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Ist Stefan Roland schuldig?

Roman von Patricia Vandenberg

Stefan Roland, technischer Direktor der Rittner-Werke, stößt auf Mißtrauen und feindselige Ablehnung, nachdem ihm die junge Gerda Geißler vor den Wagen lief und schwer verunglückte. Hat Stefan sie absichtlich angefahren? Ist er der Vater ihres ungeborenen Kindes? Die einzigen Zeugen dieses Vorfalls, Carolin Rittner und ihr zwielichtiger Bekannter Hasso Wieland, machen keine Aussage bei der Polizei, so daß alles gegen Stefan zu sprechen scheint. Als aber Details aus dem Privatleben der lebenslustigen Gerda bekannt werden, geraten plötzlich ganz andere Personen in Bedrängnis. Mit kriminalistischem Spürsinn tragen Dr. Daniel Norden und seine Frau Fee zur Aufklärung der Geschehnisse bei…

Nach dem Kalender hätte es schon eine Woche lang Sommer sein müssen, aber das Wetter nahm keine Notiz davon.

»Man könnte närrisch werden«, sagte Dr. Daniel Norden zu seiner Frau Fee, als er zum Fenster hinausblickte. Es regnete mal wieder in Strömen.

»Hab Sonne im Herzen«, sagte sie, aber frohgemut klang ihre Stimme auch nicht, denn sie dachte daran, daß ihre drei Kinder auch an diesem Tag wieder ins Haus verbannt werden mußten.

Für den Arzt bedeutete dieses abscheuliche Wetter, daß er gar nicht mehr zum Verschnaufen kommen würde, denn die Erkältungskrankheiten häuften sich und machten sich mit den seltsamsten Erscheinungen bemerkbar. Die ohnehin chronisch Kranken wurden immer deprimierter.

Als Dr. Norden in seine Praxis kam, saß das Wartezimmer schon voll. Loni, seine Praxishelferin, war ahnungsvoll schon eine Viertelstunde früher gekommen, und da hatten schon ein halbes Dutzend Patienten vor der Tür gewartet.

Loni empfing den Arzt mit einem abgrundtiefen Seufzer. »Nur nicht den Kopf hängen lassen, Loni«, sagte Dr. Norden aufmunternd, »schlimmer kann es nicht mehr kommen.«

»Es fragt sich nur, wann es mal wieder heller wird«, sagte sie. »Ich kriege auch schon Zustände.«

»Dann wird der Onkel Doktor mal mit Ihnen beginnen«, scherzte Daniel Norden.

»So war es auch nicht gemeint«, wehrte Loni sogleich ab. »Ich frage mich nur, wozu ich mir zwei Sommerkleider gekauft habe, wo ich einen zweiten Regenmantel viel nötiger brauchen würde.«

Ganz hatte sie ihren Humor auch noch nicht verloren, doch die erste Patientin, die Dr. Norden dann empfing, konnte sich nicht mal ein flüchtiges Lächeln abringen, obgleich er Gerda Geißler von früheren Konsultationen als fröhliches, unbeschwertes Mädchen in Erinnerung hatte, das selbst eine recht schwere Erkältung im Frühjahr nicht ernst genommen hatte. Sie war Sekretärin in einer Papierfabrik, verdiente gut und hatte eigentlich immer, wenigstens solange Dr. Norden sie kannte, dem Leben die angenehmste Seite abgewonnen. Im Augenblick schien dies jedenfalls nicht mehr so zu sein.

Sie beklagte sich über eigenartige, ihr unerklärliche Beschwerden, Gleichgewichtsstörungen und Übelkeit, besonders am Morgen, dann Widerwillen gegen manche Speisen und Schlafstörungen.

Er untersuchte sie und blickte sie dann aufmunternd an.

»Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung, Frau Geißler. Mit größter Wahrscheinlichkeit besteht eine Schwangerschaft.«

»Aber das ist unmöglich«, stieß sie aggressiv hervor, »ich nehme die Pille.«

»Es soll schon mal vorgekommen sein, daß sie vergessen wurde«, meinte er nachsichtig. »Aber ich würde Ihnen empfehlen, einen Gynäkologen aufzusuchen, um es genau feststellen zu lassen.«

Er war sich seiner Diagnose zwar sicher, und ebenso sicher war er sich, daß die Schwangerschaft bereits im dritten Monat bestand, aber gerade dann, wenn er merkte, daß eine Patientin sich gegen solche Gewißheit sträubte, verhielt er sich zurückhaltend. Es waren die einzigen Fälle, die er an den Facharzt verwies, um das Ersuchen um eine mögliche Schwangerschaftsunterbrechung von vornherein auszuschließen.

