ladung Haushaltswaren abholen. Wenn ich hinter Bitterwater bei dieser vermaledeiten Umleitung nicht falsch abgebogen wäre, könnten wir schon dort sein.« Titus Jonas verzog die Mundwinkel unter seinem gewaltigen Schnurrbart. »Wir sollten etwas essen, den Lastwagen tanken und dann den Weg zum Highway suchen. Hier verplempern wir nur wertvolle Zeit.«

Justus blieb auf dem Bürgersteig stehen. »Du bist nervös, seit wir in Carmine Falls angekommen sind.«

»Steig ein«, sagte Onkel Titus ungewohnt schroff.

»Du kennst ihn!« Justus sah seinen Onkel forschend an.

»Vielleicht«, knurrte Titus und stieg ins Führerhaus. Er stieß die Beifahrertür auf. »Kommt jetzt.«

»Meine Mutter hieß mit Mädchennamen Abernathy.« Justus rührte sich keinen Zentimeter. »Hat dieser Mann etwas mit ihr zu tun?«

»Stell keine Fragen, sondern komm.«

Justus hob die Augenbrauen. »Wenn es in dieser Angelegenheit um meine Mutter geht, bestehe ich darauf, zu erfahren, was es mit diesem Perceval Abernathy auf sich hat!«

»Wir suchen uns jetzt einen Rastplatz und dann essen wir!«, sagte Onkel Titus mit Nachdruck. Tatsächlich kam kein Wort mehr über seine Lippen, bis er den Lastwagen in eine Parkbucht am Rande der bewaldeten Hügel von Carmine Falls gelenkt hatte. Neben dem Zugang zu einem Wanderpfad befanden sich zwei Holztische mit Bänken, ein Mülleimer und eine Tafel, auf der eine Karte der Umgebung abgedruckt war. Der Platz lag verlassen in der drückenden Sommerhitze.

»Wir setzen uns in den Schatten«, entschied Onkel Titus.

Justus wusste, dass er jetzt geduldig sein musste. Dabei war die Neugierde kaum zu ertragen und schlug ihm unangenehm auf den Magen. Nach dem Tod seiner Eltern vor über zehn Jahren war Justus zu seinem Onkel und seiner Tante nach Rocky Beach gezogen. Titus Jonas erzählte immer wieder gern von seinem Bruder Julius, Justus’ Vater. Die Mutter des Ersten Detektivs wurde jedoch nur selten erwähnt. Angeblich hatten Titus und Mathilda sie kaum gekannt. Kontakt zu ihren Verwandten gab es so gut wie keinen. Justus wusste von einem Familienzweig in Chicago, zu dem auch ein Cousin gehörte. Der Erste Detektiv hatte versucht, Informationen im Internet zu finden, war dabei jedoch gescheitert. Die Abernathys waren für ihn kaum mehr als ein großes Fragezeichen. Das hatte ihn schon lange gestört. Und nun war Justus einem echten Abernathy begegnet. Das konnte sein Onkel nicht einfach so übergehen. Justus hatte ein Recht darauf, mehr zu erfahren!

Das schien auch Titus Jonas zu begreifen. Nachdem er sein Sandwich aufgegessen hatte, räusperte er sich. »Perceval Abernathy ist der Bruder deiner Mutter.«

Bob und Peter horchten auf. »Doch nicht etwa der Bruder, der Ihnen eine Menge Geld schuldet?«, fragte der dritte Detektiv.

Onkel Titus seufzte schwer. »Doch. Genau der.«

Justus starrte seine Freunde und seinen Onkel entgeistert an. »Wovon redet ihr?«

Das Ding in der Dunkelheit

Bob und Peter tauschten einen verlegenen Blick. Dann räusperte sich Bob. Seine Stimme klang heiser: »Das wusstest du nicht?«

Onkel Titus rückte seine Mütze zurecht. Kurz sah es so aus, als wolle er etwas sagen, doch dann zog er es vor, zu schweigen.

»Nein, ich höre zum ersten Mal davon!«, sagte Justus empört. Sein Magen rebellierte. Nachdem er langsam bis zehn gezählt und dabei zweimal tief ein- und ausgeatmet hatte, nahm er seine Freunde aufs Korn. »Wieso wisst ihr mehr als ich?«

»Tja«, fing Peter an, wusste dann aber nicht so recht, wie er weitermachen sollte.

