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Jaz Feehily

Ein Leben im goldenen Käfig

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Als am 17. September der lang erwartete Kronprinz geboren wurde, jubelte das ganze Volk dem König und der Königin zu. Unzählige Paparazzi und Schaulustige hatten sich vor dem Krankenhaus versammelt, um einen Blick auf den neuen Erdenbürger zu erhaschen. Hector und Florence lächelten professionell in die Kameras. Für die Königin war es anstrengend, so früh nach der Geburt schon wieder auf den Beinen zu sein, aber was tat man nicht alles, um das Volk glücklich zu machen. Acht Jahre lang hatte man vergeblich auf die Nachricht gewartet, dass es endlich Nachwuchs für die Krone geben würde.

 

Ben Friedrich Edward, Kronprinz von England, schlief friedlich auf den Armen seiner Mutter, während ihn hunderte Journalisten filmten und fotografierten. Er wusste noch nicht, wie sein Leben einmal aussehen würde. Eine Nanny erwartete ihn schon, als Ben aus dem Krankenhaus in sein zukünftiges Zuhause, dem Palast, entlassen wurde. Sophia, sein Kindermädchen und Norland-Absolventin, war besser als Mary Poppins, wenn es sich um Kinder handelte. Sie fütterte und wickelte Ben, badete ihn, spielte mit ihm, schob ihn im Kinderwagen und später der Karre durch das königliche Anwesen, ging mit ihm zum Kinderarzt und stand nachts auf, wenn er weinte. Außerdem bekam Ben einen persönlichen Butler, welcher nur für seine Wünsche da war. Anthony war zweiunddreißig und schon seit acht Jahren im Dienste der Royals. Hector wusste, wie sehr der junge Mann an dem Kronprinzen hing und hatte ihm deshalb diese wichtige Aufgabe mit Freuden übertragen. Anthony bekochte Ben, räumte seine Gemächer auf und besorgte ihm heimlich Schokolade. Eigentlich war diese für das Kind verboten, da die Königin nicht wollte, dass ihr Kind so viel Zucker aß. Anthony spielte mit Ben, kümmerte sich rührend um den Prinzen und fuhr ihn überall hin.

 

Bens Cousine Amalia wurde seine einzige Freundin und Spielkameradin, die ihn häufig besuchte. Als er laufen konnte, wurde nur für ihn im Schlosspark ein Spielplatz errichtet, mit Schaukeln, Sandkasten, einem Klettergerüst mit Rutsche und einer Wippe. Ben kannte bisher nichts anderes als diesen Park. Außerhalb des Schlosses war der Prinz bisher nur gewesen, wenn er zum Arzt musste. Er begann seine Cousine Amalia zu beneiden. Deren Mutter, seine Tante, brachte ihre Tochter immer persönlich vorbei und sie herzte und küsste ihre Tochter immer. Von seiner eigenen Mutter kannte Ben ein solches Verhalten gar nicht. Meistens küsste sie ihn nur auf die Stirn und umarmt hatte sie ihn nie. Nur sein Vater kümmerte sich ausgiebig um ihn, spielte mit ihm Fußball, ging mit ihm schwimmen, las ihm sogar gute Nachtgeschichten vor, wobei seine Frau meinte, dass er das doch der Nanny überlassen sollte. Schließlich würde diese dafür bezahlt werden. Doch da blieb Hector eisern. Wann immer er es einrichten konnte, frühstückte er zusammen mit seinem Sohn und aß gemeinsam mit ihm zu Abend. Meistens in der Schlossküche, wo es sehr viel entspannter war als im feudalen Speisesaal. Ben liebte seinen Dad und jedes Mal, wenn Hector im Auftrag der Krone verreisen musste, gab es Tränen. Ben vermisste seinen Vater immer ganz schrecklich. Er klammerte sich jedes Mal an Papas Beinen fest und schluchzte herzzerreißend, so dass Hector in die Knie ging und Ben fest in die Arme schloss.

„Ich bin doch bald wieder da, mein Schatz“, versprach ihm sein Vater, doch Ben war das egal. „Sei lieb zu Sophia und benimm dich gut, hörst du? Ich hab dich lieb.“

 

Als Ben drei Jahre alt war, kam seine Schwester, Prinzessin Theresa Isabella Florence, zur Welt. Der kleine Prinz freute sich unfassbar auf sein Geschwisterchen und war gleich am ersten Tag mit seinem Vater im Krankenhaus, um die neue Erdenbürgerin zu sehen. Ganz vorsichtig strich er seiner Schwester über das Köpfchen und küsste ihre Stirn.

„Sie ist süß“, fand er, während sein Vater seine Schwester in den Armen hielt.

Endlich fühlte sich Ben nicht mehr alleine, auch wenn mit seiner Schwester noch nicht viel anzufangen war. Tess war ein lautes Kind. Bei Hector, Ben oder der Nanny benahm sie sich gut, aber wehe ihre Mutter Florence nahm das Kind auf den Arm. Dann gab es Geschrei. Und zwar richtig. Da wackelte sogar das Gemäuer des Schlosses. Für Florence waren die Kinder ein lästiges Übel, welches Verpflichtungen mit sich brachte, für Hector jedoch waren seine Kinder ein Geschenk. Das merkten auch seine Kinder immer wieder, dass Daddy mehr Zeit für sie hatte als Mummy. Als Ben einmal krank war, an Sophias freiem Tag, und aus seinem Zimmer lief, um zu seinen Eltern in deren Schlafzimmer zu kommen, wurde er dort von Florence in Empfang genommen und angebrüllt, was er denn hier zu suchen hätte.

„Verdammt, Ben. Du bist drei Jahre alt, du sollst alleine schlafen“, giftete die Königin ihren Sohn an.

„Mummy, Bett?“, bat Ben sie leise.

„Nein, du gehst zurück in dein Zimmer.“

„Will bei Mummy und Daddy schlafen“, erwiderte Ben und fing an zu weinen.

„Du hörst sofort auf zu heulen“, fauchte seine Mutter ihn an. Hector erhob sich jetzt und nahm Ben in den Arm, dabei merkte er, wie warm der kleine Körper war.

„Florence, er ist krank“, erklärte er seiner Frau und nahm seinen Sohn auf den Arm.

„Ist mir egal, ich brauche meinen Schlaf.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und Hector verließ mit Ben das elterliche Schlafzimmer. In Bens Zimmer angekommen, maß Hector die Körpertemperatur seines Sohnes und gab ihm etwas gegen das Fieber, reichte ihm Wasser und zog ihm einen frischen Pyjama an.

„Daddy bleiben?“, fragte Ben leise.

„Ja, Krümel, ich bleibe bei dir.“ Hector deckte seinen Sohn gut zu und legte sich dann zum Schlafen neben das Kind. Ein Arzt kam am nächsten Tag und untersuchte Ben, konnte aber nichts Ernstes feststellen. Die beiden kommenden Tage nahm sich Hector frei, um sich um Ben und Tess zu kümmern, der es zum Glück jedoch gut ging. Er las ihnen vor, ging mit Tess im Kinderwagen spazieren, den Ben sogar mal schieben durfte. Hector spielte mit seinem Sohn Memory und genoss die Ruhe mit den Kindern.

