Norbert Niers

Tracheotomie

Ein Ratgeber für Betroffene,
Angehörige, Pflegekräfte,
Therapeuten und Ärzte

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Informationen in diesem Ratgeber sind von dem Verfasser und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung des Verfassers bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

 

 

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de

2., überarb. Auflage 2014
1. Auflage 2009
ISBN 978-3-8248-0636-2
eISBN 978-3-8248-0701-7
Alle Rechte vorbehalten
© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, 2014
Mollweg 2, D-65510 Idstein
Vertretungsberechtigte Geschäftsführer:
Dr. Ullrich Schulz-Kirchner, Nicole Haberkamm
Titelfoto: Norbert Niers
Lektorat: Doris Zimmermann
Umschlagentwurf und Layout: Petra Jeck
Druck und Bindung:
TZ-Verlag & Print GmbH, Bruchwiesenweg 19, 64380 Roßdorf
Printed in Germany

| Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe

Einleitung

Die Funktion der Atmung und die anatomischen Verhältnisse

Vor der Tracheotomie – nach der Tracheotomie – nach einer Kehlkopfentfernung (Laryngektomie)

Wann ist eine Tracheotomie erforderlich: Indikationen

Formen des Tracheostomas: plastisch oder dilatativ

Komplikationen

Veränderungen und Auswirkungen durch eine Tracheotomie

Funktionen und Bestandteile einer Trachealkanüle – Was ist eine Blockung?

Wer die Wahl hat, hat die Qual: unterschiedliche Trachealkanülen

Tracheotomie bei unterschiedlichen Erkrankungen

Optionen des Kanülenmanagements

Tracheostomaversorgung/Tracheostomapflege

Probleme und Komplikationen – Notfallhandling

Entwöhnung von der Trachealkanüle – Möglichkeiten der Dekanülierung

Glossar

Internetadressen zum Thema Tracheotomie und entsprechenden damit verbundenen Erkrankungen

Literatur

Herstellung oder Vertrieb von Trachealkanülen & Tracheotomiebedarf

| Vorwort zur Reihe

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Sprachtherapie, Ergotherapie und Medizin. Die Autor(inn)en der Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die seit vielen Jahren in Therapie, in Beratung, in Forschung und Lehre tätig sind.

Der vorliegende Ratgeber wendet sich an Patienten und Angehörige, die plötzlich, vorübergehend oder dauerhaft mit einer Trachealkanülen-Versorgung konfrontiert sind. Er liefert den Betroffenen vielfältige Informationen zu den im wahrsten Sinne einschneidenden Veränderungen, die sich durch diesen lebensnotwendigen Eingriff ergeben.

Im Ratgeber werden die physiologischen Verhältnisse von Atmung, Schluckvorgang und Stimmgebung ebenso erläutert wie die verschiedenen Operationsursachen und -techniken, unterschiedliche Kanülenformen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie Hilfsmittel zur Kanülenpflege und zur Erleichterung des Alltags. Die Konsequenzen einer Trachealkanüle für die Atmungsfunktion, die Kommunikations- und Sprechfähigkeit, für die Ernährung, die Selbstständigkeit und für die Teilhabe an Alltagsaktivitäten werden ebenfalls angesprochen.

Ein wichtiges Ziel des Ratgebers ist es, die direkt oder indirekt Betroffenen durch die umfassenden Detailhinweise zu Experten in eigener Sache zu machen: Die Patienten erhalten einen guten Einblick in das medizinische Geschehen und ihre Selbstmanagement-Möglichkeiten, und den Angehörigen werden das Einfühlen in die neue Lebenssituation und ein aktiver Umgang mit den neuen Aufgaben erleichtert. Dadurch soll erreicht werden, dass Ängste und Unsicherheiten abgebaut werden können und ein selbstbestimmter, gut informierter und möglichst unbefangener Umgang mit dem Hilfsmittel Trachealkanüle möglich wird. All dies führt zu einer besseren Lebensqualität, die als übergreifendes Ziel aller Rehabilitationsmaßnahmen gilt und allen Patienten zu wünschen ist.

