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Für Katharina und David.

Es gibt solche Stationen im Leben. Alles läuft auf einen Punkt zu. Den Punkt, an dem die eine Entscheidung fällt. Und man es nicht selbst ist, der die Entscheidung trifft. Sondern sie einem anderen überlassen muss. Dabei ist es die Entscheidung, die einem selbst alles bedeutet. Das muss klappen, denkt man, oder es ist …

Aus.

Die SMS kam Freitag, gegen neun Uhr morgens. Von Klinsmann. Ich bin gerade dabei, mich auf den Weg zum Abschlusstraining zu machen, morgen ist Spitzenspiel gegen Bremen. Klinsmann war über Nacht in München gewesen, und er bittet mich, zu ihm ins Hotel zu kommen. Es ist acht Wochen vor Beginn der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Zwei Jahre Hickhack um den Posten der Nummer eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft lagen da bereits hinter mir, zwei Jahre Druck, zwei Jahre hoffen, zwei Jahre powern, taktieren, argumentieren, trainieren, spielen, möglichst keine Fehler machen, auf keiner Ebene. Mit allen Bandagen, mal hart, mal weich, mal fordernd, mal Verständnis vermittelnd, mal angreifend, mal nachgebend, mal streichelnd und mal draufhauend. Keiner wusste mehr, wo er steht, keiner konnte sich mehr sicher sein, wer die Nase vorne hat. Und es war, immer wieder, ’ne gehörige Portion Gift in der Sache, eine Begleiterscheinung, wenn man wichtige Entscheidungen über einen langen Zeitraum offenlässt, zumal Entscheidungen in »Personalfragen«.

Ich fuhr hin, als ginge es zu einem Spiel. Ohne dass es mir bewusst gewesen wäre. Ich konzentrierte mich, als gälte es gleich, mein Tor »sauber« zu halten, zu grätschen, zu schreien, zu kämpfen – ein Automatismus. Eine Kreuzung musste zum Mich-Aufbauen herhalten, indem ich sie unbedingt noch vor Rot schaffen wollte, und ich ertappte mich dabei, dass ich, weil ich es gerade noch bei Gelb schaffte, die Hand zur Faust ballte und dabei »Jaahh!« gegen die Windschutzscheibe plärrte, wie nach einer Parade im Spiel. Ich war also aufgeregter als sonst, denn normalerweise gehöre ich nicht zu den Menschen, die morgens darauf achten, in welche Socke sie zuerst schlüpfen, damit es ein guter Tag wird.

Es war kein Heimspiel für mich. Es war ungewohntes Terrain. Dieses Spiel wurde nicht auf dem Platz, sondern im Konferenzsaal eines Hotels ausgetragen. Nicht mit Leistungen, sondern mit Argumenten, nicht mit Tatsachen, sondern mit Gefühlen, oder sagen wir: Einschätzungen. Anders konnte die Sache, die zur Entscheidung anstand, nicht geklärt werden. Klar hatte Klinsmann die Fakten zusammengetragen, sie analysiert, wieder und wieder. Aber die eigentliche Entscheidung musste eine Entscheidung aus dem Bauch heraus bleiben, wie so oft.

Als ich am Hotel ankam, war wenigstens keine Presse da. Ich hatte sie wohl an der gelbroten Kreuzung abgestreift, seit Tagen war sie mir auf den Fersen, alle spürten ja, dass eine Entscheidung in der Luft lag. Offensichtlich hatte auch sonst niemand der Presse etwas von dem Treffen im Hotel verraten – klar, ich sollte es schließlich als Erster erfahren, dass ich drin bin, die Nummer eins bleibe, oder wieder würde, je nach Standpunkt. Im Saal waren Klinsmann und Köpke, der Torwarttrainer der Nationalmannschaft, außerdem Joachim Löw, damals noch nicht als der Teamchef, sondern in seiner Rolle als Trainer der Nationalmannschaft, sowie Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft.

»Hallo Jürgen, servus Andi, grüß euch Jogi, Oliver …«

»Tag Olli!« Komische Stimmung, bisschen steif. Quick Check: Irgendwelche Anzeichen, was die denken?

»Wie geht’s? …«, »Alles klar? …« Händedruck o.k., vielleicht ein bisschen zu fest, zu entschlossen, macht’s euch nicht so schwer, Jungs, ist doch keine Überraschung, dass ich drin bin, und Lehmann wird’s verkraften.

»Ja, äh, also Olli, du …« Augencheck: Na, weiß nicht, eh nicht meine große Stärke, was zu lesen aus dem Blick eines Menschen, aber eigentlich auch o.k., zumindest nicht schlecht.

»Äh, wie du ja weißt, haben wir uns die ganze Sache wirklich nicht leicht gemacht …« Jaja, weiß ich, ich hör’ gar nicht so genau hin, sagt schon, dass ich drin bin.

»… und darum haben wir uns entschieden, … und es ist uns wirklich nicht leicht gefallen, … aber wir sind zu der Einsicht gelangt, dass …«

Ich war draußen.

Ich habe es mir nicht leicht gemacht mit dem Titel dieses Buches. »Jaahh!«, werden manche schreien, wie ich vorhin an der Kreuzung, nur vielleicht noch mal ein bisschen aggressiver: Da ist er wieder, der alte Egoist, Egomane, Kotzbrocken, A…, immer nur sich selbst sehen! Was anderes, jemanden anderes gibt es nicht für den! Wie sonst sollte dem sein Buch heißen …! Aber das ist es nicht. Oder ja, das ist es auch. Es ist das »Ich«, um das es hier geht. Ohne das es nicht geht, wenn man Erfolg haben möchte. Das heißt eben auch, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.

So ist das eben, und ich habe es nicht erfunden: In hart umkämpften Märkten, wo das Interesse hoch und die Konkurrenz groß ist, muss man lernen, sich abzugrenzen und seine Persönlichkeit sichtbar zu machen. Man muss wissen, wo einem der Kopf steht. Man darf sich nicht verdrehen lassen. Man darf nicht die Orientierung verlieren. Man muss sich das Wissen oder auch die Intuition erhalten, wo oben ist. Man könnte sogar sagen, dass man zu einer echten »Marke« werden muss in seinem Markt, und dass man auch lernen sollte, diese Marke regelrecht zu schützen.

Das »Ich« dieses Buches ist aber nicht nur das »Der-Nabel-der-Welt-Ich«. Es ist auch das »Ich«, das man braucht, um teamfähig zu sein. Denn Team bedeutet für mich nicht, das »Ich«, das Eigene, die eigene Person, die eigenen Ansichten, die eigenen Interessen aufzugeben. Im Gegenteil, glaube ich, funktioniert ein Team nur dann, wenn jeder seinen Standpunkt hat, jeder seine Stärke, jeder seinen Willen. Das ist natürlich im Fußball so, aber wahrscheinlich auch überall anders. Individuen sind wir eh, auch ein Team besteht also immer aus Individuen. Das Beste, eine Spitzenleistung, kommt heraus, wenn es gelingt, ein Team zu formen aus Individualisten, bunte, starke, leistungsfähige, von mir aus schräge Typen. Natürlich muss jeder die Regeln kennen, die Fähigkeit besitzen sich einzuordnen, zu kooperieren. Oder die Bereitschaft dazu aufbringen, diese Fähigkeiten zu erwerben.