 

Ben verlebte eine recht glückliche Kindheit, auch wenn er seine Eltern nicht oft sah und ständig von zwei Nannys und Bodyguards umgeben war. Diese begleiteten den Kronprinzen sogar in den Kindergarten und später zur Privatschule, was Ben, je älter er wurde, immer lästiger fand. Er konnte nicht mal einfach so zum Sport gehen, ohne dass daraus ein Staatsakt gemacht wurde. Viele Dinge, die normale Kinder konnten, waren für ihn undenkbar. In den Zoo gehen, an einem normalen Tag, wenn dort viele Besucher waren? Unmöglich! Kino? Ein Sicherheitsrisiko! Lebensmittel einkaufen? Dafür hatten sie Personal! Ein öffentliches Schwimmbad besuchen? Keine Chance! Dafür hatten sie einen eigenen Pool im Palast, wo er und auch seine Schwester Schwimmunterricht bekamen.

Kleidung wurde beim Schneider bestellt oder online. Doch manchmal ging Anthony, der Butler, mit den Geschwistern nach Ladenschluss bei Harrods einkaufen. Dort kauften sie dann Schuhe, Reitsachen, Spiele und Bücher. Ben liebte es, durch die Bücherregale zu stöbern und ganze Stapel mitzunehmen. Anthony musste in den kommenden Jahren drei Bücherregale für den Prinzen aufbauen, damit er seine Schätze verstauen konnte.

 

Als Ben sechs Jahre alt war, bekam er seine erste Brille. Der Lehrerin in der Grundschule war aufgefallen, dass der Prinz manche Dinge, die an der Tafel standen, nicht richtig erkannte. Auch zum Augenarzt und Optiker mussten sie in die Stadt, natürlich nach Schulschluss und mit Leibwächtern. Zum Optiker ging Ben gerne. Er probierte verschiedene Brillenmodelle aus und entschied sich schließlich für Ray Ban, Boss und Armani. Klar sagten dem Kind solche Marken noch nichts. Er ging ohnehin lieber danach, was gut aussah und Hector beriet seinen Sohn gut. Tess war auch dabei und stöberte ein bisschen. Sie brauchte zwar keine Brille, schwatzte ihrem Vater jedoch eine „Hello Kitty“-Sonnenbrille ab.

 

„Liebling, sitz gerade“, mahnte die Königin ihren Sohn, als sie in einem Restaurant saßen und ihren Urlaub genossen. Ein paar Tage in der Karibik, wo sie ein paar Tage ungestört verbringen konnten. Ben war inzwischen acht Jahre alt. Tess, seine Schwester, saß neben ihm am Tisch. Sie hatte ein Kleid an, das mit einer besonders auffälligen Schleife versehen war. Ben wusste genau, dass von dieser Schleife am Abend nicht mehr viel übrig sein würde, wenn seine Schwester eine Schere in die Hände bekam. Notfalls würde er ihr persönlich eine besorgen. Ben richtete sich auf und steckte sich ein Stück Fleisch in den Mund. Er schluckte und nicht einmal eine Minute später bekam er plötzlich keine Luft mehr. Ben griff sich an den Hals und rang nach Luft.

„Ben!“, Hector war voller Panik aufgesprungen, als sein Sohn angefangen hatte, nach Luft zu schnappen. „Ruft sofort den Notarzt.“ Ben klammerte sich mit angstvoll aufgerissenen Augen an seinem Vater fest, denn in diesem Augenblick glaubte der Junge sterben zu müssen.

Der Notarzt, der ein paar Minuten später eintraf, machte einen Luftröhrenschnitt, damit Ben wieder atmen konnte.

„Muss er das Loch behalten?“, wollte Florence wissen. Sie hatte Angst, ihr Sohn könnte entstellt sein.

„Nein, Ma'am. Wenn der Hals abgeschwollen ist, kann er wieder ganz normal atmen. Es war eine schwere allergische Reaktion“, erklärte ihnen der Notarzt, während sie Ben in den Krankenwagen luden. „Es wird nur eine kleine Narbe zu sehen sein, mehr nicht. Wir bringen ihn jetzt in die Klinik und dann werden ein paar Tests gemacht, um herauszufinden, was die Atemnot verursacht hat.“

Pfeffer, das war des Rätsels Lösung! Der Kronprinz war auf Pfeffer allergisch, was zur Folge hatte, dass in Zukunft die komplette Palastküche ohne Pfeffer würde auskommen müssen. Außerdem bekam Ben eine Spritze mit einem Wirkstoff, der ihm im Notfall gespritzt werden sollte. Hector atmete erleichtert auf, als der Arzt die Ursache der Atemnot erklärte.

Trotzdem wollte der Arzt noch weitere Tests machen, um alle Eventualitäten einer weiteren allergischen Empfindlichkeit auszuschließen. Hector besuchte Ben täglich im Krankenhaus, las ihm vor, spielte mit ihm und kuschelte mit ihm. Sein Sohn war dankbar für den Besuch, denn das hier war nicht ihre Heimat und die Ärzte sprachen alle so komisch. Tess malte ihrem Bruder Bilder und schickte ihm Blumensträuße, die sie gepflückt hatte.

 

Neben den Urlauben, die die Geschwister mit ihren Eltern verbrachten, durften sie im Sommer oft zu den Großeltern Giulia und Lewis in die Toskana reisen. Guilia und Lewis waren wirklich toll, wie Tess und Ben fanden. Dort durften die Kinder viele Dinge tun, die zuhause einfach nicht möglich oder nicht erlaubt waren! Auf dem Markt einfach mal zum Einkaufen zu gehen, mit Oma Giulia Kuchen zu backen, Erdbeeren pflücken gehen, beim Rasen mähen helfen oder im See schwimmen. Die Großeltern duldeten auch keine Bodyguards oder Nannys bei sich im Haus und an Personal hatten sie nur zwei Leute. Alfonso, ihren Butler, und einen Gärtner, der alle paar Tage vorbeikam.

Guilia sprach mit den Kindern immer Italienisch, während Lewis bei Englisch blieb, aber so lernten sie die Sprache am schnellsten und wenn sie etwas nicht verstanden, übersetzte ihr Opa es für sie. Ben fielen Sprachen normalerweise sehr schwer, das merkte er schon in der Grundschule, wo auch zwei Sprachen unterrichtet wurden. Doch ohne die ganze lästige Grammatik ließ sich die italienische Sprache ganz leicht lernen und die Großeltern halfen immer gern. Guilia und Lewis genossen es, die beiden um sich zu haben und verbrachten die Zeit mit gemeinsamen Spielen, oder man ging zum Eis essen.

Die Kinder genossen vor allem das freie Leben und die liebevolle Gesellschaft der Großeltern.

