Die erlösende Kraft des Verzeichens

Durch aufrichtiges Vergeben alte Bande lösen und wahrhaft frei werden

Hans Stolp

1. Auflage 2020

© Aquamarin Verlag GmbH
Voglherd 1 • D-85567 Grafing
www.Aquamarin-Verlag.de

Inhalt

Kapitel 1 • Vergebung ist der erste Schritt auf dem Einweihungsweg

Gefühle, die verhärten und innerlich zerfressen

Vergeben ist nicht einfach

Der Umgang mit der Opferrolle

Drei Einsichten, die der Vergebung vorangehen müssen

Distanz und Nähe

Der Wille zum Verzeihen

Kapitel 2 • Von der Rache zur Vergebung

Die Vergebungslehre in der Bibel

Vergebung und Karma

Kapitel 3 • Wahrheit und Versöhnung

Die Botschaft des Nelson Mandela

Ein erstes, hoffnungsvolles Zeichen

Keine Zukunft ohne Vergebung

Kapitel 4 • Eine Begegnung im Licht

Kapitel 5 • Karma und Vergebung

Kapitel 6 • Die Kunst der Vergebung

Das Ego und das höhere Selbst

Kapitel 7 • Vergebung als Einweihungsweg

Kapitel 8 • Die vier Merkmale

Kapitel 9 • Zwei Beispiele aus dem Neuen Testament

Jesus und die Ehebrecherin

Die beiden Mörder am Kreuz

Kapitel 10 • Erfahrungen aus dem täglichen Leben

1) Das widerspenstige Ego

2) Lerne, dir selbst zu vergeben

3) Vergebung für und von Verstorbenen

4) Wie oft sollte man vergeben?

5) Ist wahres Vergessen möglich?

6) Die Bitte um Vergebung

7) Das Christus-Licht

In Dankbarkeit denen gewidmet,
die mich die schwierige Lektion
der Vergebung gelehrt haben:

Meiner Mutter und COJ

Kapitel 1

Vergebung ist der erste Schritt auf dem Einweihungsweg

Gefühle, die verhärten und innerlich zerfressen

Erst wenn ein Mensch sich an einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens einmal die Muße einräumt, um zurückzuschauen, erkennt er, was alles in den zurückliegenden Jahren geschehen ist. Er wird dankbar feststellen, über wie viele schöne, rührende und glückliche Erinnerungen er verfügt. Daneben wird er aber auch auf Erfahrungen und Situationen stoßen, die ihm noch immer Kummer und Schmerzen bereiten. Er wird sich an Augenblicke höchster Liebe erinnern, an die unvergesslichen Momente vollkommener Glückseligkeit; aber auch an jene traurigen Stunden, in denen Abschied genommen werden musste von einem geliebten Menschen. Oft liegen dann im Rückblick Freude und Leid nahe beieinander. Glück und lichtvolle Augenblicke zeigen sich neben jenen des Unglücks und der Dunkelheit. Das Leben kann dann auch grausame Züge annehmen.

Jeder Mensch trägt in seinem Inneren die Erinnerungen an jene Erfahrungen, in denen er in der Fülle des Lebens glücklich war, und an jene Erlebnisse, in denen er selbst ein wenig mitgestorben ist. Alle diese Bilder und Eindrücke bestehen nebeneinander in seinem Herzen, wo sie bis heute aufbewahrt sind.

Inmitten all dieser Bilder und Erinnerungen zeigen sich auch die Gesichter jener Menschen, die einem einst Leid und innere oder äußere Verletzungen zugefügt haben. Wenn diese vor das innere Auge treten, können sie noch immer Gefühle der Wut und des Schmerzes auslösen. Wenn sich diese Emotionen mit großer Macht zeigen, sind sie meistens Hinweise darauf, dass sie den Betreffenden noch immer innerlich ‘zerfressen’. Sie entziehen ihm im wahrsten Sinne des Wortes seine Lebenskraft. Im „Bilderbuch seines Herzens“ sind jene Szenen abgedruckt, die den Schmerz und das Leid verursachten – und ihre Verursacher. Es bedarf meist keiner großen Anstrengung, um diese Bilder abzurufen, sie zeigen sich vielfach ganz ohne Mühe. Viele Menschen blättern regelmäßig in ihrem persönlichen „Bilderbuch“.

