cover

BEDIENUNGSANLEITUNG FÜR DEINEN VERSTAND

KRITISCH DENKEN IN EINER WELT VOLLER HALBWISSEN

images

images

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

1. Auflage 2019

© 2019 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 bei Grand Central Publishing, a division of Hachette Book Group, unter dem Titel The Skeptics’ Guide to the universe.

© 2018 by SGU Productions, LLC. All rights reserved.

This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, New York USA. All rights reserved. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Hinweis

Eine Vielzahl der Themen dieses Buchs bezieht sich in der einen oder anderen Hinsicht auf Krankheiten, Medizin oder Gesundheit. Keine dieser Informationen soll eine ärztliche Beratung ersetzen. In Gesundheitsfragen sollten sich Leser an den Arzt ihres Vertrauens wenden, vor allem wenn sie an Vorerkrankungen leiden und bevor sie eine bestimmte von einem Arzt oder Therapeuten angeordnete Behandlung beginnen, unterbrechen oder abwandeln oder eine Medikamentendosis verändern. Jeder Leser ist für sämtliche seine Gesundheit betreffenden Entscheidungen selbst verantwortlich.

Übersetzung: Petra Pyka/Birgit Schöbitz

Redaktion: Silke Panten

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: unter Verwendung von Shutterstock.com/Alexander_P, curiosity, rogistok, François Poirier, RedlineVector

Layout: Maria Wittek

Satz: Carsten Klein, Torgau

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-0828-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0461-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0462-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Einleitung

Erster Teil:
Kernkonzepte, die jeder Skeptiker kennen sollte

1. Der wissenschaftliche Skeptizismus

Neuropsychologische Demut und Täuschungsmechanismen

2. Fehlleistungen des Gedächtnisses und Erinnerungsverfälschung

3. Die Unzulänglichkeit unserer Wahrnehmung

4. Die Pareidolie

5. Hyperactive Agency Detection

6. Die Hypnagogie

7. Der Carpenter-Effekt oder der ideomotorische Effekt

Metakognition

8. Der Dunning-Kruger-Effekt

9. Motiviertes logisches Denken

10. Argumentation und logische Fehlschlüsse

11. Kognitive Verzerrung und Heuristik

12. Der Bestätigungsfehler

13. Das Traditionsargument

14. Das Naturargument

15. Der Attributionsfehler

16. Das Aufspüren von Anomalien

17. Data-Mining

18. Koinzidenz

Wissenschaft und Pseudowissenschaft

19. Der methodologische Naturalismus und seine Kritiker

images

20. Die Postmoderne

21. Ockhams Rasiermesser

22. Die Pseudowissenschaft und das Abgrenzungsproblem

23. Leugner und Verweigerer

24. p-Hacking und andere Schwächen der Forschung

25. Verschwörungstheorien

26. Hexenjagden

27. Placeboeffekte

28. Die Anekdote

Berühmte abschreckende Beispiele

29. Der Kluge-Hans-Effekt

30. Der Hawthorne-Effekt

31. Die kalte Deutung

32. Freie Energie

33. Das Quanten-Woo

34. Die Homunkulus-Theorie

35. Intelligent Design

36. Vitalismus und Dualismus

37. N-Strahlen

38. Positives Denken

39. Schneeballsysteme

Zweiter Teil:
Unsere Abenteuer als Skeptiker

40. Das Für und Wider gentechnisch veränderter Organismen

41. Dennis Lee und die freie Energie

42. Verrücktes Hollywood

43. Die Singularität

44. Die Warrens und die Geisterjagd

45. Loose Change – verschobene Sicht auf den 11. September

Dritter Teil:
Der Skeptizismus und die Medien

46. Fake News

47. Falsche Ausgewogenheit

48. Wissenschaftsjournalismus

49. Der Auftritt der Matrix

50. Die Mikrobiomanie

51. Die Berichterstattung über Epigenetik

Vierter Teil:
Tod durch Pseudowissenschaft

52. Tod durch Naturheilkunde

53. Exorzismus: Mittelalterliche Überzeugungen, die zu mittelalterlichen Ergebnissen führen

54. Tod durch Verweigerung

55. Das Leid der Kinder

Fünfter Teil:
Sich selbst verändern – und die ganze Welt

56. Skeptisch leben

Epilog

Dank

Quellenangaben

Für meinen Freund, den bekannten Skeptiker Perry DeAngelis

EINLEITUNG

Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.

DOUGLAS ADAMS

Spock hat gelogen.

Und Spock (schon gut, es war natürlich Leonard Nimoy als Moderator der in den USA beliebten, aber zweifelhaften Fernsehsendung In Search of …) war beileibe nicht der Einzige. Auch Medien, Journalisten, Unternehmen, Politiker, Verkäufer, ja praktisch jeder Erwachsene und jede Autoritätsperson in meinem Leben haben mir schon Lügen aufgetischt. Manche in voller Absicht, andere in der Überzeugung, der Zweck heilige die Mittel. Meist handelte es sich aber schlicht um Missverständnisse, Fehlinformationen oder Selbsttäuschung, und die Betreffenden gaben weiter, woran sie selbst glaubten. Dabei verbreiteten sie in Wirklichkeit Unwahrheiten, die ihnen andere erzählt hatten.

Kinder glauben in der Regel, was man ihnen sagt. Im Vergleich zu Kindern verfügen Erwachsene über einen so großen Wissensvorsprung und Erfahrungsschatz, dass sie auf jedem Gebiet als ultimative Autorität wahrgenommen werden. Doch wenn ein Kind älter wird, merkt es, dass die Erwachsenen oft nicht einer Meinung sind. Folglich können nicht alle recht haben. Daraufhin wählt so ein junger Mensch kritischer aus, wem er künftig vertraut. Im Grunde verlassen wir uns aber auch im Erwachsenenalter noch sehr oft auf andere – auf Experten, Leitfiguren, Geistliche, Moderatoren oder einfach auf das Allgemeinwissen –, wenn wir uns eine Meinung bilden oder ein Urteil fällen.

Auch die Wissenschaft ist so etwas wie eine Autorität. Sie begeisterte mich schon als Jugendlicher. Schließlich erzählten Wissenschaftler die besten Geschichten darüber, wie vor Jahrmillionen riesige Dinosaurier die Erde bevölkerten, wie sich unsere primitiven Vorfahren Werkzeuge aus Stein fertigten, wie vor Milliarden von Jahren die Sonne, die Erde und der Mond entstanden, wie sich der Mensch aus einer einzigen Zelle entwickelt hat und wie die Evolution aus einfachen Lebewesen unsere heutige komplexe Welt werden ließ.