 

In Italien entwickelte Ben auch seine Leidenschaft fürs Malen. Wenn das Wetter schlecht war, holte Lewis meist Tusche und Stifte für die Kinder hervor, um sie zu beschäftigen. Ben hatte eine unglaubliche Ruhe beim Malen und vor allem war er für sein Alter unglaublich gut. Sein Großvater erkannte, dass hier ein Talent schlummerte und schenkte seinem Enkel zum Abschied edle Stifte, Malfarben und Leinwände, damit er zuhause mit dem Malen weitermachen konnte.

 

Als Ben zehn Jahre alt war, begann man ihn auf seine Rolle als Kronprinz vorzubereiten. Er bekam Unterricht in Etikette und Tischmanieren, lernte, wie und wann man „small talk“ richtig anwendet, wie man steht, geht, sitzt, reitet und tanzt. Außerdem erweiterte sich sein Lehrplan um Geschichte, Kunst, Sport und Politik. Sophia brachte ihm und Tess bei, mit Stäbchen zu essen, damit sie bei Staatsbesuchen in Asien, vor allem in Japan und China, mit perfekten Tischmanieren aufwarten konnten. Sie ließ dann auch typische japanische und chinesische Gerichte kochen. Auch zeigte sie ihnen, welche Kleidung und welcher Schmuck hier typischer Weise getragen wurde.

 

Mit ihm wurde bis zum Umfallen gepaukt und er musste erste öffentliche Auftritte wahrnehmen. Doch Ben hatte Angst vor großen Menschenmassen. Das war nach dem ersten öffentlichen Auftritt allen schnell klargeworden. Vor seinem zweiten Auftritt schloss sich Ben heulend im Bad ein und wollte nicht herauskommen. Danach achtete Hector sehr genau darauf, zu welchen Anlässen er seinen Sohn schickte. Meistens waren es Eröffnungen öffentlicher Gebäude oder Krankenhäuser, oder sportliche Events, die sein Sohn besuchte. Außerdem waren dann die Vertreter der Presse auf ein absolutes Minimum beschränkt, so dass Ben sich wohler fühlte. Aber auch so war es schwer, Ben zu erklären, dass solche Auftritte nun mal für ihn zum Leben gehören würden und er der Krone dienen musste, selbst in so jungen Jahren.

„Die gaffen mich alle an“, nuschelte Ben, als er mit seinem Vater sprach. „Alle wollen sie mir die Hand schütteln, Fotos mit mir machen und ich kriege Geschenke, obwohl ich keinen Geburtstag habe.“

„Ich weiß, mein Sohn“, Hector strich ihm mitfühlend über den Kopf. „Aber das gehört nun mal zu unserem Leben dazu.“

„Ich hasse mein Leben“, sagte Ben und sah seinen Vater an. „Immer muss ich lächeln, nie darf ich zeigen, wie es mir wirklich geht. Zu allen Menschen muss ich nett sein, auch wenn ich sie nicht kenne oder gar nicht mag.“

„Ja, manchmal ist es schwer, die Fassung zu wahren“, sagte sein Vater. „Ich werde versuchen, deine Events noch genauer auszuwählen“, versprach er seinem Sohn.

„Ich hab ja nicht mal Freunde, Dad. Meine Schulkameraden dürfen mich nicht besuchen und ich sie auch nicht, weil Mama es nicht erlaubt. Dabei würde ich so gerne mal auf eine Geburtstagsparty gehen oder mit zum Bowlen kommen. Ich wachse hier total isoliert auf. Mit Tess zusammen zu sein ist nicht dasselbe. Sie ist meine Schwester, kein Besuch.“

Hector versprach mit seiner Frau zu sprechen, damit Ben in Zukunft ein paar Kinder einladen und Freunde gewinnen konnte.

Er setzte sich durch und Ben durfte ein paar Kinder einladen, mit ihnen im Garten spielen und im Swimmingpool herumtoben, wobei jedoch immer genug Personal da war, um auf die Kinder zu achten. Sie spielten zusammen auf dem Spielplatz, doch auch im Schloss gab es ein Zimmer zum Spielen. Dorthin zogen sich die Kinder bei schlechtem Wetter zurück und amüsierten sich beim Dartspielen, Kegeln, Kickern oder mit Brett- und Kartenspielen. Auch Tess’ Freunde waren gerne gesehen, auch wenn Tess lieber Tee-Partys veranstaltete oder Verstecken spielte. Ben durfte nun sogar seine Geburtstage zusammen mit anderen Kindern feiern. Sie veranstalteten ein Ritterfest und es gab Wettkämpfe mit Ringreiten auf Steckenpferden, Bogenschießen und Sackhüpfen. Am Ende gab es für alle Kinder Urkunden und sogar eine Tüte mit Kleinigkeiten als Gewinne. Darin fand man Schokolade, Malstifte und ein Pfundstück.

Auch Klassenreisen waren schwierig, schließlich war Ben der Kronprinz und musste geschützt werden. Meistens musste Scotland Yard im Vorfeld das Landschulheim durchsuchen und dort dann auch Beamte abstellen, wenn Ben mit seinen Klassenkameraden mitfahren wollte. Sogar wenn die Klasse in den Zoo wollte, musste man den Tierpark für die normalen Besucher sperren. Ben wäre von Menschenmassen umringt worden und ein Durchkommen schier unmöglich gewesen. Außerdem hätte er zu viele Bodyguards gebraucht. Museen waren da weniger problematisch. Ben liebte zwar Geschichte, aber meistens war er in normalen Museen schnell gelangweilt. Schließlich kannte er die Englische Geschichte im Schlaf und konnte sie sogar rückwärts aufsagen. Nur im Kindermuseum hatte er viel Spaß. Dort durften sie selber Dinge ausprobieren. Sei es alte Schriften zu entziffern, oder zu lernen, wie man damals Taue hergestellt hatte, sich durch Gewürze zu probieren, mit Gewichten zu experimentieren, oder sich als Pharao von Ägypten zu verkleiden.

Da war Ben in seinem Element. Endlich einmal ohne Zwang das tun zu dürfen, was Spaß macht!

Internat!

Je älter der Kronprinz wurde, umso mehr wurde er in die Pflicht genommen und musste vor allem mit ins Ausland reisen. Australien, Neuseeland, Kanada, Afrika, USA, Spanien, Niederlande, Belgien, Japan, Indien, waren da nur einige der Ziele, zu denen er mitgeschleift wurde. Vor allem in den Ländern, welche zum Commonwealth gehörten, versuchte man gut Wetter zu machen, denn die Stimmen, die die Unabhängigkeit von der Krone forderten, wurden immer lauter. Deshalb musste Ben immer nett lächeln, da auf ihm schließlich alle Hoffnungen lagen. Selbst seine Schwester musste öfter mitreisen, doch die hatte ihren ganz eigenen Kopf und erschien häufig in Sachen, die sich eigentlich nicht für einen öffentlichen Auftritt gehörten, was Ben jedes Mal lächeln ließ. Jeans und T-Shirt mit Chucks an den Füßen, bunte Leggins mit langem T-Shirt und einem Gürtel, seine Schwester war in ihrem Alter schon total schmerzbefreit und ihre Mutter trieb es jedes Mal die Zornesröte ins Gesicht. Wie durch Zauberhand verschwanden immer die teuren Luxuskleider der Prinzessin. Meistens mit tatkräftiger Unterstützung von Anthony und Sophia. Hector machte dabei immer beide Augen zu und tat immer völlig überrascht, wenn Tess mal wieder in einem Outfit erschien, das man nur mit viel gutem Willen, als schick bezeichnen konnte.