Und noch um eine dritte Dimension des »Ichs« geht es in diesem Buch. Und so wichtig das »Ich, die Marke« und das »Ich, der Team-player« auch sein mögen, ist dieses dritte »Ich« vielleicht das wichtigste, das nötigste: Es ist das »Ich in der Niederlage«. Eine absolute Notwendigkeit. Wer in der Niederlage nicht kaputtgehen will, der braucht dieses »Ich«. Wer wieder hochkommen will, braucht es. Wer der Überzeugung ist, dass es immer weitergeht, immer weitergehen muss, der braucht es.

Wer also findet, dass wer »Ich« sagt, falsch liegt, oder wer es zumindest nicht verkraftet, dass ausgerechnet ich meinem Buch den Titel »Ich« gebe, der kann das Buch ja wieder weglegen. Wer sich über meine »Vermessenheit« ärgert, aber findet, dass was dran ist daran, wie ich es sehe: Würde mich freuen, wenn er – oder natürlich sie – dem Buch eine Chance gibt und darin weiterliest. Und wer findet, dass ich recht habe mit meiner Sichtweise vom »Ich«, der darf ab jetzt »Du« zu mir sagen. Wenn wir uns mal sehen.

Bis dahin: Viel Spaß beim Lesen und bei der Beschäftigung mit dem »Ich«, von mir aus mit dem meinen, vor allem aber mit dem Ihren.

O.K.

Inhalt

Prolog: Aus.
Einführung: Was ich selbst wissen möchte.
1. (Das Wichtigste zuerst) Das Wissen, wer: Das Ich.
2. Das Wissen, wohin: Ziele setzen.
3. Das Wissen, dass: Motivation.
4. Das Wissen, warum: Werte.
5. Das Wissen, womit: Fähigkeiten und Eigenschaften.
6. Das Wissen, wie: Starkes Denken, Körpersprache.
7. Das Wissen, wie noch: Vorbereitung, Perfektion, Disziplin.
8. Das Wissen, wer noch: Umfeld.
9. Das Wissen, wie nicht: Scheitern.
10. Das Wissen, wie auch nicht: Erfolg.
Epilog: Start.
Danksagung.
Die wichtigsten Erfolge und Auszeichnungen.
Quellenverzeichnis.

Einführung:

Was ich selbst
wissen möchte.

Ich habe da so eine Angewohnheit. Wenn mich jemand etwas fragt, schaue ich – am Fragenden vorbei – ins Leere. Ich tue das nicht aus Überheblichkeit oder mangelndem Respekt, im Gegenteil. Ich tue es, weil ich finde, dass in fast jeder Frage etwas steckt, das mich selbst interessiert. Also mache ich mich auf die Suche: Was ist an dieser Frage dran, das ich selbst wissen möchte?

So bin ich auch dieses Buch angegangen. Was ist es, das mich am Erfolg interessiert? Wie kann ich dieses komplexe Thema zu fassen kriegen? Ohne dass es so aussieht, als wüsste ich selbst alles besser? Ohne dass es so aussieht, als würde ich den Erfolg als meine Privatangelegenheit auffassen, als mein Fachgebiet? Natürlich werde ich den Erfolg in diesem Buch so darstellen, wie ich ihn richtig finde. In den Aspekten, die ich für ausschlaggebend halte. Weil ich für mich die Erfahrung gemacht habe, dass sie direkt dorthin führen, hin zum Erfolg. Oder dorthin zurück. Und es wird sich dabei nicht verschleiern lassen – ich werde mir auch keine Mühe geben, dies zu versuchen – dass ich an sich kein perfekter Erfolgsmensch bin. Ich halte mich, was das anbelangt, für »durchschnittlich«. Ich habe meine Schwächen, meine Schattenseiten. Ich habe hie und da einen eingeengten Blick. Setze manchmal auch bewusst Scheuklappen auf. Das wird in diesem Buch nicht besser werden, vielleicht sogar noch stärker rüberkommen, als ich es in der Praxis tatsächlich tue. Für den Erfolg ist es erforderlich wegzulassen, zu vereinfachen, zu fokussieren. Bono (der Sänger von U2) hat gesagt: »Die Leute können eine Melodie nur dann im Ohr behalten, wenn sie nicht zu kompliziert ist.« Selbst wenn man das beherzigt, bleibt Erfolg ein komplexes Projekt.

Dieses Buch ist kein Fachbuch über Fußball. Obwohl es darin viel um Fußball gehen wird, ist schließlich mein Beruf (gewesen). Es wird darum gehen, was ich gemacht habe, um Erfolg zu haben, was ich falsch gemacht und was ich daraus gelernt habe. Ich habe meinen Beruf wirklich von sehr weit unten, genau genommen von ganz unten angefangen. Und obwohl ich sicher gewisse Anlagen mitgebracht habe, habe ich ihn vor allem »lernen« müssen. Das heißt, wichtiger als Talent war es, Schwächen zu haben. Und wichtiger, als Fehler zu vermeiden, war es, welche zu machen. Um zu lernen, um besser zu werden, um Stärken zu entwickeln und die Schwächen abzubauen. Und um daran zu wachsen.

Es soll in diesem Buch also nicht nur um den kontinuierlichen Aufstieg gehen, es kann gar nicht darum gehen. Es wird auch darum gehen müssen, dass es auch abwärts gehen kann, selbst dann, wenn man keine entscheidenden, vielleicht sogar gar keine Fehler gemacht hat. Und es wird darum gehen, wie man da wieder rauskommt. Und schließlich wird es darum gehen, wie man, um da wieder rauszukommen, da wieder rauskommen wollen muss.

Zugegebenermaßen wird für mich bei diesem Thema das Eis reichlich dünn. Ich habe es schon manchmal geschafft, Niederlagen in Siege umzuwandeln, manchmal umzubiegen, gelegentlich mit mehr oder weniger Gewalt. Aber ich fühle mich nicht wohl dabei, zu behaupten: »Ich kann es!« Ich hatte immer meine Fehler, Sie werden sich vielleicht an manchen Fehlgriff erinnern oder an manchen »Ausraster«. Das eine mag da »torwarttechnisch«, das andere »persönlichkeitstechnisch« keine Glanzleistung gewesen sein. Aber das gehört dazu. Niemand ist perfekt. Dem Gewinnen steht das nicht im Weg. Nicht zuletzt, weil es »immer weiter geht«, auch und vor allem das Lernen.