Diese Erinnerungen führen leider nicht nur dazu, die inneren Lebenskräfte aufzuzehren, sie verhärten den jeweiligen Menschen auch, der ihnen Raum gibt. Sie vermindern seine Feinfühligkeit und sein Mitgefühl und lassen ihn über andere urteilen, sie sogar verurteilen. Vor allem, wenn jene anderen Menschen auf die eine oder andere Weise etwas von jenen Eigenschaften ausdrücken, die einst diejenigen besaßen, die er als Quelle des eigenen Schmerzes in seinem „Bilderbuch“ aufbewahrt. So können diese, ohne es zu wissen, zum Ziel seines tiefsitzenden Hasses werden. Manche auf diese, manche auf jene Art, je nachdem welche Erinnerungen und Schmerz- oder Wutgefühle sie auslösen. Es sind also nicht andere Menschen, sondern die eigenen Erinnerungen, die jene negativen Emotionen freisetzen. Gewinnen diese die Überhand, kehren mit ihnen Misstrauen und Vorverurteilung in die Seele des Betreffenden ein. Dann machen diese alten Erinnerungen manchmal einsam, sehr einsam. Wer andere Menschen ständig be- oder verurteilt, verliert letztlich jeden seiner Freunde; denn wahre Freundschaft erträgt kein Urteil.

Vergeben ist nicht einfach

Die christlichen Kirchen lehren, man solle seinen Feinden vergeben. Aber wie soll diese Vergebung konkret vonstatten gehen? Oft sind Gefühle der Wut, des Kummers und des Schmerzes so machtvoll, dass man sie nicht einfach verdrängen oder vergessen kann. Dies ist nicht allein eine Angelegenheit des Wollens. Doch besteht eine Voraussetzung, um vergeben zu können, darin, die schmerzhaften alten Erinnerungen aufzulösen. Erst wenn die alten Eindrücke aus dem „Bilderbuch des Herzens“ gelöscht wurden, kann man dem Menschen, der sie ausgelöst hat, wieder unbefangen, freundlich und mit einem offenen Herzen begegnen.

Es klingt so einfach, wenn es heißt: Du sollst vergeben und vergessen! Aber viele Menschen, die es versucht haben, schildern, dass es ihnen gar nicht möglich war, einfach nur als eine Tat des Willens zu vergeben. Sie konnten nicht einfach einen Schalter im Kopf oder im Herzen umlegen und sagen: Jetzt habe ich dem anderen vergeben. So einfach lässt sich dieses schwerwiegende Problem nicht lösen.

Es drängt sich der Eindruck auf, als wenn die kirchliche Vergebungslehre in ihrer simplen Form zum Scheitern verurteilt ist. Sie hinterlässt bei den Menschen eher Hilf- und Ratlosigkeit. Sie sollen ihren Peinigern vergeben, aber wenn sie es versuchen, erkennen sie die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Sie können nicht allein mit dem Willen versuchen, schmerzhafte alte Erinnerungen zu löschen und denen zu vergeben, die sie ausgelöst haben. Es gelingt nicht, nur durch eine willentliche Anstrengung alte Urteile und negative Gefühle umzuwandeln.

Der Umgang mit der Opferrolle

Ich habe als Pfarrer mit vielen Frauen und Männern gesprochen, die in ihrem Leben das Opfer von sexuellem Missbrauch waren. Wobei vor allem letztere extreme Schwierigkeiten hatten, ihre Schamgefühle zu überwinden und über ihre traumatischen Erlebnisse zu sprechen. Die öffentliche Meinung übersieht gelegentlich, dass auch eine große Zahl von Männern Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind. Die Täter sind meist Familienangehörige. Manchmal sind es die Väter oder Stiefväter, die Mütter oder Stiefmütter, die Großeltern, die Onkel und Tanten oder auch die eigenen Geschwister. Es können aber auch Personen aus dem sozialen Umfeld gewesen sein, wie Lehrer oder Lehrerinnen, Priester oder Seelsorger. In vielen Fällen gab es eine starke emotionale Bindung oder ein Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer, welches die Verarbeitung des Geschehenen zusätzlich erschwert.