Gerda Geißler richtete ein solches Ersuchen nicht an ihn, obgleich sie völlig niedergeschmettert schien. Sie nahm sich zusammen.

»Welchen Gynäkologen können Sie mir empfehlen, Herr Doktor?« fragte sie leise.

»Gehen Sie zu Dr. Leitner. Er kann in seiner Klinik mit den modernsten Untersuchungsmethoden arbeiten.«

»Ich kann sagen, daß Sie mich geschickt haben?« fragte sie.

»Selbstverständlich. Machen Sie sich keine Sorgen, die Beschwerden werden bald verschwinden.«

»Ja, das hoffe ich«, sagte sie tonlos.

Dr. Norden hatte keine Zeit mehr, über sie nachzudenken. Er kam an diesem Tag nicht mal zum Mittagessen. Zweimal wurde er aus der Sprechstunde zu Patienten mit Kreislaufzusammenbrüchen gerufen, und

Loni hatte eine lange Liste von Patienten notiert, die

auf seinen Hausbesuch warteten. Um drei Uhr hätte

er schon wieder in der Praxis sein müssen, weil er

zwei Patienten bestellt hatte, die regelmäßig ihre Spritzen bekommen mußten. Er kam erst gegen halb vier Uhr.

Die treusorgende Lenni, seit einigen Jahren Haushälterin bei den Nordens, hatte für ihn und Loni Essen gebracht. Zu allem Übel war auch Fees Wagen nicht angesprungen. Sie selbst wollte lieber bei den Kindern bleiben, die in weinerlicher Stimmung waren, da sich bei ihnen auch eine Erkältung bemerkbar machte. So war für Lenni ein Taxi bestellt worden, denn es schüttete, was nur vom Himmel herunter wollte.

Danny drückte sein Näschen platt am Fenster. »Diesmal kommt überhaupt kein Sommer, Mami«. sagte er mit heiserem Stimmchen. »Diesmal kommt gleich wieder Winter.«

»Sauwetter«, schimpfte Felix, und Fee konnte dem Kleinen diesen Kraftausdruck nicht mal übelnehmen.

Die kleine Anneka nieste und hustete und wollte im Bettchen bleiben, was bewies, daß sie sich gar nicht wohl fühlte.

So war auch Fee mit ihren drei Trabanten vollauf beschäftigt.

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Stefan Roland hätten an diesem Tag selbst Schneestürme nicht erschüttern können. Er hatte die Chance seines Lebens bekommen.

Um vier Uhr nachmittags hatte er den Vertrag unterschrieben, der ihn zum technischen Direktor der Rittner-Werke machte, einen Vertrag, wie er ihn in seinen kühnsten Träumen nicht zu erhoffen gewagt hatte. Und dabei schien Ludwig Rittner, der Generaldirektor, genauso zufrieden zu sein wie er.

Ludwig Rittner war ein schlanker, streng wirkender Mann. Stefan Roland hatte dies nicht irritieren können. Ihm behagte es nicht, wenn nichtssagende Floskeln ein Gespräch bestimmten. Rittner stellte Anforderungen, denen er sich gewachsen zeigte, denn Stefan Roland stellte sein Licht nicht unter den Scheffel. Er war eine dynamische Persönlichkeit, wie sie in der Zeitungsannonce, auf die er sich beworben hatte, gefordert worden war.

Seit drei Jahren war er Abteilungsleiter in der Ehlers AG, und er hatte gute Gründe, sich eine andere Stellung zu suchen, denn er hatte sich in Silke Ehlers verliebt, und deren Vater hatte ganz andere Pläne mit seiner Tochter. Allerdings hatte die hübsche Silke Stefan Roland versprochen, mit ihm durch dick und dünn zu gehen.

Nun hatte er den Versuch gewagt, sich um eine Position zu bemühen, mit der er seinem zukünftigen Schwiegervater beweisen konnte, daß er kein Mitgiftjäger sei, und schon der erste Versuch war zu einem vollen Erfolg geworden.

Nun ließ Ludwig Rittner von seiner Sekretärin sogar eine Flasche Champagner bringen.

»Aber bitte nur ein kleines Gläschen, ich muß noch Auto fahren«, sagte Stefan.

In diesem Augenblick wirbelte eine zierliche junge Dame in das Chefzimmer.

Ohne Stefan zu beachten, lief sie auf Ludwig Rittner zu und fiel ihm um den Hals.