Ich freue mich deshalb, dieses Buch zu schreiben, und auch ich werde es noch mal lesen, wenn es fertig ist.

O.K.

1.

»Es ist ein Privileg, im Leben man selbst sein zu können.«

(JOSEPH CAMPBELL)

(Das Wichtigste zuerst)
1. Das Wissen, wer:

Das Ich.

Hier geht es darum, was Sie als Grundlage für den Erfolg brauchen. Nicht unbedingt für kleine Erfolge. Nicht unbedingt für den kurzen Erfolg. Nicht unbedingt für den kurzzeitig großen Erfolg. Hier geht es um die Grundlage für einen Erfolg, der ein Leben lang halten soll. Es geht um die »Authentizität«. Das heißt, es geht um Ihr »Ich«.

Erfolg gehabt: Abgerechnet wird zum Schluss.

Viele Menschen denken, Erfolg ist, wenn man erfolgreich ist. Ich denke anders. Erfolg ist nicht, wenn man gerade einen Erfolg zu verzeichnen hat. Eine Prüfung bestanden, ein Geschäft unter Dach und Fach gebracht, die Kohle dafür in der Tasche hat. Erfolg ist, bitte erschrecken Sie jetzt nicht, wenn jemand Ihren Nachruf verfasst und mit ruhigem Gewissen schreibt: »Er hatte sein Leben lang Erfolg.« Und sich niemand denkt, wenn er den Nachruf liest: »Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«

Sie werden vielleicht sagen: »Was habe ich dann davon, ich krieg’ das dann ja nicht mehr mit?« Und ich könnte erwidern: Was hätten Sie davon, wenn etwas anderes, vor allem wenn das Gegenteil drinstehen würde, etwa »Er war nie erfolgreich« oder so was wie »Für kurze Zeit war er mal erfolgreich«? Natürlich könnten auch ganz andere Dinge im Nachruf gesagt werden: ein guter Mensch, viele Kinder, angesehener Kollege, großes Herz und, und, und. Hier, in diesem Buch, geht es aber darum, die Welt aus dem Blickwinkel des Erfolgs zu betrachten, oder auch mal anders herum, den Erfolg aus dem Blickwinkel der Welt.

Erfolg ist also keine temporäre Sache. Erfolg muss ein ganzes Leben lang halten. Er ist etwas für jede Lebensphase. Und in jeder Lebensphase kann die Antwort darauf, was Erfolg ist, anders ausfallen. Selbst wer sich zur Ruhe gesetzt hat, braucht weiterhin Erfolg, auch wenn man Erfolg dann vielleicht völlig neu definiert.

Gerade, um zu verhindern, dass Erfolg aus den Fugen gerät, dass wir dem Erfolg alles unterordnen (was ich getan habe), dass unsere Welt unter die Räder des Erfolgs kommt (habe ich auch – fast – geschafft) und wir auf diesem Wege riskieren, sogar den Erfolg selbst zu verspielen, für all das benötigen wir eine besondere »Qualität«, dazu benötigen wir »Authentizität«. Sie, die Authentizität, kann uns dabei helfen, zu jedem Zeitpunkt Erfolg so zu definieren, dass er zu uns passt.

Falls ich also jemanden erschreckt haben sollte mit meinen ersten Sätzen: Es geht nicht um das Ende. Nirgends in diesem Buch. Es geht um das Jetzt. Das dafür überall.

Authentizität? Was soll das denn sein?

Woher kommt die Kraft, das, was man macht, so »aufzupowern«, damit das daraus wird, was man haben will? Ich will nicht lange fackeln – die Kraft kommt: von innen! Nehmen Sie den Dirigenten. Die Partitur ist immer dieselbe. Warum hängt die Qualität einer Aufführung davon ab, welcher Dirigent am Pult steht? Nehmen Sie den (bildenden) Künstler. Wie schafft er es, seine Werke »aufzuladen«, wo er doch bloß, wie etwa Beuys, mit Fett und Filz arbeitet? Nehmen Sie den CEO eines Unternehmens: Warum schafft er es, ein Unternehmen aufblühen zu lassen, während ein anderer es nur so vor sich hin dümpeln ließ? Nehmen wir den Torwart: Warum schafft er es, seine Mannschaft anzutreiben, wenn es keiner der (mindestens) zehn anderen auf dem Platz mehr hinbekommt?

Ein Blick in Wikipedia zeigt: »Angewendet auf Personen bedeutet Authentizität, dass das Handeln einer Person nicht durch externe Einflüsse bestimmt wird, sondern aus der Person selbst stammt.« Besser noch gefällt mir die Wikipedia-Definition für die Authentizität von Gegenständen: »Authentizität von […] Gegenständen bedeutet, dass der […] Gegenstand tatsächlich von der Person oder Quelle stammt, von der er vorgibt zu stammen, also keine Fälschung ist.« Also keine Fälschung sein. Sein »Selbst« gefunden haben. Wissen, wer man ist. Was man will. Wohin. Auf welchem Weg und auf welche Weise. Alles das schauen wir uns in diesem Buch an. Das Ziel ist: eine Erfolgsstory aus dem Leben zu machen. Kein Strohfeuer. Wenn es sein muss eine Achterbahn, aber dann schon einen Hammer, eine Schau von einer Achterbahn. Oder nehmen Sie ein anderes Bild für Ihren Erfolgsweg.

Ich habe einmal einen Börsenanalysten gehört, als er den erfolgreichen CEO eines großen deutschen Unternehmens lobte: »Die eigentliche Unternehmens-Story ist Herr …« Und der so gelobte CEO bestätigte: »Es ist schon so, dass ich das Unternehmen wesentlich geprägt habe.« Das war es auch, was ich wollte. Auch ich würde sagen, dass ich den Verein, bei dem ich die längste Zeit meines Profilebens gespielt habe, prägen wollte. Ich wollte es nicht von Anfang an, aber schon ziemlich bald. Und mit der Zeit immer stärker.

Mein Wille und meine Überzeugung waren zeitweise so »stark«, dass ich mir sogar sagte: Notfalls auch allein. Das war natürlich übertrieben. Selbstverständlich macht man sowas nicht allein. Nicht der Torwart, nicht der Kapitän einer Mannschaft, nicht der Dirigent und nicht der CEO. Man braucht Leute, die richtigen Leute dazu. Man muss die richtigen Leute richtig zu motivieren verstehen. Das geht nicht von heute auf morgen. Man braucht Geduld. Einen langen Atem. Durchhaltevermögen.

Ich möchte sagen: In dieser Hinsicht ist es mir, zumindest zeitweise, gelungen, authentisch zu sein. Was war das, dieses Authentischsein, wie sah das aus, was war dafür nötig? Ich habe da etwas haben wollen. Ich habe etwas verkörpern wollen. Ich habe eine konkrete Vorstellung entwickelt, wie etwas sein soll. Und ich habe diese Vorstellung vollständig aufgesaugt, absorbiert. Ich habe mich immer und immer wieder hineinversetzt in das, was ich sein wollte, bis ich es schließlich vollständig verkörperte. Bis ich es war, was ich sein wollte.