Auch eine Vergewaltigung löst tiefe und einschneidende Folgen aus; denn es geht nicht nur um eine körperliche, sondern vor allem um eine seelische Verletzung. Das Opfer ist häufig noch sehr jung und verfügt damit nicht über die geistige Einsicht, um das Geschehen einzuschätzen oder gar zu verarbeiten. Nicht selten fühlt sich sogar das Opfer schuldig, weil es nichts gegen den Vorfall unternommen und sich nicht gewehrt hatte. Vielleicht glaubt es sogar, das Ganze mit verursacht zu haben. Das Opfer sucht also in einem gewissen Maße die Ursache für das Geschehene nicht beim Täter – sondern bei sich selbst!

In einem solchen Fall leben die Opfer oft eine lange Zeit mit falschen Schuldgefühlen, die ihnen alle Vitalität und Lebensfreude rauben. Mit diesem Prozess geht dann häufig noch eine Unterdrückung der eigenen Gefühle einher, denn sie haben die (oft vielfache) Vergewaltigung nur überleben können, indem sie die eigenen Empfindungen verdrängten. Sie haben eine Vorstellung darum errichtet, als ob „sie selbst“ gar nicht dabei gewesen wären, sondern „nur ihr Körper“. In ihrer Bilderwelt haben sie gleichsam „von weitem“ zugesehen, was mit ihrem Körper geschah. Diese innere Abspaltung war die einzige Möglichkeit, um die Grausamkeit des Geschehens zu überleben. So entstand ein tiefgreifender Riss zwischen ihrem Körper und ihrer Seele. Diese Spaltung besteht oft ein Leben lang. Diese Opfer verharren während ihres ganzen Lebens in der Rolle eines Zuschauers. Es gelingt ihnen nicht mehr, wieder als Mitspieler beziehungsweise Mitspielerin am Spiel des Lebens teilzunehmen. Sie erdulden das Leben passiv, anstatt aktiv daran mitzuwirken. Dadurch werden sie ein zweites Mal zum Opfer.

Das Geschilderte macht deutlich, wie tiefgreifend die Folgen einer Vergewaltigung für die Opfer sind. Immer wieder versinken sie in der Einsamkeit, weil sie nur Zuschauer des Lebens und nicht Teilnehmer sind. Immer wieder überkommen sie Schuldgefühle, weil sie von der eigenen Schlechtigkeit überzeugt sind. Immer wieder quält sie der Gedanke, das Leben eigentlich nicht verdient zu haben. Es bedarf großer therapeutischer Anstrengungen, um Menschen, die in eine solche Opferrolle geraten sind, von ihren dunklen und belastenden Gefühlen zu befreien. Sie müssen irgendwann diese belastenden Emotionen bis zum letzten Rest noch einmal durchleben, um sich von ihnen lösen zu können. Sie müssen es wagen, ihre Wut und ihren Schmerz zuzulassen, um ihre wahren Gefühle zu finden. Wenn sie diesen Prozess Schritt für Schritt durchlaufen haben, können sie zur Erkenntnis ihres wirklichen Wesens gelangen. Dann erst werden sie wissen, wer sie wahrhaft sind.

Was verlangt man daher, wenn man Menschen, die noch in diesem Prozess stecken, auffordert, zu vergeben und zu verzeihen? Wenn man das Opfer auffordert, dem Täter zu vergeben, ohne ihm vorher die Möglichkeit geboten zu haben, die alten Verletzungen aufzuarbeiten, zwingt man es geradezu zu einem weiteren Verdrängungsprozess. Doch wer das Alte verdrängt, wird nicht zum Neuen finden. Er wird keine wirkliche Heilung erfahren, sondern in der inneren Einsamkeit verharren, gequält von Hass- oder Schuldgefühlen. Niemand darf also ein Opfer auffordern, dem Täter zu vergeben, ehe nicht der innere Aufarbeitungsprozess abgeschlossen worden ist; denn diese Überforderung würde zu einer neuen Verdrängung führen und den beabsichtigten Heilungsprozess verhindern.