 

Ben fühlte sich gänzlich unvorbereitet auf das Leben. Immer wenn seine Eltern nicht da waren, insbesondere seine Mutter, nutzte er die Zeit und ließ sich von Anthony ein bisschen davon beibringen, was „normale“ Kinder in seinem Alter können sollten: Betten machen, Kochen, Waschen und Staubsaugen. Alles Dinge, die er für gewöhnlich nie tat, weil ihm jeder Handgriff abgenommen wurde. Florence war der Meinung, dass ihre Kinder solche niederen Arbeiten nicht nötig hätten. Dafür hatte man schließlich Personal! Hector sah das ganz anders und unterstütze Anthony dabei, wenn seine Frau nicht anwesend war. Selbst sein Pferd satteln und die Box ausmisten tat Ben dann selber, wenn seine Mutter nicht in der Nähe war. Auch den Gärtnern half er gern, beim Bäume pflanzen, Blumen einsetzen und Hecken schneiden. Im Schlossgarten wuchsen viele Rosen, Tulpen, Mohnblumen, Sonnenblumen, Löwenmäulchen und Hibiskus. Im Schloss standen in vielen Räumen üppig blühende Orchideen auf den Fensterbänken.

 

Mit zwölf Jahren bekam Ben seine eigene Suite im Schloss. Dort hatte er ein großes Schlafzimmer, ein Esszimmer, ein Arbeitszimmer, ein großes Badezimmer und einen separaten Ankleideraum, in dem es alles gab, was das Herz begehrte. Hector erlaubte Ben, ein paar Änderungen vorzunehmen. Ben wollte einen bunten Kronleuchter über dem Esstisch haben. Er fand dieses weiße Teil, das da hing, hässlich und seine Schlafzimmerdecke wollte er auch selbst malen. Hector hatte Verständnis für die Wünsche seines Sohnes und ließ Farben, Pinsel und Rollen besorgen, damit Ben sich an die Arbeit machen konnte. Vorher malte Ben ein Bild davon, wie die Decke aussehen sollte, damit er eine Vorlage hatte. Ben brauchte fast zwei Wochen bis die Decke fertig war, doch dann war er mehr als zufrieden. Zu seiner Suite hatten vom Personal nur Anthony und eines der Zimmermädchen Zutritt, damit er sein Frühstück gebracht bekommen und die Räume saubergemacht werden konnten.

 

Erst in Eton, dem elitären Internat für Jungen in England, wurde Bens Leben ruhiger. Dort bekam er keine Sonderbehandlung und es wurde ihm ein Stückchen Freiheit geschenkt. Jetzt war er 13 Jahre alt und Eton eine der exklusivsten Privatschulen von Großbritannien.

Er war nervös, als er bei dem Direktor im Büro saß und sich anhören durfte, was man hier durfte und was nicht. Es gab unterschiedliche Sperrzeiten, je nach Alter. Das Taschengeld wurde von den Erziehern zugeteilt. Dieses musste von den Eltern jeweils vor dem Schuljahr in der Schule abgegeben werden. Außerdem sollten sich die Schüler auch außerschulisch betätigen. Es gab vielfältige Möglichkeiten und Arbeitsgruppen. Musik, Theater, Sport und Kunst, das ganze Spektrum für eine sinnvolle Freizeitgestaltung wurde den Schülern geboten.

Ben freute sich, als er sah, welche Möglichkeiten sich ihm hier erschlossen!

Dann schickte der Direktor nach einem Erzieher, der Ben sein Zimmer zeigen sollte. In Eton gab es für alle nur Doppelzimmer und Ben war es nicht gewohnt, sich sein Zimmer teilen zu müssen.

Der andere Junge war schon da und sah ihn etwas abschätzend an. Bens Magen verknotete sich. Er hatte doch gewusst, dass das hier keine gute Idee war. Schließlich kannte ihn hier jeder. Mit einem schnellen Blick sah er sich um. Hier standen zwei Betten, zwei Schränke und zwei Schreibtische. Eine kleine Kommode stand in der Nähe der Tür, darüber hing ein Spiegel. Eine weitere Tür führte ins Badezimmer.

„Hallo, ich bin Ben“, sagte er schließlich und reichte dem anderen Jungen die Hand, die dieser sofort ergriff.

„Dominic. Soll ich dir beim Auspacken helfen?“

„Das wäre nett.“ Schnell räumten sie zusammen Bens Schrank ein. Es hatte im Vorfeld eine Packliste gegeben. Die Jungen sollten keine überflüssige Garderobe mitbringen. So war das Einräumen schnell erledigt und die beiden bezogen dann noch Bens Bett, wobei Ben sich sehr geschickt anstellte, inzwischen hatte er Übung darin.

„Weißt du schon, in welche AG du gehen willst?“, fragte ihn Dominic.

„Keine Ahnung. Ich würde gerne Musik machen. Ein Instrument lernen und ich will weiter malen.“ Ben deutete auf seine zweite Tasche, die er am Eingang abgestellt hatte. Darin befanden sich jedoch ausschließlich Malutensilien. Erstaunt sah sein Mitbewohner dabei zu, wie er alle Utensilien hervorholte und sie auf seinen Schreibtisch legte.

„Wow“, Dominic staunte nicht schlecht über das, was Ben da alles zu Tage förderte. Eine Staffelei, die man zusammenklappen konnte, mehrere Leinwände, Pinsel, Farben, Stifte und Papier. „Was malst du alles?“, wollte Dominic neugierig wissen.

„Alles“, kam es von Ben. „Portraits, Landschaften, Stillleben. Alles was ich schön finde, wird festgehalten.“

„Ich fotografiere gerne“, sagte Dominic. „Ich habe nicht das Talent zum Malen. Malst du mir auch mal was?“

„Klar. Was soll es denn sein?“, Ben freute sich, dass Dominic ein Bild von ihm haben wollte.

„Kannst du mich zeichnen, während ich am Klavier sitze?“

„Am Klavier?“

„Ja, ich bin ein Musikwunderkind. Ich kriege hier auch eigenen Unterricht, der anspruchsvoller ist als das, was die Musikschulen in London zu bieten haben. Außerdem komponiere ich auch selber.“

„Also bist du wie Mozart“, stellte Ben staunend fest.

„Soweit würde ich nicht gehen“, grinste Dominic. „Mozart war ein Genie. Davon bin ich weit entfernt.“

Gemeinsam gingen sie schließlich zum Mittagessen und aßen zum ersten Mal mit ihren neuen Klassenkameraden zusammen. Nach dem Essen durften sie das Gelände erkunden und Ben sah sich die Liste mit den AGs noch einmal genauer an. Auf der zweiten Liste stand, welche Musikinstrumente man hier an der Schule unterrichtete: Klavier, Geige, Schlagzeug, Cello, Saxophon, Querflöte, Klarinette, Trompete und Gitarre. Er entschied sich schließlich für Saxophon. Er liebte Jazz-Musik und war schon jetzt gespannt auf den Unterricht.