Meine Brüder und ich verpassten keinen einzigen wissenschaftlichen Dokumentarfilm im Fernsehen, wohl weil wir instinktiv merkten, dass das viel besser war als jede Sitcom und alle schnulzigen Liebesfilme. Inzwischen weiß ich, dass auch in Dokumentarfilmen jede Menge Pseudowissenschaft oder sogar Unwahrheit steckt. Und damit wären wir wieder bei Leonard Nimoy und seiner damals so beliebten Serie In Search of …, die von 1977 bis 1982 im US-amerikanischen Fernsehen lief.

In jeder Folge berichtete Nimoy etwas Interessantes – zum Beispiel, wie Wissenschaftler herausgefunden hatten, dass Außerirdische die Urheber der Nazca-Linien (rätselhafte Scharrbilder in der Wüste nahe der peruanischen Stadt Nazca) waren oder dass Forscher drauf und dran waren, das riesige Ungeheuer zu entdecken, das im Loch Ness hauste. Er lieferte (für mich damals) überzeugende Argumente, die dafür sprachen, dass es sowohl übersinnliche Wahrnehmungen als auch Atlantis und Bigfoot gab. Wie jeder Moderator einer Wissenschaftssendung legte auch Nimoy Beweise vor und sprach mit Experten. Wir haben ihm alles abgekauft.

Meine Eltern gaben sich damals große Mühe, uns zu guten Katholiken zu erziehen. Im Nachhinein verblüfft es mich, dass ich als kleiner Junge durchaus in der Lage war, sowohl an die Evolution als auch an Adam und Eva zu glauben. Abraham, Maria und Josef waren in meinen Augen historische Figuren und wurden mir mit der gleichen Autorität vermittelt wie die Heldentaten von George Washington. In der Kirche galt der Glaube als absolute Tugend, was es einfach machte, ein guter Mensch zu sein. Man musste nur glauben.

Doch diese aufregende Welt fantastischer Berichte, die mir die Gesellschaft in den Kopf setzte und in denen es um die Evolution, die Schöpfungsgeschichte, das Ungeheuer von Loch Ness und vieles mehr ging, sollte nicht allzu lange Bestand haben. Letzten Endes blieb mir nichts anderes übrig, als mich von offensichtlich widersprüchlichen Inhalten zu verabschieden. Schließlich konnte es nicht sein, dass sowohl die Evolutionsbiologie als auch die Schöpfungsgeschichte der Bibel der Wahrheit entsprachen. Also musste ich bestimmte Dinge hinterfragen und mir darüber klar werden, welche Theorien ich für wahr hielt und welche ich verwarf.

Genau das ist das Wesen des Skeptizismus: Woher sollen wir wissen, was wir glauben können und was eher nicht? Sobald wir Fragen stellen wie »Woher wollen wir das wissen?«, geraten unsere Überzeugungen ins Wanken. Woher wollen wir zum Beispiel wissen, ob schon Außerirdische auf der Erde waren oder ob sich Krankheiten heilen lassen, indem Nadeln in bestimmte Körperregionen gesteckt werden? Nicht immer führt diese Frage zu einem guten Ende, da sich so mancher gegen den wissenschaftlichen Beweis entscheidet, um weiter an Außerirdische oder an Wunder zu glauben. Andere dagegen stellen einfach alles infrage. Dieser Prozess hört niemals auf – er ist eine unendliche Reise.

Die Frage ist, wie weit wir dabei gehen – und in welche Richtung. Im Prinzip muss das jeder für sich entscheiden, aber wir sind ja zum Glück nicht allein. Wir alle gehören sozialen Kreisen an, die immer größer werden und mit denen wir unseren Wissensdurst und den Hunger nach Antworten auf alle möglichen Fragen teilen. Den größten derartigen Kreis bildet die gesamte Menschheit. Die menschliche Spezies befindet sich auf einer Entdeckungsreise, weil sie wissen möchte, woran sie glauben und auf welche Erkenntnisse sie bauen kann.

Diese Reise hält so manche Überraschung für uns bereit. Vielleicht jagt sie uns sogar Angst ein. Möglicherweise geraten wir mit Überzeugungen in Konflikt, die in unseren Augen wahr sein müssen, weil sie Teil unserer Identität sind – aber, wie wir feststellen, keiner gründlicheren Prüfung standhalten. Letzten Endes ist es eine Reise, auf der wir uns selbst entdecken. Hoffentlich erweist sich dieses Buch dabei als guter Reiseführer. Auf den folgenden Seiten erfährt der Leser, dass das Gedächtnis das reinste Chaos ist, dass unser Denken von Vorurteilen geprägt ist und dass sich ein Gehirn (ziemlich oft) täuscht und am liebsten gute einfache Geschichten hört, die vorhandenes Wissen verstärken. Außerdem wird dem Leser aufgezeigt, wo die Gesellschaft überall versagt und woran es wissenschaftlichen Einrichtungen, Bildungsstätten und dem Journalismus mangelt. Die Erkenntnis, dass wir in einer Welt voller Fehlinformationen, Vorurteile, Mythen, Täuschungen und Wissenslücken leben, ist erschreckend.

Es ist, als wären wir noch immer alle Kinder, und weit und breit gäbe es keine Erwachsenen. Es fehlt an ultimativen Autoritätspersonen. Keiner hat das Geheimnis ergründet, niemand kennt die Wahrheit, und es gibt keine Anlaufstelle, die uns alle Fragen zweifelsfrei beantwortet (nicht einmal Google). Wir kämpfen uns unseren Weg durch dieses komplexe Universum – nicht anders als unsere Vorfahren.

Gut möglich, dass einer, der sich diese Grundlage des menschlichen Daseins bewusst macht, zum Zyniker wird, der an gar nichts mehr glaubt. Doch auch das ist wieder nur eine persönliche Sicht – ein weiteres Narrativ, das uns hilft, mit dem Chaos um uns herum zurande zu kommen. Zynismus ist eine billige Lösung – allzu leicht lässt sich einfach alles anzweifeln oder abstreiten. Doch damit kommen wir nicht weit – erst recht nicht als Gesellschaft. Skeptizismus ist viel mehr als Zynismus. Auch wenn der erste Schritt der Zweifel ist: Damit fängt es zwar an, doch es hört nicht damit auf. Es gibt kein absolutes oder ultimatives Wissen (keine WAHRHEIT in Großbuchstaben). Wir können jedoch vieles über unsere Welt erfahren, auf das wir uns so weit verlassen können, dass wir es (zumindest vorläufig) als wahr einstufen und danach handeln können. Wir können zum Beispiel Raumsonden zum Pluto schicken und uns auf diese Weise großartige Aufnahmen eines Planeten verschaffen, der bislang voller Rätsel steckte. Entspräche unser Wissen über das Universum nicht wenigstens zum Teil der Wahrheit, wäre unser Bemühen, etwas über den Pluto zu erfahren, nicht mit sagenhaften Bildern von dieser fernen, eisigen Welt belohnt worden.