Dr. Claudia Iven
Herausgeberin

| Einleitung

Die Atmung zählt, wie der Herzschlag, zu den überlebenswichtigen Vitalfunktionen des Menschen. So gibt es wohl kaum eine existenziellere Angst als das Gefühl zu ersticken. Allein der Gedanke, z.B. unter Wasser keine Luft zu bekommen, löst bei manchen Menschen Panikgefühle aus. So ist die Sicherstellung der Atmung in der Medizin eine der zentralen Notfallmaßnahmen, wobei der sogenannte Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) bei akuter Luftnot seit über 2000 Jahren bekannt ist. Er ist damit einer der ältesten chirurgischen Eingriffe. Bei zahlreichen Erkrankungen, die mit schwerwiegenden Einschränkungen und Problemen der Atmung verbunden sind, sichert ein Tracheostoma nicht nur das Überleben, sondern hilft auch weitere Komplikationen zu vermeiden und wird in Deutschland jährlich ca. 31.600 Mal durchgeführt (Westphal & Byhahn, 2001). Allerdings stellt der neue Atemweg im wahrsten Sinne des Wortes einen gravierenden Einschnitt sowohl in das Leben und den Alltag des Betroffenen als auch der Angehörigen und Betreuungspersonen dar. Das „Loch mit dem Ding im Hals“ wirkt befremdlich, flößt Respekt ein oder erweckt Mitleid. Jeder weiß, dass man ohne Nahrung vielleicht Wochen, ohne Flüssigkeit Tage, ohne Luft aber nur wenige Minuten überleben kann. Dieser Bereich ist somit auch maximal angstbesetzt und fordert nicht nur viele Beteiligte, sondern kann vor allem Angehörige schnell überfordern.

Die Einflüsse einer solchen Atemerleichterung sind vielfältig. So wirkt sich der neue Atemweg nicht nur auf die Atemfunktion, sondern auch auf den Schluckvorgang und die Kommunikation aus. Zudem resultiert ein nicht unerheblicher Pflegebedarf. Dies erfordert, dass sich Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten sowie nach Möglichkeit auch Patienten und Angehörige gleichermaßen mit den verschiedenen Auswirkungen eines solchen Eingriffs auseinandersetzen und das praktische Handling erlernen müssen – besonders wenn es um die häusliche Versorgung geht. Durch das Einbeziehen des Betroffenen bei allen Maßnahmen, wie Kanülenwechsel, Absaugung, Stomapflege, Inhalationen usw., wird ein wichtiges „Eigenmanagement“ aufgebaut und gefördert. Die Selbsteinschätzung des Patienten ist dabei eine zentrale Komponente im Rahmen einer störungsspezifischen individuellen Hilfsmittelversorgung insbesondere vor dem Hintergrund der lebenswichtigen Vitalfunktion Atmung und einer prophylaktischen Komplikationsvermeidung.

Die Bedeutung des Begriffs Tracheostoma ergibt sich jeweils aus zwei Teilen (Abb.1). In der Regel wird zwischen den Begriffen Tracheotomie und Tracheo-s-tomie unterschieden. Bei der Tracheotomie wird die Luftröhre im vorderen Halsbereich aufgedehnt, bis die Öffnung ausreichend Platz für eine Kanüle bietet (dilatative Tracheotomie oder Punktionstracheotomie).

image

Abb. 1: Die Bedeutung des Begriffs Tracheostoma

Die operative Öffnung mit dem festen und damit stabilen Vernähen der Luftröhre mit der äußeren Halshaut wird hingegen als Tracheostomie (plastische Tracheostomie) bezeichnet. Ganz konsequent ist diese Terminologie jedoch nicht, da die entstandene Öffnung bei beiden Verfahren als Tracheostoma bezeichnet wird.