»Tut mir leid, dich stören zu müssen, Paps«, sagte sie, »aber ich muß zum Flugplatz.«

Ludwig Rittner blickte auf die Uhr. »Pressiert es schon?« fragte er. »Ein bißchen Zeit hast du doch noch. Ich möchte dich mit unserem neuen Technischen Direktor, Herrn Roland, bekannt machen, Carolin.«

Daß Carolin Rittner ein bezauberndes Persönchen war, konnte selbst einem Mann, der in Silke Ehlers verliebt war, nicht entgehen. Und Carolin musterte den großen, jungen und recht attraktiven Mann forschend.

»Freut mich, Herr Roland«, sagte sie. »Wir werden uns ja öfter streiten. Ich bin nämlich die rechte Hand meines Vaters.«

Selbstbewußt war sie auch, und Ludwig Rittner schien damit sehr einverstanden zu sein.

»Meine Tochter fliegt nach Wien, um eine wichtige Verhandlung für mich zu führen«, erklärte er. »Manches erreicht man mit Charme und Geschick eher als mit nüchterner Technik. Ein Gläschen Schampus trinkst du doch mit uns, Carry?«

»Ein halbes«, erwiderte sie, auf ihre Armbanduhr blickend. »Hasso bringt mich zum Flughafen.«

Stefan Roland bemerkte, daß sich Ludwig Rittners Stirn in Falten legte.

»Du hättest dir auch ein Taxi nehmen können«, sagte er.

»Wozu? Hasso bringt mir auch noch die Koffer zur Abfertigung.« Sie hob ihr Glas Stefan entgegen. »Auf gute Zusammenarbeit, Herr Roland. Ich muß sagen, daß ich staune. So schnell entschlossen ist mein Vater sonst nie.«

Dann verabschiedete sie sich rasch, und auch Stefan hielt den Zeitpunkt nun für gekommen, sich von seinem zukünftigen Chef zu verabschieden.

Als er zu seinem Wagen ging, sah er Carolin Rittner nochmals. Sie sprach lebhaft auf einen sehr gut aussehenden dunkelhaarigen Mann ein.

Er achtete nicht weiter darauf, denn jetzt wollte er zu Silke fahren, um ihr zu sagen, was er erreicht hatte. Er meinte, daß auch seinem privaten Glück nichts mehr im Wege stehen würde.

Aber nun, als er durch die Straßen fuhr, fluchte auch er leise vor sich hin, weil die Scheibenwischer kaum die Wassermassen schafften, die vom Himmel stürzten. Er war gezwungen, langsam zu fahren, was ihm aber weniger ausmachte als dieses trostlose Wetter, das so gar nicht zu seiner Stimmung paßte. Ein schöner Abend hätte es sein müssen. Eine romantische Nacht am See wäre der richtige Rahmen gewesen, denn der Yacht-Club hatte einen Sommernachtsball geplant. Und er hätte mit Silke unter freiem Himmel tanzen können.

Er sah nicht, daß hinter ihm ein roter Wagen fuhr, eigentlich zu schnell. Er mußte auf die Straße achten, aber sosehr er auch aufpaßte, die schattenhafte Gestalt, die ihm dann direkt vor die Räder fiel, sah er zu spät. Der wahnsinnige Schrecken, der ihm den Atem raubte, lähmte ihn so sehr, daß ihm gar nicht mehr bewußt wurde, daß der rote Wagen weiterfuhr.

In diesem Wagen saß Carolin Rittner an der Seite von Hasso Wieland.

»Das war ein Unfall, Hasso«, sagte sie, »und wenn mich nicht alles täuscht, war das dieser Roland, unser neuer Technischer Direktor.«

»Du verpaßt dein Flugzeug, Carry, wenn wir jetzt anhalten«, sagte Wieland. »Es wird schon nicht so schlimm sein. Er ist ja ziemlich langsam gefahren. Aber du scheinst chloroformiert von ihm zu sein, daß du ihn

überall siehst.«

»Was heißt überall? Vorhin sah ich ihn bei Paps, dann am Parkplatz. Aber es ist tatsächlich höchste Zeit. Hoffentlich kann die Maschine überhaupt starten. Vielleicht war es auch gar kein Mensch, der ihm da in den Wagen gelaufen ist, sondern ein Hund. Man konnte ja fast nichts sehen.«

Indessen starrte Stefan Roland auf die leblose Gestalt, die zu seinen Füßen lag. Sein Kotflügel hatte sie noch gestreift.