Immer wieder mal kann man im Fernsehen beobachten, wie sich Torhüter im Eifer des Gefechts »daneben benehmen«. Der eine tobt und kann nur mit Mühe zur Vernunft gebracht werden; bei anderen hat man das Gefühl, sie wollten unter dem Druck einer Spielsituation den halben Rasen des Fünfmeterraumes umgraben. Bekannte haben mir einmal erzählt, sie fänden es »merkwürdig«, wenn heute Torhüter zur Begründung ihrer Überreaktionen Argumente wie einen »ungeheueren Druck«, einen »Adrenalinüberschuss« oder ein »Im-Tunnel-gewesen-Sein« heranziehen. Natürlich ist es das, natürlich stimmt es, was die Torhüter zu ihrer Rechtfertigung anbringen. Meine Bekannten aber fanden: »…irgendwie wirkt es nicht authentisch. Es klingt nicht nach ihnen selbst. Es klingt nicht wie ihre eigene Überzeugung, es klingt wie Kahn.« Hierzu noch mal Wikipedia: »Eine als authentisch bezeichnete Person wirkt besonders echt, […] sie vermittelt ein Bild von sich, das beim Betrachter als real, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt wahrgenommen wird. […] Ist die Inszenierung übertrieben, wirkt sie […] klischeehaft.«

Ich selbst sehe das gar nicht so, wie es meine Bekannten auffassen. Schließlich habe ich das nicht erfunden, Tunnelblick, Adrenalinüberschuss und Co. Viele Sportler haben mit den negativen Folgen dieser Geister zu kämpfen, die sie für den Wettkampf gerufen haben. Das Beispiel aber zeigt, dass es neben dem »Selbst« noch eine weitere Größe im »Spiel der Authentizität« gibt: den Betrachter.

Quick Check!

•  Die Kraft für den Erfolg ist eine »Kraft von innen«.

•  Diese Kraft heißt: Authentizität, die Kraft des »Ichs«.

•  Um das Ich bewusst zu leben, muss ich mir darüber klar werden, was ich selbst will.

•  Authentisch handeln heißt, so zu handeln, dass es im Einklang mit den eigenen Überzeugungen steht.

Selten kann einer etwas tun, ohne dass ein anderer ihm dabei zuschaut. Da gibt es eine nette Karikatur von F. K. Waechter: Eine Gans macht ein akrobatisches Kunststück; mit dem Kopf in einem Stiefel steckend schafft sie es, einen Kopfstand zu machen. Ganz stolz darauf, dass sie das hinkriegt, denkt sie enttäuscht: »Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein.« Und neben dem Stiefel mit der kopfstandmachenden Gans darin steht ein Schwein und denkt: »Toll.«

Ein Business-Modell: Das Ich und seine Zielgruppen.

Komplexe Sachverhalte versuche ich mir zu veranschaulichen, indem ich nach einfachen Modellen suche. Wer öfter mal seine Anspannung aus der Arbeit mit nach Hause nimmt und dort die erstbeste Person, etwa seinen Lebenspartner, anschnauzt, weiß, dass es nicht ohne Weiteres gelingen muss, beim Überschreiten der heimischen Türschwelle die scharfen Bügelfalten der Berufs-Persönlichkeit abzustreifen und in den weichen Pulli der Privat-Persönlichkeit zu schlüpfen. Der weiß auch, dass so ein Betragen auf erhebliches Unverständnis bei seinem Gegenüber stoßen kann: »Wenn er/sie aus der Arbeit heimkommt, habe ich oft das Gefühl, das ist nicht die Person, die ich geheiratet habe …«, könnte Ihr Gegenüber, in diesem Fall Ihr Lebenspartner, etwa sagen.

Wirtschaft zum Beispiel funktioniert, so habe ich es verstanden, ungefähr so, dass es einerseits Waren gibt und auf der anderen Seite Zielgruppen. Zielgruppen, das sind Menschen, die etwas haben wollen, die Bedürfnisse haben. Waren hier, Zielgruppe da. Auf die Diskussion, wer zuerst da war, möchte ich mich hier lieber nicht einlassen. In meinen Augen lässt sich dieses Modell auch auf Menschen und ihre verschiedenen »Ich-Rollen« übertragen, also auf ihre verschiedenen »Facetten«, die sie ausfüllen: Menschen können – oder müssen – verschiedene Rollen verkörpern, je nachdem, mit welcher Zielgruppe sie es gerade zu tun haben. Wenn Sie Psychologe sind und jetzt schon mit dem Kopf schütteln, dann bin ich gespannt, was erst passiert, wenn ich mit folgender Definition fertig bin, die ich hier wagen möchte: »Je weniger Rollen Sie brauchen, um alle Ihre Zielgruppen zu erreichen oder zu ›bedienen‹, umso ›authentischer‹ sind Sie.«

Ich weiß nicht, wie komplex Sie sind, wie viele Ich-Rollen Sie also brauchen, um alle Ihre Zielgruppen zu bedienen. Ich sehe bei mir im Wesentlichen drei Ich-Rollen. Hier meine drei Ichs:

•  Ich bin das »private Ich«. Meines ist nicht ganz frei von Fehlern. Und Ihres?

•  Ich bin das »Wettkampf-Ich«. Bisher immer gewesen, und ich bleibe es natürlich auch weiterhin; passen Sie also auf, wenn Sie mir mal geschäftlich begegnen.

•  Und ich bin die »Ware Ich«. Das ist eine Folgeerscheinung meines Berufes; ich nenne es der Einfachheit und Kürze halber mal »Celebrity«. Sie selbst haben übrigens auch ein »Waren-Ich«.

Alle Ich-Rollen einer Persönlichkeit stehen nicht wie Säulen eines griechischen Tempels unverrückbar nebeneinander herum. Sie stehen in heftiger Interaktion. Das kann sich positiv auswirken, wenn die Ich-Rollen harmonieren. Und es kann schlecht sein, wenn sie sich ins Gehege kommen, sich widersprechen, sich nicht miteinander vereinbaren lassen und sich gegenseitig schwächen. Mit zunehmendem Durcheinander in der »Ich-Struktur« wird es, das ist die Konsequenz, immer schwieriger, ein harmonisches Leben zu führen, Fehler zu vermeiden und Erfolg zu haben.

Fazit: Um erfolgreich zu sein, halte ich es erstens für unumgänglich, über verschiedene Ich-Rollen zu verfügen, zweitens für noch wichtiger, sich Mühe zu geben, die Ich-Rollen sauber auseinanderzuhalten, und drittens für unabdingbar, Ich-Rollen, die sich ineinander verheddert haben, immer wieder mal auseinanderzudröseln, bevor ihre Verstrickungen zum Problem für den eigenen Erfolg und das eigene Leben werden.