In vielen Gesprächen haben mir die Opfer häufig berichtet, welche Stationen sie auf dem Weg zur Heilung durchlaufen haben. Sie erzählten übereinstimmend, wie wichtig es für sie war, ihre Wut endlich anzunehmen und nicht durch ein oberflächliches Vergeben zu verdrängen. Wenn ihre Vergebung nur aufgesetzt war, bevor sie ihre tiefen Emotionen verarbeitet hatten, blieb sie unwirksam und war nicht wirklich erlösend. Es war gleich wichtig, sich die eigenen Verletzungen einzugestehen, die damit verbunden Emotionen und die Unfähigkeit, dem Täter zu vergeben.

Viele Menschen schilderten mir, dass sie einen gewissen unausgesprochenen Druck empfunden hätten, dem Täter zu vergeben. Sie mussten sich erst davon befreien und sich bewusst machen, dass sie noch nicht bereit waren, dem Täter zu verzeihen, weil noch keine Aufarbeitung des Geschehenen stattgefunden hatte. Die Aufforderung zu vergeben stellte gewissermaßen einen raffinierten Versuch dar, die alten Verletzungen nicht wirklich anzuschauen und bewusst zu durchleben. So sollten die lange zurückliegenden Schmerzen weiter verdrängt werden, wie es ohnehin schon viele Jahre der Fall gewesen war.

Ich fühlte mich, auch in meiner Aufgabe als Seelsorger, gelegentlich dazu berufen, einem Opfer zu sagen: „Es ist jetzt nicht die Zeit zu vergeben. Jetzt ist die Zeit, deine Wut mit ganzem Ernst zu betrachten und zu durchleben. Jetzt ist die Zeit, dir deinen Schmerz und deinen Zorn bewusst zu machen!“

Drei Einsichten, die der Vergebung vorangehen müssen

Aus meinen Gesprächen mit Opfern von sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigungen habe ich drei wichtige Erkenntnisse gewonnen:

Erstens darf man nie auf eine ‘billige Art’ über Vergeben sprechen. Etwa im Sinne von: Du musst halt vergeben! Es gibt eine Zeit für die Wut und den Hass, und es gibt eine Zeit für das Vergeben! Es erfordert eine gewisse Weisheit, einem Menschen, der um Rat fragt, zuzuhören und zu beachten, um welche Zeit es für den Betreffenden geht. Verbleibt er noch in der Phase des Hasses oder ist er schon bereit, sich auf das Vergeben einzulassen. Wer in einer Beratungs- oder Therapie-Situation einen Menschen voreilig zum Vergeben drängt, der tötet das heilige Geschehen des Verzeihens; denn Verzeihen ist eine heilige Handlung – aber zur rechten Zeit!

Zweitens verstand ich, dass beim Vergeben eine erhebliche Vorarbeit geleistet werden muss. Erst müssen das alte Leid, die verdrängten Schmerzen und die aufgestaute Wut durchlebt und bearbeitet werden, ehe man letztlich vergeben kann. Man kann Menschen nicht einfach unvermittelt zum Vergeben auffordern, sondern man muss sie zuerst ein erhebliches Wegstück begleiten. Wenn dann die innere Arbeit geleistet wurde, kann der Prozess des Vergebens allmählich beginnen. Um überhaupt vergeben zu können, muss jeder einzelne Mensch eine schwere, oft lange andauernde innere Arbeit leisten, bis er schließlich zu dem Punkt kommt, an dem er seinem Peiniger vergeben kann.