Fest steht also: Wir können uns nicht auf die Geschichten verlassen, die wir hören, geschweige denn auf Traditionen, unseren Glauben, zweckdienliche oder beruhigende Erzählungen und auch nicht auf charismatische Persönlichkeiten. Ja, wir können nicht einmal unserem eigenen Gedächtnis trauen. Doch wir können uns Schritt für Schritt eine Vorgehensweise aneignen, mit der wir alle Thesen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Dieser Prozess besteht zu einem großen Teil aus wissenschaftlichen Methoden, mit denen unsere Gedanken systematisch mit der Realität abgeglichen werden. Dafür nutzen wir natürlich die objektivsten aller Daten. Auch in der Wissenschaft geht es mitunter chaotisch zu und es passieren Fehler. Aber immerhin ist die Wissenschaft in der Lage, sich selbst zu korrigieren – das heißt, uns immer mehr in Richtung Wahrheit zu dirigieren. Im Grunde ist Wissenschaft nichts anderes als ein Prozess, mit dem wir nach besten Kräften herausfinden können, was wirklich real ist.

Zur Wissenschaft kommen noch Logik und Philosophie hinzu, die uns aufzeigen, wie wir Dinge sauber zu Ende denken können, um zumindest Widersprüche in sich ausschließen zu können. Schlüssige Argumentation, sorgfältige und systematische Beobachtungen, die Aufzeichnung und Auswertung aller Daten (auch der missliebigen) und der Versuch, unsere eigenen Schlussfolgerungen zu widerlegen, bedeuten eine Menge Arbeit, bringen uns aber auf unserer Reise voran. Skeptiker kombinieren das Wissen aus Wissenschaft, Philosophie und Humanpsychologie unter Berücksichtigung aller Tücken und Verzerrungen des menschlichen Denkens, um alle Thesen und Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen – ganz besonders ihre eigenen.

Ich selbst bin einen Riesenschritt vorangekommen, als ich mir die Doku-Serie Unser Kosmos im Fernsehen ansah. Sie wurde von Carl Sagan moderiert, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hatte. Für mich war das die erste wissenschaftliche Sendung, in der nicht nur Fakten genannt wurden, sondern nachgefragt wurde, woher wir etwas wissen. Sagan ging der Frage nach, wie wir früher über etwas dachten und wie neue Erkenntnisse diese Sichtweise verändert haben. In einer Folge beschäftigte er sich mit den angeblichen Beweisen für Besuche von Außerirdischen. Diese Episode war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Sollte es jemals den einen Moment in meinem Leben gegeben haben, der mich zum Skeptiker gemacht hat, dann war es dieser. Da war ein anerkannter Wissenschaftler, der anhand logischer Schlüsse den Beweis antrat, dass es keine Ufos gab – um nicht zu sagen, der bewies, dass Ufos ausgemachter Blödsinn sind. Das wiederum bedeutete, dass alle Dokumentarfilme zum Thema außerirdische Besucher (einschließlich der Hälfte aller Folgen von In Search of …) nicht nur falschlagen, sondern absoluter Schwachsinn waren. Ich fühlte mich verraten und getäuscht. Bei diesen Dokus handelte es sich nicht um echte Wissenschaft, sondern um einen »billigen Abklatsch«, wie sich Sagan auszudrücken beliebte. Um Pseudowissenschaft. Wow – waren auch andere Thesen so fadenscheinig wie die angeblichen Beweise für die Existenz von Ufos? So fiel ein Dominostein nach dem anderen.

Einen weiteren Schritt kam ich voran, als ich vom Kreationismus hörte, der die Evolution verleugnet. Das hat mich förmlich umgehauen. Immerhin hatte ich Dutzende von Büchern und Artikeln über die Evolution – eines meiner wissenschaftlichen Lieblingsthemen – verschlungen und kannte so gut wie jeden Beweis dafür, dass das Leben auf der Erde durch die Evolution entstanden ist. Und dann musste ich von Menschen lesen oder hören, die all diese Beweise ignorierten, die abstritten, dass so etwas wie eine Evolution überhaupt stattgefunden hatte, oder sich zumindest nicht den einschlägigen Darstellungen der Wissenschaftler anschließen wollten. Ich konnte gar nicht anders, als innezuhalten und genauer hinzuschauen. Dabei kam ich mir vor wie ein Gaffer, der seine Augen nicht von einem schrecklichen Unfall auf der Autobahn abwenden kann. Die Argumente der Kreationisten reichten von hanebüchen bis raffiniert, waren letztlich aber alle nicht haltbar. Ich habe mir richtig Mühe gegeben, weil ich wissen wollte, an welchem Punkt sie in die Irre liefen. Am Anfang war ich so naiv zu glauben, dass ich die Kreationisten (bei den seltenen persönlichen Begegnungen) einfach nur auf die Unstimmigkeit ihrer Argumente oder die sachlichen Fehler ihrer Theorie hinweisen müsste, damit sie ihre Meinung änderten. Tja, rein theoretisch ist das sicherlich möglich, aber es entpuppte sich als ungeahnt schwierig. Irgendetwas lief da ab, und ich wusste nicht, was. Auch während meines naturwissenschaftlichen Studiums an der Uni mühte ich mich mit diesem Kampf ab. Zugleich schwand mein Glaube rapide. Ich war unterwegs auf einer skeptischen Reise, die auch heute – 30 Jahre später – noch andauert.

Diese Obsession, verstehen zu wollen, woher wir etwas wissen und an welchem Punkt etwas schiefläuft und wir die falsche Richtung einschlagen, ist mir zur Lebensaufgabe geworden. Ich bin fasziniert von wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlichen Erkenntnissen und finde gerne heraus, wie man sie anderen vermitteln kann. Als ich von einer Bewegung aktiver Skeptiker hörte, gab es für mich kein Halten mehr.

Mein bester Freund Perry DeAngelis, seines Zeichens ebenfalls Skeptiker, stellte eines Tages fest, dass es in Amerika viele aktive Skeptikergruppen gibt, aber keine in unserem Bundesstaat Connecticut. Daraufhin schlug er vor, unsere eigene Gruppe zu gründen, und mir war sofort klar: Das war der richtige Weg für uns.