»Wir haben mit deiner Tante Mathilda gesprochen«, erklärte Bob. »Bei dem Fall mit dem leeren Grab. Als du da einfach verschwunden bist, haben wir ein paar Nachforschungen angestellt. Dabei sind wir eben auch auf diese alte Geschichte gestoßen.«

Peter nickte eifrig. »Wir dachten, dass du darüber Bescheid weißt.«

»Hm«, machte Justus gedehnt. Er zwang sich, gleichgültig zu wirken. Er wollte nicht, dass seine Freunde ihm die gemischten Gefühle anmerkten. So gelassen wie möglich fragte er: »Du hast diesem Perceval Abernathy also Geld geliehen, Onkel Titus?«

»Ich habe es deiner Mutter geliehen«, korrigierte Titus. Sein gewaltiger schwarzer Schnurrbart zitterte, als er sprach. »Catherine hat mich um Geld gebeten. Das hat sie dann wohl Perceval gegeben. Und der ist damit auf und davon. Er war nicht einmal bei der Trauerfeier deiner Eltern.«

»Okay«, sagte Justus. Einfach nur, um überhaupt etwas zu sagen.

Onkel Titus seufzte. »Ehrlich gesagt, waren Mathilda und ich darüber ganz froh. Die Abernathys waren … Sie sind … nicht einfach.«

»Mein Onkel Perceval schuldet dir also eine größere Summe«, überlegte Justus laut. »Das erklärt zumindest, weswegen er den Laden so schnell verlassen hat. Er hat dich erkannt und musste befürchten, dass du das Geld zurückverlangst.«

»Vermutlich«, brummte Onkel Titus, während er seine Thermoskanne aufschraubte. Bevor er sich den dampfenden Kaffee eingoss, sah er auf seine Uhr. »Wir sollten bald aufbrechen. Aber zuvor will ich in Ruhe meinen Kaffee trinken.«

»Warum sprichst du diesen Perceval nicht auf das Geld an?«, warf Justus ungeduldig ein.

Onkel Titus schüttelte den Kopf. »Es hat mich genug Kraft gekostet, mit der Sache abzuschließen.«

»Ich habe ein Anrecht darauf, meinen Onkel kennenzulernen!«, forderte Justus.

Peter stand auf und schnappte sich die leeren Sandwichpackungen. »Darf ich mir noch kurz etwas die Beine vertreten?« Er zeigte auf die Tafel, die den Wanderweg abbildete und auf Sehenswürdigkeiten hinwies: einen Wasserfall und ein Höhlensystem. Zu Letzterem gab es gleich eine ganze Liste mit Warnungen.

»Meinetwegen«, gestattete ihm Mr Jonas. »Zehn Minuten. Und bleib in der Nähe. Ich fürchte, da braut sich ein Gewitter zusammen.«

»Ich bin gleich wieder da, Sir.« Peter setzte sich in Bewegung. Er war froh, der angespannten Stimmung zu entkommen. Normalerweise war Mr Jonas ein Ausbund an guter Laune. Die mehrtägigen Touren mit ihm waren lustig und es gab oft etwas zu erleben. Außerdem bezahlte er gut dafür, dass die Jungen ihm beim Verladen von alten Möbeln und sonstigem Trödel oder Schrott halfen. Aber heute lief alles schief. Seit Onkel Titus sich in einer Umleitung verfahren hatte, war er nicht wiederzuerkennen. Und jetzt stand auch noch Justus voll unter Strom. Es lag nicht nur ein Gewitter in der Luft, sondern auch ein handfester Krach. Darauf hatte der Zweite Detektiv definitiv keine Lust. Er spürte ein Kribbeln in den Beinen – Millionen von nervösen Ameisen, die durch seine Adern rasten.

Laufen tat ihm gut! Seine Schritte wurden automatisch schneller. Schließlich fiel er in einen leichten Trab und folgte dem schmalen Pfad zu den Wasserfällen. Auf dem felsigen Untergrund ging es recht steil bergauf, aber das machte dem Zweiten Detektiv nichts aus. Nach wenigen Minuten erreichte er die Carmine Falls – oder besser das, was davon übrig geblieben war. An einem schroffen Felsen liefen dünne Rinnsale in ein sumpfiges Becken. Im Hochsommer war das wirklich keine Attraktion. Da waren die dunklen Wolken über den Felsen schon deutlich eindrucksvoller.

