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Jenk Jessel

WORK
WIFE
BALANCE

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Mit Illustrationen von
Josephine Warfelmann

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

ISBN: 978-3-7109-0048-8

INHALT

Prolog

Dreimal DRÖMLAND bitte

Bitte melden Sie sich nicht!

Sorry, ab sieben ist ab sechzehn

Streit und andere Kleinigkeiten

Ein Kronleuchter für Marie-Sophie

Das Rollator-Paradoxon

Großeltern, Prepper und ein Weltuntergang

Einmal Dill für 50 000 Fetischisten

Der Nippelsimulator und andere Helferlein

Siebzig ist das neue Fünfzig

Erste Post und was zum Schreien

Tatort Sonntagabend

Hartmut, du bist ein Frauenversteher

Auf was reimt sich Listerien?

Melkmaschine und Mutterglück

Müsli im Auto

Schicht im Schacht

Kopfschüsse, immer wieder Kopfschüsse

Von allen guten Geistern verlassen

Die letzte Bastion und dreimal weiße Flagge

Eine Tasse voller Grand Marnier

Super-GAUs sind eine Frage des Timings

Rausziehen, rausziehen!

Die Rechnung ohne den Finanzminister gemacht

Viel Kotzen und ein kleines bisschen Ebola

Schlangeneier und Rabenmütter

Apfelkuchenbattle und Wikingerschiffe

Stau, Stau, nichts als Stau

World Wrestling Family

Auslieferungszustände und Zeitmanagement

Wo soll ich nur hinziehen?

Anthroposophen in Bielefeld

Opa gegen Krankenhaus

Fehlkäufe und Rattenfänger

Helikopter und was zum Wischen

Gaffertape oder eine Giraffe?

Berlin – Tag & Nacht

Aufräumen, Hinterherräumen und was zum Spielen

Fünfundvierzigtausend Quäntchen Glück

Epilog

PROLOG

Wenn noch mal jemand »Ihr macht das so toll« zu mir sagt, kann er sich aussuchen, ob er am Platz der Gleichberechtigung aufgeknüpft oder auf der MS We-can-have-it-all kielgeholt wird. Meine ich ernst.

In den Nullerjahren begann der Wahnsinn: Akademikerinnen sollten die Kinder besser nicht zum Hockey fahren, forderte die Politik. Denkt dran, wie abhängig ihr euch von den Männern macht, unkten die Feministinnen. Wer Teilzeit arbeitet, halbiert auch seine Rente, rechneten die Statistiker vor. Und überhaupt: Teilzeit ist der Karrierekiller Nummer eins.

Meine Frau hat sich all das sehr zu Herzen genommen. Wir wollten Kinder, aber zu Hause bleiben stand für sie nicht mehr zur Debatte. Eine Frage der Ehre sei das mittlerweile für Frauen ihrer Generation, behauptet sie. Schließlich soll sich was ändern im Land. Und das geht nur, wenn »da oben« mal ein paar Frauen ankommen. Damit Familie und Karriere Normalität werden. Genauso wie keine Familie oder keine Karriere. Ich wiederum konnte mir auch nicht vorstellen, die nächsten acht oder zehn Jahre mindestens die Hälfte meines Arbeitstags aufzugeben. Ich liebe meine Arbeit. Mein Unternehmen steckt in den Anfängen, ich bin ein Chef, der selbst in der Backstube seines Food-Start-ups steht. Außerdem schreibe ich ungefähr einen Krimi im Jahr. Und nun?