Unser gemeinsamer Freund Evan Bernstein und meine Brüder Bob und Jay schlossen sich uns ebenfalls an. Dieselben Brüder übrigens, mit denen ich als Teenager stundenlang In Search of … angeschaut hatte. Wir unterstützten uns gegenseitig bei unserer Wandlung vom Naivling zum Skeptiker. Ich weiß noch genau (na ja, so genau, wie mit einem so schlechten Gedächtnis wie dem menschlichen eben möglich), wie ich Bob erzählte, dass ich nicht mehr an übersinnliche Wahrnehmungen glaubte. Er war fassungslos, aber in einer nur halbstündigen Diskussion konnte ich ihm klarmachen, wie fadenscheinig die angeblichen Beweise dafür waren.

So gründeten wir fünf 1996 die New England Skeptical Society. Wir beschränkten uns (mehr oder minder zähneknirschend) darauf, einen Newsletter herauszugeben (in gedruckter Form!) und vor Ort Vorträge zu halten. Wir hätten uns gerne stärker engagiert, aber schließlich mussten wir alle unsere Brötchen verdienen. Wir betrieben weiter Nachforschungen, besuchten Ufo-Konventionen und setzten uns mit allen möglichen Anhängern pseudowissenschaftlicher Theorien auseinander. In diesen Jahren festigte sich unser Ruf als Skeptiker. Uns bot sich die Gelegenheit, uns mit Wissenschaftlern, Philosophen, Magiern und anderen skeptischen Aktivisten auszutauschen.

Dann kamen die sozialen Medien und schlugen ein wie eine Bombe. 2005, als Podcasting noch in den Kinderschuhen steckte, kam ich auf die Idee, einen wöchentlichen Podcast über Wissenschaft und kritisches Denken ins Leben zu rufen. Wir einigten uns auf den Namen The Skeptics’ Guide to the Universe, kurz SGU – nach der Romanreihe Hitchhiker’s Guide to the Galaxy (auf Deutsch: Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams), auf die wir alle voll abfuhren. Und dieser Podcast ist bis heute, während wir an diesem Buch schreiben, sehr erfolgreich.

Zu uns gesellte sich Rebecca Watson, die unsere Show neun Jahre lang komoderierte. Leider verstarb Perry 2007 an den Komplikationen seiner Sklerodermie. Im Jahr 2015 stieß dann Cara Santa Maria zu uns Skeptical Rogues, also uns skeptischen Querdenkern, wie wir uns selbst nannten. Jede Woche versuchten wir fünf, aus unserer zunehmend durchgeknallten Welt schlau zu werden. Das Internet und die sozialen Medien sind für uns Segen und Fluch zugleich, denn sie ermöglichen es uns zwar, einem breiteren Publikum Wissenschaft und kritisches Denken nahezubringen, machen es aber ebenso möglich, dass sich Fehlinformationen schneller verbreiten als je zuvor.

In den letzten 20 Jahren, in denen wir uns unermüdlich für die Wissenschaft und für logisches Denken eingesetzt haben, haben wir den Eindruck gewonnen, als stehe immer mehr auf dem Spiel. Vor allem mein Fachgebiet – die Medizin – wird vermehrt von der Pseudowissenschaft, der sogenannten Alternativmedizin, durchdrungen. Der wissenschaftliche Prozess als solcher steht quasi unter Dauerbeschuss. Es gibt ganze Bewegungen, die nichts anderes tun, als die mühsam gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu leugnen oder ihnen zu widersprechen. Man könnte fast meinen, Wahrheit und Fakten würden gedankenlos als unbequem abgetan. Manche glauben – zu Recht –, die Menschheit befinde sich im Rückschritt aus der Aufklärung und verkrieche sich in Echokammern bequemer oder zumindest vertrauter Überzeugungen. Hier liegt ein Generationenkonflikt vor, der vermutlich niemals endet.

Ebenso wie in Douglas Adams’ Universum haben auch wir eine hilfreiche Anleitung verfasst, die jedem Einzelnen auf seiner skeptischen Reise den Rücken stärken soll, denn die Welt versucht aktiv, uns zu täuschen und uns Lügen zu erzählen. Die Kräfte der Unwissenheit, der Verschwörungstheorien, des Antiintellektualismus und der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse sind so einflussreich wie nie zuvor.

Wir müssen dabei mit diesen unglaublich unzulänglichen Denkmaschinen in unserem Schädel zurechtkommen. Doch zum Glück stehen wir auf den Schultern von Riesen. Viele kluge Köpfe befassen sich seit langer Zeit intensiv damit, wie es um unsere Realität und unser Vermögen, sie zu begreifen, bestellt ist. Zudem stehen uns effiziente Werkzeuge wie die Wissenschaft und die Philosophie zur Verfügung. Es gibt vieles, was wir bereits wissen, und wir haben Mittel und Wege, alles zu verstehen.

Es gibt also keinen Grund zur Panik. Das Konzept, den eigenen Kopf zu gebrauchen und alles Mögliche infrage zu stellen, ist durchaus unterhaltsam und erweitert den Horizont. Außerdem gehen wir das Ganze ja gemeinsam an.

images

ERSTER TEIL

Kernkonzepte, die jeder Skeptiker kennen sollte

Die Wahrheit kann verstörend sein. Manchmal kommt man ihr nur schwer auf die Spur. Sie kann dem Bauchgefühl zuwiderlaufen und unseren tief sitzenden Vorurteilen widersprechen. Oft entspricht sie nicht dem, was wir unbedingt für wahr halten möchten. Aber wir haben nun einmal nicht zu bestimmen, was wahr ist und was nicht.

CARL SAGAN

Wer eine Reise antritt, muss packen – und deshalb schnappen wir uns jetzt alle nötigen Hilfsmittel, etwas Reiseproviant, eine wetterfeste Jacke und ein paar bequeme Wanderschuhe. Dieser Teil unserer Anleitung vermittelt das praktische Rüstzeug für den Skeptiker (quasi in einem modischen Utensiliengürtel), also alles, was unserer Meinung nach unverzichtbar für diese Reise ist – ebendie Dinge, die weiterhelfen können, wenn man auf dem Weg auf Hindernisse oder Stolpersteine stößt.

Dieses Rüstzeug – die Kernkonzepte des wissenschaftlichen Skeptizismus – lässt sich in vier Kategorien einteilen. Bei der ersten handelt es sich um die »neuropsychologische Demut«, wie ich sie gerne nenne. Dazu zählt das gesamte Wissen darüber, wie unzulänglich und begrenzt unser Gehirn arbeitet. Schließlich ist es das wichtigste Instrument, mit dem wir das Universum erkunden und zu verstehen versuchen. Deshalb sollten wir alle mehr darüber wissen, wie es funktioniert.