Der Zweite Detektiv kletterte den Abhang hinauf, bis er an der oberen Kante des Wasserfalls angelangt war. Dort befand sich ein kleines Plateau, das an zwei Seiten von Felsen und krummen Kiefern umgeben war. Ein Windstoß fuhr Peter durch die Haare. Fast gleichzeitig erklang ein dumpfes Grollen, kurz darauf blitzte es. Das Gewitter war näher, als er gedacht hatte! Er hatte die Gefahr unterschätzt. Hier oben auf der freien Ebene war er nicht sicher. Hilflos blickte er sich um. Ganz in seiner Nähe befand sich ein Loch in der Felswand. Es war vielleicht einen Meter hoch, zwei bis drei Meter breit und erinnerte an den halb geöffneten Mund eines Riesen. Peter zögerte. Sollte er schnell zum Rastplatz zurücklaufen oder sich hier unterstellen? Es grollte erneut. Mit wenigen Schritten war der Zweite Detektiv bei dem Loch und kletterte hinein. Im Fels konnte ihm das Gewitter nichts anhaben. Er nahm seinen Rucksack ab, holte sein Telefon hervor und schrieb Bob eine Nachricht. Doch das Senden schlug fehl – kein Empfang. Missmutig stopfte Peter das Handy zurück in den Rucksack. Dieser Vormittag war eine einzige Katastrophe.

Jetzt erst bemerkte der Zweite Detektiv den kalten Hauch, der seinen Nacken streifte. Er drehte sich um. Offenbar handelte es sich bei der Nische um den Eingang zu einer Höhle – vermutlich zu den Carmine Caves. Ein Gang führte tiefer ins Gestein. Wieder donnerte es. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Peter zog sich ein Stück in den Felsgang zurück. Er fragte sich, was schlimmer war: bei Gewitter draußen zu sein oder in einer gruseligen Höhle zu sitzen. Immerhin hatte er eine Taschenlampe dabei, die gehörte zur Standardausrüstung der drei ???. Peter holte die Lampe aus seinem Rucksack und knipste sie an. Dann leuchtete er in den Gang. Der Zweite Detektiv war von Natur aus vorsichtig. Aber manchmal siegte selbst bei ihm die Neugierde. Er ignorierte die warnende Stimme in seinem Kopf und ging ein paar Schritte vorwärts. Er würde sich nur kurz umschauen. Auf keinen Fall würde er tiefer in die Carmine Caves steigen.

Der Boden war uneben und an manchen Stellen feucht und glitschig. Das lag an kleinen Rissen und Löchern im Fels, durch die Wasser sickerte. Peter rutschte beinahe aus, fing sich gerade noch und stieß mit dem Kopf gegen einen Felsvorsprung. Es war nicht schlimm, aber Peter war kurz so abgelenkt, dass er einen weiteren Schritt tat, ohne auf den Boden zu leuchten. Dass es direkt vor ihm steil hinabging, bemerkte er erst, als er erneut ins Rutschen kam. Ehe er sich versah, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Peter verlor das Gleichgewicht. Er schrie auf. Seine Arme suchten in der Dunkelheit nach einem Halt, fanden jedoch keinen. Er rauschte ungebremst in die Tiefe. Die Taschenlampe warf wilde Muster aus Licht an die Wände, bis Peter mit voller Wucht auf seine Hände stürzte. Die Lampe wurde einige Meter weiter geschleudert und beleuchtete dabei eine Felsspalte. Für einen Sekundenbruchteil sah der Zweite Detektiv eine Gestalt, die auf dem Boden lag. Er blickte in ein starres, weißes Gesicht, das von wirren schwarzen Haaren umrahmt war. Dann erlosch das Licht.

Schmerzen

Die Dunkelheit war erdrückend. Peters Herz raste, sein Magen protestierte. Mit schmerzenden Händen und pochendem linken Handgelenk krümmte sich der Zweite Detektiv auf dem Boden. Er würgte, doch der Magen beruhigte sich wieder– ganz im Gegenteil zu seinem Atem. Das Blut rauschte in Peters Ohren und überlagerte alle anderen Geräusche. Er konnte sich kaum auf seine Umgebung konzentrieren. War da ein Schaben und Rascheln? Oder bildete er sich das nur ein? Jetzt klang es, als ob kleine Kieselsteinchen wegrollten. Er musste so rasch wie möglich zum Ausgang klettern!

Doch dafür brauchte er Licht. Peter wagte nicht, sich zu be­wegen. Die Lampe lag irgendwo in dieser schrecklichen Dunkelheit. Wo dieses Ding … Weiter wollte Peter nicht denken. Eine innere Stimme schlug ihm vor, sich einfach auf den Boden zu kauern und auf Hilfe zu warten. Am besten mit zugehaltenen Ohren und fest verschlossenen Augen. Doch es half alles nichts: Wenn Peter jemals wieder ans Tageslicht gelangen wollte, musste er etwas tun. Langsam kroch er in die Richtung, in der er die Lampe vermutete. Hoffentlich funktionierte sie überhaupt noch. Peter hatte das Gefühl, kaum Luft zu kriegen. Allein bei dem Gedanken an die Gestalt schnürte sich seine Kehle zu. Was hatte er da nur gesehen? Immer wieder tauchte vor seinem inneren Auge dieser Körper auf, regungslos, wie eingefroren.