Dieser Ratgeber möchte vor dem Hintergrund unterschiedlicher Indikationen und Erkrankungen einen Einblick in die möglichen Veränderungen und Konsequenzen durch ein Tracheostoma geben. Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden der Begriff Tracheotomie verwendet, womit beide Arten gemeint sind. Neben den verschiedenen Formen der Anlage eines Tracheostomas werden die unterschiedlichen Trachealkanülen mit ihren möglichen Indikationen vorgestellt. Pflegerische Hinweise sowie die Bedeutung der Tracheotomie für die Atmung, die Kommunikation und den Schluckvorgang sind weitere wichtige Inhalte und bilden den Schwerpunkt. Durch gezielte Informationen sollen dabei Ängste und Unsicherheiten abgebaut und Einblicke in die neue Lebenssituation gegeben werden. Dabei fließen auch therapeutische Gedanken in den Ratgeber ein, um je nach Indikation für das Tracheostoma Hilfen für die Bereiche Atmung, Schlucken oder Kommunikation zu geben.

Die aufgeführten Hinweise und Empfehlungen spiegeln eine langjährige Erfahrung mit tracheotomierten Patienten wider. Dabei ist jedoch eine unreflektierte Übertragung auf andere Patienten in Einzelfällen nicht nur problematisch, sondern auch gefährlich.

image

So sind entsprechende Maßnahmen oder Veränderungen stets mit dem behandelnden Arzt abzustimmen und erfordern neben der ärztlichen Anordnung im Einzelfall eine gezielte therapeutische Begleitung.

Vielfach sind Sprach- bzw. Schlucktherapeuten (Logopäden, Sprachheilpädagogen, Ergotherapeuten) auch mit dem sogenannten Trachealkanülenmanagement befasst und können bei entsprechenden Fragestellungen neben dem zuständigen Arzt hinzugezogen werden. Zudem verfügen verschiedene Hilfsmittelfirmen im Rahmen eines Homecare-Service über geschultes Personal, das bei Fragen rund um die Tracheostomaversorgung Auskunft geben kann.

Bei allen Veränderungen und Auswirkungen soll aber vor allem auch deutlich werden, dass dies – je nach Indikation oder Grunderkrankung – ein Eingriff mit einer sehr hohen Toleranz ist. Das heißt, dass die meisten Patienten die Konsequenzen sowohl des vorübergehenden (temporären) als auch des dauerhaften (permanenten) Tracheostomas bei überwiegend geringen Komplikationen sehr schnell akzeptieren und auch wieder zu einer hohen Lebensqualität finden können. Dies gilt gleichermaßen für Kinder wie auch für Erwachsene oder ältere Menschen. So zeigt die Praxis, dass dieser äußerlich sehr invasiv erscheinende Eingriff oftmals vom Patienten selbst als viel weniger belastend empfunden wird. Das kann den Angehörigen vielleicht auch zu einem unbefangenen, aktiven und mittelfristig auch sicheren und routinierten Umgang mit der neuen Situation verhelfen. Gleichzeitig soll auch Patienten Mut gemacht werden, das Leben nach Möglichkeit aktiv zu gestalten, indem sie zu Experten in eigener Sache werden.

| Die Funktion der Atmung und die anatomischen Verhältnisse

Vor der Tracheotomie – nach der Tracheotomie – nach einer Kehlkopfentfernung (Laryngektomie)