 

Der normale Unterricht war sehr viel anspruchsvoller als an seiner vorherigen Schule. Und eine Sonderbehandlung bekam er hier nicht, weder von seinen Lehrern, noch von den Mitschülern. Er saß im Unterricht neben Dominic, machte sich fleißig Notizen in allen Fächern und machte brav seine Hausaufgaben. Zwei Fremdsprachen musste man als Fach belegen. Die Auswahl war groß! Im Angebot waren: Deutsch, Japanisch, Russisch, Spanisch, Latein, Französisch, und Italienisch. Ben entschied sich für Italienisch und Latein, letzteres eher aus Pflichtbewusstsein, denn schließlich würde er einmal der elisabethanischen Kirche vorstehen und da war Latein ein Muss. In seiner Freizeit malte er viel, ging reiten und lernte fleißig Saxophon spielen. Das war am Anfang gar nicht so einfach. Er hatte mehrere Versuche gebraucht, bis er überhaupt einen Ton aus dem Instrument herausbekommen hatte. Nebenbei musste er noch die Noten lernen, wobei Dominic ihm half.

Außerdem standen die ersten Arbeiten an, die Ben jedoch ganz gut gelangen. Er schaffte in Italienisch ein A+ und in Mathe ein gutes B. Gleichzeitig mussten sie zwei Bücher für den Englisch-Unterricht lesen. Das eine kannte Ben zum Glück schon. So hatte er mehr Zeit für das andere Buch. Er machte sich auch hier eifrig Notizen, denn die Lehrer fragten sie gerne mündlich zu den Kapiteln ab, um zu schauen, ob sie diese auch gelesen hatten.

 

Als die Ferien nahten, war Ben alles andere als erfreut. Seine Klassenkameraden verreisten mit ihren Familien, nur Ben hatte keine Freizeit. Meistens musste er brav repräsentieren, was ihm zunehmend gegen den Strich ging. Krankenhäuser eröffnen, brav dastehen bei irgendwelchen langweiligen Gartenpartys, irgendetwas besichtigen, woran er eigentlich so gar kein Interesse verspürte. Das Pferderennen in Ascot war natürlich jedes Jahr ein Event für die „Upper-Class“. Schließlich war es schon seit Ewigkeiten Tradition, dass sich die Königsfamilie beim Pferderennen die Ehre gab. Aber auch hier gingen Ben die Kleidervorschriften gegen den Strich. Kleid und Hut für die Damen, Frack und Zylinder für die Herren, er fühlte sich jedes Mal albern, wenn er diese Kleidung trug.

 

Zu seinem 16. Geburtstag gaben seine Eltern den ersten Ball zu Ehren des Kronprinzen. Ben wäre am liebsten abgehauen. Scheinbar hatte man alle jungen adeligen Prinzessinnen der Welt zu diesem Fest eingeladen. Es ging furchtbar steif und gezwungen zu, Dank des strengen Zeremoniells. Das Schlimmste war aber, dass nicht nur die Prinzessinnen, sondern auch die dazugehörigen Eltern anwesend waren. Viele Eltern träumten von einer Verbindung mit der englischen Königsfamilie, doch Hector wies jeden konsequent ab. Das Einzige was Ben etwas den Abend versüßte, war, dass sein Vater Dominic eingeladen hatte. Zum einen, damit Ben nicht so alleine war, zum anderen durfte er ein paar seiner Werke auf dem Flügel zum Besten geben.

„Er ist großartig“, fand Hector und klatschte begeistert Beifall, als der letzte Takt verklungen war. „Schade, dass es so etwas wie den Hofmusikus nicht mehr gibt. Er hätte den Job sofort.“ Das Gleiche wiederholte Hector schließlich sogar vor Dominic, was diesen rot werden ließ.

„Vielen Dank, Euer Majestät. Aber ich kann mich schlecht mit Mozart oder Beethoven vergleichen. Ich habe noch verdammt viel zu lernen.“

„Du spielst grandios. Wirst du hier in London studieren?“

„Ja, Euer Majestät.“

„Wenn du angefangen hast, dann ruf doch mal an, dann machen wir einen Termin. Ich würde gerne öfter etwas von dir hören.“ Hector gab Dominic eine seiner seltenen Visitenkarten. Die bekam wahrlich nicht jeder! Einer der wenigen, die eine besaßen, war der britische Premierminister und die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika.

„Wow, mein Vater gibt dir seine Karte“, selbst Ben war überrascht. Noch nie hatte sein Vater einem Musiker seine Karte gegeben. „Pass gut darauf auf. Du bist gerade in einen erlauchten Kreis aufgenommen worden.“

Dominic grinste bis über beide Ohren, jetzt war der Tag nicht mehr ganz so furchtbar.

 

Die Zeit verging rasend schnell und als Ben Weihnachten nach Hause kam, machte seine Schwester eine Ankündigung, die Ben nicht wirklich verblüffte, ihrer Mutter jedoch das Blut in den Adern gefrieren ließ. Tess war 13 Jahre alt und egal wo sie hinging, sie brauchte mehr Bodyguards als ihr Bruder, denn die Paparazzi hatten schon fast eine Hetzjagd auf sie begonnen, wie einst auf Lady Diana.

„Ich werde morgen früh im Parlament ganz offiziell von all meinen Ämtern zurücktreten und meine Titel ablegen. Damit verzichte ich offiziell auf eine Apanage und kann endlich machen, was ich will.“

„Du bist die Nummer zwei der Thronfolge“, Florence war entsetzt. „Du kannst der Krone nicht den Rücken kehren.“

„Doch, ich kann. Und ich werde. Ich war lange genug der Affe für das Volk und habe mich vorführen lassen. Ich habe es satt, permanent von allen Leuten angestarrt zu werden, sobald ich irgendwo bin. Meine Kleidung wird kritisiert, mein Aussehen, meine Hobbys, obwohl da die Presse nicht einmal weiß, was ich überhaupt in meiner Freizeit mache. Man diskutiert jetzt schon darüber, wen ich später mal heiraten könnte und wo ich leben werde. Ich habe es so satt, mein Gesicht jeden Tag in der Presse zu sehen.“

„Naja, mein Kind, dir ist schon klar, dass du dazu eigentlich volljährig sein müsstest“, erklärte Hector seiner Tochter. Denn so einfach wie Tess sich das vorstellte, war das Ganze nicht. Erst mit 18 konnte man offiziell verzichten, außer, der König entband einen von sämtlichen Titeln. Es gab da nur wenige Ausnahmen, zum Beispiel, wenn man zum katholischen Glauben konvertierte oder zum Islam, oder man heiratete nicht standesgemäß, dann konnte man auch selber verzichten. Ausnahme waren die Kinder, für die die Eltern zur Geburt auf einen Titel verzichtet hatten. Einige davon waren trotzdem in der Thronfolge zu berücksichtigen, bei anderen hatten die Eltern auch darauf verzichtet.