Wir beschlossen, das Experiment zu wagen, und versuchen seitdem, zwei Vollzeitjobs mit zwei Kindern zu vereinbaren. Es war abzusehen, dass es ein Balanceakt werden würde. Wer holt die Kinder vom Kindergarten ab? Wer schafft es zum Elternabend? Was tun, wenn die Kinder krank werden? Zeit für Zweisamkeit? Alles eine Frage der Work-Wife-Balance. Und warum? Weil Deutschland nicht in Skandinavien liegt. Zwar fordern es die Gesellschaft, die Politik und die Unternehmen, also quasi alle außer der Kirche, aber mit staatlicher Unterstützung ist es deshalb trotzdem nicht weit her. Karriere- und kindertechnisch ist Deutschland Entwicklungsland. Der Staat fördert mit Milliarden das Zuhausebleiben eines Elternteils. Die Gesellschaft schaut einen schräg an, wenn man mit Anzug, Laptop und Kind auf dem Schoß im wunderbaren Kleinkindabteil eines ICE Platz nimmt. »Ihr macht das so toll« ist insofern mehr Ausgrenzung als echtes Lob (folglich mit Kielholen oder alternativ Aufknüpfen zu bestrafen). Es liegt auch Bedauern in dem Satz. Was verständlich ist, weil die Freunde natürlich mitbekommen, wie schwer es ist, das alles unter einen Hut zu bekommen. Dieses Buch schildert einige knallharte Work-Wife-Balance-Situationen aus dem Alltag einer Familie, die es ausprobiert hat. Und oft gescheitert ist. Aber wir sind immer wieder aufgestanden. Nicht alles, was wir dabei erlebt haben, ist schön, vieles aber ziemlich lustig. Sie haben das Glück, unser waghalsiges Experiment ganz bequem und mit Sicherheitsabstand von außen betrachten zu dürfen. Ich beneide Sie jetzt schon.

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen

Ihr

Jenk Jessel

DREIMAL DRÖMLAND BITTE

Nachwuchs zu erwarten zieht einige Zwangsläufigkeiten nach sich. Zum Beispiel muss man einen Drogeriemarkt plündern, sich neu einkleiden – und irgendwann landet man zwangsläufig in einem schwedischen Einrichtungshaus. Ich habe einmal den Versuch unternommen, woanders eine Küche zu kaufen, hätte dafür aber statt eines Drogeriemarkts eine Bank überfallen müssen. Wer kann schon 20 000 Euro für eine Küche ausgeben? Oder 800 Euro für ein Babybett? Ergo sattele ich an einem Samstagnachmittag die Familienkutsche mit dem Ziel, zumindest die Basisanforderungen an ein Babyzimmer erfüllt zu bekommen.

In der Kinderabteilung fische ich Doris heraus. Ich weiß, dass sie Doris heißt, weil sie ein Namensschild an der Brust trägt: »Wir hätten gerne dreimal das GONATT-Babybett.«

»Dreimal?«, fragt die Verkäuferin, und ich ahne, dass selten drei Babybetten auf einmal gekauft werden. Doris schaut zunächst irritiert. Dann scheint sie aufzuatmen. Vermutlich glaubt sie, wir bekommen Drillinge. Doris späht unauffällig auf den Bauch der zukünftigen Mutter. Sabine sieht nicht aus, als ob sie Drillinge bekäme. Eher als hätte sie einen Handball verschluckt.

»Dazu dreimal die VYSSA-SKÖNT-Matratze, dreimal den LEN-Matratzenschutz und dreimal den HIMMELSK-Köpfchenschutz«, fügt meine Frau hinzu.

»Sie wollen das alles dreimal?«, fragt Doris, während sie etwas in den Computer tippt.

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Meine Frau nickt: »Ist kompliziert«, sagt sie.

Doris schlägt ein wenig beschämt die Augen nieder, weil sie vermutlich annimmt, dass wir längst getrennt sind und ich hier nur noch stehe, um meinen Vaterschaftsanteil an der Grundausstattung abzudecken.

»Nein, nein, nicht was Sie denken!«, beeile ich mich zu sagen. »Eins geht in unsere Münchner Wohnung, eins nach Frankfurt und eins zu meinen Eltern, weil die Kleine da auch viel sein wird.« Ich deute auf den sich leicht unter dem Pulli abzeichnenden Babybauch.

»Ach so«, sagt die Verkäuferin und tippt noch etwas schneller in ihre Tastatur. »Wann ist es denn so weit?«

»In zwei Wochen«, sagt die werdende Mutter.