Mit den Fingern der gesunden Hand tastete er über den Boden. Nach einer gefühlten Ewigkeit fanden sie das kühle Metall der Lampe. Peter erfühlte den Schalter und drückte darauf. Nichts passierte. Er schüttelte die Lampe vorsichtig. Vielleicht hatte sich das Batteriefach geöffnet? Peter konnte kaum arbeiten, da seine Hände so zitterten. Außerdem wurde der Schmerz im Handgelenk mit jeder Sekunde schlimmer. Er wollte schon aufgeben, als ein matter Schein aufflackerte. Die Lampe funktionierte wieder. Zumindest so weit, dass Peter seine nähere Umgebung erkennen konnte.

Der Zweite Detektiv zählte still bis drei, dann richtete er den schwachen Strahl auf die Felsspalte. Er machte sich auf alles gefasst. Aber da war nichts. Er sah nur raue Steinwände, schwarze Schatten und dunkle Flecken auf dem Boden. Peter blinzelte. War das etwa Blut? Er atmete tief durch. Vermutlich ging seine Fantasie mit ihm durch. Erst eine leblose Gestalt, die sich in Luft auflöste, und dann Blutflecken! Nein, er musste wie Justus Jonas denken und es nüchtern und wissenschaftlich angehen. Vermutlich waren das nur irgendwelche Pfützen, die sich durch Mineralien, Schlamm oder Algen dunkelrot gefärbt hatten.

Dieser Gedanke half Peter. Er richtete sich auf und atmete tief ein. Justus würde jetzt den Höhlenraum gründlich untersuchen und dabei einen Vortrag über Gesteine, Metalle und Wasser halten. Dabei würden Begriffe wie Erosion, Sedimentation und Korrosion fallen. Oder so ähnlich. Aber der Zweite Detektiv wollte nur eins: raus an die frische Luft!

Der Rückweg dauerte viel länger als der Hinweg. Der Ausgang lag nur wenige Meter über ihm, aber er musste eine schräge Felswand hochklettern, was mit den aufgeschürften Händen mühsam war und sehr wehtat. Endlich erreichte er den schmalen Gang und sah dem Sonnenlicht entgegen. Er beschleunigte und hielt erst inne, als er draußen mitten auf dem Plateau stand. Das Gewitter war erstaunlich schnell weitergezogen. Nicht einen einzigen Tropfen Regen hatte es gebracht und die Spannung lag noch immer in der Luft. Einen Moment lang schloss Peter die Augen und sammelte sich. »Da war nichts«, sagte er laut. Doch seine Stimme klang heiser und fremd. Mit wackeligen Schritten machte er sich auf den Weg zum Rastplatz. Den linken Arm hielt er fest an seinen Oberkörper gedrückt – er wusste, dass sein Handgelenk dringend einen Arzt brauchte.

Justus fand es schwierig, beharrlich zu bleiben und trotzdem gleichmütig zu wirken. »Ich denke …«, sagte er gedehnt, »… es ist sinnvoll, wenn ich Perceval Abernathy einen Besuch abstatte.« Er und Bob saßen gemeinsam mit Onkel Titus im Lastwagen, während das Gewitter rumpelnd über sie hinwegzog.

»Das kommt nicht infrage!« Onkel Titus’ Bart bebte bei diesen Worten. »Wir wollen keinen Kontakt zu den Abernathys!«

»Du willst keinen Kontakt«, korrigierte Justus. »Aber ich könnte ihn doch besuchen. Und das Geld eintreiben.«

Onkel Titus wollte davon jedoch nichts wissen. »Ich erlaube dir schon, mit deinen Freunden als Detektive zu arbeiten – obwohl ihr noch nicht volljährig seid. Aber als Schuldeneintreiber? Das geht zu weit.«

»Wollen Sie denn gar nicht wissen, wofür Perceval das Geld brauchte?«, mischte sich nun Bob in das Gespräch ein.

»Nein«, antwortete Onkel Titus knapp. »Wenn Peter wieder auftaucht, fahren wir ab. Wo bleibt der überhaupt so lange?«