Erde antwortet nicht:

Nützliches aus dem Science-Fiction-Genre.

Gegen Ende des vergangenen Jahrtausends gab es eine sehr erfolgreiche Reihe von Science-Fiction-Filmen im Kino: »Star Trek«, in Deutschland »Raumschiff Enterprise«. Sie erinnern sich vielleicht: die Reihe mit »Spock«, dem Mann mit den spitzen Ohren. Einer der Filme ging so: Ein eigentlich harmloser Satellit, der von der Menschheit in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Auftrag in den Weltraum geschickt wurde, Erkenntnisse über einen Planeten unseres Sonnensystems zu gewinnen und zur Erde zu funken, tut dies auch im 23. Jahrhundert noch unverdrossen. Allerdings haben die Menschen auf der Erde inzwischen aufgehört, auf seine Funksprüche zu antworten, aus Mangel an Interesse, aber auch, weil sie inzwischen die »Sprache« des alten Satelliten verlernt haben. Den armen Satelliten, der draußen in den Tiefen des Alls inzwischen zu einiger Macht gekommen ist, macht das so fuchsig, dass er droht, die »Zielgruppe« seiner Funksprüche – die Menschheit – zu vernichten. Die Sache geht natürlich gut aus – wir geben ihm am Ende die Antwort, die er so sehnlich erwartet.

Zwei Akteure gibt es in diesem Beispiel: einen Sender (den Satelliten), der einen Code sendet, und die »Zielgruppe« seiner Signale (uns), die den Code nicht versteht.

Es ist schnell passiert, dass wir Signale senden, die unsere Zielgruppe nicht verstehen kann. Nehmen wir als Beispiel einen Staatspräsidenten, der seine berufliche Ich-Rolle und seine private Ich-Rolle nicht auseinanderhalten kann oder will. Sagen wir, er wäre gerade frisch geschieden, lacht sich eine neue Liebe an und fährt mit ihr heftig in den Urlaub. Das wird sich vor den Augen seiner »Zielgruppen«, etwa seiner »Nation«, schwer zu einem runden, homogenen Bild zusammenfügen. Oder nehmen wir eine Gruppe von Betriebsräten, die auf Geschäftskosten »Lustreisen« unternehmen und deren berufliche Ich-Rollen und Ich-weiß-nicht-wasfür-ein-Ich-Rollen sich bei diesen Gelegenheiten ineinander verheddern: Ob sich da alle »Zielgruppen« adäquat vertreten fühlen?

Oder, um nicht selbstgerecht zu wirken, lassen Sie mich vor meiner eigenen Haustüre kehren: Nehmen Sie den Kapitän einer Mannschaft, der seine spielführende Ich-Rolle und seine private Ich-Rolle verwurschtelt, die Weihnachtsfeier seines Vereins unzulässig verkürzt und sich dafür eine Suspendierung vom nächsten Spiel, eine saftige Geldstrafe vom Verein und jede Menge Ballyhoo von der Presse einhandelt – von möglichen Verwerfungen in der Teamchemie mal ganz abgesehen.

Daneben benommen: Gut gemacht?

Wir alle wollen unsere eigene, eine markante Persönlichkeit finden, und unseren eigenen Stil für das, was wir tun. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die verschiedenen Ich-Rollen, die diesen eigenen Stil verkörpern und interpretieren müssen, sich gegenseitig energetisieren und unser Potenzial zum Erfolgreichsein steigern. Es gibt wunderbare Beispiele dafür, dass dies klappen kann, und nicht immer muss es dabei um Erfolg im Sinne vom »großen Geld« gehen. Der Schiedsrichter, der klassische Konzerte am Flügel gibt. Der Bankier, der nebenher den Papst chauffiert. Der Topmanager, der eine karitative Einrichtung betreibt. Der Pfarrer, der in seinen Ferien auf dem Volksfest kellnert. Hier haben die Akteure verschiedene Rollen für sich erfunden, aus denen sie Kraft schöpfen. In den genannten Beispielen klappt aber nicht nur der nach innen gerichtete Effekt gut – es entsteht auch eine Wirkung nach außen: Das positive Tun stärkt das positive Bild der Person in der Öffentlichkeit.

Lässt sich da ein Muster erkennen? »Tue Gutes, sei korrekt, und es ist gut für dich, tue schlecht, und du hast es nicht anders verdient, als dass …?« Nein! Dazu ein letztes Mal das Beispiel des Staatspräsidenten. Die Dinge liegen hier nicht so eindeutig, wie man glauben könnte. Zwar wurden ihm protokollarische Grenzen gesetzt – er musste seine neue Liebe zu Hause lassen, weil das Ziel seines nächsten Staatsbesuches das Mitbringen von Lebenspartnern, ohne mit ihnen verheiratet zu sein, nicht vorsieht. Eine protokollarische Schlappe, eine diplomatische Ohrfeige, gewiss. Aber eine, die nicht zwangsläufig und überall negativ ausgelegt werden muss, also auch eine Chance darstellt: ein toller Hecht, ein Draufgänger, einer der lebt, der jung ist, der anders ist, sich nicht unterkriegen lässt, ein Nonkonformist – lauter mögliche positive Interpretationen einer Sache, die zunächst nicht zwingend gut aussah. Tony Blair, der frühere Premierminister Englands, kommentierte genau diese Sache mit dem Staatspräsidenten übrigens tatsächlich in positiver Weise: »Ihr Präsident ist überaus energiegeladen. Und das auf allen Gebieten«, meinte er britisch vieldeutig.1

Es muss also nicht unbedingt ein gutes oder korrektes Verhalten sein, oder ein Verhalten, das alle als passend empfinden, um zu einem guten oder gewünschten Effekt zu gelangen. Ich habe als Torhüter, also in der Rolle meines Wettkampf-Ichs, klare Aufgaben zu erfüllen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben ist zunächst jedes Mittel recht – solange es innerhalb des vereinbarten Regelwerkes liegt. Allerdings habe ich mir schon gelegentlich die Freiheit genommen, dieses Regelwerk zu »interpretieren«, also eine eigene Auslegung zu finden, in der Absicht, das Ergebnis in meinem Sinne zu maximieren.

»Ja, genau so ist er …«, sagen die Menschen, wenn sich jemand genau so verhält, wie sie es erwartet haben. Sie meinen es im Guten, also anerkennend, oder vorwurfsvoll, als Kritik. Ich kann das ganz gut, den Leuten diesen Eindruck geben, dass ich es bin, den sie da sehen. Dabei zeige ich ihnen »nur« ein perfektes Wettkampf-Ich. »Ja, genau so ist er …!«, haben die Leute mich dann in meinem Wettkampf-Ich erkannt, und obwohl sie es nicht immer freundlich, also »gut« meinten, konnte ich trotzdem etwas Gutes daraus machen, im Sinne meines Vereins, im Sinne der Aufgabe meines Wettkampf-Ichs.