Und dann stand da plötzlich ein Mann und sagte: »Sie sind zu schnell gefahren, ich habe es gesehen.«

»Das ist nicht wahr«, murmelte Stefan tonlos. »Sie ist mir direkt vor die Räder gelaufen.«

Der Regen lief ihm über das Gesicht. »Ich muß den Notarzt rufen, die Funkstreife.«

Das hatte schon die Besitzerin des Blumengeschäftes getan, die nun mit dem Regenschirm herauskam und sagte: »O mei, o mei, das ist doch das Fräulein Geißler.«

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Stefan Roland mußte alle Formalitäten über sich ergehen lassen, die bei einem Unfall üblich waren, obwohl er völlig benommen war. Die Verletzte war abtransportiert worden, zur Behnisch-Klinik, die am nächsten lag. Und von Dr. Dieter Behnisch, mit dem Daniel Norden ebenso befreundet war wie mit dem Gynäkologen Dr. Hans-Georg Leitner, wurde Daniel informiert.

Gerda Geißler hatte ihre Handtasche bei sich gehabt, in der sich auch der Impfausweis befand, den Dr. Norden ausgestellt hatte.

Dr. Norden hatte noch nicht alle Patienten abgefertigt, als der Anruf von Dr. Behnisch kam.

»Es handelt sich um eine Patientin von dir, Daniel«, sagte Dieter Behnisch. »Gerda Geißler ist ihr Name. Sie hatte einen Unfall und ist schwer verletzt. Vielleicht kannst du mir mehr über sie sagen, über Angehörige und so weiter.«

»Gerda Geißler? Sie war heute bei mir«, erwiderte Daniel. »Ich komme vorbei, sobald ich fertig bin, hier ist die Hölle los, Dieter.«

»Wem sagst du das«, kam die rauhe Erwiderung. »Also bis nachher, Daniel.«

»Heute ist wirklich der Teufel los, Loni«. sagte Daniel, bevor er sich wieder seinen Patienten widmete.

Stefan Roland war indessen unangenehmen Fragen ausgesetzt worden. Man hatte ihm den Führerschein abgenommen und seinen Wagen sichergestellt. Er war so konsterniert, daß er überhaupt nicht klar denken konnte, denn es war der erste Unfall überhaupt, in den er verwickelt worden war. Und ausgerechnet an diesem Tag, den er als den erfolgreichsten in seinem Leben betrachtet hatte.

Carolin Rittner hatte in der Zwischenzeit ihre Maschine nach Wien bestiegen. Als sie sich von Hasso Wieland verabschiedete, sagte sie ihm nochmals energisch, daß er wegen des Unfalls seine Aussage machen solle, falls dies nötig wäre.

»Es wird schon nicht nötig sein, Carry. Ich wünsche dir viel Erfolg. Übermorgen bist du ja wieder zurück.«

»Wenn ich Erfolg habe, bleibe ich vielleicht noch ein paar Tage bei Tina«, erwiderte sie.

Um Hasso machte sie sich augenblicklich wenig Gedanken. Sein Vater war ein Freund ihres Vaters gewesen. Sie kannten sich von Kindheit an. Hasso hatte gerade sein Studium beendet und eine annehmbare Stellung im Rittner-Werk bekommen. Sie waren Jugendfreunde. Mehr bedeutete Hasso Carolin nicht. Die Hoffnungen, die er sich machte, hätten ihr eher ein Lächeln abgerungen. Sie war ein Karrieremädchen, immer darauf bedacht, ihrem Vater den Sohn zu ersetzen, den er sich so heiß gewünscht hatte. Und es mußte gesagt werden, daß es ihr gelungen war. Ludwig Rittner war stolz auf seine Tochter.

Auch Arno Ehlers war stolz auf seine Tochter, obgleich er einen Sohn hatte. Und ihm hatte es gar nicht in den Kram gepaßt, daß sie sich in Stefan Roland verliebt hatte. Er hatte ganz andere Pläne mit ihr, denn da gab es einen gewissen Friedhelm von Reichert, dessen Vater einen gewaltigen Aktienanteil an der Ehlers AG besaß, die in der holzverarbeitenden Industrie einen guten Namen besaß.

Die bildhübsche Silke versuchte jetzt jedoch unentwegt, Stefan Roland telefonisch zu erreichen. Stefan saß noch immer auf dem Polizeirevier.

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Nachdem Dr. Norden auch den letzten Patienten abgefertigt hatte, fuhr er zur Behnisch-Klinik.

Mittlerweile war es schon nach sechs Uhr, und von Lennis gutem Essen hatte er nur ein paar Bissen zu sich genommen. Er war heilfroh, daß er in Loni eine so geduldige, unverdrossene Mitarbeiterin hatte, die ihre eigenen kleinen Beschwerden vergaß, wenn es hart auf hart ging. Jetzt waren seine Gedanken bei Gerda Geißler.