„Kannst du mich dann von allen Pflichten befreien, Dad?“, bat Tess ihren Vater. „Bitte, ich habe keine Lust mehr auf dieses Leben. Ich will meine Ruhe haben.“ Florence warf ihrem Mann einen warnenden Blick zu, doch Hector fühlte mit seiner Tochter.

„Ich werde dich morgen ganz offiziell zu einem bürgerlichen Mädchen machen“, versprach er seiner Tochter. „Ich werde mitteilen, dass ich dich auf eigenen Wunsch hin von deinen Titeln und Pflichten entbinde und du damit auch keine Apanage mehr bekommst, wenn du älter bist.“

„Damit bin ich einverstanden, Dad.“ Hector sah zu seinem Sohn und er wusste ganz genau, dass Ben gerade denselben Wunsch hatte wie seine Schwester. Aber er war der Kronprinz und musste damit leider noch etwas warten, denn er würde mit 21 Jahren gefragt werden, ob er die Krone annehmen würde. Sollte Hector etwas zustoßen oder dieser vorzeitig abdanken, würde diese Frage schon zu Bens achtzehntem Geburtstag gestellt werden.

Der König trat am nächsten Morgen vor das Parlament und erklärte offiziell, dass seine Tochter ab sofort von allen Titeln und royalen Pflichten entbunden sei. Auch würde sie ab sofort nicht mehr in der Thronfolge berücksichtigt werden. Von nun an hatte seine Tochter ein bürgerliches Leben vor sich und würde nach Deutschland auf ein Internat gehen, wo sie ihre Ruhe haben würde. Tess hatte bereits die Koffer gepackt, nach Weihnachten würde sie direkt abreisen und nach Deutschland fliegen. Ben wusste jetzt schon, dass er seine kleine Schwester sehr vermissen würde. Ihre Streifzüge durch den Park, ihre Ausritte, das gemeinsame Fliehen durch die Geheimgänge des Schlosses, wenn Florence mal wieder durchdrehte, all das würde ihm fehlen.

 

Die Jahre vergingen schnell, wie Ben merkte. Vor allem hatte er einen ziemlichen Schub in die Höhe gemacht. Er war kein Kind mehr! Inzwischen hatte er auch Haar-Gel für sich entdeckt und rasieren musste er sich morgens auch. Das bedeutete auch, dass er morgens früher aufstehen musste, um sich fertigzumachen. Selbst seine Augenbrauen schienen plötzlich ein Eigenleben zu führen. Schließlich griff er zur Pinzette, um sie wieder in Form zu bringen, denn er wollte nicht aussehen wie Rübezahl.

Mit siebzehn Jahren war Ben 1,86m groß, hatte braune, kurze Haare mit blonden Strähnen und dazu braune Augen. Er sah aus wie ein Frauenmagnet! Mittlerweile spielte er in der Schulband Saxophon und war richtig gut geworden. Das viele Üben hatte sich ausgezahlt. Selbst in den Ferien war er immer fleißig gewesen, auch wenn er seiner Familie mit dem Üben manchmal den letzten Nerv geraubt hatte. Seine zweite Leidenschaft, das Malen, hatte er auch nicht vernachlässigt. Im Internat hingen in seinem Zimmer viele seiner Bilder. Inspiration gab es auch im Internat reichlich für ihn. Vom Orchester hatte er ein Bild gemalt, von den Sportlern sogar mehrere. Die Landschaft rund um das Internat und natürlich das Internat selbst wurden oft skizziert und gemalt.

An manchen Wochenenden war Ben sogar mit bei Dominic und seiner Familie gewesen. Dann waren die beiden häufig zu Feiern eingeladen gewesen, die von Mitschülern oder alten Freunden von Dominic veranstaltet wurden. Auch hier merkte Ben wieder einmal ganz bewusst, dass er kein Kind mehr war. Viele der Jungs hatten schon eine Freundin. Nur er nicht. Doch die Jungs wussten um seinen Status und die Probleme, die sich daraus ergaben und so fragten sie ihn nicht weiter nach seinem Privatleben aus. Sie akzeptierten, dass es für Ben kein „normales“ Privatleben geben konnte.

Der Kronprinz selbst hatte ein echtes Problem, das ihm immer mehr zu denken gab. Auf den Partys bemerkte er immer wieder, dass er Jungen hinterher sah. Mädchen interessierten ihn überhaupt nicht. Irgendwann erwischte er sich, wie er einem Klassenkameraden in der Umkleidekabine auf den Hintern starrte und dann schnell wieder wegsah. Ben wusste nicht, was er tun sollte. Klar, es war nicht schlimm, auf Jungs, beziehungsweise Männer, zu stehen. Aber bei dem Leben, das er führte und vor allem, bei dem was von ihm erwartet wurde, gehörte das Schwärmen für junge Männer sicher nicht dazu.

Seine Mutter hatte sicher schon irgendeine Braut für ihn in Aussicht. Doch hier war er den ganzen Tag nur von Jungs umgeben, was es ihm schwermachte, seine Hormone im Zaum zu halten. Am Schlimmsten war es beim Sport, wenn die Jungs mit ihren durchgeschwitzten Trikots in der Umkleide standen, oder er sie schließlich nackt unter der Dusche sah. Da hatte Ben schon ein oder zweimal das kalte Wasser aufdrehen müssen, um es nicht sehr peinlich werden zu lassen. Einige Jungs fand er sehr ansprechend und sexy. Von der Optik her wären sie durchaus sein „Beuteschema“ gewesen. Doch so einfach war es bei Ben nicht. Da müsste nur ein Klassenkamerad bei der Presse etwas verlauten lassen oder ein Kuss-Foto an die Regenbogenpresse weiterleiten. Soweit reichte sein Vertrauen zu den Mitschülern nicht. Wirkliche Freunde hatte er hier, außer Dominic, nicht gefunden und selbst ihm hatte er nichts erzählt, aus Angst, dann keinen besten Freund mehr zu haben. Denn noch wusste Ben nicht, wie Dominic tickte und ob er solche Ansichten akzeptieren würde.

Ben wusste, dass von ihm erwartet wurde, später mal eine Frau zu haben und Kinder mit ihr zu zeugen, doch alleine der Gedanke, intim mit einem Mädchen zu werden, ließ ihn sich schütteln. Einmal hatte er ein Mädchen geküsst, auf einer Geburtstagsfeier und das fand er schon ekelhaft. Bis heute wusste er nicht, wie er das seinen Eltern erklären sollte, denn auf ihm lag die Hoffnung der Monarchie. Es würde seine Aufgabe sein, die Blutlinie weiter zu führen, obwohl es ihm recht gewesen wäre, wenn seine Cousins oder Cousinen seinen Part übernehmen würden.

 

Endlich rückte die Ferienzeit wieder einmal in greifbare Nähe und Ben packte für die Ferien seine Koffer, verabschiedete sich von Dominic und wartete auf seinen Chauffeur. Anthony war wie immer pünktlich. Ben mochte den Chauffeur gern, denn als Chauffeur und Butler passte Anthony schon auf Ben, seit er ein Baby war.