Der gegnerische Angriff kommt über links. Bixente Lizarazu, in dieser Partie unser linker Verteidiger, sieht nicht richtig gut aus bei seinem Abwehrversuch, was selten genug vorkommt. »Liza« bekommt aber noch irgendwie den Hauch einer Fußspitze an den Ball. Das verkompliziert den als Flanke geplanten Schuss des Gegners zu einem verhunzten Direktschuss auf mein Tor. Ich krieg den Ball trotzdem, obwohl ich mich schon ein bisschen strecken muss, und als ich mich wieder aufrichte, gönne ich mir ein halbes Sekündchen oder etwas mehr, in der ich mir den gegnerischen Stürmer »optisch zurechtlege«, schließlich hatte er noch versucht, mir den Ball aus den Händen zu stochern. Plop, plop, plop, macht es da um mich herum.

Der nächste Angriff des Gegners läuft ähnlich, aber von der anderen Seite, diesmal ist keiner meiner Leute beteiligt, was so auch wieder nicht ganz richtig ist. Und obwohl der Gegner Vollspann und in vollem Lauf draufhaut, ist der Ball kein echtes Problem für mich. Ich stehe wieder auf, gönne mir und dem Schützen einen weiteren tiefen Blick, kaum länger als vorhin, aber mit noch weniger Grund, weil schießen ja an sich erlaubt ist, und er sonst ja nichts getan hat. Plop, plop, plop, plop.

Und auch der nächste Angriff kommt schneller, als es hätte sein müssen, und weil meine Leute das wohl auch so sehen, sind sie leider vorn geblieben. Für mich heißt das: Ich muss raus, dem Ball entgegen. Natürlich ohne jeden Ton, aber mit einer Mimik und Motorik, als würde ich urwaldmäßig brüllen, rase ich auf den ebenfalls rasenden gegnerischen Spieler zu, der mir zwar den Ball nicht mit Schleife und tiefer Verbeugung überreicht, aber verglichen mit dem, was er hätte machen können aus der Situation, war seine Lösung nicht weit entfernt von einer freiwilligen Ballübergabe. Ich nehme mir Zeit, den Ball wieder herzugeben, und natürlich macht es auf meinem Weg zurück ins Tor wie immer: plop, plop, plop – von den Bananen, die die gegnerischen Fans in den Rasen um mich herum plumpsen lassen.

Okay, ich hatte ein bisschen provoziert, mit kleinen Verzögerungen des Spiels und mit den tiefen Blicken in die Augen des Gegners. Das war vielleicht nicht ganz korrekt. Aber es hat etwas bewirkt, obwohl ich gar nicht viel dazu getan habe. Die Leute haben mich sofort »erkannt« – sie haben gesehen, was sie sehen wollten. Sie haben die Gelegenheit ergriffen, sich an mir »zu rächen«. Die Bananen flogen. Das hätten sie lieber nicht gemacht. Nicht meinetwegen, sondern in ihrem eigenen Interesse, im Interesse ihrer Mannschaft. Ignorieren hätten sie mich sollen. So aber haben sie mich stärker gemacht. Nicht mich selbst, nicht meinen Willen, nicht meine Leistung, dazu brauche ich keine Bananen. Aber sie haben dazu beigetragen, mich ins Bewusstsein ihrer eigenen Spieler zu graben: Hier ist er, der Kahn, wir müssen versuchen, ihn zu demütigen, weil wir ihn fürchten! Plop-plop-plop-der-Bananen-Kahn. Plop-plop-plop-der-Wilde. Plop-plop-plop-der-Unüberwindbare. So ist es dann auch passiert. Sie sind nicht vorbeigekommen an mir.

Die geschilderten Spielszenen haben einen inneren Zusammenhang. Sie folgen einer inneren Logik, einer Automatik, die vom »Ja, genau so ist er …« ausgelöst wird. Das ist wie beim Stierkampf: Der Torero wedelt mit dem roten Tuch, und der Stier beginnt, magisch angezogen, darauf zuzustürzen. Oder wie bei den Versuchen des berühmten Herrn Pawlow: Dem Hund zeigt man das Schnitzel, und der Speichel fängt an zu tropfen.

Spiele gewinnt man eben nicht nur, indem man selbst Tore schießt. Sondern auch, indem man die des Gegners verhindert. Oder, wie es im Beispiel oben zutreffender lauten müsste: Indem der Gegner sich selbst daran hindert. Neuer, in jedem Fall aber wichtiger ist die Erkenntnis daraus, dass jeder Mensch in jeder Rolle, hier ich in meinem Wettkampf-Ich, etwas machen kann, was an sich nicht direkt »lupenrein« sein muss und doch in seiner Wirkung auf etwas Positives hinausläuft. Ich meine damit nicht nur, dass wir dieses Spiel gewannen.

Da es hier um das Wettkampf-Ich und nicht um Stilfragen geht, will ich Ihnen noch einige Beispiele geben, in denen ich meine Rollen etwas »intensiver« ausgelegt habe.

Dortmund – Bayern, 3. April 1999.

Etwa einen Meter vor der Torlinie hole ich einen Ball aus der Luft. Wieder auf dem Boden angekommen, rempelt mich der Dortmunder Stürmer Heiko Herrlich – leicht, muss ich zugeben. Wie ein Tier setze ich mich »zur Wehr« – und hätte zu diesem Zweck den Herrlich um ein Haar in den Hals gebissen. Es bleibt aber Gott sei Dank bei einer »leichten« Berührung. Im gleichen Spiel stürze ich aus meinem Tor, um außerhalb des Sechzehnmeterraumes einen Ball zu erlaufen. In vollem Lauf hebe ich ab und fliege wie ein Kung-Fu-Kämpfer – dass der Schiedsrichter bereits Abseits gepfiffen hatte, war mir in diesem Moment egal – knapp am Dortmunder Spieler Stephane Chapuisat vorbei.

Leverkusen – Bayern, 28. September 2002.

Das Spiel ist unterbrochen. Trotzdem schiebt der Leverkusener Thomas Brdaric den Ball noch an mir vorbei ins Tor. Ich packe ihn mit meiner rechten Hand am Nacken, weil ich sauer darüber bin, dass er es nötig fand, trotz des Pfiffs des Schiedsrichters den Ball noch ins Tor zu schießen.

Bremen – Bayern, 2. Oktober 2004.

Nach einem Luftkampf spüre ich einen Tritt des Bremer Spielers Miroslav Klose. Daraufhin drehe ich mich betont aggressiv um und halte ihm meinen Zeigefinger recht kampfeslustig direkt unter die Nase. Es kommt zu einem nicht publizierbaren Wortgefecht. Miroslav sollte später zu Bayern wechseln.

Bayern – Schalke, 31. März 2007.