Die zweite Kategorie des Rüstzeugs für Skeptiker nennt sich Metakognition – salopp ausgedrückt, bedeutet das, über das Denken nachzudenken. Die Metakognition ergründet, inwieweit unser Denkvermögen von Verzerrungen beeinflusst wird. Kein Thema, die erste und die zweite Kategorie überlappen sich, doch bei Letzterer geht es mehr um kritisches Denken und weniger um die Hardware – also das Gehirn als solches. Schön wär’s, wenn Menschen durch und durch logisch denkende Wesen wären wie ein gewisser spitzohriger Charakter aus der Einleitung. Leider ist das nicht so. Stattdessen sind wir emotionale, nur halbwegs rationale Geschöpfe, die sich mit einer ganzen Reihe von Vorurteilen, mentalen Abkürzungen und Denkfehlern herumschlagen müssen.

Die dritte Kategorie des Rüstzeugs für Skeptiker bezieht sich auf die Wissenschaft – wie sie funktioniert, was es mit Pseudowissenschaft und bewusster Negierung auf sich hat und wie selbst die Wissenschaft fehlgehen kann.

Die vierte Kategorie der Kernkonzepte nimmt uns mit in die Vergangenheit. Dort lesen wir von abschreckenden Paradebeispielen für Pseudowissenschaft und Täuschung.

So ausgerüstet, kann unser Abenteuer beginnen. Wir können aufbrechen (oder uns weiterhelfen, wenn wir unsere Reise bereits angetreten haben). Eines noch: Das wird kein verlängertes Wochenende – diese Reise dauert bis ans Ende unseres Lebens.

Bist du, lieber Leser, bereit, dich auf die epische Reise zu begeben, die uns Menschen aus dunklen Höhlen geführt und uns den Flug zum Mond ermöglicht hat (und ja, wir waren wirklich dort)? Wie bei allen Abenteuern geht es auch hier vor allem um eine Reise zu uns selbst. Die Ungeheuer, mit denen wir uns herumschlagen werden, und die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, entspringen in den meisten Fällen unserem eigenen Gehirn. Doch wer sie meistert, dem winkt eine wirklich sagenhafte Belohnung.

PUNKT 1 DER BEDIENUNGSANLEITUNG

Der wissenschaftliche Skeptizismus

Teilbereich: Kernkonzepte
Siehe auch: kritisches Denken

Wissenschaftlicher Skeptizismus, ein von Carl Sagan geprägter Begriff, bezeichnet eine allgemeine Herangehensweise an Wissen, bei der vorrangig verlässliche, stichhaltige Überzeugungen und Schlussfolgerungen zum Tragen kommen – anstelle verharmlosender oder bequemer. Wissenschaftliche Skeptiker setzen sich aus diesem Grund für die kompromisslose, aufgeschlossene Anwendung wissenschaftlicher und logischer Methoden ein, um empirische Thesen – insbesondere ihre eigenen – zu hinterfragen. Ein wissenschaftlicher Skeptiker akzeptiert eine These nur vorläufig und insoweit, als sie durch triftige logische Zusammenhänge nachgewiesen werden kann und alle vorhandenen Indizien gründlich und unvoreingenommen gewürdigt wurden. Ein Skeptiker befasst sich zudem intensiv mit den Fallstricken menschlicher Logik und den Mechanismen der Irreführung, um sich nicht von anderen oder gar von sich selbst täuschen zu lassen. Skeptikern geht die Methodik in aller Regel vor eine bestimmte Schlussfolgerung.

Wir ignorieren »verständliche Wissenschaft« auf eigene Gefahr.

EUGENIE SCOTT

Wer dieses Buch liest, weiß, dass wir für eine Weltanschauung plädieren, die gemeinhin als wissenschaftlicher Skeptizismus bekannt ist. Doch darüber, was das bedeutet, sind die Meinungen geteilt. Was also tun wir eigentlich, und woran glauben wir?

Grundsätzlich gilt: Ein Skeptiker zweifelt. Ein philosophischer Skeptiker ist jedoch etwas ganz anderes als wissenschaftliche Skeptiker wie wir. Philosophischer Skeptizismus ist im Grunde nichts anderes als permanentes Zweifeln: Können wir wirklich etwas wissen? Was macht Wissen denn aus? Bevor die Wissenschaft unser Denken revolutionierte, war der philosophische Skeptizismus eine vernünftige Einstellung. Schließlich beruhte ein Großteil des Wissens auf Autorität und Tradition, weshalb es vermutlich ein Schritt in die richtige Richtung war, erst einmal wieder bei null anzufangen. René Descartes’ berühmten Spruch, dass wir nur eines sicher wissen – »Ich denke, also bin ich« –, dürfte wohl jeder kennen. Er wollte alles verwerfen, was bis zu einem bestimmten Zeitpunkt als gesichertes Wissen galt, ganz von vorne beginnen und sehen, was sich aus den Grundwahrheiten ableiten ließ (als offenkundige Ausgangspunkte).

Zu unserem Glück leben wir nicht mehr in einem vorwissenschaftlichen Zeitalter. Wir verfügen über in Hunderten von Jahren angesammeltes Wissen, das uns dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen. Philosophen setzen ihren Schwerpunkt auf eine eindeutige, präzise, unzweifelhafte und in sich stimmige Denkweise. Die Wissenschaft funktioniert innerhalb der Philosophie des methodologischen Naturalismus (soll heißen, alle Auswirkungen sind auf natürliche Ursachen zurückzuführen) und bedient sich ausgeklügelter Methoden, um Theorien einem Realitätstest zu unterziehen.

Dennoch können wir nicht alles mit hundertprozentiger metaphysischer Sicherheit wissen, aber wir können bestimmte Dinge verstehen. Wissensbausteine, die in sich schlüssig, logisch und stichhaltig sein und nicht nur zu unseren Beobachtungen der Realität passen müssen und uns tatsächlich dabei helfen zu prognostizieren, wie sich das Universum verhalten wird, lassen sich methodisch aufeinander aufbauen.