Ich glaube, an dieser Stelle muss Doris ausgestiegen sein. Vermutlich kämpften in ihrem Kopf die üblichen Vorurteile einer Mittfünfzigerin um die Deutungshoheit der vorliegenden Situation. Etwa so: Hoffentlich ist das Baby gesund, wenn es im neunten Monat noch so klein ist. Wenn es so klein ist, wie kann man sich ein Lebensmodell aussuchen, das mehrere Standorte erfordert? Und wieso kommen Sie erst jetzt zu mir, wenn Sie doch schon seit Monaten wissen, dass ihr Kind in zwei Wochen irgendwo schlafen muss. Werden Sie gut für das Kind sorgen? Sie hat mit alledem nicht unrecht. Weswegen sich meine Frau in Erklärungsnot sieht.

»Ich werde ganz schnell wieder arbeiten«, entschuldigt sich Sabine bei der Verkäuferin. »Und mein Mann hat seine Firma in München.« Sie zuckt dazu mit den Schultern. »Ist nun mal nicht zu ändern«, schickt sie noch hinterher.

Jetzt wandert Doris’ Blick zu mir. Ich weiß, dass ich nicht aussehe wie einer, der im Haushalt mit anpackt. Hornbrille, Dreitagebart, Hut mit Lederkrempe. Die meisten halten mich eher für den Barkeeper einer Szenekneipe als für einen Familienvater. Oder für einen mäßig erfolgreichen Rechtsverdreher. Und doch lässt sich an Doris’ Reaktion auf den Kauf von drei Kinderbetten ein weitverbreitetes Phänomen beobachten. Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter auf Schulungen, um solche Reaktionen zu verhindern. Auch meine Frau hat schon einmal an einer teilgenommen. Die Psychologen nennen es »Unconscious Bias«. Unbewusste Vorurteile. Jeder von uns steckt seine Mitmenschen permanent in Schubladen. Probieren Sie es das nächste Mal aus, wenn Sie eine Frau sehen, die aus einem Porsche Cayenne steigt. Ich wette, Sie denken automatisch, dass der Mann den Wagen bezahlt hat. Kann sein, muss es aber nicht. Drei Kinderbetten an drei Standorten kann bedeuten, dass wir unsere Kinder weniger lieb haben als andere Eltern. Muss es aber nicht. Und mal ganz ehrlich: Wer würde sich freiwillig dreimal Kinderbetten an drei Standorten aussuchen? Weil das ja auch bedeutet: dreimal Spucktücher, dreimal Flaschen, dreimal Spielzeug, dreimal alles. Vielleicht würde es der Debatte über das »richtige Kinderkriegen« nicht schaden, wenn jeder das Lebensmodell der anderen ohne Vorurteil betrachten würde. Schließlich eint alle Eltern ein gemeinsames Ziel: das Wohl unserer Kinder.

BITTE MELDEN SIE SICH NICHT!

Die Musik in der Warteschleife spielt »Für Elise«, während ich am Laptop sitze und versuche, zweimal DRÖMLAND zu verschenken. Laut ihrer Homepage nimmt die Caritas nur hochwertige Möbel. Sind zweimal GONATT hochwertige Möbel? Beethoven endet so abrupt, dass sich die Milch in meinem Kaffee zu Tode erschreckt.

»Das Bürgeramt für Familie und Soziales, Sie sprechen mit Frau Dröll, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Hallo, Frau Dröll«, erwidere ich. »Sie können mir bei der Krippenplatzsuche helfen.

»Wann ist denn der Geburtstermin?«

»Wieso Geburtstermin? Meine Tochter ist zweieinhalb.«

»Das ist schlecht.«

»Mir gefällt das Alter ganz gut.«

»Wie wurde Ihr Kind denn bisher betreut?«

»Sie war in Frankfurt in einer Krippe, weil meine Frau da gearbeitet hat.«

»Also ein Zuzug.«

»Na ja. Sie war schon immer hier gemeldet, weil wir unseren Hauptwohnsitz in München haben.«

»Ach so.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nur so. Spielt keine Rolle.«

»Aha.«

»Haben Sie schon den Krippenplatzfinder auf unserer Internetseite entdeckt?«

»Entdeckt schon. Aber der funktioniert auf meinem Mac nicht.«

»Hach, das stimmt.«

»Deswegen rufe ich Sie ja an.«

»Das verstehe ich, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«

»Aber auf der Homepage steht: ›Gerne sind wir Ihnen bei der Suche nach einem Krippenplatz für Ihr Kind behilflich.‹«