Nach einer Ecke werde ich vom Gegner in der Luft angegangen, woraufhin ich ihn zu Boden schubse – im Affekt zwar, aber das war natürlich nicht mehr nach dem Regelbuch.

Uerdingen – Bayern, 5. November 1994.

Wir sind in Führung, das ganze Spiel lang im Prinzip ungefährdet, schließlich sind wir der FC Bayern München. Dann fällt doch noch der Ausgleich, unglücklich, und kurz vor Ende des Spiels. Nach dem Schlusspfiff stürze ich vom Feld, schnurgerade in die Kabine, und trete so gegen die Kabinentür, dass sie hin ist.

Beim letztgenannten Beispiel werden Sie vielleicht sagen: Was soll das denn bringen? Wo das Spiel ja schon vorbei war? Um einen platten Spruch zu bemühen: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Da kann es manchmal nicht schaden, eine Partie mit einem Paukenschlag zu beenden. Natürlich bin ich nicht der Einzige, der das Trommeln in dieser Art beherrscht. Vielleicht kennen Sie noch die Bilder von Jürgen Klinsmann, wie er, damals noch als Stürmer des FC Bayern, einmal eine Werbetonne eintrat – und sich dabei in der Tonne verhedderte. An einem letzten Beispiel will ich Ihnen noch zeigen, dass ich meine persönlichen Rolleninterpretationen auch dazu verwendet habe, meine Mannschaft wachzurütteln.

Quick Check!

•  Wir leben verschiedene Ich-Rollen.

•  Jeder Lebensbereich hat seine eigene Ich-Rolle.

•  Jede Ich-Rolle hat eine spezifische Zielgruppe: die Menschen, mit denen wir es in dem jeweiligen Lebensbereich zu tun haben.

•  Das Verhalten, das wir in der einen Ich-Rolle gut gebrauchen können, muss von der Zielgruppe einer anderen Ich-Rolle nicht ebenfalls »gut« gefunden werden.

•  Ich-Rollen, die miteinander harmonieren, bereichern unser Leben und können auch zu unserem beruflichen Erfolg beitragen.

Stuttgart – Bayern, 13. April 1996.

Stuttgart kommt. Schießt. Knapp zischt der Ball an meinem Tor vorbei. Wutentbrannt trample ich aus meinem Tor, packe mir meinen eigenen Mitspieler, den »armen« Andreas Herzog, und schüttle ihn kräftig durch, weil er es war, der im Mittelfeld durch einen Fehlpass diese gefährliche Situation zugelassen hatte, durch die es leicht hätte zu einem Gegentor kommen können.

Zum Glück ist bei allen meinen freieren Interpretationen der Rolle des Wettkämpfer-Ichs niemals etwas wirklich Gravierendes passiert. Erübrigt sich fast zu sagen, dass alle meine »Rollenspiel-Partner« aus eigener Kraft von der Bühne gehen konnten. Nur ganz selten einmal hat mich deswegen ein Schiedsrichter »gebeten«, den Platz zu verlassen.

Mit dem Elefanten quer durchs Porzellan:

Wie alltagstauglich ist Ihr Wettkampf-Ich?

Mein Wettkampf-Ich besitzt alle Eigenschaften, die ich für meine Arbeit auf dem Spielfeld brauche. Hier sind diese Eigenschaften goldrichtig – manchmal sogar fast überlebensnotwendig. Wenn Sie schon einmal im Stadion waren, werden Sie vielleicht verstehen, dass ich einen so martialisch klingenden Begriff wie »überlebensnotwendig« verwende. Selbst Ottmar Hitzfeld, mit Sicherheit der besonnenste Trainer, dem ich in meiner Profilaufbahn begegnet bin, sagte über seine letzten Monate als Trainer des FC Bayern: »Da muss alles passen, auch das Schlachtenglück.«

Bedenken Sie etwa, was mit meinem Berufskollegen Peter Czech im Tor einer der englischen Topmannschaften, des FC Chelsea, passiert ist! Er erlitt eine lebensbedrohliche Kopfverletzung, als ein Spieler des Gegners Czechs Kopf mit dem Ball verwechselte; seit seiner Genesung und seiner Rückkehr ins Team spielt Czech mit einer Art Helm aus Carbonfaser, vielleicht haben Sie es schon mal gesehen. Tief drinnen erschrecke ich jedes Mal von Neuem, wenn ich Peter Czech in seinem schwarzen Kopfschutz sehe. Da scheint es mir nicht einmal übertrieben, davon zu sprechen, dass das Wettkampf-Ich auch Fähigkeiten mit einschließt, die dabei helfen können, einen »überleben« zu lassen. Da drängt sich auch der Eindruck auf, dass das Wettkampf-Ich weitgehend aus Fähigkeiten und Eigenschaften besteht, die für ein privates Ich kaum von Nutzen sind. Jedenfalls sollten Sie privat auch ohne Ihre Wettkampf-Fähigkeiten ganz gut durchkommen, wenn nicht sogar besser.

Mein Wettkampf-Ich braucht also durchaus einige spezielle Fähigkeiten, die in anderen Kontexten wenig Sinn haben. Es braucht Fähigkeiten, die mir in anderen Kontexten sogar im Wege stehen können. Also ist es wichtig, sich bewusst zu machen, wann die Kontexte wechseln. Wenn das Spiel vorbei ist, kann das Wettkampf-Ich eine Pause machen. Das muss aber nicht immer gelingen, gerade in Phasen großer Anspannung.

Kennen Sie nicht auch solche Schwierigkeiten, sich zu »akklimatisieren«? Ihr Wettkampf-Ich abzulegen und gegen ein privates Ich zu tauschen? Kennen Sie es nicht, dass Sie zu Hause, gegenüber den Kindern, die gleiche Akkuratesse an den Tag legen, als ginge es darum, in der Firma nur ja keine Marotten einreißen zu lassen? Kennen Sie es nicht, dass Sie abends, beim Wein mit Freunden, Ihre Meinung mit der gleichen unerbittlichen Konsequenz durchdrücken, als ginge es um das neue Controlling-Konzept oder die Optimierung der Geschäftsprozesse? Oder selbst wenn keine anderen Menschen im Spiel sind: Kennen Sie es nicht, dass Sie weit über das Büro hinaus versuchen, immer und in jedem Augenblick hundertprozentig diszipliniert zu sein? Meine Erfahrung ist: Wer es nicht schafft, sein Wettkampf-Ich abzulegen und gegen eine für die jeweilige Situation besser geeignete Ich-Rolle zu tauschen, wer nie loslassen und entspannen kann, der tut dies nur deshalb, weil er Angst davor hat, nicht wieder anspannen zu können, wenn es erforderlich ist.