Die dritte Einsicht bezieht sich auf die alte Tradition der Einweihung, die in der christlichen wie auch in allen anderen Religionen stets eine bedeutende Rolle gespielt hat. Der Weg zur Vergebung wird häufig auch als „Einweihungsweg“ verstanden, weil man auf dem Weg der Arbeit am eigenen inneren Wesen sensibler und offener für die geistige Welt wird. So wird der Verzeihungsprozess zum Einweihungsprozess, zum Weg in die innere Wirklichkeit. Jeder Mensch, der sich reinigt und befreit von Hass- und Rachegefühlen, von alten Schmerzen und lange aufgespeicherter Wut, überwindet so sein kleines Ego und wird offener und feinfühliger für die Segnungen jener höheren Welt, die ihn allzeit umgibt. Dieser innere Weg führt letztlich zur Begegnung mit der Welt der Engel und lässt das Wirken des kosmischen Christus verstehbar werden. Wer sich also innerlich entschließt, den Weg des Verzeihens zu beschreiten, betritt zugleich den Pfad zur Einweihung. Nur auf diesem Pfad wird in letzter Konsequenz wahre Verzeihung überhaupt erst möglich werden. Jeder, der sich auf diesen Weg begeben möchte, sollte sich jedoch bereits beim ersten Schritt bewusst sein, dass er viel Geduld und Ausdauer aufbringen muss, um eines Tages an sein Ziel zu gelangen. Wer voreilig und oberflächlich den Einweihungspfad beschreiten möchte, wird schon nach kurzer Zeit sein Scheitern eingestehen müssen.

Distanz und Nähe

Es war für mich ein bewegendes Geschehen, Menschen in ihrem Prozess zum Verzeihen begleiten zu dürfen und zu sehen, wie sie aus der Opferrolle herauswuchsen und zum Vergeben fanden. Sie hatten ihre alten Schmerzen, ihre Wut und ihre Ängste ernst genommen, hatten sie Schritt für Schritt noch einmal durchlebt, bis es ihnen möglich war, sie schließlich ganz loszulassen. So war es ihnen allmählich gelungen, die selbst errichtete Distanz zum Leben aufzugeben und sich wieder ganz einzulassen. Dies war eine entscheidende Veränderung in ihrer Lebensführung. Man kann es gar nicht hoch genug achten, wenn Menschen aus der Zuschauerrolle wieder herausfinden und erneut in die Lebendigkeit des Alltags eintreten. Es bedarf eines ungeheuren Mutes und einer gewaltigen Kraftanstrengung, um aus der Opferrolle herauszutreten und wieder zum Mitgestalter des Lebens zu werden! In dem Maße, wie Menschen dieser Schritt gelang, vermochten sie es auch, selbst die Täter mit anderen Augen zu betrachten. Sie sahen das Menschliche und vielleicht sogar das Gute in ihnen und überwanden so das Festhalten an ihrer schlechten und zerstörerischen Seite. Dies alles erleichterte es ungemein, zu vergeben und schließlich das Geschehene völlig zu vergessen.

Bemerkenswerterweise gewinnen Menschen, die durch solche schmerzlichen Verletzungsprozesse gegangen sind, eine außergewöhnliche Fähigkeit. Sie können willentlich in ihren Beziehungen zur Welt und zu anderen Menschen Distanz oder Nähe herstellen. Um dem Täter vergeben zu können, musste das Opfer in eine Position der Distanz gehen. Diese zu errichten, bedurfte einer gewissen inneren Arbeit. War sie einmal geleistet, blieb den Menschen diese Gabe. Sie konnten sich mit anderen Menschen vom Herzen her verbinden, sie konnten aber auch jederzeit wieder eine gesunde Distanz herbeiführen. Aus der Distanz betrachtet, wird jede Wut und jeder Hass geringer. Jeder Täter gewinnt aus der Distanz heraus andere Züge und bietet so die Möglichkeit, auch positive Aspekte zum Vorschein kommen zu lassen. Diese Fähigkeit, sich aus Bindungen zu entflechten und sie gewissermaßen ‘von Ferne’ zu betrachten, ist eine außerordentlich hilfreiche Eigenschaft, um die Herausforderungen des Leben zu bewältigen.