„Anthony“, freute sich Ben, als er den Mann in den Vierzigern erblickte und umarmte ihn kurz. Dass seine Eltern nichts davon hielten, das Personal zu herzen, war ihm herzlich egal. Er zeigte Anthony gerne, dass er ihn mochte und wertschätzte.

„Königliche Hoheit“, zwinkerte Anthony ihm zu. Er hielt ihm die Tür auf und ließ Ben einsteigen. Auf der Fahrt nach Hause hörten sie Bens Lieblings-CD. Das Schloss, auf dem seine Eltern in den Ferien wohnten, lag außerhalb Londons, malerisch gelegen umgeben von Wäldern und Seen.

Ben hatte hier eine eigene Suite. Wahrscheinlich, um seiner Mutter nicht allzu oft zu begegnen. Diese Suite sah genauso aus, wie man es sich bei Teenagern vorstellt, die viel Geld haben. Alles war edel und teuer eingerichtet, hier blieben keine Wünsche offen. An den Wänden hatte sein Vater die Bilder aufhängen lassen, die Ben selbst gemalt hatte. Plasmafernseher, Playstation und eine Wii standen hier ebenfalls, dazu viele Bücher und einige CDs. Auf seinem Schreibtisch stand ein Computer. Ja, auch das Königshaus war im modernen Zeitalter angekommen. Man schrieb nicht mehr mit Feder und Tinte. Allerdings besaß Ben tatsächlich sein persönliches Siegel, welches er jedoch ganz selten benutze. Meistens ließ er es weg, aus Angst, dass die Post gelesen würde, wenn sein Siegel auf den Briefen erkannt würde.

Sein Schlafzimmer hatte er vor zwei Jahren selbst gestrichen und gemalt. Seine Mutter hatte fast einen Herzinfarkt bekommen, als sie ihn auf dem Gerüst gesehen hatte, doch ihr Sohn hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und mit viel Liebe und Energie das Weltall an die Decke gemalt. Direkt unter dem Zenit des Weltalls stand ein großes Bett mit zwei Nachtschränkchen. Außerdem verfügte das Schlafzimmer über einen begehbaren Kleiderschrank und ein an das Zimmer anschließendes Bad mit allem, was man sich nur wünschen und vorstellen kann. Zwei Waschbecken, eine große Dusche, eine Badewanne für zwei Personen und einem Farbwechsler für das Licht. Ben freute sich, wieder in seinem Reich zu sein. Schnell packte er seine Sachen aus und zog sich um.

 

Unten im Salon warteten seine Eltern schon auf ihn. Er begrüßte zuerst seine Mutter, dann seinen Dad und setzte sich schließlich auf einen Sessel und schlug elegant die Beine übereinander.

„Wie war die Schule?“, wollte sein Vater wissen.

„Gut. Ich muss mir in keinem Fach Sorgen machen, mal abgesehen von Latein.“

„Latein war auch nie mein bester Freund“, gestand Hector. „Du solltest Französisch nehmen oder Spanisch.“

„Du weißt, wie schwer es mir fällt, neue Sprachen zu lernen, Dad“, sagte Ben und sah ihn mit großen braunen Augen an. „Wo ist Tess?“

„Noch nicht da. Sie kommt erst morgen hier an.“

Tess ging auf ein deutsches Sportinternat und seit sie im letzten Jahr von allen Ämtern zurückgetreten war, sahen die beiden Geschwister sich nicht mehr so häufig, wie sie es gerne gehabt hätten. Ben hatte Verständnis dafür gehabt, dass Tess allen Ämtern entsagte, denn so entging sie dem permanenten Presserummel. Er freute sich sehr auf das Wiedersehen mit seiner Schwester. Als sie alle beim Essen saßen, hing Ben seinen Gedanken nach. Wie sollte er seinen Eltern bloß erklären, dass er nichts mit Mädchen anfangen konnte. Seine Eltern würden schwer enttäuscht sein.

 

Als Ben sich abends für das Bett fertigmachte, klopfte es bei ihm an die Tür. Er ging aufmachen und sah seinen Vater davorstehen.

„Hey Dad, was gibt es denn?“

„Darf ich reinkommen?“ Ben öffnete die Tür und ließ den König eintreten. Hector sah sich im Reich seines Sohnes aufmerksam um. Ein paar neue Bilder fielen ihm an den Wänden auf, aber sonst war alles wie immer. „Ist alles okay bei dir?“, wollte er von seinem Sohn wissen. „Du warst beim Essen vorhin so still.“

„Mir geht es gut, Dad. Wirklich. Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Wenn du total abwesend am Tisch sitzt, mache ich mir aber Sorgen. Was bedrückt dich?“ Hector sah Ben durchdringend an und sein Sohn gab sich große Mühe, nicht wegzuschauen oder die Tränen hochkommen zu lassen, die seit Wochen irgendwo saßen und darauf warteten, geweint werden zu dürfen. Ben spürte die Hände auf seinen Schultern, die ihm Halt gaben und ließ seine Fassade fallen. Schluchzend warf er sich in Hectors Arme und begann hemmungslos zu weinen.

Völlig überrascht hielt Hector seinen großen Sohn fest und flüsterte ihm beruhigend Worte ins Ohr. Es dauerte eine ganze Weile, bis Ben sich beruhigt hatte.

„Was ist denn los?“

„Ich enttäusche euch alle“, schniefte Ben.

„Weshalb?“

„Weil ich nicht so bin, wie ihr mich gerne hättet.“

„Kind, du bist genauso, wie wir dich haben wollen“, beruhigte Hector seinen Sohn.

„Nein, bin ich nicht. Ich hasse Mädchen.“

„Ben, in deinem Alter konnte ich mit Mädchen auch noch nicht viel anfangen, das kam erst später.“

„Nein, Dad, du verstehst nicht. Ich finde das ekelhaft und Mädchen sind einfach nur …“ Ben fand nicht mal ein passendes Wort dafür. „Ich gucke Jungs hinterher, verliebe mich in sie. Aber das geht nicht. Ich muss später mal eine Frau heiraten und Kinder mit ihr haben. Wenn ich mich oute, wird das Volk mich lynchen.“

Hector hielt seinen Sprössling fest und strich ihm liebevoll die Tränen aus dem Gesicht. Er wirkte sehr gefasst.

„Hey, Kleiner, niemand wird dich lynchen. Die müssten erst an mir vorbei. Willst du die Krone denn überhaupt?“

„Ich weiß es nicht. Auf der einen Seite ist mein ganzes Leben darauf ausgerichtet, auf der anderen Seite hasse ich die Öffentlichkeit. Ich weiß es nicht, Dad. Aber ich denke eher nicht. Außer ich finde jemanden, der es aushält, mit einem Prinzen zusammen zu sein und gerne seine Freiheit aufgibt.“

„Wenn du deinen Traumprinzen findest, erwarte ich zumindest, dass du ihn mir vorstellst“, lächelte Hector jetzt. Er wünschte seinem Sohn in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als dass er irgendwann einmal den Mann seiner Träume finden würde. „Du hast genug Cousinen und Cousins, die Thronfolge ist also gesichert.“ Ben schmiegte sich an seinen Vater.