Diese Fähigkeit, zwischen den verschiedenen Ich-Rollen zu trennen, ist nicht deshalb so wichtig, damit zum Beispiel ein perfektes »Familientier« aus Ihnen wird. Oder ein allzeit umgänglicher Zeitgenosse. Sondern damit Sie den Rücken freihaben. Damit Sie Ihre Welt in Ordnung haben. Damit Sie, wenn Sie in der Arbeit sind, sich hundertprozentig auf diese konzentrieren können, ohne dass es in Ihnen rumort, weil »zu Hause« der Haussegen schief hängt. Damit Sie eben frei sind im Kopf, frei für Ihren Erfolg.

Wenn das Wettkampf-Ich k.o. geht:

Schauspiel-Ich – übernehmen Sie.

Am besten fange ich dieses Thema mit einem Zitat an, einem Spruch von jemandem Bedeutenden. Jemandem, der es wissen muss. Weil auch er Sportler war, und was für einer. Der Spruch lautet:

»Um ein großer Champion zu werden, musst du auch daran glauben, der Beste zu sein. Wenn du nicht das Gefühl hast, der Beste zu sein, dann überzeuge trotzdem die anderen davon.«

Der Spruch stammt von Muhammad Ali, dem größten Boxer – und manche sagen: dem größten Großmaul – aller Zeiten, und ich könnte jetzt sagen, wie immer, wenn man große Leute zitiert: »Wie wahr …!« Aber der Spruch birgt ein erhebliches Risiko. Der zweite Teil davon jedenfalls: »… dann überzeuge trotzdem die anderen davon.« Das führt, konsequent umgesetzt, direkt in den Abgrund. Und wenn nicht direkt dorthin, dann über den Umweg des Größenwahns. Andere von etwas zu überzeugen, von dem Sie selbst wissen, dass Sie es nicht haben oder sind, das ist, für bare Münze genommen, das Gegenteil von Authentizität und damit eine Gefahr für Ihren Erfolg.

Aber Ali hat natürlich auch recht, nicht umsonst war er als Sportler einer der Größten – auch in Sachen Täuschung. Wenn wir seinen Spruch wörtlich nehmen, haben wir uns auch schon von ihm verladen lassen. Links angetäuscht und rechts reingehauen, sozusagen. Beides konnte er perfekt, das Zuschlagen wie das Schauspielern. Den Schwinger wie den Haken. Das Trennen der verschiedenen Ich-Rollen, die es zum erfolgreichen Profi braucht, egal in welchem Geschäft.

Endlich Halbzeit. Bleischwer, müde und abgekämpft komme ich in die Kabine. Wir sind 0:2 hinten. Draußen im Stadion ist es irgendwie viel zu warm heute, richtig stickig, schwül, ich habe das Gefühl, ich bekomme keine Luft. Ich habe auch keine richtige Power. Und, was viel schlimmer ist, keine Hoffnung, dass wir dieses Spiel noch drehen können.

Mutlos und resigniert lasse ich mich in der Kabine auf meine Bank fallen … meiner Tochter geht’s nicht gut, sie ist krank, liegt im Bett … meine Leistung ist nicht gerade berauschend … ich habe keine Ausstrahlung, keine Präsenz auf dem Platz … meine Mitspieler sind das Gegenteil von optimistisch. Hoffentlich ist das alles bald vorbei hier.

Das dürfte ziemlich genau die Situation sein, die auch Muhammad Ali meint. Jetzt geht es nicht darum, wirklich was zu verbessern, es kann nicht darum gehen. Es ist nicht mehr möglich, nicht für dieses Spiel, nicht für diesen Kampf. Wir können, ich kann heute nicht anders, nicht besser, nicht mehr. Was sollen wir tun? Gar nicht mehr rausgehen? Uns gegenseitig zugestehen: Wir sind schlecht heute, mies, fertig, wir gehen jetzt raus, sagen’s dem Gegner, und hoffen, dass er’s gut sein lässt? Oder uns vermöbeln lassen?

Bevor Sie hier einen Fehler machen, kann ich Ihnen empfehlen: Gehen Sie nicht mehr »raus«. Gehen Sie nicht mehr raus, wenn Sie in einer Branche oder einer spezifischen Situation sind, die das zulässt. Setzen Sie sich keiner Situation aus, der Sie sich nicht gewachsen fühlen. Laufen Sie dem Gegner nicht sehenden Auges ins Messer, aus lauter falsch verstandenem Pflichtgefühl. Und wenn Sie doch »rausgehen« und weitermachen müssen: Setzen Sie alles daran, Ihre Schwächen zu umgehen – klug, geschickt, besonnen, umsichtig.

Genau betrachtet sind Business und Fußball gar nicht so weit auseinander. Natürlich gibt es im Fußball, wie bei den meisten Sportarten, nicht die Möglichkeit, nicht mehr rauszugehen, wenn man sich überfordert fühlt. Wenn man nicht mehr weiterweiß. Schach ist da eine rühmliche Ausnahme: In Situationen ohne Ausweg legen Sie einfach den König um – Sie wissen schon, wie ich’s meine. Aber auch wir können versuchen rauszugehen und unsere Schwächen zu umgehen. Also all die Punkte, in denen wir heute einfach schlecht vorbereitet sind. In denen wir schlechter sind als der Gegner.

Das Umgehen von Schwächen reicht aber noch nicht ganz aus, und auch das will Muhammad Ali sagen. Gerade dann nicht, wenn es wirklich heiß hergeht, wenn es um Kampf geht. Dann braucht es noch ein kleines bisschen mehr.

Ich stehe auf und feuere die Trinkflaschen vom Tisch. Überrascht schauen mich meine Mitspieler an. »Männer! So lassen wir uns hier nicht abschlachten. Wir sind der FC Bayern München! Was wir hier abliefern, ist nicht das, was wir können. Wir schaffen das noch, wenn wir jetzt Vollgas geben. Wir sind zu stark. Keiner kann uns schlagen. Wir reißen uns jetzt den [Sie wissen schon] auf. Egal was passiert, wir gehen noch als Sieger vom Platz. Ich will keinen sehen, der den Kopf hängen lässt. Wir brauchen volle Überzeugung, volle Präsenz und volle Ausstrahlung! Los jetzt! Wir fegen die jetzt weg! …«

Das mit dem »als Sieger vom Platz gehen« wäre in der geschilderten Situation nicht nötig gewesen. Nicht immer braucht es unbedingt den Sieg. Insofern war es schon ein bisschen verwegen, gerade angesichts unseres Zustandes. Andererseits ist Fußball nicht Verhandlungssache, und eine Haltung wie »Nur noch ein bisschen durchhalten und wir haben das Unentschieden sicher in der Tasche« kann böse ins Auge gehen. Weil es im Fußball ein »sicher« nicht gibt. Und selbst wenn es für dieses eine Spiel reicht und die Rechnung des Auf-Unentschieden-Spielens tatsächlich aufgeht, können sich zwei auf diese Weise verschenkte Punkte am Ende der Saison als unaufholbar erweisen.