Das ist der Punkt, an dem sich der wissenschaftliche Skeptiker vom philosophischen unterscheidet. Für Letzteren steht fest, dass Wissen nicht möglich ist. Wir sind aber auch keine Zyniker, deren Zweifel auf einer gesellschaftlichen Haltung beruhen oder die der Menschheit an sich eher negativ gegenüberstehen. Und erst recht sind wir keine Nonkonformisten, die reflexartig der Meinung der breiten Masse widersprechen. Der Begriff »Skeptiker« wird auch von Leugnern (fälschlicherweise) verwendet, die als die einzig wahren Skeptiker angesehen werden wollen (weil sie krasse und unbequeme Fragen stellen), doch in Wahrheit ihrem Leugnungsprogramm aus rein ideologischen Gründen folgen.

Wir sind wissenschaftliche Skeptiker, weil bei uns am Anfang immer der Zweifel steht, doch dann bemühen wir uns gewissenhaft, das, was wir können und wissen, von dem zu trennen, was unter Fantasie, Wunschdenken, Vorurteil und Tradition fällt. Ich bin überzeugt, dass moderner wissenschaftlicher Skeptizismus viele Facetten hat und mehr ist als nur eine Weltanschauung. Untrennbar damit verbunden ist jede Menge Wissen und Erfahrung.

Im Folgenden möchte ich die Werkzeuge und Methoden vorstellen, die wissenschaftliche Skeptiker anwenden, um die Realität zu analysieren:

Respekt vor Wissen und Wahrheit – Skeptiker legen Wert auf Realität und Wahrheit. Deshalb bemühen wir uns nach besten Kräften um Überzeugungen und Meinungen, die so realitätsnah wie möglich sind. Das bedeutet, dass wir alle Thesen einem fundierten Evaluierungsprozess unterziehen.

Skeptiker glauben, dass sich die Welt erklären und verstehen lässt, weil sie bestimmten Regeln oder Naturgesetzen folgt. Die einzig legitime Methode, empirisch etwas über das Universum herauszufinden, folgt dieser naturalistischen Annahme. Anders ausgedrückt: Innerhalb der Empirie (dem auf Beweisen basierenden Faktenwissen) gibt es keinen Grund, als Erklärung auf Magisches oder Übernatürliches zurückzugreifen.

Die Förderung der Wissenschaft – Wissenschaft ist die einzig legitime Methodik, um die Natur zu erforschen und zu verstehen. Allein aus diesem Grund ist die Wissenschaft ein machtvolles Werkzeug – und eine der besten Entwicklungen der menschlichen Zivilisation. Die aktivistischen Mitglieder unseres Klubs setzen sich für die Wissenschaft und ihre Aufgaben innerhalb unserer Gesellschaft ein, möchten wissenschaftliche Ergebnisse und Methoden einem breiten Publikum zugänglich machen und nehmen auch den Bildungsauftrag sehr ernst. Im Klartext heißt das, die Integrität der Wissenschaft und die wissenschaftliche Bildung müssen vor ideologischer Einmischung oder antiwissenschaftlichen Angriffen geschützt werden. Dazu zählt auch die Unterstützung hochwertiger wissenschaftlicher Arbeit, was es erforderlich macht, Prozesse, Kultur und Institutionen der Wissenschaft auf Mängel, Verzerrungen, Schwächen und Betrug hin zu prüfen.

Förderung des logischen und kritischen Denkens – Wissenschaft ist untrennbar mit Logik und Philosophie verknüpft, weshalb sich Skeptiker für ein breites Verständnis dieser Fachgebiete einsetzen und gezielt zum kritischen Denken anregen.

Wissenschaft versus Pseudowissenschaft – Skeptiker sind die erste und häufig auch die letzte Verteidigungslinie im Kampf gegen pseudowissenschaftliche Übergriffe. In dieser Funktion versuchen wir, die Grenzen zwischen legitimer Wissenschaft und Pseudowissenschaft aufzuspüren und deutlich zu machen, die Pseudowissenschaft zu entlarven und darüber aufzuklären, wie sich beides voneinander unterscheiden lässt. Sollte ich unsere Kernkompetenz als Skeptiker in einem Wort zusammenfassen müssen, wäre es die Pseudowissenschaft. Tauchen weitverbreitete, aber nichtsdestoweniger falsche Überzeugungen auf, reicht es nicht aus, über den entsprechenden wissenschaftlichen Hintergrund zu verfügen. Man muss in diesem Fall auch wissen, wo sich die Wissenschaft irren kann, wie wir Menschen überhaupt zu falschen Annahmen kommen und dann auch noch daran festhalten und wie sich diese verbreiten. Im akademischen Establishment hapert es daran allerdings, weshalb hier die Skeptiker ins Spiel kommen.

Ideologische Freiheit / freie Forschung – Wissenschaft und Logik können nur in einer freien Gesellschaft gedeihen, deren Mitglieder sich frei entfalten können, ohne dass ihnen oder dem wissenschaftlichen Prozess und der freien Forschung eine Ideologie (religiöser oder sonstiger Art) oktroyiert wird.

Neuropsychologische Demut – wer als Skeptiker etwas bewegen will, muss die vielen Möglichkeiten der Selbsttäuschung, die Grenzen und Tücken der menschlichen Wahrnehmung und des Gedächtnisses, die kognitiven Verzerrungen und Fehlschlüsse und die Methoden kennen, mit denen sich diese mindern oder gar aushebeln lassen.

Verbraucherschutz – Skeptiker wollen sich und andere vor Betrug und Täuschung schützen. Das gelingt uns, indem wir Betrügereien aufdecken, die Öffentlichkeit und die Politik aufklären und ihnen helfen, betrügerische oder irreführende Thesen oder Praktiken zu erkennen.

Zudem übernehmen Skeptiker gerne die Funktion eines institutionellen Gedächtnisses. Es kursieren immer wieder die gleichen Schwindeleien und falschen Annahmen. Anscheinend muss jede Generation dieselben Fehler machen. Da ist es schon nützlich, dass es Skeptiker gibt, die sich mit der Geschichte der Betrügereien, Fehler und Pseudowissenschaft befassen, um gleich Alarm schlagen zu können, wenn derselbe Unsinn wieder einmal gebetsmühlenartig wiederholt wird.

Aktivistische Skeptiker sind leidenschaftliche Wissenschaftsmittler – und noch viel mehr. Wir Skeptiker verfügen über bestimmte Fachkenntnisse und Nischenwissen über Pseudowissenschaft und Täuschungsmechanismen. Wir wissen, was wir Fehlinformationen entgegensetzen können. Noch vor einer Generation gingen Wissenschaftsmittler davon aus, im Kampf gegen Pseudowissenschaft und Mythen genüge es, Wissenschaft zu lehren. Jetzt können wir mit Sicherheit sagen, dass dem leider nicht so ist.