»Schon. Aber nur, wenn Sie sich rechtzeitig melden.«

»Aber wir ziehen ja erst in einem halben Jahr um. Ich frage ja extra so früh, weil ich weiß, dass München ein schwieriges Pflaster ist.«

Frau Dröll (seufzt erneut): »Früh bedeutet, Sie müssen uns Ihren Bedarf anzeigen, wenn Sie schwanger sind.«

»Aber wie soll ich einen Bedarf anzeigen, wenn ich bisher keinen hatte, weil meine Tochter ja erst mal in Frankfurt in die Krippe ging. Es war doch gar nicht absehbar, wann wir einen Platz in München benötigen.«

»Spielt keine Rolle.«

»Aha. Wie überaus ungünstig.«

»Da haben Sie recht.«

»Aber mal unter uns Klosterschwestern: Ist es heutzutage nicht normal, dass Menschen umziehen, auch wenn sie Kinder haben?«

»Kann ich nicht beurteilen. In unserer Bedarfsplanung ist das nicht vorgesehen.«

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Vermutung anzustellen: Die Stadt München hat ohnehin nicht genug Kita-Plätze, und ebenjener Mangel würde erheblich gesteigert, wenn man Zuzüge in die Bedarfsplanung einbezöge, weshalb man sie praktischerweise ignoriert, und schon ist der betreffende Amtsleiter fein raus.

»Sie können mir gar keine Kontakte nennen?«

Frau Dröll (seufzt): »Was für einen Platz suchen Sie denn? Halbtags?«

»Wir arbeiten beide Vollzeit. Bis siebzehn Uhr sollte die Kita schon mindestens offen haben, besser bis achtzehn Uhr.«

Frau Dröll bleibt stumm. Vermutlich habe ich die bayerisch-mütterliche Fürsorge der Familienbeamtin arg strapaziert.

Weswegen ich entschuldigend hinterherschiebe: »Nutzen wir zwar nur zweimal im Jahr aus, aber es wäre halt blöd, die Kleine stünde auf der Straße, wenn wir mal einen Termin gleichzeitig haben und nicht schieben können.«

Frau Dröll lacht.

Frau Dröll (ernst): »Also bei einem Ganztagsplatz kann ich Sie ohnehin nur an die privaten Träger verweisen. Solche Einrichtungen hat die Stadt München gar nicht.«

Da blieb mir nur ein: »Oha.«

Oha. Die Weltstadt mit Herz, die immerhin 1,4 Millionen Einwohner zählt, hält keine Krippenplätze für zugezogene Menschen vor, die Vollzeit arbeiten? Oder auch im Schichtdienst? Kein Polizist und keine Krankenschwester kann sich aussuchen, ab morgen nur noch bis zwei zu arbeiten. Weil dann alle anderen immer die Nachtschicht machen müssten.

Frau Dröll: »Ich kann Ihnen eine Liste schicken mit privaten Trägern. Da haben Sie auch eher eine Chance für so ein ungewöhnliches Problem.«

Ich raufe mir abwechselnd die Haare und starre ungläubig aus dem Fenster. Ungewöhnliches Problem? Armes München!

Nichtsdestotrotz telefoniere ich in den nächsten Wochen die privaten Kinderkrippen der Stadt ab. Und es sollte sich herausstellen, dass es doch einige städtische Krippen gibt, die bis achtzehn Uhr geöffnet haben. Auf telefonische Anfrage teilt man mir allerdings mit, dass die Warteliste im einen Fall fünfzig und im anderen über achtzig Kinder lang ist. Mir erscheint die Bedarfsplanung der Stadt München hinsichtlich ihrer Kita-Plätze überaus optimistisch. »Bitte melden Sie sich nicht unbedingt bei uns, wenn Ihr Kind länger als vier Stunden am Tag betreut werden soll. Wir haben das nicht so gern. Und stellen Sie sich bitte nicht so an, wo kommen wir denn da hin?«

Das größte Fest wäre es für meine Familie, wenn Gerhard Polt noch einmal ein spätes Kind bekäme. Zum einen wäre es ein Segen für den Münchner Humor und sein Anruf bei Frau Dröll ganz sicher ein YouTube-Hit.

SORRY, AB SIEBEN IST AB SECHZEHN