Im Rahmen der natürlichen Atmung finden die für die Versorgung der Körperzellen lebenswichtige Aufnahme von Sauerstoff (Einatmung von O2) und die Abgabe von Kohlendioxid (Ausatmung von CO2 statt. Dabei führt die Aktivität des Hauptatemmuskels des Zwerchfells, unterstützt durch die sogenannten Atemhilfsmuskeln des Brustkorbs (Interkostalmuskulatur), zu einer Erweiterung des Brustraumes. Der daraus resultierende Unterdruck saugt vor der Tracheotomie die Luft über den Mund- und Nasenraum, den Kehlkopf, die Luftröhre (Trachea) und die Bronchien in die Lungenflügel (Abb. 2). Bei der Trachea handelt es sich um ein „flexibles Rohr“ von etwa 10-12 cm Länge, ca. 12-18 mm Längsdurchmesser sowie 21-25 mm Querdurchmesser. Zur Veranschaulichung der Größenverhältnisse sei darauf hingewiesen, dass der Innendurchmesser der Luftröhre eines Erwachsenen damit in etwa nur der Größe einer 2-5 Eurocent Münze entspricht. Die Wand der Trachea wird durch 16-20 hufeisenförmige Knorpelspangen gebildet, die mit Bändern elastisch verbunden sind. Nach der Einatmung (Inspiration) führen die Entspannung der Einatemmuskulatur sowie die Rückstellkräfte der Lunge zur Ausatmung (Exspiration). Ein- und Ausatmung (äußere Atmung) werden durch ein zentrales Atemzentrum des Gehirns (Hirnstamm) automatisch reguliert, können aber auch willentlich beeinflusst werden.

image

Abb. 2: Normaler Atemweg
Abb. Fa. TRACOE

Der eigentliche Gasaustausch (innere Atmung) findet jedoch nur in den Lungenbläschen (Alveolen) der Lunge statt, wobei der Sauerstoff vom Blut aufgenommen und darin enthaltenes Kohlendioxid (CO2) wieder abgegeben wird. Die oberen Bereiche des Atemweges (vom Mund- und Nasenraum bis zum Bronchialsystem) dienen nicht dem Gasaustausch und werden daher auch als Totraum bezeichnet. Die Atemfrequenz und die Atemvolumina sind je nach Alter unterschiedlich, ändern sich aber auch in Belastungssituationen, bei Erkrankungen (Pneumonie, Asthma bronchiale) und mit der körperlichen Kondition (Tab. 1).

image

Tab. 1: Abhängigkeit der Atemfrequenz, Atemzugvolumina und Trachealdurchmesser
vom Alter

Auch körperliche Deformationen, wie eine stark gebeugte oder in sich zusammengesunkene Haltung, beeinträchtigen die Atmung. Der komplette Atemweg von Nase und Mund bis hin zu den Alveolen ist im Rahmen eines Selbstreinigungsmechanismus mit gut durchbluteten Schleimhäuten ausgekleidet. Dabei produzieren sogenannte Becherzellen Sekret, das von feinen Härchen (Zilien im Flimmerepithel) abtransportiert und nach oben gebracht wird.

Eingeatmete Partikel wie Staub oder Keime werden dabei gebunden und mitgenommen. Das Sekret, das via Luftröhre den Kehlkopf und Rachen erreicht hat, wird dann im Regelfall heruntergeschluckt.

Dieser Transportmechanismus, der durch Husten oder Räuspern unterstützt werden kann, verliert z.T. seine Wirksamkeit, wenn die Flimmerhärchen verkleben, was durch Rauchen, Arbeitsbelastungen mit viel Staub oder Einatmung kalter trockener Luft (z.B. bei Kanülenatmung) geschehen kann. Auch bei Lungenerkrankungen (Pneumonien) oder Bronchitiden reagieren die Schleimhäute mit vermehrter Sekretion, was wiederum Husten, Räuspern oder sogar Luftnot provoziert.

image

Abb. 3: Lokalisation des Tracheostomas

Abb. Fa. TRACOE

Nach einer Tracheotomie wird die Atemluft (je nach vorhandenem Kanülensystem) nicht, oder nur teilweise, über den Mund- und Nasenraum in die Luftröhre geführt. Durch eine Öffnung im vorderen Hals (Tracheostoma) strömt die Luft nun primär über eine Kanüle (Tracheostomiekanüle) direkt in die Luftröhre (Abb. 4