So bestätigte zum Beispiel eine 2017 von John Cook et al. durchgeführte Studie die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, dass Fehlinformationen über den wissenschaftlichen Konsens zur globalen Klimaerwärmung je nach politischer Ideologie des Probanden eine polarisierende Wirkung zeigten. Studienteilnehmer, die vor der Studie von der Konsensmeinung überzeugt waren, wurden darin noch bestärkt, während die Leugner dieser Bedrohung im Anschluss noch weniger davon wissen wollten. Selbst die anschließende Berichtigung der Fehlinformationen zeigte so gut wie keine Auswirkung auf diese Polarisierung – die reinen Fakten genügten nicht, um die Meinung der Menschen zu ändern.

Wurde den Teilnehmern jedoch gleich zu Beginn der Studie mitgeteilt, wie vermeintliche Experten den wissenschaftlichen Konsens fälschlicherweise infrage stellten, konnte keine polarisierende Wirkung mehr festgestellt werden.

Dies ist genau der Grund, weshalb wir uns dafür entschieden haben, die Wissenschaft zum einen zu fördern, indem wir Pseudowissenschaft als solche entlarven und nicht nur mit dem Finger auf Fehlinformationen deuten, die durch unwissenschaftliche Methoden entstehen, sondern auch auf die betrügerischen (manchmal auch selbstbetrügerischen) Machenschaften der Pseudowissenschaftler eingehen. Es ist einfach nicht genug, wissenschaftliche Methoden zu lehren, man muss die Menschen darüber aufklären, wie Wissenschaft funktioniert und wie man zu stichhaltigen Schlussfolgerungen kommt. Dieses Buch ist quasi eine Schutzimpfung gegen minderwertige Wissenschaft, Täuschung und Denkfehler.

Niemand behauptet, dass dies die dringlichsten Probleme unserer Zeit seien. Wir werden oft genug dafür kritisiert, dass wir uns nicht mit wichtigeren Themen befassen. Für uns ist das nichts anderes als der Fehlschluss relativer Not. Soll heißen, jemand hat das Gefühl, dass die eigene Arbeit oder Leistung nicht wertvoll ist, weil es dringlichere Probleme gibt. »Befasse dich erst dann mit anderen Forschungsprojekten, wenn ein Heilmittel gegen Krebs bei Kindern gefunden wurde«, wäre ein klassisches Beispiel dafür.

Ich bezeichne dieses Phänomen als »die Logik auf Gilligans Insel«. Keine Frage, wer auf einer einsamen Insel strandet, sollte zunächst sein Überleben sichern. Doch auf einem Planeten, auf dem sich über sieben Milliarden Menschen tummeln, ist ein solches Vorgehen nicht sinnvoll. Wir sollten die Freiheit besitzen, uns um die Probleme zu kümmern, die uns am wichtigsten sind oder für die wir ein Händchen haben oder die uns besonders am Herzen liegen.

Wann immer in diesem Buch der Begriff »Skeptiker« fällt, ist damit ein Befürworter der Wissenschaft und des kritischen Denkens gemeint. Vielleicht zählt sich der eine oder andere Leser nach der Lektüre ja dazu.

Neuropsychologische Demut und Täuschungsmechanismen

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde weithin mit der Erfindung einer Flugmaschine gerechnet – eines Fluggeräts, das schwerer war als Luft. In den Jahrzehnten bevor den Brüdern Wright 1903 in Kitty Hawk der erste Motorflug gelang, aber auch danach, waren sie nicht die Einzigen, die den Traum vom Fliegen realisieren wollten.

Immer wieder brodelte die Gerüchteküche: Es seien Flugzeuge gesichtet worden. Die Menschen kannten kein anderes Thema, wie es schien. In Lokalzeitungen wurde berichtet, dass prominente Mitbürger (Polizisten oder der Bürgermeister) die Flugmaschinen gesehen und sogar die Piloten erkannt hätten. Viele schworen Stein und Bein, sie hätten aus der Ferne das Brummen der Motoren gehört. Andere berichteten, sie hätten Trümmer der Flugapparate gefunden oder wären sogar schon eine Runde mitgeflogen. Weite Teile der Bevölkerung gingen davon aus, dass berühmte Erfinder wie Thomas Edison die Finger im Spiel hatten.

Mittlerweile wissen wir: All diese Ereignisse waren nichts anderes als Zeitungsenten und Massentäuschungen. Damals gab es noch keine Luftschiffe. Bei den Zeichnungen der vermeintlichen Flugzeuge von Augenzeugen handelte es sich um drollige Flugapparate mit Schlagflügeln, aber nicht um Flugzeuge, wie sie letzten Endes konstruiert wurden.

Was diese und zahlreiche vergleichbare Vorfälle beweisen? Dass Wahrnehmung, Gedächtnis und Überzeugung keineswegs objektiv sind, sondern ein Produkt aus Erwartungshaltung, kulturellen Einflüssen und Psychologie.

Als die Falschmeldungen über die Luftschiffe als solche entlarvt wurden, waren viele Menschen, die diesen Berichten aufgesessen waren, ziemlich sauer. Ich vermute, sie waren in erster Linie wütend auf sich selbst, weil sie so leichtgläubig gewesen waren. Doch wie wir noch sehen werden, ist das einfach nur menschlich.

PUNKT 2 DER BEDIENUNGSANLEITUNG

Fehlleistungen des Gedächtnisses und Erinnerungsverfälschung

Teilbereich: neuropsychologische Demut
Siehe auch: Wahrnehmung, Selbsttäuschung

Unser Gedächtnis ist in vielerlei Hinsicht unzuverlässig. Tatsache ist, dass ohne Weiteres komplett falsche Erinnerungen entstehen können, manchmal sogar durch fehlgeleitete Therapeuten.

Die kognitive Psychologie sagt, dass der menschliche Verstand, auf sich allein gestellt, für Trugschlüsse und Täuschungen anfällig ist, weil die Erinnerung sich eher an Anekdoten aufhängt als an systematischen Statistiken.

STEVEN PINKER

Unsere Echtzeiterfahrung mit der Welt um uns herum ist flüchtig. Nur einen Lidschlag nachdem wir etwas erlebt haben, ist es schon Erinnerung – die zunächst im Kurzzeitgedächtnis und später dann vielleicht im Langzeitgedächtnis abgelegt wird. Alles, was wir persönlich über unsere Welt wissen, sind im Grunde Erinnerungen.