Dr. Behnisch war gerade wieder bei ihr. Seine Frau Jenny war ebenfalls Chirurgin, aber auch auf anderen Gebieten der Medizin sehr beschlagen, da sie lange Zeit in Hospitälern des Nahen Ostens gearbeitet hatte, wo nicht nur Fachärzte tätig waren. Sie empfing Daniel.

»Ist Gerda Geißler schwer verletzt?« fragte Daniel sogleich.

»Sehr schwer«, bestätigte Jenny. »Sie wurde von dem Wagen zur Seite geschleudert und fiel mit dem Hinterkopf auf den Rinnstein. Besonders erschwerend ist der Blutverlust infolge einer Fehlgeburt. Wußtest du von der Schwangerschaft?«

»Ich habe sie heute morgen festgestellt und sie zu Schorsch geschickt«, erwiderte Daniel.

Mit Schorsch war Dr. Leitner gemeint, denn so wurde er von den Freunden genannt.

»Ich weiß aber nicht, ob sie schon bei ihm gewesen ist«, fügte er dann hinzu.

»Das spielt jetzt auch keine Rolle. Sie schwebt in Lebensgefahr, und man sollte die Angehörigen benachrichtigen. Du weißt über deine Patienten meistens doch sehr gut Bescheid.«

»Über sie weiß ich wenig«, erwiderte Daniel. »Ein nettes Mädchen. Sekretärin. Ich habe die Karte mitgebracht. Sie war dreimal bei mir in der Praxis. Einmal hatte sie sich den Knöchel verstaucht, zweimal wegen hartnäckiger Erkältungen. Sie ist in einer Papierfabrik beschäftigt.«

»Das wissen wir. Die Fabrik gehört zur Ehlers AG. Sie ist bei einer Ersatzkasse versichert. Soweit alles klar. Von ihren Angehörigen weißt du auch nichts?«

»Nein.«

»Sie war schwanger, Daniel. Hat sie nicht über den Vater des Kindes gesprochen?«

»Kein Wort. Ich bin nicht indiskret. Erfreut über die Schwangerschaft schien sie nicht zu sein. Sie sagte mir, daß sie immer die Pille genommen hätte. Ich habe von ihr auch nicht gehört, daß sie verlobt sei.« Er machte

eine Pause. »Wie ist der Unfall passiert?« fragte er

dann.

»In der Nähe ihrer Wohnung. Genaues weiß ich nicht.«

»Kann ich sie sehen?«

»Selbstverständlich, aber sie ist bewußtlos. Dieter ist bei ihr.«

Dr. Dieter Behnisch zuckte nur die Schultern, als Daniel das Krankenzimmer betrat, ein kleiner Raum auf der Intensivstation war es, Daniel wußte, daß es der Raum war, in den man hoffnungslose Fälle legte. Ein Frösteln kroch ihm über den Rücken, als er in das blutleere Gesicht Gerd Geißlers blickte, das von einem dicken Verband umgeben war.

»Der Blutverlust ist enorm«, sagte Dr. Behnisch, »und auf die Konserven scheint sie nicht anzusprechen. Im Augenblick kann ich gar nichts sagen, Daniel.«

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Als Daniel endlich heimkam, hatte Dr. Leitner bereits zum zweiten Male angerufen. Fee sagte es nicht gleich, weil ihr Mann so erschöpft aussah. Er sollte wenigstens in Ruhe essen. Sie wußte schon von Loni, daß er kaum etwas zu sich genommen hatte, denn Loni war sehr besorgt um ihren Chef.

Nach der Suppe sagte Daniel: »So richtigen Appetit habe ich heute gar nicht.«

»Du wirst doch nicht auch noch krank werden«, sagte Fee besorgt.

»Ach was, so schnell wirft mich nichts um, Liebes, aber eine Patientin hatte zu allem auch noch einen Unfall, und da bin ich einfach allergisch.«

»Wie heißt sie?« fragte Fee, wieder mal von bangen Ahnungen erfüllt. Sie konnte solche nicht erklären, sie hatte sie einfach im Gefühl.

»Gerda Geißler, du kennst sie nicht«, erwiderte Daniel.

Fee seufzte schwer. »Ihretwegen hat Schorsch schon zweimal angerufen«, erklärte sie, weil sie meinte, daß es doch sehr wichtig sein könnte.

Wie von der Tarantel gebissen sprang Daniel auf und sauste schon zum Telefon. Und gerade da brachte Lenni ein besonders zartes Steak.

»Das können wir wohl auch wieder abschreiben«, murmelte sie.

Fee lauschte auf Daniels Stimme. Sie wußte zwar, daß er ihr sagte, was wichtig war, aber momentan war sie selbst von Unruhe erfüllt.