„Kannst du mit Mutter reden? Sie wird mich hassen.“

„Sie wird dich nicht hassen, aber sie wird wohl eine kleine Weile brauchen, um den Schock zu verdauen. Schließlich hat sie schon deine Hochzeit geplant.“

„Mit wem denn?“, entsetzt sah Ben seinen Vater an.

„Egal mit welcher Prinzessin du dich vermählt hättest, ein Staatsakt wäre es wohl geworden.“

„Mum hat wohl noch immer nicht begriffen, dass ich die Öffentlichkeit hasse.“

„Nein, das versteht sie nicht. Für sie ist die Öffentlichkeit ein wichtiges Instrument, das wir zufriedenstellen müssen, sonst haben wir bald keine Monarchie mehr. Es werden immer mehr Stimmen aus dem Volk laut, dass das Königshaus zu viel kostet, wir nicht arbeiten, uns auf den Steuergeldern ausruhen, wir Horden von Bediensteten haben, die man eigentlich nicht braucht, und so weiter, und so weiter.“

Ben nickte nur, so sah seine Schwester das auch. Sie war ein Freigeist und stand mit der hauseigenen Familie diesbezüglich auf Kriegsfuß.

 

„Guten Morgen, Mutter“, begrüßte Ben seine Mutter höflich und setzte sich auf seinen Stuhl, während Anthony ihm Kaffee eingoss.

„Das nennt man schwul, Mutter! Und ja, bin ich.“

„Ich weiß es. Ich finde es schon ekelhaft, Mädchen zu küssen. Wenn ich mir da andere Sachen vorstelle, schüttelt es mich. Da ist kein Kribbeln oder so was.“

Ben verdrehte die Augen, das war ja so typisch.

Ahhhh … jetzt kamen sie zum eigentlichen Problem des Ganzen.

„Die Kinder werden aber in der Thronfolge nicht berücksichtigt!“, hielt seine Mutter dagegen.

„So schlecht ist dein Leben nicht, junger Mann!“

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„Lass Mum doch reden. Du weißt doch, wie sie ist. Stur, uneinsichtig, zu sehr auf das Protokoll bedacht und sehr egoistisch.“

Das ist kein Sport für eine Prinzessin“„Dabei macht man sich dreckig, kann sich die Knochen brechen und Zeit für die Familie hat man auch nicht.“

„Ich hätte gerne welche, aber dieses Leben, das will ich ihnen nicht zumuten.“

„Danke, kleine Schwester, ich weiß, dass mein Leben scheiße ist. Allerdings ist das einer der Gründe, warum ich hier weg will.“

„Weit weg. USA, Kanada. Die Richtung. Einfach ein paar Jahre Ruhe, um zu studieren.“

„Kunst auf jeden Fall und mal schauen, was mir noch Spaß macht.“

„Ich will nicht zum Militär, ich hasse Krieg.“

„Trommeln?“

„Und deine Noten?“, wollte Ben jetzt wissen.

In England war es üblich, die Kinder schon im Alter von vier, beziehungsweise fünf Jahren einzuschulen. Folglich war Tess ein bis zwei Jahre jünger als ihre Klassenkameraden.

„Was denn?“

„Nein.“ Ben schüttelte den Kopf.

Tess tat beleidigt. Sie liebte es, beschenkt zu werden und hätte sich über eine mit vielen Überraschungen gefüllte Schultüte riesig gefreut!

 

Anthony hielt zu Ben und informierte ihn über die geplanten Teegesellschaften und so konnte Ben seiner Mutter aus dem Weg gehen und war genau dann einfach nicht zu Hause. Zum Glück hatte er seinen Freund Dominic und dessen Eltern, die ihm jederzeit gerne „Asyl“ gewährten.

„Da gebe ich Ihnen Recht. Hat sie. Ich bin siebzehn und ich will nicht jetzt schon ans Heiraten denken. Meine Mutter träumte schon immer von einer opulenten Hochzeit mit goldener Kutsche.“

„Ja, ich mir auch. Was bin ich froh, wenn die Schule endlich vorbei ist und ich weg kann.“

 

Ben fiel nach dem Bankett wie tot ins Bett und schlief sofort ein. Der Abend war nett gewesen, aber ein Erfolg für die Vorhaben seiner Mutter war es nicht geworden.

Ben hatte sich Broschüren für verschiedene Universitäten in Kanada schicken lassen. Ein großer Stapel Papier lag jetzt bei ihm in Eton auf dem Zimmer und er blätterte sie, zusammen mit Dominic, durch.

In der Tat schrieb Ben später mehrere Listen, für jede Uni eine, in der er die Vor- und Nachteile auflistete. Schließlich entschied er sich für eine Universität in Toronto. Er war zwar schon in Kanada gewesen, aber Toronto hatte er damals nicht besucht und diese Uni hatte alles, was Ben sich von seiner künftigen Universität wünschte.

Hector war, nach Durchsicht der Unterlagen, mit Bens Wahl einverstanden, leitete alles Nötige in die Wege und bezahlte vorab auch die anfallenden Gebühren aus seinem Privatvermögen. Er wollte nicht, dass hinterher Stimmen laut wurden, dass das Studium des Kronprinzen den Steuerzahler noch mehr kosten würde, als es die Monarchie ohnehin schon tat. Außerdem verpasste Hector der Universität einen Maulkorb, sie durften nicht publik machen, dass Ben zu ihnen kommen würde. Er sollte wirklich in Frieden gelassen werden, um dort in aller Ruhe studieren zu können, ohne dauernd belagert zu werden. Der Rektor der Universität versprach, alle Professoren entsprechend zu informieren. Hector solle sich keine Sorgen machen.

Zu seinem Abschluss in Eton kamen Bens Eltern natürlich angereist und es wurde ein offizielles Brimborium daraus gemacht,- also genau das, was Ben so hasste. Viele Fotografen waren dabei, um von ihm Fotos im Talar machen zu können.

„Danke, dass du mich unterstützt“, flüsterte Ben zurück und meinte es ehrlich. Dominic war ihm ein guter Freund geworden. „Ich hasse diese Aasgeier.“

Schließlich packten sie zum letzten Mal ihre Koffer, um Eton zu verlassen. Das war nun ein Abschied für immer. Ben schenkte Dominic zum Abschied eines seiner Bilder.

Sie nahmen ihre Koffer und brachten sie nach unten. Ben warf einen letzten Blick auf das Gebäude, das ihm jetzt 4 Jahre lang ein zuhause gewesen war. Irgendwie würde er die Schule vermissen, denn solange er hier gewesen war, war er ein Schüler unter vielen gewesen und hatte nicht für Krone und Vaterland „Gewehr bei Fuß“ stehen müssen.

„Mach’s gut, Kleiner.“ Dominic drückte ihn ganz fest.

„Na klar. Hab ja deine Nummer“, grinste Dominic ihn an. „Und die E-Mail-Adresse und die Adresse von der Uni.“