Doch wie verlässlich ist das menschliche Erinnerungsvermögen? Denken wir doch bitte kurz an eine Begebenheit aus unserer Kindheit – eine, wie sie uns oft in den Sinn kommt, die Teil unserer Vergangenheit und Identität ist. Ich sage das ungern (na gut, das war gelogen – ich sage es nicht wirklich ungern), aber solche Erinnerungen entsprechen meist nicht der Wahrheit.

Das kommt uns logischerweise befremdlich vor. Wir denken unwillkürlich: »Das kann doch gar nicht sein! Ich weiß genau, wie ich als Zehnjähriger vor diesem Spielzeugladen stand. Da täusche ich mich unter Garantie nicht!« Es tut mir wirklich leid, aber ein ganzes Jahrhundert Gedächtnisforschung spricht dagegen.

Unser Gedächtnis ist alles andere als eine exakte oder passive Aufzeichnung der Vergangenheit. In unserem Schädel sitzt keine Fleisch gewordene Videokamera. Erinnerungen entstehen durch unvollkommene Sinneseindrücke, die von unseren Überzeugungen und Vorurteilen gefiltert werden und die sich im Laufe der Zeit verändern und ineinander übergehen. Offenbar sollen unsere Erinnerungen wohl eher unsere Einstellungen stärken als ihren Informationsgehalt steigern. Sie sind wie eine unendliche Geschichte, die wir uns selbst erzählen.

Sicher war jeder schon einmal in eine hitzige Diskussion verwickelt und hat dabei die Erfahrung gemacht: Sobald sich die Wogen wieder geglättet haben und die Beteiligten versuchen, ihre Meinungsverschiedenheit auszuräumen, zeigt sich, dass sich jeder anders an das vorangegangene Wortgefecht erinnert. Vielleicht denken wir in solchen Situationen ja, dass uns unser Gedächtnis bestimmt nicht trügt und dass es die anderen sind, die sich irren. Jede Wette, dass die anderen dasselbe über uns denken.

Wer manchmal mit Freunden in Erinnerungen schwelgt, hat folgende Geschichte bestimmt so oder ähnlich selbst erlebt: In einer Folge unseres Podcasts ergingen sich Bob, Jay und ich in Reminiszenzen an einen Familienurlaub in Pompeji und Herculaneum. Bob und Jay erinnerten sich lebhaft an die Begegnung mit einem sehr merkwürdigen Fremdenführer, dem es ein perverses Vergnügen bereitete, meine Mutter auf jede altertümliche Phallusdarstellung aufmerksam zu machen. Meiner Erinnerung nach hat uns unsere Mutter von dieser Begegnung der unheimlichen Art erzählt, die sie auf einer ihrer früheren Reisen nach Pompeji hatte. Wir selbst waren damals gar nicht dabei. Bob und Jay trauten ihren Ohren nicht. Ihr Gedächtnis sollte ihnen einen Streich gespielt haben? (Sie beharren übrigens nach wie vor darauf, dass ich es bin, der unter Gedächtnislücken leidet.)

Die Forschung weiß schon sehr viel darüber, wie unser Gedächtnis funktioniert. Wie im Kapitel 3 »Die Unzulänglichkeit unserer Wahrnehmung« näher ausgeführt, sind unsere Wahrnehmungen nichts anderes als Teil eines aktiven Konstruktionsprozesses. Alle Sinneseindrücke werden auf wichtige Inhalte hin gefiltert. Dabei kommt es zu ersten Annahmen dazu, was wir gerade wahrnehmen, und dann wird alles in Echtzeit mit den restlichen Wahrnehmungen, unseren vorhandenen Modellen und Annahmen über unsere Welt abgeglichen. Oberste Priorität hat dabei Kontinuität, denn auf diese Weise wird sichergestellt, dass alles zusammenpasst.

Aus diesem Wahrnehmungsfluss wird schließlich eine Erinnerung. Neueste Forschungen lassen vermuten, dass dies gleichzeitig im Kurz- und im Langzeitgedächtnis geschieht. Am Anfang dominiert das Kurzzeitgedächtnis, doch sein Inhalt wird rasch wieder gelöscht. Nach mehreren Tagen entstehen dann langfristige Erinnerungen, und das Langzeitgedächtnis übernimmt. Die Verbindung zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis ist in Wirklichkeit natürlich um einiges komplexer und noch nicht abschließend erforscht, aber im Grunde funktioniert es so.

Es gibt unterschiedliche Arten des Langzeitgedächtnisses, deren Funktionen sich zum Großteil überschneiden. Sie besitzen jedoch unterschiedliche »neuroanatomische Korrelate« (das heißt, sie greifen auf unterschiedliche neuronale Netze im Gehirn zurück). Es gibt das deklarative (auch als explizit bezeichnete) Gedächtnis, das bewusst zugängliche Informationen über lange Zeit speichert. Beim Stichwort »Gedächtnis« denken die meisten Menschen an das deklarative Gedächtnis. Das prozedurale (auch als implizit bezeichnete) Gedächtnis umfasst dagegen Fertigkeiten, die in der Regel automatisch und ohne Nachdenken eingesetzt werden – zum Beispiel motorische Fähigkeiten: wie man einen Basketball im Korb versenkt oder in Schreibschrift schreibt.

Das deklarative Gedächtnis wird noch weiter differenziert: Im episodischen Teil werden Ereignisse und eigene Erfahrungen abgelegt. Diese Erinnerungen bilden das sogenannte biografische Gedächtnis, das heißt Erinnerungen daran, was in unserem Leben alles passiert ist. Die meisten Eindrücke werden dort in der Ich-Form gespeichert. Beim biografischen Gedächtnis gibt es noch eine Besonderheit: sogenannte Blitzlichterinnerungen – detailgetreue lebhafte Erinnerungen an ein emotional bedeutsames Ereignis. Wer sich noch gut daran erinnert, wo er war und was er gerade tat, als er von den Terroranschlägen des 11. September 2001 oder vergleichbaren Ereignissen hörte, hat es definitiv mit einer Blitzlichterinnerung zu tun.

Im semantischen Gedächtnis werden Fakten über die Welt abgespeichert, die nichts mit dem eigenen Erleben zu tun haben. Es wird in weitere Bereiche unterteilt, in denen unterschiedliche Inhalte liegen. So besitzen wir ein Faktengedächtnis, eines, das für den Wahrheitsgehalt einer Tatsache zuständig ist (stimmt das so oder nicht?), und noch ein zusätzliches Gedächtnis für den Ursprung einer Tatsache. Das erklärt, weshalb wir uns zwar daran erinnern können, dass wir etwas aufgeschnappt haben, aber nicht mehr wissen, wo und ob es wahr ist oder nicht.

Erinnerungen sind flexibel